ME

(Enztalbote)

HM

Amtsblatt für Mldbad. Chronik und Anzeigenblatt

für das obere Cnztal.

Erscheint täglich, ausgenommen Sonn- ». Feiertags. Bezugspreis für den Monat März Mark 1800. frei ins Haus geliefert; durch die Post bezogen im innerdeutschen Verkehr 1800.- zuzügl. Postbestellgeld. Einzelnnmmern 70 Mk.:: Girokonto Nr. 50 bei der Oberamtssparkajse Neuenbürg, Zweigstelle Wildbad. Bankkonto: Direktion d. Discontoges., Zweigst. Wildb. Postscheckkonto Stuttgart Nr. 29174.

Anzeigenpreis: Die einspaltige Petitzeile oder deren Raum Mk. 120, answärt» Mk. 130.. Reklame- zetle 300 Mk. Bei größeren Aufträgen Rabatt nach Tarif. Für Offerten u. bei Auskunfterteilnng werden jeweils 25 Mk. mehr berechnet. Schluß der Anzeigen­annahme : täglich 8 Uhr vormittags. :: In Konknrs- fällen oder wenn gerichtliche Beitreibung notwendig wird, fällt jede Nachlatzgewährung weg.

Druck der Buchdruckerei Wilddader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack in Wildbad.

Nummer 58

Fernruf 179

Wildbad, Samstag, den 10 März 1923

Fernruf 179

58. Zaürst'1

NWliWlM des' Md der And- nid Veinstener.

Politische Wochenschau.

In einem Stück gleicht unsere Zeit den Julitagen von 1914: die politische Luft Europas ist mit Zündstoff bis zum Platzen geladen. Der Krieg der Waffen gegen die Nerven, der unrühmliche Feldzug des stärksten Militäcstaats. der Welt gegen ein vorher sorgfältig wehrlos gemachtes Volk ist ohne Gleichen in dem Erleben der Menschen und ohne Gleichen ist auch die Art und Weise, wie Frankreich und Belgien ihren Krieg ohne Kriegserklärung und Kriegszu­stand an Rhein und Ruhr führen. Man hat überall die Empfindung, daß so menschenunwürdige Zustände nicht lange haltbar sind, daß sie irgendwie ein Ende finden müs­sen, sei es durch die Wiedereinsetzung des Rechts oder in Schrecken. Eine solche schwüle Stickluft ist der gegebene Bo­den für die ausschweifenden Gerüchte und Sagen. Als da­her der Reichskanzler aus Anlaß des neuesten Vordrin­gens der Franzosen nach Karlsruhe, Mann­heim und Darmstadt den geplanten Besuch in Süd- deutschland absagen mußte, um vor versammeltem Reichs­tag eineRegierungserklärung" abzugeben, schwirrten allso- gleich die seltsamsten Mären durch die Luft. Er wird den Krieg erklären, meinten die einen; nein, er will Verhand­lungen anbieten, sagten die andern; er hat sich mit Bayern und" Württemberg übenpor.fen, wußten dir ganz Gescheiten. Noch manche andere Vermutung konnte man hören. An alledem ist nichts richtig gewesen als die Empfindung, daß die Entscheidung auf des Messers Schneide steht.

