(Enztalbote)

Amtsblatt für Edbad. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei Wilddader Tagblatt; Verlag und Schriftleituug Th. Gack in Wildbad

I

Nummer 39

Fernruf 178

Wilddad, Freitag, den 16. Februar 1923

Fernruf 17»

58. Iahrzsu,

Zeichnet für die

wabische Ruhrhllfe"!

A)''-

Französischer Staatshaushalt und Ruhrbesetzung

Der französische Haushalt in seiner zurechtgestutzten Form berechnet für 1923 den Fehlbetrag auf nur 3,8 bezw. 3,9 Milliarden Franken. Der Hauptberichterstatter veranschlagt für 1923 die Einnahmen auf 19,2 Milliarden Franken, die Summe der Ausgaben auf 50,8 Milliarden Franken. Es er­gibt sich also nach der Berechnung ein Fehlbetrag von 31,6 Milliarden. Mehr als die Hälfte der Einnahmen (11,5 Milliarden) wird allein durch die Verzinsung der schweben­den Schuld aufgezehrt, die am 31. Mai 1921 297 Milliarden Franken, am 31. August 337 Milliarden Franken betrug. Die Täuschung, wie sie im zurechtgestutzten amtlichen Haushalt- , plan verübt wird, beruht u. a. auf der Einrichtung eines be­sonderHaushalts der rückzahlbaren Vorschüsse". Darin ist alles enthalten, was Deutschland nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags zu zahlen hätte, die Kriegspen­sionen und die Wiederaufbaukosten in den zerstörten Gebie­ten. Wieviel von dem, was man nicht so recht bestimmen konnte, in diesen Haushalt hineingerechnet wurde, entzieht ich einer ausführlichen Erörterung. Der Name dieses Häus- >alts soll besagen, daß theoretisch Deutschland zum Ersatz die- er Ausgaben verpflichtet sei: Deutschland bezahlt alles." Der ranzösische Staat hat, nach französischer Ausdrucksweise, damit dem Deutschen ReichVorschüsse" vorgestreckt. Glaubt die französische Regierung durch die weitere Zerrüttung unserer Wirtschaftskraft an der Ruhr die Aussichten auf bal­dige Wiedererstattung dieser Vorschüsse, die sowieso in weiter Ferne lag, beschleunigt zu haben? Dieser besondere Haus­halt beläuft sich auf 10,1 Milliarden Franken ungedeckter Ausgaben. Ferner sind als ungedeckte Ausgaben zu be­trachten die 12 Millionen Franken, die unter dem Titel der sogenanntenSpezialkonten" laufen. Cs handelt sich hier um eine künstliche Verrechnungstechnik von Zahlungen an soge­nannteVeschädigten-Verbände", die Entschädigungen an Kriegsbeschädigte vorschießen mußten. In der Berechnung find keine Posten für die Tilgung und Verzinsung der aus­wärtigen Schulden Frankreichs enthalten. Dabei betragen die Schulden an Amerika 3,6 Milliarden Dollar, ,an Englund 850 Millionen Pfund Sterling,' die auswärtigen Schulden insgesamt 36,4 Milliarden Goldfranken. In Frankreich denkt man offenbar vorläufig gar nicht daran, diese Schulden ernst­lich in Rechnung zu stellen, obwohl diese Frage angesichts der Tatsache brennend werden könnte, daß England seinerseits mit Amerika zu einem Abkommen über die Rückzahlung sei­ner Schulden gelangt ist.

Von der Opposition wurde gefordert, daß der Haushalt des Heers und der Marine beschnitten werden sollte. An Heeresausgaben sind für 1923 angefordert 3,7 Milliarden Franken (ein Drittel der gesamten für Verwaltungszwecke vorgesehenen 11,5 Milliarden des Voranschlags für 1923). Das Ruhrunternehmen kann aus diesen Mitteln nicht gedeckt werden, neue Milliarden müssen herangeholt wer­den. Poincare hat einen kleinen-Anfang damit gemacht, daß er einen außerordentlichen Kredit von 45 Millionen Papier­franken für Januar und Februar angekttndigt hat; Fach­männer schätzen die Kosten schon setzt auf über einehalbe Milliarde Franken. Frankreich wird aber eme noch weit größere Anzahl von Mannschaften mit einem entspre­chenden Kostenaufwand auf die Beine bringen muffen, um nach außen hin beweisen zu können, daß es tatsächlich dach ein paar Kohlsnzüge aus dem Ruhrgebiet abzuführen in der Lage sei. Diese Kohlenmengen werden natürlich auch bei einem noch so großen Aufgebot von Menschen für Frank­reichs wirtschaftliche Ausbeute nicht ins Gewicht fallen. Es wird dabei bleiben: solange die Ruhrbssetzung und damit der deutsche Widerstand anhält, muß Frankreich auf die monat­liche Gratislieferung von 1,2 Millionen Tonnen Wiederher­stellungskohle und -Koks verzichten. Das System der Kohlen­verbilligung auf dem Weg der Preisausgleichung stockt, und damit stockt auch die französische Preisunterbietung gegen­über der englischen und amerikanischen Eisenindustrie. Es werden auf alle Fälle sehr teuere Kohlen werden, die sich Frankreich aus dem Ruhrgebiet holen will. Ihr Preis wird dm Weltmarktpreis -um mindesten mit NrrLrüem. La,.

