Das Bürgertum in Rußland unter der Sowjei- herrschast

ii.

Der Nalog, die Steuer, ist ein sehr dehnbarer Begriff. Er greift in das gesamte Leben ein: Besteuert wird die Droschke, die man zur ersten Ausfahrt am Tage braucht, in dem der Kutscher außer allen direkten Steuern für Wagen, Pferde, Stallung usw. auch ein alle drei Monate zu er­neuerndesPatent" kaufen muß. Besteuert wird der Tisch im Wirtshaus, an dem man sein Essen nerzehrt, besteuert der Zettel, auf den der Kellner die Rechnung schreibt. Be­steuert werden vor allem die Wohnungen, indem die Haus- ousschüsse die Mieten festsetzen. In allen Häusern der beiden Hauptstädte sind Studenten kommunistischer Parteischulen als Zwangseinquartierung uniergebracht. Sie und zwangs­weise einquartierte Arbeiter sind in den Hansausschüssen meist in der ileberzahl. Sie setzen die Miete nicht etwa nach der Größe der Wohnung, sondern nach dem Stand des Mieters fest So kann einBurschui" (Bürgerlicher) mit der zehnfachen Miete belegt werden wie ein andrer Hausein- wohner. Im Lauf des Wmters kursierten Formulare zur Feststellung des Berufs. Die Lage des Bürgertums kam Labei recht klar zum Ausdruck. In den etwa zwölf Rubriken stehen an erster Stelle Mitglieder der kommunistischen Par­tei, dann Kandidaten dieser Partei, Arbeiter usw., in den letzten drei Rubriken kommen die bürgerlichen Berufe: ehe­malige Offiziere, Priester und Dirnen. Der Zustand der Häuser und Wohnungen ist in den beiden Hauptstädten un­beschreiblich. Häufig sah ich, daß Hühner auf Stangen an den Fenstern saßen, ja, bei einem Besuch bei einem Musiker wurde ich darüber aufgeklärt, daß das Scharren über uns von einem als kleines Ferkel in den vierten Stock hinaufge- schafsten, jetzt erwachsenen Scheuem stammte.

Eine Eigentümlichkeit ist die Besteurung der Wohnungs­einrichtungen. Eine Kommission schätzt allen Hausrat, Bist der, Wäsche, Kleider, kurz alles, was in der Wohnung ist, ab: Proteste gegen die Höhe haben keinen Zweck. Was die auf den Kopf zulässige Summe überschreitet, muß versteuert werden.

Die bürgerliche Familie empfindet es als eine schwere moralische Schädigung, als eine Zermü-ku-ng jedes Fami­liensinns, wenn ihr Kinder abspenstig gemacht und für die kommunistischen Jugendverbände gewonnen werden. Es ist schließlich jedermanns Sache, welche Erziehungsmethoden er für seine Kinder anwenden null

Betrachtet man die. Lage des russischen Bürgertums, so drängt sich von selbst der Vergleich mit den Zuständen in dem von Franzosen und Belgiern gedrar-.gsalten Ruhr- und Rheinland auf. Wie küer die Diktatur des Proleta­riats, verlangt dort die Diktatur des Militarismus die Preis­gabe alles dessen, was seit 3000 Jobren das Wesen des Bür­gers. allerdings nicht in seiner Entarmng, des spießigen Bourgeois, ausmacht: des bürgerlichen R ubis, des Kampfes um das gute Recht, besten LeMbrn der B e g r i f f des Eigentums ist. um den sim alles Rechtsempfinden be­wegt, seitdem die Menschheit Ansvru-b aus kulturelle Leistun­gen erhebt. Der Bolschewismus macht den Versuch, den Be­griff des Privateigentums durch andre Gesellschaftsso-m.m zu ersetzen. Seine harte Praxis hat wenigstens eine Ideologie. Der Vergleich fällt nicht zugunsten des militaristischen Gegen­stücks am Rhein und an der Ruhr au«. Hier wird um na- t'onalistischer Rachsucht willen der Kampf gegen das Gut geführt, besten Vernichtung deutsches wie französisches Bür- gerinm aus den Tiefstand bringen wird, auf dem jetzt das russische Bürgertum dahinsiecht.

