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Nummer 33
Fernruf 179
Wildbad, Freitag, den 9. Februar 1923
Fernruf 179
58. Jahrgang
Die Erdölkonferenz
Lausanne und Mosul
Ein Außenpolikiker schreibt mir: Die Tagung von Lausanne war kein Friedenskongreß, sondern eine Erdölkonfe- renz. Der Friede zwischen Griechenland und der Türkei ist nicht geschlossen worden. Er kommt vielleicht in zehn . Tagen zustande, vielleicht in drei Wochen, vielleicht gar nicht. Der Punkt, um den sich im Grunde aller Streit . hinter den Kulissen drehte, nämlich die Mosulfrage, wurde bei den Schlußverhandlungen vollständig ausgeschaltet. Man verwies sie zur Entscheidung an den Völkerbund, wogegen sich aber die Türken, gewitzigt durch das, was man bisher in Genf erlebte, mit Händen und Füßen wehren, so- daß eS voraussichtlich zu einer Rückverweisung an die Beteiligten, d. i. England und die Türkei zur gesonderten Er- -2 ledigung kommk7 Frankreich ist bei diesem Erdölstreit ganz beträchtlich ins Hintertreffen geraten. ES hat sich dafür gerächt, indem es die ganze Lausanner Konferenz auffliegen ließ. Aber damit kommt es erst recht nicht zum Erdöl. England hat der französischen Diplomatie nach Abschluß des Weltkriegs den Verzicht auf den Bezirk Mosul mit seinen Erdölschähen im Austausch gegen gewisse Zusicherungen hinsichtlich des syrischen Mandats abverlangt. England stützte sich dabei auf die Tatsache, daß die im Jahr 1914 von der türkischen Regierung herausgegebenen Oelkonzes- sionen zu Dreivierkel ohnehin in englischen Händen, nämlich im Besitz der Royal Dutch (Shell-) Company und der Anglo-Persian Oil Company, ber Rest aber in Händen der Deutschen Bankgruppe waren. Frankreich mußte infolgedessen in San Nemo einen Vorschlag annehmen, der von seinem Erdölkommissar Verenger schon im Jahr 1918 nach englischen Angaben im wesentlichen qukgeheißen worden war. Danach sollte Frankreich 25 Prozent des meso- potamischen Erdöls zum Marktpreis erhalten, wenn die englische Regierung selber die Quellen ausbeukek, und 25 Prozent Beteiligung am Kapital, wenn sie (was dann geschah) die Ausbeute Privatgesellschaften überträgt. Aber jener Vertrag ist heute hinfällig. Frankreich hat unker- bessen seine Militärmacht zum Platzen aufgeblasen, es dehnt seine politische Vorherrschaft über Festlandeuropa aus, es bricht immer weiter in Deutschland ein und siegt sich bei sinkender Valuta zu Tode. Was sind ihm noch die Erdöllöcher von Mosul? Ferne Träume! Es hat gar nicht mehr die wirtschaftliche Kraft, um sich an finanzielle Riesengeschäfte heranzumachen. Das besorgt jetzt England, der militärisch zurückgedrängte, der politisch eingeschüchterke Verbündete ganz allein, lind «er zuletzt lacht, lacht am besten.