Tagesspiegel

Nachrichten aus Adrianopel zufolge sollen die Krischen Behörden der griechischen Zivilbevölkerung befohlen haben» die Stadt zu verlassen. Aus Ostthrazie« sollen stark« Trup­penabteilungen im Anmarsch fein. ...... » ;

durch muß ein'schwerer Erzeugungs- und Ausfuhrrückgong und damit eine Verschlechterung der französi­schen Zahlungsbilanz und eine Verringerung der französischen Steuerkraft entstehen. Frankreich wird vor allem auf Kohlen aus England angewiesen sein, was gleichfalls eine Verschlechterung der Handels- und Zahlungs­bilanz und eine unmittelbare Verschlechterung des Franken­kurses zur Folge haben muß. Diese beiden Folgerungen sind zum Teil schon eingetreten, und ihre Wirkung auf die Be­wertung des Franken in einem Umfang, wie er zur Ernüchterung des französischen Volks notwendig ist, kann bei einem genügend langen Widerstand aus deutscher Seite nicht ansbleiben.

In einem Punkt war bisher dis französische Finanzlage der Lage Deutschlands ganz unverhältnismäßig überlegen gewesen, in dM Ausmaß der Notenausgabe. Die französische Volkswirtschaft bat bisher genügend Reserven besessen, um die schwebende Schuld des Staats und die vom Staat garantierten Schulden der sogenanntenSpezial­konten" aufzunehmen. Die französische Regierung hat sich bisher noch nicht mit ihren Schatzwechseln an die Noten­bank wenden müssen: sie ließ ja auch eben wieder eine An­leihe von 13 Milliarden auflegen. Diese Aufnahmefähigkeit und Aufua' "ewilligkeil -er französischen Volkswirtschaft, sor allem der Landwirtschaft, dm st : aber am Ende an­langen, wenn der Glaube an die Sicherheit der Staats­finanzen erschüttert wird, was die Folge der jetzigen Zu­stände sein muß. Als Folge der verfehlten Entschädigungs­politik wird das französische Volk seinerseits all das ver­spüren müssen, was wir alles schon zu leiden hatten. Und je länger die Ruhrbesetzung dauert, desto lawinenartiger wird die Notenausgabe, die Kapitalflucht und das Sinken des Frankenkurses sich auswirken, genau wie in Deutschland. Das französische Volk wird dann auch wissen, wem es diu Schuld daran zuzuschreiben hat. Frankreich, das immer noch' gehofft hatte, eines schönen Tages seine Währung wieder auf pari bringen zu können, hat währungspolitisch viel, ja alles zu verlieren. Unser Risiko sieht sich zahlenmäßig vorläufig allerdings ganz ungeheuerlich an, aber die volkswirtschaft­liche Wirkung der Markschwankung ist heute für uns in die­sem Kampf um unser ganzes Dasein von verhältnismäßig untergeordneter Bedeutung.

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Paris. 15. Febr. Der Finanzminister hat auf Anfrage erklärt, die Besetzung des Ruhrgebiets werde den franzö­sischen Haushalt monatlich etwa 40 Millionen Franken kosten. DieOeuvre" glaubt, daß das viel zu niedrig gegriffen sei. Zu diesen 40 Millionen müsse man den Preis der achtzehn- monatigen Dienstzeit hinzufügen, die durch die Besetzung un­vermeidlich geworden sei. Diese Mehrkosten würden sich nach der Berechnung des Senators Rene Renault auf 275 Mil­lionen Franken belaufen. Im ganzen werde der französische Staat also mindestens 750 Millionen Franken auszugeben haben, wenn die Besetzung andauere.

Wilsons Geographie

Ueber die moralische Befähigung des amerikanischen Cx- präsidenten für seine Rolle als Schiedsrichter der Welt, die er bei den Friedensverhandlungen mit so kläglichem Erfolg zu spielen suchte, besteht heute kaum noch irgendwelche Un­klarheit. Daß diese moralische Begabung begleitet war von dem nötigen Mangel an Kenntnissen, namentlich auf geo­graphischem und ethnologischen Gebiete, wissen wir aus mancherlei Indiskretionen seiner Vertrauten und seiner Mit­täter. Daß er selbst aber wiederholt seine geographischen Unkenntnisse öffentlich ins rechte Licht gerückt hat, ist weite­ren Kreisen bisher noch unbekannt. DieSüddeutschen Monatshefte", die im literarischen Kampf gegen Schuldlüge und Versailler Diktat in vorderster Front stehen, und die Mch ihr Fehruarhest Wieder in WKSezrichnetn Wilr. di.esW ,

Kampfe widmen, erinnern an diese Tatsache zur höheren Ehre Wilsons:

Im September 1919, also nachdem er den Vertrag vorl Versailles mitverfertiat hatte, sprach Präsident Wilson in zahlreichen amerikanischen Städten, um das amerikanische Volk für den VersaillerVertrag" und denVölkerbund" zu gewinnen.

