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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack in Wildbad.
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Nummer 57
Fernruf 179
Wildbad. Freitag, den 9. März 1923
Fernruf 179
58. ZahrKLvg
Ruhrkriegs-Spionage
Von einem Kriminalisten.
Die Spionageverordnung des Reichspräsidenten Wert hat den Zweck, den deutschen Widerstand im Ruhrkrieg zu unterstützen. Die Verordnung geht mit ihren verschärften Strafdrohungen, obwohl von der Todesstrafe abgesehen wird, über das bisher geltende deutsche Spionagestrafrecht hinaus. Spionage ist nach den bisherigen Begriffen: Landesverrat auf Grund der Paraqr. 89 und 92 des Reichsstrafgesetzbuches und Verrat militärischer Geheimnisse auf Grund des Gesetzes vom 3. Juli 1893. Während letzteres Gesetz die Ausspähung auch im Friedenszustand bestraft, gelten die Strafdrohungen des Reichsstrafgesetzbuchs nur für den Fall „eines gegen das Deutsche Reich ausgebrochenen Krieges." Da die Franzosen den Ruhrkrteg ohne Kriegserklärung vom Zaun gebrochen haben und streng juristisch im Ruhrgebiet kein Krieg herrscht, war die Gleichsetzung des jetzigen Zustands mit dem Krieg notwendig. Dies ist durch die Verordnung des Reichspräsidenten geschehen. Die Reichsregierung, die aus wohlerwogenen Gründen noch zögert, die diplomatischen Beziehungen mit Frankreich und Belgien abzubrechen, hat mit der neuen Spionageverordnung immerhin den Zustand im Ruhrgebiet als das erklärt, was er ist, als Krieg. Die Verordnung kennt nicht die Ehrenstrafe der Festungshaft.
Daß während des Weltkriegs das schmutzige Handwerk der Spionage blühte, ist jedermann bekannt. Man weiß auch, daß in der Vorkriegszeit gelegentlich Spione gefaßt und abgeurteilt wurden. Von dem Umfang und der Gefährlichkeit der Nachkriegs spione bekam man aber erst eme Ahnung, als im Frühjahr vorigen Jahrs die Fälschungen des bolschewistischen Hochstaplers Anspach bekannt wurden. Einige Zahlen aus der Spionagestatistik verdeutlichen die traurige Entwicklung. Im Jahr 1909 kamen lediglich 11 Fälle von Landesverrat zur strafrechtlichen Aburteilung. Im Jahr 1910 warep es 17, 1911 16. 1912 und 1913 je 30 Fälle, (Die Zunahme in den letzten Jahren vor dem Krieg ist sehr beachtenswert und lehrreich, denn sie zeigt, wie das feindliche Ausland sich auf den Krieg vorbereitete.) Während des Krieges, also in den Jahren 1914 bis 1918, wurden runo 400 Personen in Deutschland wegen Spionage verurteilt, durchschnittlich im Jahre also etwa 80 Personen. Nach dem Krieg ging die Zahl der Strafverfahren wegen Spionage zurück. 1919 kamen nur 10 Fälle, 1920 aber schon wieder 31 Fälle zur Aburteilung. Im Jahr 1921 stieg die Zahl aui nicht weniger als 83, im Jahr 1922 auf weit über 100! Durcv die Besetzung des Rheinlandes, durch den Einbruch der Franzosen und Belgier in das nach dem Versailler Vertrag besatzungsfreie Gebiet, endlich durch die Anwesenheit zahlloser Ueberwachungskommissionen und ausländischer Agenten, Spitzel und Schnüffler ist die Spionage auf deutschem Boden ins Ungeheuerlichevermehrt.