Der Reichstag wurde vorzeitig er sollte erst am 8. März wieder zusammentreten auf den 6. März ein­berufen. Reichskanzler Cuno hat dem Gemunkel den Bo­den entzogen und ausdrücklich erklärt, daß er im vollen Ein­verständnis mit den süddeutschen Regierungen' seine Reise aufgegeben habe, um in einer Form, die sich über die von den Gegnern unbeachteten Proteste hinaus Beachtung er­zwingt, vor aller Welt und mit voller Offenheit und Wahr­heit gegen das Unrecht aufzustehen, das einem wehr- und waffenlosen Volk angetan wird. In einer würdigen, nach allen Seiten abgewogenen und weithinschallsnden Kundge­bung hat der Reichskanzler die Bilanz der achtwöchigen, von 170 000 Soldaten usw. begleitetenIngenieurerpedi- tion" an die Ruhr gezogen. Da Herr Poincare als Zweck des Feldzugs die Äbsicht ausgab, Entschädigungskohle zu holen, konnte der Reichskanzler feststellen, daß ganze 74 O0O Tonnen in 7 Wochen nach Frankreich und Belgien gekom­men sind, während Deutschland vorher freiwillig täglich 46S00 Tonnen lieferte. Die Welt weiß, in dem Bann der unaufhörlichen Behauptungen Frankreichs, Deutschland habe an Kriegsentschädigungen bisher weniger als 6 GoldnMi- arden geleistet, wovon schwach IX Milliarden, d. h. weniger als die Vesatzungskosten auf Frankreich gefallen seien (Er­widerung Poincares auf die letzte Kundgebung des Reichs­kanzlers), nichts davon, wieviel Deutschland schon dem Moloch des Friedensvertrags hat opfern müssen. Es war gut, daß der Reichskanzler ausdrücklich feststsllte, daß wir allein an unmittelbaren Leistungen bereits 46 Goldmilliar­den aufgebracht haben. Er fügte hinzu eine lange, sorgfältig belegte Liste der französischen Rechtsverletzungen und em­pörendsten Gewalttaten, die unter den Augen und ohne Widerspruch der Mitunterzeichner des Friedensvertrags sich endlos abspielen. Nicht um die paar Tonnen Kohlen ist es Frankreich zu tun, sondern um die politische und wirtschaftliche Vernichtung Deutschlands. So füllte sich diePassivseite" des Ruhreinsalls in der schlich­ten, wahren Darstellung des Reichskanzlers mit einer ge* wattigen moralischen Anklage. Und ohne daß er fremde Hilfe anrufen wollte oder Fremde beschuldigte, traf die aus der Schilderung der Vorgänge zu riesenhafter Höhe amvach- senüe Anklage auch die übrigen, die teilnahmslos bei­seite stehen. Deutschland hat den Kampf a l l e i n auszufech­ten im passiven Widerstand, der unsere einzige und beste Waffe ist. Zwar ist die Regierung zu einer Verständi­gung nach wie vor bereit, aber nur auf dem Fuß der Gleichberechtigung und wenn das Recht und die Vertragstreue wieder an die Stelle der Gewalt getreten sind. Vorher kann es von deutscher Seite keine Verhandlungs­angbote geben und es wird nichts unterzeichnet, was un­erfüllbar und mit der Ehre und der Unversehrtheit des deut­schen Reichsgebiets unvereinbar ist. Darum fort mit dem Gerede von Verhandlungen. Das war wohl die bedeutsamste Stelle der Regierungserklärung, die einen kräftigen Widerhall bei allen Parteien des Reichstags fand, so Saß in der Besprechung der Rede ein Gzialdemo- ikratischer Abgeordneter feststellen konnte, in der Verurtei­lung des Ueberfalls auf das Ruhrgebiet sei der ganze Reichs­tag einmütig, wenn auch über die Mittel der Abwehr Mei-

Tagesspieael

Auf Grund des Nokgeseßes werden die Bezüge der Sozial­rentner ln den besetzten Gebieten verdoppelt.

Der Bericht des französischen Finanzsachverständigen in de» besetzten Gebieten empfiehlt neben der kohlensteuer, der Ansfuhrabgabe und den Zolleinnahmen noch die Beschlag «ahme des Alkoholmonopols und der Tabak, u. Weinsteuer vier Mitglieder der Arbeiterpartei im Unterhaus sind vom englischen Königspaar zu einem Abendessen eingeladeri worden. Das ist wohl das erste Mal, daß Arbeitervertretei in der englischen Königsfamitie zu Gaste waren.

Die türkische Regierung in Angora hat laut Reuter ver. söhnliche Gegenvorschläge für den Frieden durch Sonder, boten an die Verbündeten abgesandk.

Rach demManchester Guardian" hat die chinesische Re aierung mit Sowjetrußland dasselbe Handelsabkommen ge troffen, das bereits Müschen Rußland und England besteh

Die erschütternde, in ihrer Ruhe und Sachlichkeit ergrei­fende Darstellung der politischen Lage Deutschlands durch Reichskanzler Cuno wird auch draußen nicht ungehört verhallen; sie ist eine Tat, die von größter Wirkung sein könnte und müßte, wenn in der AM das Gefühl für Recht und Unrecht noch nicht erstorben ist. In Frankreich fühlte man das gar wohl, und die Blätter Poincares wußten sich nicht anders hinüberzuhelfen, als die Rede Cunos ins Lächerliche zu ziehen. Der Reichskanzler Habs ja nur zu

stn.st in der

Deutschen gesprochen will sagen, k '