Wenig bekannte eßbare Pilze

Mehr und mehr macht sich auch jetzt in weiten Kreisen das Interesse für die Pilzflora geltend, und das mit Recht, denn bei den hohen Fleischpreisen bieten die Pst;« emm hochwer- lige-n Ersatz für dieses. Die zumeist im Handel befindlichen Arten wie Pfifferlinge, Steinpilze, Champignons usw. dürf­ten als genügend bekannt vorausgesetzt werden. Da ist aber z. B. der kahle Krämpling, ein etwas säuerlich, angenehm riechender und schmeckender Pilz, den wenige kennen. Er wächst von Juni bis Herbstende säst überall in Gärten, Wegen, Gräben, Wäldern und zählt zu den besten und schmackhaftesten Pilzen. Sein Raine rührt daher, daß der pilzige Hutrand nach unten eingerollt ist. Seine Oberfläche ist von gelbbrauner Farbe. Charakteristisch ist, daß das gelb­liche Fleisch bei Druck an diesen Stellen bräunlich wird.

Ein weiterer äußerst verbreiteter und wen g benutzter Pilz ist der Nelkenschwindling, auch Kreislmg genannt. Der Hut ist dünn, zuerst keglig, später mehr ousgebreitet und gebuchtet. Die Oberfläche ist hell, glatt, trocken, lederfarbig oder hellbräunlich im Alter ausgebleicht. Dieser Pilz wächst un Frühherbst an Feldwegen und auf Wiesen und steht oft dicht in weiten Kreisen, daher auch der Ra ne Kr isling. Es ist ein ausgesprochener feiner Suppenpilz. Brauchbare Ar­ten lassen sich in großen Mengen ansührm, doch ist das Sache der Pilzbücher, deren es viele gibt

Der Wert der Pilze steckt nicht nur in ihrem Nährwert, sondern auch in ihrer Eigenschaft als Würzestoff. Sie ver­mögen viele Speisen, Suppen erst anregend zu würzen. Daß viele sog-nannte Giftpilze ungiftig sind, ist schon bekannt, und daß viele Vergiftungen durch verdorbene Pilze verursacht werden, ist ebenfalls sicher. So gehört z. B. der Kcirtoffel- bovist zu den Giftpilzen, von deni stets behauptet wird, daß er im Älter namentlich giftig sei. Glücklicherweise ist die Zahl der wirklich giftigen Pilze sehr gering. Sie zu erlernen, ist an der Hand von guten Abbildungen mestt nicht schwer.

Das Wetter

stm Westen zeigt sich ein mäßiger Luftwirbel, dessen Einfluß allmählich auch zu uns vordringt. Am Freitag und SamSteg ist des­halb bei sonst trockenem und warmem Wetter verstärkte Gewitier­neigung zu erwarten.

SirchenaustrMe in Baden. Die Zahl der Austritte aus der katholischen und evangelischen Kirche, die nach Kriegs­ende in Baden erheblich zugenommen hatte, ist im Jahre 1922 wieder zurückgegangen. Die Gesamtzahl der Kirchen­austritte hatte 1921 (einschließlich Kinder) 3898 betragen, und zwar bei der evangelischen Landeskirche 202l, bei der katholläben 1877 Personen. Im Jahre 1922 betrug die Ge- samtz 2434, fast die Hälfte weniger als >m Jahre 1929. Die Zahl der M i s ch e h e n ist in Baden im Jahr 1922 mit 4468 der des Vorjahrs mit 4456 fast gleichgeblieben. Am geringsten ist die Zahl der Mischehen in den vorwicgenü landwirtschaftlichen Bezirken, am höchsten in den großen Städten.

Der Mensch >st für die Freude, und die Freude ist für den Menschen, denn nur sie kann den Menschen beglücken, und es scheint mir, als fei dir Freude keine Freude mehr, wenn sie sich nicht im Besitze eines Menschen befindet. Gatt hak die Freude zum Genüsse des Menschen erschaffen, sie ihm zu geb.a einzig aus Güte und Barmherzigkeit,

Letzte Nachrichten.

Neubesetzungen.

Darmstadt, 11. Juli. Am Dienstag hat eine fran­zösische Abteilung den Bahnhof Arheiligen an der Strecke Tarmstadt - Frankfurt besetzt. Infolgedessen mußte der Psndelzugverkehr zwischen Tarmstadt und Egelsdach eingestellt werden.

Neue Maßregelung Duisburgs.

Duisburg, 11. Juli. Wegen angeblicher Beschimp­fung und Verhöhnung belgischer Patrouillen ist eine neue Verschärfung des Belagerungszustandes einge­treten. Ter Bevölkerung ist es verboten, nach 8 Uhr sich an einem oder hinter einem Fenster zu zeigen.