Dabei ist folgendes zu beachten. Wegen Landesverrats und militärischer Ausspähung kann nach den bestehenden Gesetzen nur derjenige verfolgt werden, der geheimzuhaltendes Urkundenmaterial dem Auslande in die Hände spielt. Aber der Fall Anspach und der kürzlich bekanntgewordene und noch nicht gerichtlich ausgetragene Fall Oehme zeigt, daß die strafrechtlichen Bestimmungen einer Ergänzung bedürfen. Nicht nur die Mitteilung wahren Geheimmaterials sollte als Spionage mit Zuchthaus bedroln werden, sondern die Mitteilung „aller Nachrichten, deren Bekanntwerden den deutschen Interessen im Auslande schäd - l i ch ist". Die neue Verordnung des Reichspräsidenten hat zwar den Kreis der strafbaren Spionage ausgedehnt, indem sie neben den politischen und militärischen Angelegenheiten die wirtschaftlichen zu schützen sucht, aber der Begriff der Spionage ist in der oben angedeuteten Weise noch nichi erweitert. Soll diese einer Gesetzesnovelle Vorbehalten bleiben, die der Reichstag zu beschließen hätte? Welches Unglück bereits die „Oehmeschen Enthüllungen" und wohl aucy andere, auf die Geistesverfassung der Franzosen berechnete Berichte angerichtet haben, beweist die Rede, die der französische Kriegsminister Magi not im Pariser Senat hielt. Maginot behauptet, die 100 000 Mann der Reichswehr bilden die Grundlage für 21 Divisionen. Hierzu komme die Schutzpolizei, die eine richtige Armee sei. Der Minister zählte die Selbstschutzorganisationen auf (mit denen die Reichswehr angeblich verhandelt und versicherte, der alte Generalstab habe sich unter dem Namen „Heeresleitung" neu gebildet. Der Erfolg: Neue Verstärkung des französischen Heeres. Sie ist die Frucht der verbrecherischen und verlogenen Spionagearbeit im Ruhrkrieg. Dieser gefährlichen Spionage muß jetzt der Kampf der deutschen Behörden gelten.
Tagesspiegel
Für den verstorbenen Botschafter Dr. Mayer tritt Slodt- rat Rauch-München (Bayer. Volksparkei) in den Reichstag ein.
Die deutschen Vertreter in Paris, London und Brüssel haben im Auftrag der Reichsregierung gegen die Vlok- verordnungen der Rheinlandkommission Einspruch erhoben.
2m Unterhaus wurde seitens eines Regierungsverkreters mitgekeilt, das französische Vesrtzangshser habe im Rheinland vor der Ruhrbesehung 90 000 Mann betragen und sei jetzt 160 000 (?) Mann stark.
Die Zahl der Arbeitslosen in England betrug am 26. Februar 1328 6OV, das heißt 12 26g weniger als in der vorausgegangenen Woche und 155 878 weniger als am 1. Januar 1923.
Die Belgier
Vor lauter Entrüstung über den Franzmann übersieht man gar zu leicht seinen Mitschuldigen. Belgien ist ja außer Frankreich der einzige Verbündete, der seine Truppen an dem Einfall ins Ruhrgebiet teilnehmcn lieh. Italien hat zwar zwei Ingenieure mit den französischen und belgischen nach dem Rhein geschickt, im übrigen aber sich der militärischen Maßnahme vorsichtig enthalten. Allerdings, wie es sich bei eiu"m etwaigen Gesamt-Ultimatum der Enter.., von dem bereits geniunkelt wird, verhalten wird, müssen wir abwarten. Wir haben deshalb Italien seine Kohlen, und, was es sonst nach dem Versailler Vertrag beanspruchen kann, weiter geliefert.
Die Belgier sind kriegsmäßig in deutsches Land eingebrochen, genau so,! wie Frankreich. Sie haben Maschinengewehre auffahren lassen, haben „requiriert", d. h. auf deutsch geplündert, Wohnungen beschlagnahmt, Beamte verhaftet, deutsche gestochen und gemordet: sie haben Emmerich und Wesel, Städte an der holländischen Grenze besetzt, — alles ganz wie die Franzosen.
