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(Enztalbote)

Amtsblatt für M'dbad. Chronik un- Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack in Wildbad.

Nummer 16V

Fernruf 17S

Wildbad, Donnerstag, den 12. Juli 1923

Fernruf 179

Die nächste Ausgabe

Der Reichstag ist ohne diegroße politische Aussprache" in die Ferien gegangen. Zwar, dieWoche der Entschei­dung", die die englische Presse angekünöigt hatte, ist ver­strichen, ohne daß sich etwas entschieden hätte; man hat, vor- läufig mal, die Entscheidung auf diese Woche vertagt. Viel­leicht auch das mit dem stillschweigenden Vorbehaltfrei­bleibend". In jedem Fall stehen die Dinge doch so, daß Eng­land sich entscheiden muß, ob es sich noch länger von Frank­reich will zum besten halten lassen, oder ob es, seiner Ankün­digung gemäß, irgend etwastun" will. In diesem Augen­blick, wo Paris mit verhaltener, aber aufs äußerste gestriger-, ter Spannung darauf wartet, was England tun wird, hätte es nur ein Unglück geben können, wenn der Reichstag da­zwischengeredet hätte. Politik ist die Kunst, den Umständen gemäß zu handeln. Der Reichstag aber hat für jedwede Frage, einerlei, ob sie bestimmend für Sein oder Nichtsein der Volksgemeinschaft ist oder irgend ein Gezänk betrifft, nur einen Standpunkt, von wo aus er sie in Behandlung nimmt: Ktrchturmsstandpunkt des Parteiinteresses. Darum war es dermalen schon besser, der Reichstag ging in dir Sommer­ferien, ohne zum augenblicklichen Stande der Rhein- und Ruhrfraae sein Sprüchlein gesagt zu haben.

Das Wichtigste, womit der Reichstag sich am letzten Tag 1 vor den Ferien noch befaßte, steht m gewissem Zusammen- » Hang mit dieser Lebensfrage für Staat und Volk. Ein An- k trag der Sozialdemokratie und einer des Zentrums befaßte sich mit der raschen und geregelten Anpassung von Löhnen und Gehältern an die Markemwertung. Die Erkenntnis, daß das örtliche Streiten um küsse Anpassung den ' geschlossenen Widerstand gegen die französische Gewaltpolitik langsam, aber sicher ruiniert, scheint sich ja allerseits durch­gesetzt zu haben. Es käme nun darauf an, de richtige Er­kenntnis in entsprechend richtige Taten umzusetzen, bevor das durch veränderte Umstände zwecklos geworden ist. Wenn derErnst der Lage" mehr als eine billige Redensart ist, wird dem Wort des Reichsfinanzministers Hermes im Reichstag besten Erfolg wünschen: die Regierung werde alles daran setzen, um die schwierige Frage der Lotp'anpassung möglichst bald zu einer befriedigenden Lösung zu" bringen. Die Schwierigkeit liegt ja hauptsächlich darin, n ie man den berechtigten Forderungen der Gehalts- und Lohnempfänger gerecht werden kann, ohne die Existenzmöqlichkeit der Ar­beitgeber zu untergraben. Denn alle Lohnbeständigkeit wäre nutzlos, wenn sie mit dem Siechtum des Unternehmertums erkauft werden müßte und wenn durch die zu erwartende verdoppelte Teuerung Hunderttausende von Existenzen, die durch Alter oder aus anderen Gründen außerhalb des Er­werbslebens gestellt sind, zum Tod verurteilt würden. Diese Hundexttausende weiter in der öffentlichen Fürsorge zu be­halten, wäre ein Ding der Unmöglichkeit, es müßten denn die Einkommensteuern usw. wieder so gesteigert werden, daß die Lahnwertbeständigkeit wieder für die Katze wäre, und dann könnte man wieder von vorn anfangen.