Ln all diesen Reden (wir folgen der Zusammenstellung in dem Buch von Wilsons früherem vertrauten. Freunde und Berater Dr. Hole, Tke story ok a style, Newyork, 1920) be­zeichnet« er stets Serajewo als eine Stadt in Serbien, wußte also nicht, daß der österreichische Thronfolger auf österreichi­schem Gebiet ermordet war. Daß der österreichische Thron­folger in Serbien ermordet worden sei, glaubte Wilson aus feiner ganzen langen Vortragsreise und vielleicht glaubt er es noch heute. Er legt in zahlreichen Reden besonderes Ge­wicht auf die Tatsache, daß die österreichisch-ungarische Re­gierung wegen eines in Serbien begangenen Verbrechens vorgegangen sei.

In St. Louis erklärte Wilson am 5. September 1919:

Was war die alte Formel der Alldeutschen? War sie nicht von Bremen bis Bagdad? Nun sehen sie auf die Karte, was liegt heute zwischen Bremen und Bagdad? Nach Deutschland kommt Polen. Da ist Böhmen, das wir zur Tschechoslowakei gemacht haben, dann Ungarn, das wir von Oesterreich getrennt haben, und das keinen Anteil mehr an Oesterreichs Stärke hat, dann Rumänien, dann Jugosla­wien dann die zusammengebrochene Türkei und dann Per­sien und Bagdad."

Diese Beschreibung des Weges von Bremen nach Bagdad gab Wilson, nachdem er Europa mit aufgeteilt hatte. Seins Vorstellung von der Lage Bagdads verrät er noch genauer in der Rede von Des Moines, wo er von dem alldeutschen Plan spricht, Bremen an der Nordsee mit Bagdad in Per­sien zu verbinden. Nach den Presseberichten über diese Rede in Des Moines enthielt sie noch eine weitere bemerkens­werte, geographische Meinung, indem der Mitverfasser des Versailler Beitrages und Mitverteiler Europas von Prag als der Hauptstadt Polens sprach. Gekrönt wurde diese Redereise, auf der der Präsident außer der Angabe, daß Bremen an der Nordsee liegt, kaum jemals ein wahres Wort gesprochen hat, durch die Rede in St. Francisco:

Der Versailler Kongreß hat eine neue Welt von Schönheit und Ordnung geschaffen. Ein Glanz von tie­fem Verständnis menschlicher Angelegenheiten strahlt über den Beratungen dieses Kongresses, wie er niemals über die Beratungen irgendeiner anderen internationalen Kon­ferenz in der Weltgeschichte gestrahlt hat."

Durch diese Aeußerungen tritt Wilson bei Aufstellung eines Weltrekords für Verlogenheit in ernsten- Wettbewerb mit Kurt Eisner.

Das neue Kohlensteuergesetz

Der Wirtschaftspolitische Ausschuß des Reichswirtschafts- rats beschäftigte sich mit dem Entwurf eines Kohlensteuer­gesetzes, der aus Anlaß der am 31. März ablaufenden Gültig­keitsdauer des bisherigen Gesetzes vorgelegt ist. Es wurde anerkannt, daß die Kohlensteuer als Belastung der Ruhr­produktion durch die Gesamtwirtschaft durch ihren Einfluß auf alle Produktionsmittel und die Frachten der zum Verbrauch gelangenden Produkte vervielfacht trifft. Daraus wurde ge­folgert, daß die Steuer bei einem wirtschaftlichen Gleichge­wichtszustand unter gleichzeitiger Angleichung des Jnland- preises an den Weltmarktpreis nichtaufrechterhalten werden kann. Unter dem Vorbehalt dieser grundsätzlichen Stellungnahme wurde dennoch dem Entwurf zugestimmt, doch wurde seine Befristung auf ein Jahr, also, bis zum 31. März 1924, vorgesehen. Bei der Erörterung der Kohlen­preise wurde festgestellt, daß der Preis im Kleinverkauf mei­stens bis 200 Prozent Zuschlag zu den Zechenpreisen beträgt. Der hohe Zuschlag ist zum Teil auf die Frachten, zum andern aus den Zwischenhandel zurückzuführen. Daher wurde ange- regr, den Weg von der Erzeugungsstätte zum Verbraucher möglichst zu verkürzen. Doch wurde behauptet, daß die Koh­len heute meistens nur durch je einen Großhändler und Klein­händler an den Verbraucher gehen. Schließlich wurde fol­gende Entschließung angenommen: Indem der Wirtschafts- nolitische Ausschuß dem Entwurf eines Kohlensteuergesetzes zustrmmt, gibt er der Erwartung Ausdruck, daß der not- leidenden Volksschicht, besonders den Sozial- und Kleinrent­nern, Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, den Ar­beitslosen sowie auch den gemeinnützigen Krankenhäusern und den öffentlichen Schulen der Hausbrand wesentlich ver- .Müt.hLäNc lW _ .