Der industrielle Kapitalismus Englands geht von dem Gedanken aus, daß das nächste Kapitel der Weltgeschichte nicht von der Kohle, sondern vom Erdöl beherrscht wird. Die Erfindung des Motors in allen seinen verschiedenen Typen, die Entwicklung des Autos, des Flugzeugs, der Tauchboote, der Oelfeuerung in Schiffen führt einen Ilmschwung der industriellen Verhältnisse und damit der internationalen Politik herbei. Es gilt, den Besitz der Oeloorräte der Melk oder doch einen Anteil an ihnen sich zu sichern. Nordamerika verdankt feinen beispiellosen Aufschwung der Motorenindustrie und dem Automobillsmus. England fühlt die Kraft, diese Entwicklung mitzumachen. Es strebt nach dem Besitz der asiatischen Erdölquellen. Das gesamte Erdöl- gebiek an der türkisch-persischen Grenze hak eine Länge von 2000 Kilometern. Hiervon liegen 1700 Kilometer auf persischem, 800 auf türkischem Gebiet. Die Beschaffenheit ist vorzüglich und gleicht der des Oels von Baku. Beherrscht England das türkische Erdöl, so ist ihm auch der Weg nach Persien frei. Die Erdölgebleke Mesopotamiens liegen in den Wilajeks Bagdad und Mosul. sin Mosul, gegenüber den Ruinen von Ninive, am Tigris, sind außerordentlich reiche Funde gemacht worden. An der Mesopokamischen Oelkompanie, die hier ihre sinteressen hat, sind die Gebrüder Lynch, deren Dampfer seit Jahrzehnten den Tigris befahren, hervorragend beteiligt. Sie stellt eine Erweiterung der von der britischen Admiralität übernommenen Anglo-Persian Oil Company dar, deren gewaltige Tankanlagen in Äbadan am Persischen Golf fast die ganze Flotte des Indischen und Stillen Ozeans mit Brennstoff aus dem Becken von Schustehr speisen. Denn zu einem Teil wenigstens ist die Forderung Lord Fishers, der alle kohlenbeheizken Schiffe versäuft wissen wollte, schon verwirklicht.
Am die Sicherung und Erweiterung der Herrschaft über die kürkisch-persische Oelquellen handelt es sich also, und wenn nicht alle Zeichen trügen, wird England mit den Türken schneller in, reine kommen als Frankreich. Dieses ist ÄN Erdöl arm- Obwohl es Dtzutschlqnd die bescheidenen
Berlin, 8. Febr. Der deutsche Geschäftsträger hat der französischen Regierung eine Note übergeben, in der gegen die Besetzung von Offenburg und Appenweier Einspruch er- ,hoben wird. Es ist richtig, heißt es in der Note, daß unter der großen Zahl von Eisenbahnzügen, die infolge der französischen kohlensperre von der Reichseisenbahnverwaliung eingestellt werden mußten, zwei Expreßzüge sich befinden, deren Auflassung von der französischen Regierung als ein Verstoß gegen den Vertrag von Versailles ausgelegt werden. Zeit und Umstände geben dieser deutschen Maßnahme aber offensichtlich den Charakter einer vorübergehenden Notstandsmaßnahme. Von einer Vertragsverletzung kann daher keine Rede sein.
Aber selbst wenn eine formale Verletzung vorläge, müßte es als das Zerrbild eines Ariedenszusiands bezeichnet werden, daß die französische Regierung eine Maßnahme von so untergeordneter Bedeutung zum Anlaß nimmt, ohne weiteres ihre Truppen in deutsche Städte einmarschieren zu lasten.
Allerdings hat die französische Regierung, um das schreiende Mißverhältnis zu verdecken, noch weitere angebliche Vertragsverfehlungen heranzuziehen versucht: sie sind von deutscher Seite eingehend entkräftet worden, ohne daß die französische Regierung auch nur versucht hätte, die deutsche Beweisführung zu widerlegen. Sie führt keinen einzigen Rechtstitel für ihr vermeintliche« Sanktionsrechr an, es stehen ihr also in diesem Fall nicht einmal Scheingründe zu Gebote. In der Tat handelt es sich um ein Vorgehen reiner Willkür und Geweckt, begangen unter Ausnutzung der Wehrlosigkeit des deutschen Volks. Die Reichsregierung erhebt dagegen vor aller Welt feierlichen Einspruch.
