Nr. 86
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
98. Iahrgau.
I Erscheinungsweise: Snial wichentl. Anzeigenpreis: Die Zei!« ISO Mk., Fumilienunzeigen
I EMk.. Reklamen E M. Aus Eammelanzeigen kommt ein Zuschlag von 1lX>"/». — Fernspr. S.
Samstag, den 14. April 1923.
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Neueste Nachrichten.
Aus Anlaß der französisch-belgischen Besprechungen in Paris wird amtlich bekannt gegeben, daß die Regierungen Frankreichs und Belgiens entschlossen seien, in gleicher Weise ihre Aktion im Ruhrgebiet fortzusetzen» bis Deutschland sich entschließt unmittelbare Borschläge für die Bezahlung der Reparat io- nen zu machen. Auch sollen neueMaßnahmen ins Auge gefaßt werden, um den Druck zu verstärken. Man will jetzt also Deutschland zwingen, nochmals neue BorschläM zu machen, um auch diese als «nannehmbar erkläre» und daraufhin die Erpressung fortfiihren zu könne«. Gleichzeitig mit der amtlichen Erklärung bringt der „Matin" neue Reparationsvorschläge. die noch ungeheuerlicher als die Loucheurschrn sind.
Vertreter der deutsche« Wirtschaft und Arbeit haben erneut Stellung zum Abwehrkampf genommen» wonach der passive Widerstund unentwegt beibehalten werden müsse, bis wir als Gleichberechtigte eine Berhandlungsbasts erhalten, die das deutsche Land und freie Arbeit sichert.
Reute» erklärt von „unterrichteter" Seite, daß lüe e-/hlisch« Negierung sich mit den neuen französischen Reparationsplänen nicht einverstanden erklärt habe.
Das Neparalionsproblem.
Eine amtliche Erklärung über die Konferenz.
Verstärkung der Eemaltaktio«.
Paris, 13. April. Die belgischen Minister Theunis und Jaspar sind kurz nach 1 Uhr mittags eingetroffen und haben in der belgischen Botschaft gefrühstückt. Die Konferenz am Quai d'Orsay begann um 3.45 Uhr. Belgischer- seits wohnten ihr außer den beiden Ministern der Botschafter in Paris bei, französischerseits außer Poincars der Finanz- und der Kriegsminister, sowie die Minister für die befreiten Gebiete and für öffentliche Arbeiten. Ferner nahmen der Leiter der französisch-belgischen Jngenieur- kommisfion im Ruhrgebiet und der Direktor der französisch-belgischen Eisenbahnregie im besetzten Gebiet an der Konferenz teil. Um 7 Uhr war die Sitzung beendet. Es wurde folgendes Communique der Presse übermittelt: Die belgische und die französische Regierung, in gleicher Weise entschlossen, ihre Aktion im Ruhrgebiet fortzusetzen, bis Deutschland sich entschließt, unmittelbare Vorschläge für die Bezahlung der Reparationen zu machen, haben eine ganze Reihe neuer Maßnahmen ins Auge gefaßt, um ihren Druck zu verstärken und ihn solange fortzusetzen, als es nötig sein wird. Sie haben außerdem eine Anzahl von Beschlüssen getroffen, um die Abfuhr von Kohlen und Koks zu beschleunigen und den Eingang der Kohlensteuer sicher zu stellen, sowie um den Betrieb der Eisenbahnregie immer mehr zu verbessern. Sie werden morgen Vormittag wieder zusammentreten, um namentlich die Fragen betreffend die Buchführung der interalliierten Dienststellen, die Verwendung des Ertrages der Pfänder, der Geldstrafen und der Kapitalbeschlagnahmen, sowie die Sachlieferungen usw. zu prüfen.
Die französisch-belgische« Verhandlungen in Paris.
Vorbesprechungen der Pariser Presse.
