(Enztalbote)

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Nummer 31 Fernruf 170

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Das Ergebnis von Lausanne

Frankreichs Verrat an England

Äu! Lausanne erhalte ich folgenden Konferenzberlchi elneS Schweizer Mitarbeiters: Die sogenannte Friedens­konferenz von Lausanne begann Ende November vorigen ZahrS und endet jetzt mit der Aussicht auf Krie g. Die Konferenz selbst war ein zweimonatiger Krieg. Auf dem Schlachtfeld blieben zwei Besiegte: Die Türken und die Franzosen. Die Türken haben durch ihre Starrköpfigkeit fast alle Vorteile verdorben, die durch den Sieg über Grie­chenland errungen waren. Dabei hat es nicht einmal an Ismed Pascha, dem Führer der türkischen Abordnung ge­legen. Er wurde von der Mehrzahl seiner siegberauschten Kollegen überstimmt und zur Unnachgiebigkeik selbst in Fra­gen aufgestachelt, die für die Türkei gar nicht ausschlag­gebend waren. Immer deutlicher fühlte man: Die Türkei will keinen Frieden. Und die Franzosen? Cs war eins Politik der Hilflosigkeit, ein beständiges Schwanken und Zaudern, Fordern und Inkrlguirren. Eine Woche lang wurden die Engländer unterstützt. Dann kamen wieder die Türken an die Reihe, auch die Griechen, mit denen Herr Varrdre anbändelte, auch die Russen. Schließlich landete man wieder bei den Türken. Aber Barrdre wurde abge­sagt. Dieser Diplomat einer längst abgetanen Schule, ver­schlagen, kalt und höflich, heimste in Lausanne einen Miß­erfolg nach dem andern ein und wurde schließlich kurzweg heimgeschickt. Die .leichte' Krankheit, von der er wie alle ausgepumpten Diplomaten im richtigen Augenblick befallen wurde, hat niemand getäuscht. Der verunglückte Ver­treter der .Großen Nation' erhielt eine Fülle vorzeitiger, aber sehr verbissener Nachrufe nachgeschickt.

Dann kam der Schuß in den Rücken Englands: Poin- cars teilte den Türken .hinken rum' mit, der neue Frie- densverkrag sei nicht das letzte Wort, sie sollten lieber nicht unterzeichnen. Wenn Frankreich und Angora wieder allein untereinander seien, dann werde sich alles finden. Dieser Verrat an England wirkte auf die in Lausanne ver­sammelte internationale Diplomatie wie ein Blitzstrahl. Er wird von größter Wirkung auf den nächsten Gang der Weltgeschichte sein. Hinter den Kulissen gesehen war er nur das Eingeständnis der Niederlage Frankreichs auf die­ser merkwürdigsten aller Orienkkonferenzen. ES hak wohl noch nie eine Konferenz gegeben, auf der soviel geblufft wurde. Geblufft haben ssre, die großen und die kleinen Herren in den Lausanner Hotels. Sie manövrierten durch­aus nicht alle geschickt, aber in der Verschlagenheit, dem. süß heuchelnden Lächeln, dem biederen Händedruck, der Irreführung der Presse waren sie erstrangig. Wenn auch überall der erste Vertreter den Anstand zu wahren suchte und sich zu Winkelzügen und unsauberen Manövern nicht herbeilieh, so war er doch die englische und die italie­nische Abordnung möchten wir ausnehmen von einem Geschmeiß übelster Gattung umgeben, das diese Arbeit für ihn besorgte. Vom journalistischen Standpunkt aus kann man ruhig sagen, daß die Orienkkonferenz eine recht widerliche Sache war. Me Presse wird nur mit größtem Unbehagen an die Bedienkenrolle zurückdenken, die man ihr in Lausanne vorbehielk. Die Organisation der Konferenz war mangelhaft. Ehrliche Auskünfte wurden verweigert. Man mußte sich meist mit den lächerlich nichts­sagenden Berichten begnügen, die zeitweise ausgegeben wurden und die geradezu einen Hohn für die Presse dar­stellten. Wenn man die kleineren orientalischen Ver­tretungen näher kennen lernte, diese reich gewordenen Kameltreiber aus Aegypten, diese Profitgier aus Syrien und Palästina, von denen keiner sagen konnte, wer ihm eigentlich dir Ermächtigung gab, so empfand man mit Lord Curzon, der sich mit diesen Leuten herumschlagen mußte, fast Bedauern und Mitgefühl deS »guten Europäers', wie Nietzsche sagen würde.

Hinter diesem Gelichter von .Nationalisten', .Zaglou- lisken' und anderen Patrioten aber stand Frank­reich! Mit diesem Gelichter zusammen bekämpfte eS den Friedensschluh. War das klug? Man stelle sich einmal -ie Lage Frankreichs vor, wenn England um die Meer-

Wildbad, Mittwoch, deu 7. Februar 1923

Fernruf 179

58. Jahrgang

obllifierungsgerüchte!