Die Rheinlandkommission hat gleichzeitig die besetzten badischen Gebiete unter den Machtbereich des Brückenkopfes Kehl gestellt. Aber keine Bestimmung des Rheinlandabkommens gewährt der Kommission das Recht, das Gebiet ihrer Zuständigkeit eigenmächtig zu erweitern. Die von ihr ausgesprochene „Billigung" macht die vertragswidrige Maßnahme der französischen Regierung nicht zu vertragsmäßigem Recht. Vielmehr ^eigt dieses Vorgehen erneut, daß die Kommission sich zum Werkzeug hW- französischen Politik machen läßt. Auch gegen diesen Rechtsbruch legt die Reichsregiermrg Verwahrung ein. -
Wegen der Mitwi ' «ng der betreffenden Mitglieder sink» bei der englischen und belgischen Negierung Vorstellungen erhoben worden.
Quellen von Pechelbronn im Elsaß abgenommen hat und obwohl es in Algier und auf Madagaskar unerschlossene Bestände an Petroleum besitzen soll, wird es die nächsten zehn 3ahre von England abhängig sein. Hierin liegt ein europäischer Machtausgleich, gegen den Frankreich durch Sprengung der Lausaner Konferenz vergeblich anzukämpfen suchte. — er.
Französische Selbsttäuschunq
Gar zu gern möchten sie sich einreden, daß die Frmt des Widerstandes, auf die sie gestoßen sind, zu wanken beginne- In Deutschland hat man davon keine Spur gesehen. Die Franzosen suchen sich Mut einzureden, indem sie sich „Erfolge" vormachen, die sonst kein Mensch sieht, und indem sie in Deutschland Dinge wahrnehmen, die ebenfalls kein anderer Beobachter erkennt. Auch die fremden Beobachter in Deutschland haben bisher noch nicht das entdeckt, was man von der Seine her zu sehen vorgibt. Der Berliner Vertreter des Londoner „Daily Telegraph" hat sich vom Kohlenkommissar Dr. Stutz ausführlich erzählen lassen, was er über den Ruhrstreich denkt und wie die Haltung der Bergarbeiter und der Eisenbahner wirklich ist. Und auf Grund eigener Beobachtung fügt der Berichterstatter bei, Cunos Hauptstärke liege darin, daß er zum Symbol der deutschen Einheitsfront gegen die französische Ruhrpolitik geworden sei, und daß sogar die Kommunisten mehr oder weniger mit dem Rest der Nation »ur Linie eingeschwenkt seien. Ein anderer Berichterstatter üvr Blatts schreibt von Düsseldorf aus, im französischen Hauptquartier in Düsseldorf trage man seit der Schließung der Grenze gegen das unbesei^e Gebiet große Zuversichtlichkeit zur Schau, aber Deutschland werde diese Maßregeln nicht ohne Gegenmaßreaeln hinnehmen, und er habe Grund zu der Annahme, daß Deutschland seine Hand schon in einigen Stunden zeigen werde. Auch der Berliner Vertreter der „Times" hat bei den Leuten, die er befragte, ein gut Teil ruhigen Vertrauens angstroffen, wenn er auch nichts gefunden habe, was einer Gewißheit über den Ausgang gleichsah. Frankreich möge eine ganze Reihe von Plänen haben
und ausführen, aber er habe bei seinen Untersuchungen überall gute Gründe gegen diese Möglichkeiten angetroffen. Die Westfalen wichen weder der Drohung noch der Gewalt. Sie seien wesentlich unterschieden von den deutschen Stämmen, mit denen die Franzosen bis jetzt zu tun hatten. Selbst wenn es im Ruhrgebiet Kommunisten geben sollte, so zeigten sie kein Verlangen, den Franzosen in die Hände zu arbeiten. Der deutsche Kommunismus sei gerade so hartnäckig national wie der ausgesprochenste Bourgeois-Sozialismus. Je internationaler er werde, desto nationaler seien seine Ziele, und. gerade jetzt sei er überraschend in einer Linie mit der Regierung Cuno. Soweit man aus den Äußerungen der Sozialisten und der Gewerkschaftsführer im Ruhrgebiet urteilen könne, feien sie allgemein auf der Seite der Unter« nehmer und der Regierung. Der Düsseldorfer Sonderberichterstatter der „Times" sagt übrigens noch ausdrücklich, di« Anzeichen, welche die Franzosen für eine Sinnesänderung anführten, seien nicht sehr überzeugend und böten keinen Beweis dafür, daß die Ruhrbevölkerung irgend etwas von ihrer tiefen Feindseligkeit aufgegeben habe. Wenn es den Franzosen Spaß macht, mit diesen Augenzeugen der Welt den) Eindruck beizubringen, im Ruhrgebiet wie in Deutschland sei man flau geworden, so soll ihnen das unbenommen sein: wie weit sie damit kommen, werden sie bald erfahren. i
Steigende Erbitterung im Ruhrgebiet
Ausweisung des gesamten Eisenbahnpersonals?