Die Tyrannen.

Duisburg, 11. Juli. Soweit bisher festgestellt wor­den ist, sind seit dem ErplosionSunglück auf der Rhein­brücke 3 Bürger erschossen worden. Zur Zeit sind als Vergeltungsmaßnahme für das genannte Explosionsun­glück 26 Geiseln in Haft.

England gegen den Geisclskandal.

Paris, 11. Juli. TerMatin" meldet aus Köln, daß die englischen Besatzungsbehörden die Mitführung von deutschen Geiseln auf den das englische Gebiet durch­fahrenden Regiezügen nicht zulassen. Obwohl der Ein­spruch mit formalen Bedenken begründet werde, be­einträchtige er die Gemeinsamkeit der Alliierten in der besetzten Zone gegenüber den Deutschen in sehr be­denklicher Weise.

Vor der englischen Regierungserklärung.

London, 11. Juli. Tie Blätter weisen in lieber« einstimmiing darauf hin, daß die Erklärungen Baldwins, die am Donnerstag im Unlerhause abgegeben werden, keinerlei sensationellen Charakter haben und nicht den Bruch mit Frankreich bedeuten werden. Tie Erklärringen würden in freundschaftlichem Tone gehalten sein, es jedoch nicht an Klarheit fehlen lassen und auf die Notwendigkeit einer neuen Reparationspolilik hin« weisen.

Daily News" teilen mit, daß die Erklärungen Bald­wins als Antwort auf eine Anfrage des Abg. Mac­donald erfolgen werden. Baldwin werde einen Rück­blick auf die Ereignisse werfen, die in die gegenwärtige Sackgasse geführt hätten. Er werde keinen bestimm­ten Plan Vorschlägen, aber Frankreich warnen, daß, wenn es auf seiner gegenwärtigen Weigerung be­harren werde, die Reparationen auf neuer Grundlage prüfe!: zu wollen, sich England gezwungen scheu würde, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um seine Interessen zu schlitzen, lieber diese Maßnahmen besitze man im englischen Kabinett im übrigen sehr bestimmte Ideen. Baldwin werde Frankreich ersuchen, ernsthaft zu überlegen, ehe es einen Beschluß fasse. Er werde auf me Wirkung der Ruhrbesetzung auf Europa und im besonderen auf die englische Wirtschaftslage Hinweisen, und Frankreich einladen, zu untersuchen, ob die gerech­ten Forderungen der Alliierten nicht aus anderem Wege erfüllt werden könnten. Baldwin werde den passiven Widerstand Deutschlands verurteilen und Frankreich auf­sordern, zu erklären, welche Maßnahinen es ergreifen werde, falls der passive Widerstand aufhöre. Er werde aber nichts sagen, was die Idee eines Bruches mit Frank­reich auftommen lassen könnte, im Gegenteil den heißen Wunsch seiner Regierung zum Ausdruck bringen, daß die beiden Länder die freundschaftliche Zusammenarbeit fort­setzen möchten, die sie zum Siege geführt habe. England nähme den deutschen Vorschlag für die Einsetzung einer Sachverständigenkommission zum Zwecke der Prüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit an.

Ruhrdebatte im belgischen Senat.

Brüssel, 11. Juli. Auf die Rede des katholischen Senators von Antwerpen, Lebon, worin er die Be­setzung der Ruhr bekämpfte, ergriff Ja spar das Wort, um die Umtriebe der katholischen Kreise gegen die Ruhr­politik zu brandmarken. Er und auch nach ihm Theu- nis betonten, daß sich die belgische Regierung der Schwierigkeiten wohl bewußt gewesen sei, die mit der Be­setzung der neuen deutschen Gebiete kommen müßten. Jaspär sagte, man habe den passiven Widerstand Deutsch­lands vorausgesehen (!). Man dürfe jetzt nicht die Un­einigkeit vor dem Feinde predigen. An dem Tage, an denl die Regierung ihre Aufgabe beendet habe, werde sie Rechenschaft ablegen. Es gelte heute, an der Seite des Verbündeten auszu harren, bis der Sieg (!) errungen sei. Theunis erklärte noch, die Regierung sei entschlossen, ihre kostbaren Freundschaften aufrecht zu erhalten und mit Entschlossenheit aber Mäßigung die Nuhrpolitik fortzusetzen. Ter Senat nahm darauf ein Vertrauensvotum für die Regierung mit 88 gegen 36 Stimmen bei einer Enthaltung an .