Tagesspiegel

Der schweizerische Dundespräsident erklärte nach Blätter- Meldungen, dm Gerüchte über eine Mobilmachung in der Schweiz seien verfrüht, es seien aber alle Vorbereitungen ge­troffen. weil mit allen Möglichkeiten gerechnet werden müsse.

Im Saargebiel streiken 75 0öS Bergarbeiter.

Der Sold der englischen Besahungslruppen soll künftig in englischer Währung bezahlt werden.

engen Kämpfen müßte. Sofort wird die englische Diplo­matie die Griechen mobil machen. Diese lauern nur da­rauf, den Türken Revanche zu liefern und um Thrazien zu ringen. Damit aber wird Bulgarien zum Eingreifen er­muntert, das sich eine griechische Besetzung Thraziens nicht gefallen läßt. Sobald Bulgarien marschiert, nehmen auch die Serben und Rumänen das Gewehr von der Wand und dann ist der große Kladderadatsch auf dem Balkan wieder einmal eingeleitet. Ob in diesem allgemeinen Strudel die Stunde Deutschlands gekommen ist, sich von seinem franzö­sischen Peiniger frei zu machen? Man möchte es wünschen und hoffen, aber man wagt diesen Gang der Ereignisse noch garnichk auszudenken. er.

*

von anderer Seite wird uns, in tsllwetsem Gegensatz zu der Mitteilung unseres -er-Mitorbeiters, geschrieben, daß der Abbruch der Konferenz in Lausanne als ein Sieg der fran­zösischen Politik aufgefaßt werde, das den türkischen Wider­stand gegen England heimlich nährte. Trotzdem hätten die Türken durch we' ^ densschluß ermöa Millionen türkis reich blieb als Hauptgläubiger der Türkei unerbittlich. Die Sprengung der Konferenz ist also französische Arbeit. Eng- land will einen Krieg im Orient vermeiden und wahrschein­lich einen Sonderfrieden mit der Türkei abschließen. Die Stimmung der übrigen Vertretungen gegen Frankreich ist nichts weniger als freundlich: niemand ließ sich durch die scheinheiligen Versicherungen Bompards (des französischen Bevollmächtigten) täuschen. *

Dle türkischen Iugestän-nlsse

Die türkische Vertretung erklärte'sich in einer Note an die Friedenskonferenz zur Annahme des größten Teils der Vor­schläge der Verbündeten bereit, so zum Verzicht aus Kana- gatsch (bei Adrianopel), das di» Griechen erhalten sollen. Sie wollten die Bestimmungen über di» Meerengen annehmen und auf eine eigene Garnison in Gallivoli verzichten, ebenso willigten sie in die Abtretung der Inseln. Ferner wurde angenommen, daß deutsches und österreichisches Kapi­tal von allen Finanz- und Wirtschastsunternehmungen in der Türkei ausgeschlossen bleiben solle, daß die 5 Millionen Goldviund. die die Türkei aus dem Kries an Deutschland und

gehaltene Mhiffe zu fordern hätte. Bedingung mar, daß di, Verbündeten die 12 Millionen Pfund Kriegsentschädigung streichen._

Eine neue Hungerblockade?

Frankreich droht mit einer zweiten Hungerblockade. Zunächst sind es die Ruhrbewohner, denen sie gilk. Frankreich denkt allen Ernstes daran, den widerspenstigen Bergarbeitern den Brotkorb höher zu hängen, und wenn auch das nicht hilft, ihn überhaupt zu beseitigen. Es be­steht der unmenschliche Plan, das Auhrgebiet von jeder Lebensmittelzufuhr abzusperren. Unsere Regierung hat zwar diese Maßnahme bereits in die Rechnung ihrer Ab­wehrmaßnahmen gestellt und durch vorzeitigen Ankauf von Fett und andern Nahrungsmitteln auf Monate hinaus für das bedrohte Gebiet vorgesorgt. Auch ist anzunehmen, daß die Engländer das «Loch bei Köln' offen lassen. Dann könnte für den Fall, daß der militärische Ring im Süden und Osten lückenlos geschlossen werden sollte, immer noch von Nordwesten her die Lebensmittelversorgung des Ruhrgebiels ungehindert vor sich gehen. Wir wollen nur dringend wünschen und hoffen, daß die schwere Prüfungs­zeit für die Bedrängten nicht allzulange dauert.

Aber auch noch in einer anderen Beziehung droht unS eins Hungerblockade. Im Weltkriege hätten wir Geld ge­höht, um Lebensmittel zu kauten, aber es fehlte uns an

Lebensmitteln: Jetzt könnten wir Lebensmittel beschaffen, aber et fehlt uns das nötige G e l d d a z u.