Paris, 13. April. Die Konferenz der belgischen Minister Theunis und Jasper mit dem französischen Ministerium, die heute nachmittag beginnt» wird von der Morgenpresse mit einer Besprechung eingeleitet. Nach dem „Echo de Paris" soll die Konferenz erst morgen (Sonnabend) zu Ende gehen. Nach diesem Blatt ist keine offizielle Tagesordnung aufgestellt worden; jedoch könne man sicher sein, daß Maßnahmen besprochen würden, durch die man die Beschlagnahme oo^ Kohlen und Koks beschleunigen könne. Auch werde man über einen Verteilungsschlüssel sprechen, sowie über den Anteil an den Desatzungskosten, die den beiden Staaten zufallen müßten. Auch werde man beraten, wie man die Offensive der deutschen Beamten einschränken und paralysieren könnte. Nach dem „Matin" werden diese Problem« tatsächlich diskutiert werden. Aber trotz der höheren Orts an den Tag gelegten Reserve sei es klar, daß diese allgemein« Frage den Gegenstand der Beratung bilden werde. Fünf Tage vor der Reife Loucheurs nach London hätten die beiden Regierungen den Entschluß gefaßt, darüber zu beraten; aber die ungeheure Publizität, die die Reise des ehemalige» Ministers Loucheur erhal
ten habe, habe auch der Reise der belgischen Minister eine neue Schärfe gegeben. Vor allen Dingen müsse ein Mißverständnis beseitigt werden. Als Loucheur mit vollem Einverständnis der französischen Regierung nach England gereist sei, hätten die Sachverständigen des Quai d'Orsay, die mit denen der Repara- tionskommission zusammenarbeiteten, auf Verlangen der Regierung das Reparationsproblem geprüft, was übrigens auch durch die belgischen Kollegen erfolgte, sodatz Jasper schon anläßlich der letzten Brüsseler Konferenz habe erklären können, ihre Arbeiten seien beendet. Um diese beiden Pläne vereinigen zu können, habe Poincare sich durch Vermittlung Loucheurs über die Ansichten der britischen Regierung unterrichtet. Es sei sogar anzunehmen, daß auch ihrerseits die Vertreter Belgiens in London ebenso gehandelt hätten. Die Diskussion könne also fruchtbar ein- geleitet werden und, wie die Belgier es gewünscht hätten, so orientiert werden, daß ein Einverständnis erzielt werde. Obwohl zwischen den Absichten der französischen Sachverständigen und den Vorschlägen, denen Loucheur seinen Stempel aufgedrückt habe, wichtige Differenzen beständen, könne man die augenblickliche Stellungnahme Frankreichs wie folgt zusammenfassen: Es fei wünschenswert, die Grundlagen des Londoner Zahlungsplans nicht abzuändern. Die Reparatiouskommissio« habe die deutsche Schuld auf 132 Milliarden Goldmart festgesetzt »nd es bestehe gar kein Grund, daran etwas zu ändern. Es könnten jedoch Modalitäten eingeführt werden, die tatsächlich die Höhe der deutschen Schuld herabsetzen, zu gleicher Zeit aber auch die Zahlungen in den nächsten Jahren beschleunigen. Wenn Frankreich in einer Periode von ungefähr 1V Jahren dank internationaler Kreditoperation die 26 Milliarden Goldmark erhalten könnte, die seine Auslagen für die verwüsteten Gebiete bildeten, dann sei es für den Restbetrag zu Konzessionen bereit. Der Teil der deutschen Schuld, dessen Mobilisierung dringend sei und für den eine Priorität gewährt werden müsse, setze sich zusammen aus diesen 26 Milliarden, den Reparationen für Italien, denen für Südslavien und Rumänien, der belgischen Priorität einschließlich der belgischen Reparationssumme und endlich aus den alliierten und amerikanischen Besatzungskosten, sowie den Kosten für die den deutschen Bergarbeitern gezahlten Prämien und einigen unbedeutenderen Kapiteln, deren Regelung allerdings in den nächsten