Schon vor dem W-llkrieg hat Belgien, wie unwiderstehlich nachgewiesen werden kann, in allen seinen militärischen Borbereitungen unter em-u Decke mit Frankreich gespielt. Nicht Deutschland hat die Neutralität Zebrocnen, sondern dieses Unrecht lag seil Jahren auf der veite Belgiens.
Wie die Belgier es dann im Weltkriege selbst mit ihrem Haß gegen Deutschland trieben, das ist allgemein zugegeben. Und als der Krieg zn Ende kvar, gings in demselben Geist und Tun weiter. Alles was nur Frankreich im Versailler Vertrag uns an unerträglichen „Strafen" auferlegte, war den Belgiern aus dem Herzen heraus diktiert. Und wenn in der allgewaltigen Entschädigungskommission oder in der famosen Rheinlandkommission irgend eine „Sanktion" oder Strafmahnahme gegen Deutschland zu beschließen war, flugs stellte sich der belgische 'Vertreter an die Seite unseres französischen Peinigers. Auch für die belgische Politik gibts nur ein Ziel: die militärische, politische und Wirtschaftliche Vernichtung Deutschlands.
Dieser Haß steckt jedem Belgier in den Knochen. Jedenfalls wird dafür gesorgt, daß er schon dem belgischen Schulkind eingeimpft wird.
Vor uns liegen Auszüge aus einem für belgische Mittelund Realschulen eingeführten „Handatlas der Geographie". Da liest man über die Deutschen u. a.: „Sie haben sich auch immer, in jedem Alter, durch Grausamkeit, Treulosigkeit, Lügenhaftigkeit, Vertragsbrüchigkeit ausgezeichnet. Ihr „Deutschland über alles", das sie beute noch trotz ihrer Niederlage nicht auszuposaunen unterlassen, zeigt deutlich die unkultivierte Selbstsucht und den unverschämten Dünkel dieser Rasse. Das verbrecherische Kulturwerk der deutschen Bildungsunstalten bestand nur aus Lüge, Heuchelei und Betrug. Es machte den deutschen Charakter bis zum tiefsten Grund der Seele nur aufnahmefähig für den Geist des Kriegs; es schuf nur den Ehrgeiz, tyrannisch zu herrschen, gestützt auf rohe Gewalt; sein Schandfleck war mit einem -Wort, Menschen in wafkenstarrsnde Automaten umzubilden. Alle höheren Empfindungen zivilisierten Menschentums, wie Wahrheits- und Gerechtigkeitssinn, Schön- heitsempsinden, wurden vernachlässigt, wenn nicht gewaltsam unterdrückt."
Und so geht es weiter. Und das Schlußergebm's? Die Deutschen seien unfähig, sich selbst zu regieren. Sin müßten wie Neger und Papuas unter Vormundschaft anderer Völker gestellt werden.
Und das behaupten ausgerechnet die belgischen „Helden
am Kongo", jene Teufel in menschlicher Gestalt, -die Jahrzehnte lang den armen Negern wegen „absichtlicher Nichterfüllung" in Kautschuklieferungen zur Strafe die Hände abhacken ließen. VV. 11.
Deutsche Arbeiter!
Unter dieser Ueberschrift veröffentlicht die „Deutsche Allgemeine Zeitung" folgenden Artikel des sozialdemokratischen Schriftstellers Artur Zickler: -
Die Arbeiterschaft des Rnhrlands kämpft einen Kamvf durch, der sie im tiefsten Seelenqrund ersaßt hat und jeden erschüttern muß, der ihn als Augenzeuge miterlebt. Wer glaubt, dieser Kampf sei eine politische Zufälligkeit wie manche andere, der weiß nicht, was auf der Noten Erde geschieht. Lautlos ist dieser Kampf mit ungleichen Mitteln, ein zermürbender Stellungskrieg, ein lastender Alvdruck. fernab ieder Frischfröhlichkeit, ohne lockende Aussichten, dafür voll harten Trotzes: man soll uns unser armes Leben, unsere karge Freiheit lassen, so weit lind wir noch nicht vor die Hunde gegangen, daß Reitpeitschen schwingende Nachkriegshelden mit uns umspringen dürfen, als wenn sie am Senegal wären! Jeder fühlt: m»nn das reckt behalten soll, brauchen wir nichts mehr zu hoffen, dann ist der Schießprügel auf endlose Zeiten der unheimliche Kaiser Europas. Es geht nicht um Telegraphenstangen und ein vaar tausend Tannen Kohle; es geht darum, mas stärker ist — schaffende Arbeit oder militärische Barbarei.