Die Stimmung in Paris ist nicht besonders günstig. Man weiß nur zu genau, daß die Reise des Ministers Le Troc» quer nach Düsseldorf, die Hals über Kopf beschlossen wurde,, dem Umstand zuzuschreiben ist, daß die Eisenbahnlinien st» verstopft sind, daß an einen Abtransport wesentlicher Kohlenmengen vorerst nicht zu denken ist. Die wachsende Unzufriedenheit der deutschen Eisenbahner hat einen großen Ein-, druck gemacht. Unter Würdigung dieses Umstandes verbreitet die „Liberte" eine Meldung' ihres Korrespondenten in, Düsseldorf, die, wenn sie wahr ist, von der größten Bedeu-, tung wäre. Er behauptet, unter den Maßnahmen, die Minister Le Trocquer und General Weygand, die sich bekanntlich heute in Düsseldorf aufhalten, ins Auge faßten,' und worüber sie heute nachmittag beraten sollten, sei dis Ausweisung des gesamten Personals dev Eisenbahner aus dem Rheinland und dem Ruhrbecken geplant. Durch diese Maßnahme würd« man leichter Sabotageversuchen entgegentreten können, und anderseits würden die französischen Eisenbahner leichter in, den Stand gesetzt, den Betrieb in regelmäßiger Weise aufrechtzuerhalten.
Wenn man bedenkt, daß es sich hierbei um 60 000 Beamte handelt, also mit Familien um etwa 300 000 Personen», wird man die Richtigkeit dieser Nachricht bezweifeln können.'. Man ist ja seit Sonntag nach dem Einmarsch französischer Truppen in Baden auf allerhand gefaßt, aber man kann nicht glauben, daß eine Maßnahme getroffen werden soll, die nicht mehr mit Ausweisung, sondern mit Deportierung zu bezeichnen wäre. Man würde also eine Bevölkerung von annähernd 300 000 Menschen aus dem Rheinland und dem Ruhrgebiet nach andern Gebieten Deutschlands bringen müssen. Man kann deshalb bezweifeln, daß die französische Regierung die Absicht hat, ein derartiges Wagestück durchzuführen. Aber immerhin, es sind in den letzten Tagen Maßnahmen erfolgt, die selbst in Frankreich Kopfschütteln her» oorgerufen haben.
Bestechungsversuche
Esten. 8. Febr. Die Franzosen versuchen durch Spitzet von dem Personal der Fabriken gegen hohe Belohnung in den Gruben Unruhen hervorzurufen und wichtige Auskünfte zu erhalten. Der Bergarbeiterverband warnt vor diesen Treibereien und fordert erneut die Zrrrückziehung der Truppen.
Die Franzosen und Belgier Haben, Im Gegensatz zu den Behauptungen der Pariser Blätter, bis jetzt noch keine Koh- lensendunaen durch die verschiedenen Ueberwachungsstellen durchgelassen. "
Die französische Regierung hak den früheren deuksch- elsässlschen Finanzbeamken Schweißgukh ins Ruhr- acblek gesandst'^um Vorbereitungen für die Steuer- und Hollbeikreibungen und die Frage der Einführung einer besonderen Geldwährung zu prüfen