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Druck der Buchdruckerei Wilddadsr Taffblatt; Verlag und Schriftleituag Th. Gack in Wildbad.

Nummer 161

Fernruf 170

Wildbad, Freitag, den 13. Juli 1923

Fernruf 179

58. Jahrgang

Umschwung?

(Von einem A u ß e n p o l i t i k? r.)

Man soll nicht zu früh frohlocken! Nach den schweren Enttäuschungen, .die die deutsche Oeffentlichkeit nun wochen­lang Tag für Tag erlebt hat, wäre es töricht, jetzt den Him- >nei voller Geigen zu sehen. Es hat zwar im Augenblick den Anschein, als ob die englische Negierung die C-duld verliere und mit den für Donnerstag angekündigten Erklärungen Baldwins und Curzons das erlösende Wort sprechen wolle. Aber eine ganze Reihe von Gründen spricht leider dagegen, daß sich nun mit einem Schlag alles für Deutschland zum Enten wenden werde.

Gewiß hat Frankreich im Friedensschluß von Lausanne eine Niederlage erlitten und die Aktien der englischen Diplomatie beginnen zu steigen. Die Regierung Poincare laßt in halbamtlichen Mitteilungen durchblicken. daß sie sich auf einen neuen Sturz des französischen Fran­ken als Folge des bevorstehenden englischen Schrittes vor- bcreite. Aber das ist ja bereits Gegenmanöver, und ^m übri­gen wird vom Pariser Außenamt wieder die übliche Stim­mungsmache getriebpn, um den von London her zu erwar­tenden Schlag abzumildern. Da wird mit verständnisvollem Lächeln versichert, die englischen Erklärungen seien voraus­sichtlich nur eine förmliche Kundgebung. Entscheidende Hand­lungen seien erst nach Ablauf einer längeren Frist -u erwar- um. Vielleicht werde die Mehrheit des englischen Parlaments mit einem Druck auf Frankreich gar nicht einv-'cstcmden sein, unterdessen werde aber, wie PoincarS wiederholt erklärt habe, die Zeit für Frankreich arbeiten. Ganz deutlich verrät das zum Beispiel derPetit Pansien", der ja neuerdings immer von Poincare beeinflußt wird.

Man könnte diese französischen Voraussagen als Prah­lerei (geboren aus der Furcht!) abtun, wenn' nicht die Hal-. tung der amtlichen Pariser Politik daraus hinzeigte, daß Poincare entschlossen ist, es hart auf hart kommen ,m lassen. Der englische Wunsch, eine schriftliche Antwort auf die Cur- Mschen Fragen zu erhalten, ist nicht nur offensichtlich über­gangen, sondern von Frankreich durch ileberreichung eines französischen Fragebogens erwidert morden, worin Poincare versucht, festzvstellen. welche Zahlungen England von Deutschland zu erhalten wünsche. Es war na­türlich ein neuer Perschleppungsversuch. Aber er hat die englisch-französische Krise bewußt verschärft. Und weiter: Wahrend die englischen Minister seit Wochen alles g cheim harten, um die Verständigungsaussichten nicht zu zerstören, haben jetzt Poincare und Präsident Millerand durch Karnpfreden in breitester Oeffentlichkeit erklärt, daß es keine Möglichkeiten gebe, sich mit England zu verständigen.

Was geschieht nun auf englischer Seite? Es ist zum min­dester recht auffallend, daß diegroße Tat", nämlich die Er­klärung Baldwins und Curzons über die Entschädigungs­stage bis Donnerstag verschoben wurde, weil sie'eine be­sonders sorgfältige Vorbereitung erfordere im Hinblick auf die weitreichenden Folgen, die sie haben werde Das klang, durch Reuter verbreitet, recht schwach und mutlos. Wenn man die englische Ansicht über den Ruhrkcieg und über die einzig noch mögliche Lösung der Entschädigungsfrage aus­sprechen will, so bedarf es keiner Vorbereitungen mehr. Es ist alles schon in Dutzenden von Ministererklärimgen fest- gelegt.