Im Weltrieg standen die deutschen Heere im Herzen Frankreichs gegen das bewaffnete französische Volk, Heute kämpft der deutsche Arbeiter gegen die Abenteurer des französischen Militarismus, der es dringend nötig hat, vor dem unter seiner Last stöhnenden Frankreich wieder einmal seine Existenzberechtigung nachzuweisen. Poincare, einer der armseligen Greise der Politik, denen es gleichgültig ist, daß ihnen jahrzehntelang die betrogene Jugend Europas Verwünschungen in die Gruft nachschickt, wenn sie nur heute noch einmal recht behalten, dieser Poincare hat seine Karte in der Hand und spielt sie aus — wehe ihm, wenn er das Spiel verliert! Der Kampf ist ausgenommen, und wahrlich nicht aus Uebermut, von in der Not gestählten Werklerllen, denen der Sinn lieber auf tztwas anderes stände, als sich mit den Soldaten des Herrn Poincare abzuquälen. Nun muß er auch ehrlich durchgekämpft werden, auch dann, wenn es gewissen Kreisen nicht in die doppelte Buchführung passen sollte. Ruhrland ist Front, die ernsthafteste seit dem Weltkrieg. Nuhrland ist Angelpunkt der kommenden Geschichtswende. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun. In der Ruhrfront schlägt das klopfende Herz des Volks, lebt das Heldentum der Namenlosen wieder auf; wer das miterlebt, dem schleicht sich die bange Frage ins Herz: soll das wieder verhändlert werden? Sollen die mannhaften Werkscharen Westfalens zu Kulis der französischen Kapitalisten gemacht werden?
In einer Betrachtung, die der französische „Kriegsberichterstatter Marcel Ray im „Petit Journal" von sich gibt, wird ein einziger Trumpf, auf den sich Herr Poincare verlassen könne, die Spaltung zwischen der deutschen Regierung und der deutschen Arbeiterschaft angegeben. Mil dieser Ein.- schätzung der deutschen Arbeiterbewegung als Handlanger des französischen Militarismus wird sich der französische Äe- gierungsklüngel, der die Angst vor den kommenden Wahlen den Mut eines Glückspielers eingegeben hat, gründlich irren müssen. Der deutsche Arbeiter hat sich zum Widerstand entschlossen, nun muß er dafür sorgen, daß kein Spottlied für Pariser Kabaretts daraus wird! Grausam würde er sonst spüren müssen, daß er eine Schlacht verloren hätte, deren Verlust er durch keine irgendwie geartete „direkte Aktion" wieder einholen könnte. Lehrt doch jeder Tag, wie verlassen im entscheidenden Sinn der deutsche Arbeiter in der Welt steht; hält er dem Reich die Treue nicht, dessen Grundlage er ist, so wird das Reich nicht mehr leben könmm, und die eng aufeinander gepreßten Millionen sind dem Schicksal der Selbstvernichtung überliefert. Es ist bisher das ungewollte Ergebnis der französischen Gewaltpolitik, daß die Sympathien der Welt, die während des Kriegs vorwiegend ouf seiten Frankreichs standen, zu dem waffenlos ringenden Deutschland herüberwandern: zeigen wir uns dessen würdig und setzen wir die letzte Kraft ein, um ein schreckliches Warnzeichen des Welturteils zu verhüten. Das Ruhrgebiet ist die verwundbarste Stelle Poincares, hier ist er sterblich.