Handelsnachrichten

Dollarkurs am 11. Zull 187 468 (186 667).

1 Pfd. Steel. 857 850, 1 holl. Gulden 72 817.56, 1 Schw. Fr. 32 518.50, 1 franz. Fr. 111S2, 1 be!g. Fr. 9326.50, 1 llal. Lire 8039.50, 1 äst. Kr. 2.64, 1 tschech. Kr. 5665.50, 1 jap. Yen 90 977.

Me Schlüsselzahl der Buchhändler ist auf 15 000 (12 000) er­höht worden.

Die Schlüsselzahl für Bäder und Kurort« beträgt in dieser Bloche 15 000.

Neue Branniweinpreise der Reichsmonopolverwaliung. Grund­preis (llebernahmepreis sür Kartoffelbranntwein) ab 11. Ouli 8000, Uebernahinepreis für den in der Zeit vom 1.15. öuni 1923 her­gestellten Branntwein aus Mais 7800, regelmäßiger Verkaufs­preis 80 000, allgemein ermäßigter Verkaufspreis und Essigbrannt­weinpreis ab 8. Zuli 10 000, besonderer ermäßigter Verkaufspreis zur Herstellung von Heilmitteln und Essenzen ab 8. bull 15 000, zur Herstellung von Riech- und Schönheitsm'tteln 20 000 ,11 d. L. Der Branntweinaufschlag der Absindungsbren- nereien berechnet sich hienach zu 43200 ,1t ab 11. ?uli. 3m Falle weiterer Markentwertung ist mit einer weiteren Erhöhung der Verkaufspreise und des Ausschlags zu rechnen.

Berliner Gekreidepreise am 11. 3uli (in 1000 Ntark): Weizen 630645, Roggen 530535, Gerste 560575, Hafer 550560, Weizenmehl 18002100, Roggenmehl 19001800, Weizenkleie 350-360, Roggenkleie 360-370.

Häuleversteigerung Ulm, 11. lluli. Auf der gestern 1» Stuttgart abaehaltenen Häuteoersteigeruna wurden folgende Prelle erzielt:

Ochsenhäute bis 29 «l 000, 6070 Pfd. 86 000: RinderhLute 69 050, 5056 Psd. 30-19 Pfd. 58 100- Pfd. 01 35064 000: 62 05063 950, 50 bis 55 400: 80100 Kaibselle 04 00094

Psd. 53 000. 3049 Pfd,' 59950, 50-59 Psd. 64 850, 80-100 Vsd. 66 000, über 100 Psd. bis 29 Psd. 67 25». 30-49 Pfd. 67 250 bis 6i zgq_^3 550, 6079 Pid. 62 190: Kuhhäute -60 000, 50-59 Psd. SO 15l>-62 209. 60-79 Bullenhäute bis 29 Psd. 61 400, 30-49 Psd. 59 Pfd. 57 95058 309, 60- 79 Pfd. 55150 Pfd. 47 80048 400, über 100 Psd. 45 400'. 350: Fresserfelle 62 160 ^lt.

Herabgesetzte Ferkelpreise. Das Muchergerichk In Wittenberg (Provinz Sachsen) erzwang auf dem Schweinemarkk die Herab­setzung der Ferkelpreise von 30 000 »1t auf die Hälfte.

Der uns heute vorliegendeDeutsche Bäder-Kalender sür Aerzte und Führer durch die deutschen Heilanstal­ten für 1923" (Berlin, Bäder- und Verkehrs-Verlag G. m. b. H., SW. 48) bedeutet in seiner, von ersten Fach- , leuten besorgten, mustergültigen Zusammenstellung nach i heilwissenschaftlichen, geographischen und sozialen Gesichts­punkten ein unentbehrliches Nachschlagewerk für den Arzt. Wertvolle Spezialartikel aus dem ^Gebiete der Balneologie und insbesondere auch der Versicherungspraxis (Kuren für Versicherte der Reichs- und Landesversicherungsanstalten sowie der Krankenkassen) leiten das reiche statistische und Adressenmaterial ein, das durch zahlreiche Illustrationen anschaulich gemacht wird. Die deutschen Prioat-Heilan- stalten machen den Beschluß und sind, mit allen nötig"«

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