Also warum zaudert und verschleppt man auch in London? Ferner fällt auf, daß der deutsche Botschafter Dr. Sthamer in London, der wegen der französischen, auch für England so peinlichen Ruhrverkehrssperre und wegen der sieben Mainzer Todesurteile vorstellig wurde, statt eines freundlichen Wortes den Bescheid erhielt, die deutsche Regie­rung täte gut daran, in nicht mißzuverstcheaden Worten ihre Mißbilligung jeder Art van «abotage auszvsprechen. Endlich ist wieder einmal der tschechoslowakische Außenminister Be­

ne sch unterwegs zwischen Paris und London, um zuer­mitteln". Er war der Unglüasvogel Deutschlands in der ober-

er.

noch nicht sichtbar.

London. 12. Juli. Reuter verbreitet, in amtlichen Krei­sen werde alles Gerede über einen Bruch F*w"kreich mißbilligt. Die amtliche Erklärung über die englische Pom l werde nichts Aussehenerregendes enthalten und die Tur nu eine volle Zusammenarbeit offen halten.

Deutsche Sklaven

Auf der Eiseilbahnstrecke Düren-Euskirchen legen die Franzosen ein zweites Gleis. Es wird von einigen tausend deutschen Arbeitern gebaut, die zum weitaus größ­ten Teil von den Franzosen mit List erngefansen

Tagesspiegel

Drei Soldaten des französischen Jnfanlerieregimcnls in Nancy, die im Schnellzug NancyParis einen Artillerie­offizier überfallen, ermordet und ausgeraubt hatten, find vom Kriegsgericht in Nancy zum Tod verurteilt worden.

Nach einer Meldung derChicago Tribüne" aus Kon- stankinopet ist die Iran Mustafa kcmal Paschas in die Nationalversammlung gewählt worden.

DieTimes" meint, die Erklärung Baldwins im Anker- Haus zur Ruhrangelegenhsil werde in einer Viertelstunde erledigt fein. Das Kabinett hat Donnerstag mittags die Er­klärung zur Kenntnis genommen und gebilligt.

Havas erführt halbamtlich aus London, die Erklärung, die nur einen Umfang von 5 Seiten habe, wolle nicht die endgültige Politik Englands zum Ausdruck bringen, diese werde erst später amtlich kundgegeben werden. Die jetzige Erklärung beabsichtige nur, den derzeitigen ungesun­den Zustand in Europa darzulegen: eines derAnzei­chen" dieses Zustandes sei die Ruhrbesetzung. Die Erklärung werde nichts enthalten, was Deutschland im Widerstand er­mutigen könnte oder tn französischen Ohren unangenehm klingen könnte, vielmehr werde der zunehmenden Abneigung der öffentlichen Meinung in England gegen das Fortbestehen der gegenwärtigen Lage Ausdruck verliehen. Es sei infolge­dessen nicht die englische Absicht, eine unabhängige Politik zu betreiben, sondern das Zusammenwirken mit Frankreich aufrecht zu erhalten. Der französischen, belgischen und ita­lienischen Regierung solle der Entwurf einer Antwort auf da deutsche Angebot vom 7. Juni unterbreitet werden »nd die englische Regierung habe den Wunsch, daß die Verbün­deten diese Antwort annehmen und sich ihr anschließen.

worden sind. Einigen von ihnen gelang es, auszureißen, und sie haben über ihre Behandlung und die Arbeitsbe­dingungen vor deutschen Behörden folgende Mitteilungen zur Niederschrift gegeben.

Die Werbestellen befinden sich in Essen und Düsseldorf. Die Leiter dieser französischen Stellen geben den sich mel­denden Arbeitern und Erwerbslosen an, daß sie deutsche Unternehmer seien und Arbeitsgelegenheit mit autern Lohn zu vergeben haben. Es wird ein Tageslohn von 60 MO vll oder der Kölner Tarif für Tiefbauarbeiter versprochen. Je­der sich Meldende muß einen französischen Arbeitsoertrag unterschreiben. Einer der Angeworbenen, der der französi­schen Sprache mächtig war, klärte einmal seine Arbeits­genossen auf, daß sie durch die Unrerschrift sich verpflichte­ten, drei Monate lang bei zehnstündiger Arbeits­zeit und 37 500ll Tageslohn für die franzö­sische Verwaltung zu arbeiten. Als einer der Angewor­benen sich weigerte, das zu unterschreiben, wurde er sofort verhaftet und mit Gewehrkolben geschlagen.