Ist daher die Bindung der Löhne an den Verfall der Mark nach einem festen Wertmesser volkswirtschaftlich nicht unbedenklich, so ist aber der unaufhaltsame Verfall der Mark wirtschaftlich auch nicht unbedenklich. Man kommt aus der Sackgasse nicht heraus, wenn man, unter der Herrschaft einer durch und durch kranken Wirtschaft, diese Fragen nur vom theoretischen Standpunkt eines normalen Wirtschaftsbetriebs behandeln möchte. Man mag immerhin einmal auf eine ge­wisse Zeit einen Versuch mit einem Wertmesser für die Lohn­anpassung machen, den Wertmesser dauernd gesetzlich fest­zulegen, das wäre ein gewagter Sprung ins Dunkle. Be­währt sich dagegen die Probe, dann um so besser. Nur darf man nicht vergeffen, daß es mit der Wertbeständigkeit der Löhne allein nicht getan ist. Wenn unsere Wirtschaft nicht von innen heraus gesundet, dann nützt mst die Dauer alle Wertbeständigkeit nichts, und wenn sie noch so gut gemeint wäre. Sie muß ergänzt werden durch eine moralische und vernunftgemäße Umformung unseres Wirtschaftslebens und «ine Hebung der wirtschaftlichen Produktion und der Pro- duklionskraft Deutschlands. *

Die erste Probe

Der Berliner Einzelhandel hat in dem gestern abge­schlossenen Tarifvertrag als erster die Wertbeständig k.eitdes Arbeitslohns vorgenommen. Das Arbeits einkommen wird in einen festen Grundgehalt und euren beweglichen Entwertungsmaßstab eingeteilt, der für die erste Juliwoche auf 506 festgesetzt wird. Für die weiteren Gehaltszahlungen im Juli sollen der Dollar und das Gold- zollaufgeld- als Meßziffer dienen. Für den August soll da­gegen der verbesserte amtliche Lebenshaltungsinder dem Entwertungsmaßstab zugrunde gelegt werden.

58. Jahrgang

Tagesspieqel

Der Hauptgegner Mussolinis, der Vorsitzende der katho­lischen Volksparkei in Italien, Sturzo, Priester in Sizi­lien, hat den Parkeivorfih niedergelegt.

Italienische Truppen sind nach einer südslawischen Mel­dung vor Fiume marschbereit zusammeugezoacn. Dis süd­slawischen Posten sind verstärkt worden. Man befurchtet einen italienischen Handstreich aus Fiume.

Ter Anschlag auf die Eisenbahn bei Tnisburg, der bekanntlich von den Belgiern den Deutschen zur Last gelegt wurde »nd zur Berhaftung von 2g deutschen Bürgern führte, stellte sich nach Untersuchungen der deutschen Kriminalpolizei als ein Verbrechen auslän­discher Radikale» dar.

Tie für Tonnerstag zu erwartende englische Regie­rungserklärung wird Frankreich die Türe offen lasse« und jeden scharfen Ton gegen dieses vermeiden.

I» Brüssel wurde ein Belgier und ein Amerikaner verhaftet, die den Nebsrfall auf den deutschen Ge­schäftsträger aussührtcn. Tie belgische Regierung hat ihr Bedauern ausgesprochen

Ter französisch-belgische Terror an der Ruhr geht unvermindert weiter. In Mainz wurden (187 Eisen­bahner mit ihren Familien ausgewiescn.

Die Maske

Saar und Völkerbund

Ein Schweizer Mitarbeiter schreibt mir aus Genf, 8. Juli: Die Saar-Untersuchung des Völkerbundsrats ist mit der abgelaufenen Woche zu Ende gegangen. Sie schloß mil einem geradezu kläglichen Ausgleich zwischen der kriti­schen Anklage des Engländers Lord Robert Cecil und dem unerbittlichen Machtanspruch Frankreichs Der franzö­sische Vertreter Hanotaux konnte kalrlächelnd erklären, daß die Regierungskommission (d. i. die Saarregierung) und der Völkerbund nichts zu verbergen hätten, nämlich bei der Untersuchung, die Lord Robert Cecil verlangte. Aber wir wollen ganz sachlich berichten:

Der Lord hatte in der ersten öffentlichen Sitzung am 3. Juli vorausverkauftem Haus" an Hand der Bestim­mungen des Vertrags von Versailles (Artikel 45 is.) nachge- wiesen, daß der Völkerbundsrat die volle Verantwortung für die Verwaltung des Saargebiets trägt. Die Saarregie­rung wiederum ist nur ihm allein verantwortlich und am­tiert nur als seine Vertretung im Saargebiet. Dinge, die sich von selbst verstehen, denen jedoch die französisck-e Politik bei jeder Gelegenheit entgegenarbeitct. Um auszuzeigen, was die Vertragmacher wirklich gewollt haben, v.rlas Lord Cecil einen Brief, den seinerzeit, d. h. vor der Überreichung des Friedensvertrags an Deutschland, (klein ence au im Auftrag der Verbündeten schrieb und worin der unglück­lichen Saarbevölkerung alles Schöne und Gute versprochen wurde, ihre bisherigen Rechte, religiöse Freiheit, die Schule, die Sprache, die Gerichte usw., alles alsumfassende Bürg­schaft gegen den Mißbrauch der Gewalt seitens der Regie­rungskommission."

Und nun die Anklage Englands: Erstens, dis Notverord­nung vom 7. März erscheine mit ihrer Schreckensherrschaft für moderne Begriffe geradezu ungeheusilich. Sie sei unbe­dingt nicht notwendig gewesen und ohne jede Befragung der Saareinwohner erlassen worden. Zweitens, die Einfüh­rung des französischen Franken sei zwar nicht unge

müsse aber nachgeprüst werden. Drittens, die Anwesenheit der französischen Truppen im Saaroebiet heute noch 2000 Mann ist rechtswidrig. Viertens, die B ldung der örtlichen Gendarmerie im Ruhrgebiet mache auffallend ge­nüge Fortschritte. Und sie sei doch dazu bestimmt. d>e Ord­nung allein aufrecht zu erhalten.

Der hohe Rat des Völkerbunds steckte in nichtöffentlicher Sitzung die Köpfe zusammen und beschloß, tue (Mitange­klagte) Saarkommission zu laden.Alle nötigen Papiere und Aktpn sind mitzubringen." Sie kamen, die Herren von der Kommission, UHd wurden am 6. Juli in zwei Sitzungen sechs Stunden lang verhört, nicht öffentlich, denn es war doch allzuviel schmutzige Wäsche zu waschen. Aus der amt­lichen Mitteilung erfährt die Welt natürlich gar nichts, aber alles Wissenswerte ist doch durchgesickert. Der Verlauf des Verhörs: Mit Ausnahme des Kanadiers Waugh, des Finnnzministers" der Saarregierung, erwieim sich die Mitglieder dieser politischen Körperschaft als die willenlosen Puppen des Präsidenten Ra ult, eines geborenen Fran­zosen, der sich um seine Leistungen sehr aufge-egt vertei­digte. Die berüchtigte Notverordnung begründ >-e er mit

dem Aufkommengeheimer Verbindungen', teilte aber im selben Atemzuge mit, daß er eineAmnestie" für alle Vergehen gegen diese und die anderen Ausnuhmeverord- nungen vorbereite. Also scheint es mit dem Verschwörertum, gegen das er kämpfte, nicht weit her gewesen zu sein. Was chm von einem Mitglied' des Rats noch besonders unter die Nase gerieben wurde. Ferner Finanz- und Steuersraaen. Alles hatte Herr Rault mit Paris über den Kops des Ka­nadiers Waugh hinweg gemacht, und der Anklaaelord ;Cecil) zog bitter schmunzelnd das Ergebnis: Die Saar­regierung ist nur die Maske der französischen Herrschaft.

Der Beschluß, den der Völkerbundsrat dann in öst'ent- ncher Sitzung verkündete, hat die Maske nicht herunterge- lissen. Cs bleibt alles beim Alten. Kein Urt-Il über die Notverordnung. Sie sei ja zurückgezogen. Im übrigen er­warte der Rat von der Klugheit der Kommission, daß sie im richtigen Augenblick zum normalen Zustand zurückkehre. Wünschenswert" sei die Aufhebung der ausländischen Gar­nisonen und die Vermehrung der örtlichen. Gendarmerie. Dann gar noch ein Lob für die Saarregierung: Treue Mit­arbeit. Schwierige Umstände. Volles Vertrauen. Punktum, basta. Die Maske bleibt. Die sogenannte internationale Rcchtsorganisation, die sich Völkerbund nennt, hat wieder einmal glänzend versagt.sr.