Zwar das Papiergeld nicht, lieber 1500 Milliarden Papiermark (gegen 2N Milliarden in der Vorkriegszeit) sind im Umlauf, aber so gut wie ganz entwertet. Seit 11. Januar, dem Tag der Besetzung des Ruhrgebiels, ist sa unsere Mark geradezu vernichtend gestürzt. Poincare hat die Schuld, daß durch seinen ruchlosen Gewaltstreich der Dollar in wenigen Tagen von 10 0Ü0 auf nahezu 50 000 Mark hinaufkletterte. Es ist unter diesen Umständen völlig ausgeschlossen, daß wir mit unserem traurigen Geld auch nur die allernötigsten Lebensmittel aus dem Ausland« kaufen können. Hutten wir keine Guthaben draußen, so wäre eS überhaupt unmöglich und der Hunger würde aufs neue seinen Umzug durch die deutschen Lande halten.

Aber auch so hört man, wie bereits in diesen Spalten auS der Konferenz des preußischen Ministeriums der Volkswohlsahrt berichtet wurde, namentlich seit August 1922 eine steigende Zunahme der Unterernährung weitester Kreise unseres Volkes und damit auch die Zunahme ver- eerender Volkskrankheiten, als da sind Rachitis, Tubsr- loss, Skorbut.

Besonders der von Dr. Hermes unlängst vorgelegts ReichShauShalt gibt unter Hinzunahme der von ihm vorgekragenen Zahlen erschreckende Ausblicke in die düster^ Zukunft unserer Volksernährung.

Selbstverständlich werden davon in erster Linie unser« Mittel st Lndler, also die Kleinrentner, die Witwen und Waisen, die Sozialrentner und Kriegsbeschädigten' und dies trotz aller privaten und staatlichen Beihilfe am empfindlichsten getroffen.

Aber auch bei den Familien, die verdienen, klopft der häßliche Gast deS Hungers immer lauter und derber an die, Türe.

Legen wir die inzwischen allerdings schon stark über­holten Zahlen des Monats November unfern Berech­nungen zugrunde. Damals bezog eln über 24 Jahre alter verheirateter Transportarbeiter monatlich etwa 20 00Ü Mark, ein solcher in der Zuckerindustrie 27 000 -4t, ei« Metallarbeiter 31 600 ^t, ein Beamter der 2. Gruppe mit Zulage für Frau und drei Kindern in Ortsklasse 6 34127 Mark. Rechnet man nun die Auslagen einer fünfköpfigen Familie bei billigster Lebensführung an Lebensmitteln und zwar für Brok, Fleisch, Zucker, Käse, Graupen, Kartoffeln und dies nach dem allernotwendigsten Maß an Kalorien und Eiweis (282 Gramm täglich), so erforderte dies damals einen Aufwand von täglich 798 -k oder monatlich 23 940 Mark.

Nach früher angestellten Ermittlungen verwendete bet Arbeiter und kleine Beamte vor dem Kriege 4547 Pro­zent seines Einkommens auf Einkauf von Lebensmittel« (ohne Tabak und Alkohol). Deute braucht er für denselben Zweck mindestens 70 Prozent seines Einkommens. And mit den anderen 30 Prozent muß er alles andere, Miete- Schuhwerk, Kleidung, Reisen n. a. bestreiten.

Dieses Mißverhältnis zwingt so manchen Familienvaters cm den Lebensmitteln abzukargen. Aber die Folge ist' der Hunger und die letzte Folge, daß der teuflisches Wunsch des abscheulichen Llemenceau denn doch wahr würde, es seien in Deutschland immer noch 20 Millionen. Menschen zuviel. _ kl

Mahnruf an Amerika

Die Gewerkschaften aller Richtungen in Denkschland haben an den Senat und das Repräsentantenhaus der Ber­einigten Staaten einen Aufruf gerichtet, in dem ausgeführt wird: Die Gewerkichafksverbände, die mit ihren Angehöri­gen mehr als die Hälfte der ganzen deutschen Bevölkerung ausmachen, erklären, daß sie im Vertrauen auf Amerikas Versprechen, volle Gerechtigkeit walken zu lassen, Deutschland von der Monarchie zur Demokratie geführt, sich der völligen Entwaffnung unterworfen und dem Verlangen rückhaltlos Ausdruck gegeben haben, für Frieden und internationale Versöhnung zu wirken. Der Deutschs liebt friedliche Arbeit, er läßt sich nicht für unbegrenzte Zeiten zum Sklaven machen oder gar kommende Geschlech-, ter der Knechtschaft ausliefern. Die Besetzung des Nuhrgebiets und der Vertrag von Versailles bedingen aber solche Sklaverei und bedrohen Millionen Deutsche mit Arbeitslosigkeit. Ein unparteiischer Unter- suchungsausschuß wird dies feskstellen können, außerdem daß mitten im Frieden Männer und Frauen aus ihrer Heimaj aussewlesen werde«, weil sie sich weigern,