Jahren durchgeführt werden müsse. Der Nest der ersten 50 Milliarden Goldmark könne annulliert oder auf später übertragen werden, wenn es sich um die Pensionen handele. Aber England, das bei dieser Kombination bedeutende Opfer bringen müßte, müsse die Sicherheit erhalte«, daß ihm seine Jahreszahlungen an Amerika zur gegebenen Zeit durch deutsche Zahlungen garantiert würden. Hierüber müsse noch diskutiert werden und es könne sich hierbei einschließlich der Zinsen um 500 bis 600 Millionen Goldmark jährlich handeln. Das wesentliche bei diesem neuen Plan sei, daß man aus dem Schatzbonds ^ Und b> zwei Teile machen wolle, einen von vierzig Milliarden Eold- mark, der in den nächsten 10 Jahren durch Anleihen flüssig gemacht werden müsse, und einen anderen, der je nach den Bedürfnissen des englischen Schatzamts flüssig zu machen wäre. Was die 28* Milliarden der Serie L anbetreffe, so müßten sie Frankreich die Mittel geben, seine auswärtigen Gläubiger, namentlich England und die Vereinigten Staaten, zu entschädigen. Auch Italien müsse in den gleichen Stand gesetzt werden; allerdings sei Italiens Anteil an den deutschen Forderungen geringer als seine auswärtige Schuld, während bei Frankreich das Gegenteil der Fall sei. Diese Schatzbonds der Serie L würden übrigens kein einfaches Blatt Papier sein, denn sie würden garantiert durch gewisse Einnahmen des Deutschen Reiches. Es hänge nur noch von England und den Vereinigten Staaten ab, sie zu annullieren. Territoriale Garantien seien die Besetzung des Ruhr» gebiets und die der Rheinland«, die während der erste« io Jahre gradweise verringert und nach dieser Frist «in Ende finde« könnte unter der Bedingung, daß die nötigen 40 Milliarden Goldmark für sofortige Reparationen durch Anleihen gedeckt würden und ein neues Regime mit einer gemischte» Kommission gefunden werde, das der französische» Sicherheit Befriedignng gebe. Der Bölkerbnnd könnter sodann mit einer internationalen Polizei (!) und einer internationale» Eisenbahnregie (!) eingrei- fen; jedoch würden einige strategisch« Pnnlte in den Hände« der Alliierte» unter «och zu bestimmenden Bedingungen bleiben müssen. — Das seien die großen Linien eines Planes, von dem gewisse Einzelheiten noch ungenau seien und der noch unentwickelt sei, um ihn technisch zu analifieren. Der „Matin" glaubt behaupten zu können, abgesehen von einzelnen Punkten, die besonders Großbritannien interessierten, scheine es nicht» daß dieser Plan anf de« erste« Anhieb bei Bonar La» »nd seine» Mitarbeitern Anstoß erregt Hab«. Man sehe daher nicht ein, warum er nicht di« Billigung der belgischen Ministe, finden werde.
Die englische Negierung mit dem Plan Loucheurs nicht einverstanden?
London, 14. April. (Reuter.) Von gutunterrichteter Seite wird bestritten, daß der von dem Pariser „Matin" veröffentlichte Reparationsplan in London gebilligt wurde.
Einstellung der englischen Koksliefernng a« Frankreich???
Paris, 14. April. Die „Journse Industrielle" teilt mit, daß der englische Geschäftsträger in Paris vorgestern bei seinem Empfang bei Poincars diesem auseinandergesetzl habe, die englische Regierung sei in die Notwendigkeit versitzt, die Koksausfuhr nach Frankrech einzuschränken. Das Blatt gibt diese Nachricht unter Vorbehalt wieder, die jedoch, wie es hinzufügt, wenn sie sich bestätigen sollte, große Schwierigkeiten für die französische Metallindstrie in sich berge. Seit der Einstellung der regelmäßigen Kokslieferungen aus dem Ruhrgebiet habe der englische Schmelzkoks einen beträchtlichen Anteil an der Versorgung der französischen Hochöfen dargestellt.