Den Angeworbenen wird es sofort klar, welches ihre Lage ist, aber wer einmal unterschrieben hat, kommt nicht mehr los. Die Kolonnen befinden sich meist in einem schreck­lichen äußeren Zustand. Viele hatten nur zerrissene Kleider, aus den zerrissenen Hosen lugten die nackten Beine; viele haben nicht einmal mehr ein Hemd. D>e Kolonnen kommen in verschiedenen Orten in Massenquartiere; der Boden ist mit Stroh bedeckt, für die Nacht erhält jeder eine Decke das ist das Lager. Die Leute sind schon fast durchweg ganz verlaust. Daher kommt es, daß auch die Eisenbahn­wagen, die nebenbei zur Beförderung dieser Arbeiter nach den Arbeitsstellen benützt werden, verlaust sind, und daß die Reisenden, die sonst die Wagen benützen müssen, ebenfalls ihr Teil davon abbekommen. Die Aufsicht bei den Gleisarbeitern führen französische Schachtmeister, denen einige Deutsche beigegeben sind, und diese Lumpen über­trumpfen ngch die Franzosen in der brutalen Behandlung der Arbeiter. Wer sich gegen die scheußliche Behandlung auflehnen will, wird sofort derPflege" der Marokka­ner übergeben, die die Wachen stellen.

Nach der zehnstündigen Tagesarbeit, d>e abends 6'/- Uhr endigt, wird man ins Quartier gebracht. Tn in dem Vau- gebiet durchweg der Belagerungszustand herrscht, dürfen die Arbeiter nach 8'/- Uhr sich N'cht mehr außerhalb des Quartiersaals aufhalten. Punkt 8st- Uhr erscheint eine schwarze Wache, um das Quartier zu mustern. Wer nicht zur Stelle ist, wird auf die Hauptwache verbracht und bis nachts 1 Uhr eingesperrt. Wenn er dann entlassen wird, fällt er auf dem Weg zum Quartier womöglich noch ein­mal einer Wache in die Hände und wird wieder zur Wache geführt, was gewöhnlich sehr unsanft vor sich geht. Die Verpflegung wird alsmenschenunwürdig" bezeich­net. Morgens gibt es ein Stück Brot mitKassie", mittags eine dünne Suppe mit Kartoffeln und Erbsen. Fleisch ist in diesem Essen kaum zu finden. Auf 10o Mann kommen 15 Pfund Frisch, 25 Pfund Erbsen und 20 Pfund Kartof­

feln. Für diese Verpflegung werden täglich 18 000 vom Lohn in Abzug gebracht. Beschwerden weiden nicht ange­nommen, höchstens gibt es noch Strafen. Krankmel­dungen bleiben unberücksichtigt, Krankenkassen lsw. gibt es nicht. Kann einer nicht mehr arbeiten, so erhält er eine Fahrkarte nach seinem früheren Wohnort. Dort ist er ge­zwungen, die Armenpflege in Anspruch zu nehmm und sich vom Armenarzt behandeln zu lassen, da er als französischer Arbeiter kein Recht auf Behandlung durch eine Kranken­kasse hat. Während der Krankheit beziebt er von den Fran­zosen weder Lohn noch Krankengeld. Auf eme Beschwerde erwiderte ein leitender französischer Beamter:Was wollt ihr? Ihr seid Zwangsarbeiter und habt keine An­sprüche zu machen!"

Vom Ruhrkrieg

Ausweisungen

Duisburg, 12. Juli. In voriger Woche wurden sämtliche Beamte des Hauptzollamts Düsseldorf nebst Familien, 180 Personen, gewaltsam ausgewiesen. Am 10. Juli sind nun auch die Beamten des Hauptzollamts Duisburg mit ihren Familien, 250 Personen, aus der Heimat vertrieben worden.