Welt schenke-seinen Worten Beacytung und da brauche er es mit Len-dächtigungsn Frankreichs nicht so genau zu nehmen; er Habs mit der Bescheidenheit, die dem Besieg­ten zieme, zngec.ben, daß es nicht Deutschlands Sache sei, mit Vorschlägen zur Verständigung vorzutreten, daß es viel­mehr abzuwarten habe was ihm diktiert werde. Ein tzchter Pariser Witz, hinter dem aber allerdings eine be­stimmte Absicht der Regierung Poincares sich verbirgt. Zu gleicher Zeit erschienen nämlich vor etlichen Tagen in den Londoner Blättern,Daily Mail",Daily Telegraph" und Times" sowie imEcho de Paris" Artikel über Absichten und Pläne, über die sich die französische und die belgische Regierung geeinigt hätten: den Vertrag von Vers ail- les und das Rheinlandabkommen aufzuheben. Statt dessen soll in den besetzten Gebieten wohlgemerkt einschließlich des Ruhrlands und der sogenannten Brücken­köpfe^ Kehl, Mainz, Koblenz und Köln, eine von Deutschland unabhängige Verwaltung eingesetzt werden, die die end­gültige Abtrennung dieser Lande vorzubereiten hätte. Die im Rheinlandabkommen festgelegte spätere Volksabstimmung im S a a r g e b i et soll wegfallen und für die Besetzung aller dieser Gebiete keine andere zeitliche Grenze gelten, als die volle Bezahlung der 132 Goldmilliarden Kriegsentschädigung, der Besetzungskosten und mas sonst mehr Frankreich noch finden und erfinden wird. Diese Pläne sollen von einer von Frankreich einzuladenden Kon- ferenz, zu der nur Belgien und Italien nicht England zugezogen würden, zum Beschluß erhoben werden. Der britischen Regierung wird in den Zeitungsartikeln nahege­legt, das jetzige Rührunternehmen sofort wirksam zu unter­stützen, es könnte sonst die Gelegenheit verpassen und zu kurz kommen, wenn erst einmal die andern drei Verbündeten ihre Beschlüsse gefaßt haben.

Man führt für diese Pläne ins Feld, daß die Verbünde­ten Geld brauchen und daß Deutschland nicht anders als durch Sanktionen zum Bezahlen zu bringen sei. Anderer­seits müsse Frankreich eine ausreichende Sicherung gegen Deutschland verlangen. Mit diesem heuchlerischen Wort ist das größte Unheil angerichtet worden. Wenn ein Staat in EuropaSicherung" brauchte, so wäre es das von West und Ost, von Nord und Süd bedrohte, verstümmelte Deutsch­land. Davon wissen sie alle nichts, die sonst die Weisheit mit Löffeln zu essen pflegen. Aber wenn Frankreich mit seinem Heer von 660 000 Mann fort und fort nachSiche­rung" schreit, dann nickt man in London und Washington und hält es für eine Selbstverständlichkeit. Mit dem Trugwort derSicherung" ist 1897 der geheime Bündnisvertrag zwi­schen Frankreich, England und Amerika in Washington ab­geschlossen worden; mit derSicherung" wurde der Vertrag von Versailles und das Rheinlcmdabkommen geschmiedet, das die Entwaffnung Deutschlands, die Besetzung und die Ueberschwemmung mit Ueberwachungskommissionen usw. gebracht hat. Um derSicherung" willen schickt Frankreich sich an, 11 Millionen Deutsche aufs neue vom Reich weg- Mreißen. In der französischen Kammer verhinderte dieser Tage Kriegsminister Maginot die Herabsetzung der Dienstpflicht voy 18 »uf 18 WurM Mt her Beh/iuMug.

«Mi

die längere Dienstzeit verbürge die Sicherung Frankreichs; er setzte dann noch hinzu:sie ermöglicht es Frankreich, gegen Deutschland ein Heer von 170 000 Mann mit 80 000 Mann Reserve am Rhein bereit zu halten, das jeden Augenblick in Deutschland einfallen und die Politik machen kann, die den Bedürfnissen Frankreichs ent­spricht." In London und Washington hört man aus Maginots Worten nur dieSicherung" und nickt: das Einfallsheer und seine politisck>en Zwecke überhört man.