Wie schlau und wie gewissenlos die Saar'ommission in ihren sogenanntenNotverordnungen" -,u Werk- gegangen ist, beweist nicht nur die Uebernahme des Wortes der deut­schen Ausnahmegesetze für ihre Knebelung der Srarbeoölke- ruiig, sondern auch der Umstand, daß sie ihre Verordnungen gegen die deutschen Zeitungen des Saargebiets teilweise wörtlich aus dem deutschen Ausnahmegesetz zum Schutz der Republik abgeschrieben hat. Der Vorsitzende der Saarknm- mission, der Franzose Rault, konnte daher in seinem Ver­hör vor dem Völkerbundsrat in Genf zu ss'-ner Vereidigung verbringen, die Kommission behandle di: Presse nicht schlech­ter, als sie in Deutschland selbst behandelt werde.

Die Juligehalter der Beamten

Wie bereits kurz gemeldet, sind in den V-rhandlunge» zwischen dem Reichsfinanzministerium und den Beamten­organisationen am letzten Sonnabend.die vorläufigen Juli- geholter der Beamten um durchschnittlich 80 Prozent erhöht worden, und zwar ist der Teuerungszuschlag, kur bis jetzt 87 Prozent betrug, auf 237 Prozent hsraufgeietzt worden; für Berlin kommt zu diesem Teuerunaszuschlag außerdem eine örtliche Sonderzulage von 59 Prozent. Nachträglich ist noch zu berichten, daß auch die Kinderzulnge vor einigen Tagen im Reichstag durch Jmtativantrag der bürgerlichen Parteien erhöht worden ist. Sie beträgt jetzt pro Monat für Kinder bis zum vollendeten 6. Lebensjahre 80 000 -4(, bis zum vollendeten 14. Lebensjabre 90 000 ,<( und bis zum vollendeten 21. Lebensjahre 100 000 Die Frauen­zulage beträgt 166 000 -K.

Die Kinderzuschläge sind nur Grundbet-mge, dis sich nach dem jeweiligen Teuerungszuschlag ruzügl'ch örtlicher SonderzulKst erhöben.

Vom Ruhrkrieg

Die Duisburger Explosion aufgeklärt?

Duisburg, 11. Juli. Vlättermeldungen zufolge soll es deutschen Kriminalbeamten gelungen sein, den Vorfall auf der Brücke DuisburgHochfeld aufzuklären. Zwei Anar­chisten, ein Franzose und ein A r g e ntin i e r, die einer Derschwörerbande angehören, sollen verhaftet sein. Der Ar­gentinier versuchte sich mit Morphium zu vergiften. Die Entdeckung soll gelungen sein, nachdem die belgische Behörde am 9. Juli der deutschen Polizei die Mitwirkung an der Untersuchung gestattet hatte.

Die Stadt Buer soll die Miteilung erhalten haben, daß die wegen des Vorfalls verhängten Sanktionen zurück­genommen werden.

Nach weiteren Meldungen sind auch mehrere Belgier verhaftet worden. Die Belgier suchen das Ergebnis geheim zu halten.

Franzosenquarkiere

Essen, 1l. Juli. Das Vcrcinshaus und der Handelshof sind von den Franzosen nunmehr wieder geräumt worden. Beide Gebäude befinden sich in einem unbeschreiblichen Zu­stand. Dafür beschlagnahmten die Franzosen jetzt Privat­quartiere.

Munster, 11. Juli. In Münster ist eine Person verhaftet worden, die der Beteiligung an dem Bombenanschlag gegen die sozialdemokratische Druckerei verdächtig ist. Zwei weitere Spuren führen ins besetzte Gebiet und nach Deutschland» ^