Wirtschaft «nd Arbeit des besetzten Gebiets zum Abmehrkamps.
Berlin, 14. April. Zu Beginn dieser Woche fand ein« Tagung der Führer der Arbeitgeber und Arbeitnehmer aller Wirtschaftszweige und politischen Richtungen des gesamten besetzten Gebiets und des Einbruchsgebiets statt, die im Anschluß an die Erledigung grundlegender Wirtschaftsfragen einstimmig folgende Entschließung faßte: Die Vertreter von Arbeitgeber und Arbeitnehmer aller Richtungen aus dem alibesetzten und den E'n- bruchsgebieten am Rhein, Ruhr, Mosel, Neckar und Main, sowie aus dem übrigen Deutschland bringen erneut den unerschütterlichen Willen zum Ausdruck, ungeachtet aller Not und Leiden, aller Bedrückungen und seelischen und körperlichen Mißhandlungen, de« passiven Abwehrkampf fortznführe« mit derselben Entschlossenheit, mit der sie jeden aktiven Kampf verurteile« und mit derselben Entschiedenheit, mit der sie jede Möglichkeit z» Verhandlungen, in denen wir als Gleichberechtigte angesehen werden, zu halten wünschen, lehnen sie die Entgegennahme eines Diktats ab. Auch sie wollen, daß der Ausgangspunkt jeder Verhandlung die Sicherung der völligen Räumung der Einbruchsgebiete sein muß», sowie Schadloshaltung der durch den Einbruch an^eib und Gut Geschädigten, die Freilassung der widerrechtlich Gefangenen und die Rückkehr aller aus ihrem Wirkungs kreis Vertriebenen. Das Ziel der Verhandlungen soll die Erhaltung des gesamten deutschen Landes und die Lösung des Rcparatione- porblems sein, die bei der Uebernahme aller Reparationsvcr- pflichtungen, die Deutschland tragen kann, uns gestattet, als freie Männer zu arbeiten und zu leben.
» WMK SkWIWM
Die Beamlenausweisungen.
Paris, 13. April. Nach einer Havasmeldung aus Koblenz hat die Interalliierte Rheinlandkommiffion 433 «eue Beamtenausweisungen verfügt, die hauptsächlich Zoll- und Eisenbahnbeamte betreffen.
- Köln, 13. April. Die Eschweiler Bestzungsbehörde gebt jetzt hier dazu über, die Eisenbahner auch aus den Privat Wohnungen zu vertreiben. Heute muffen mehrere Beamte solche Wohnungen räumen, darunter Eisenbahner, die Eigentümer des Hauses sind.
Frankfurt a. 13. April. Nach einer Meldung d r frankfurter Zeitung" aus Mainz wiesen die Fran-: i, - gestern mittag mit sofortiger Wirkung 36 Eisenbahnbcdien- stete mit ihren Familien aus.
Die planmäßige Fortsetzung der Gewalttaten.
Osfenburg, 13. April. Heute wurde der 4. Aufseher des Amtsgerichtsgsfängnisses festgenommen, weil er sich eben falls weigerte, die Einlieferung eines deutschen Beamten anzunehmen. Er wurde nach einem Verhör auf der Kommandantur wieder auf freien Fuß gesetzt, während der gestern verhaftete Aufseher nach Kehl abgeschoben wurde.
— Die beiden Offenburger Zeitungen haben vor einigen Tagen von der Desatzungsbehörde den Befehl erhalten, daß ihnen di« Veröffentlichung der amtlichen Anzeigen des Bezirksamts, das sich in Gengenbach befindet, verboten ist. — Die Franzosen verbreiten in der Stadt Flugblätter und Plakate, in denen sie di« Schuld für die Eingriffe in deutsches Privateigentum den Deutschen zufchieben und behauptet« Mißhandlunaen von Einwob nern ulw. ableua nen. Die