Darum aber bandelt es sich ausschließlich. Deutsch­land soll wirtschaftlich und politisch ver­nichtet werden. Man verfolge doch nur die französische Politik von dem unseligen Waffenstillstand van 1918 bis zum heutigen Tag. Es ist das beharrliche Hinarbeitan auf diesen einen Zweck, und als Briand sich in Cannes non Lloyd George überreden zu lassen schien, in vernünftigere Bahnen einzulenken, da wurde er sofort von Poincare aestürzt. Deutschland mag verhandeln und erfüllen, so üel es will, das hat neben dem französischen VernichkLygswill-n gar keine Bedeutung. Wenn man sich nur darüber in Deutsch­land einmal allgemein klar sein würde, so klar wie sich der Reichskanzler darüber ist! Die Franzosen und Belgier wer­den uns immer bärter zusetzen, sie werden immer wÄter vor­rücken und eine Stadt um die anders besetzen, in Baden und Hessen, im Rhein- und Ruhrland. Sie haben neuestens .. Herne zum Mittelpunkt ihrerAktton" gemacht, von wo aus sie nach Süden, Osten und Norden ihre Fäden ziehen: Dortmund ist besetzt, ia es scheint, daß sie auch nach Münster und Hannover abzielen. Die Grenze der sogenannten neu­tralen 50-Kilometerzone ist bei Offenbura, Limburg. Königs- winter, Uckerrath erreicht, im Rubrgebiet schon weit über­schritten. Und die Besetzungen gehen weiter. Wie weit? Endlos? Nicht auszudenken. Einmal muß die Linie oder der Zeitpunkt kommen, wo für den einen oder den anderen die Lage unmöglich wird. Diese Entscheidung be­schleunigt herbeizuführen, sei es durch Unterbinden der wirt­schaftlichen Lebensadern Deutschlands, sei es durch Heraus­forderung eines solchen Zwischenfalls, der ihr für den un­gehemmten Gebrauch ihrer Kriegsmacht den Vorwand bietet, das ist das osfensickttliche Bestreben der fran­zösischen Politik. Dann ist dieRechtsgrundlage tt"r die Aufhebung des Vertrags von Versailles gegeben und mit dem neuen D i k t a tf ri e'd e n kann es losgeksim.

Was uns dann bevorstünde, braucht man nicht mrszu- inalen. Darum darf Deutschland nicht nachgsben, nicht- ,kapitulieren, wie der Reichskanzler sagte, denn dia Kapitulation würde eben jenen Diktatfrisden zur sicheren Folge haben, wie der Vertrag von Versailles die Folge des törichten Glaubens an die 14 Punkte Wilsons war. Wir, müssen im entschlossenen, einigen, passiven Widerstand aus-, harren und darauf bauen, daß die Franzosen zuerstgenug" haben. Sie werden es uns noch sauer machen und alle Ge­waltmittel und Betörungskünst- amrendsn, ausharrenks Moralisch erzielt Deutschland doch einen Erfolg um den' andern. Selbst den auf Veranlassung eines Franzosen in der deutschen Botschaft in Rom verübten Aktendieb - stahl kann Deutschland als einen moralischen Erfolg ba-' chen. So etwas wird in der Welt bekannt und ein Hehler« ist wie der Stehler angesehen.

Aber wir stehen allein, sagte der Reichskonzttr. Und, wir werden allein bleiben. Der Widerhall der Rede Cunoss im amtlichen England war kläglich. Man hob- bestimmte. Vorschläge erwartet. wahrscheinlich solche, die der briti-« scheu Regierung aus ihrer hilflosen Lage herausgeholfen hät-i ten. Bonar Law hat es noch einmal im Unterhaus aus-. >esprvchen, daß er den Dingen ihren Lauf lassen werde. In land ist man ganz im Bann des Schreckgespenstes der

kränzö fischen Luftmacht, und mit -Genugtuung hat der franzosi che Präsident Milleränd in den Blättern feststellen lassen, daß Frankreich über 128, in einigen Mona­ten über 220 Fluggeschwader zu je 10 Flugzeugen verfüge, denen England kaum 32 Geschwader entgegenzustellen hätte. Wenn so allerdings die englisch Regierung nichts mehr zu unternehmen wagt, was in Frankreich alsUnfreundlichkeit" aufgefaßt werden könnte, so will sich der alte britische Na­tionalstolz nicht in die Fesseln der Furcht finden und die Ta­tenlosigkeit der Regierung Bonar Laws in dem Ruhrstreit begegnet zunehmender Abneigung im Lande. In dieser Woche sind nicht weniger als drei Angehörige des Kabinetts bei Nachwahlen durchgefallen in Wahlbezirken, die als unbedingt sicher galten. Schließlich wird Bonar Law doch noch auf dieöffentliche Meinung" hören, oder er wird selbst durchfallen.

Auch in Amerika bleibt alles beim alten. Präsident Harbing ließ wohl an Frankreich eine nicht mißzuver- stehend« Warnung ergehen, Amerika werde nicht ruhig Zu­se hen, MM.LstPM «34L LllL l üLÜ WMnsnuMN Mr-tz