Die Leistungen der französischen Eisenbahn

Essen. 12. Juli. Nach Meldungen aus französischer Quelle soll die Zahl der mit den Franzosenzügen sabrenden Reisenden 55 000 Personen am Tag erreicht haben. Wie ge­ring diese Zahl, wenn inan sie überhaupt als zutreffend an­nimmt, in Wirklichkeit ist, erhellt daraus, daß nach Mittei­lung von amtlicher Stelle in den Eisenbahnbezirken Essen, Elberfeld, Köln, Mainz, Trier, also auf kleinerem Gebiet als dem der französischen Verwaltung, im Durchschnitt des Rech­nungsjahrs 1621 rund 600 000 Fahrkarten täglich verkauft wurden, wobei Zeit-, Wochen- usw. -karten nur einfach ge­rechnet sind. Von französischer Seite war serner die tägliche Leistung des jetzigen Betriebs auf 54 600 ZugkilomAer im Personen- und Güterverkehr angegeben. Diese Zahl stellt nur ungefähr ein Fünftel des normalerme-se von der deut­schen Reichsbahn Geleisteten dar. Drzu kommt, daß die französischen Personenzüae meist sehr kurz und die Güter­züge schlecht ausgelastet sind.

Die Verräter an den Pranger

Berlin, 12. Juli. Von Angehörigen der Reichsfinanz- vcrwaitung sind weit über 100 mit ihren Familien aus dem besetzten Gebiet ausgetrieben worden. Sechs haben ihr Va­terland verraten und sind in Feindesdienst getreten. Das Reichsfinanzministerium gibt die Namen der Ueberläufech bekannt: Oberzollamtmann Sofian Richter, früher Reichs-' tagsabgeordneter für Germersheim und Bergzabern, Haupt­zollamt Landau-Pfalz; Oberzollsekretär Puhl, Haupt,Zoll­amt in Kaltenkirchen: Zollsekretär Michael Schlapp, Zoll­amt Zweibrücken; Zollassistent Karl Wolf aus Wallhausem Hauptzollamt Kreuznach; Zoll-Betriebsassistent Ludwig, Böhn, Hauptzollamt Kaiserslautern; Zollgrenzangest"llter' Modus, Wallhausen, Hauptzollamt Kreuznach.

Franzosen unter sich

Essen, 12. Juli. In O b e r h a u s e n hat ein französischer Soldat, angeblich in einem Tobsuchtsanfall, einen andern Soldaten erschossen.

Sechs Monate Ruhrbesetzung

Berlin, 12. Juli. Aus den bisher von deutscher Seite veröffentlichten Ergebnissen des Ruhreinbruchs sei folgendes mitgeteilt: Durch französische und belgische Truppen wurden 63 Deutsche gemordet, 8 Deutsche zum Tode verurteilt, Schla- geter hingerichtet. Die Gesamthöhe der Freiheitsstrafen be­trägt 867 Jahre 7 Monate 23 Tage Gefängnis und Zwangs­arbeit. Zwei Personen wurden zu lebenslänglichem Zucht­haus oder zu Zwangsarbeit verurteilt. Die Gesamihöhs der Geldstrafen beträgt 1,64 Billionen und 1108 069 Franken. Von Haus und Hof vertrieben wurden 75 614 Personen. Im preußischen Einbruchsgebiet wurden 169 Schulen mit 1537 Schulklassen für 50 000 Schüler bezw. Schülerinnen beschlag­nahmt. Der sachliche Erfolg aller französisch-belgischen Ge­walttaten ist kläglich. In der Zeit vom 11. Januar bis 30. Juni sind für Frankreich und Belgien insgesamt 478 700 Tonnen Kohle und 515 200 Tonnen Koks, zusammen 993 900 Tonnen gefahren worden. Im Monat Dezember 1922 betrug die deutsche Lieferung aus dem Ruhrgebiet 677 425 Tonnen Kohle und 531 310 Tonnen Koks, zusammen 1208 735 Ton­nen. Im Januar 1923 bis zum Ruhreinbruch (d. h. in zehn Tagen) wurden von Deutschland geliefert 214 373 Tannen Kohle und 195 647 Tonnen Koks, zusammen 410 020 Ton­nen. Das ist die knappe Hälfte der in fast sechs Monaten von den Franzosen geraubten Menge Kohlen und Koks.