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Nummer 20

Fernruf 179

WUdbad, Donnerstag, den 25. Januar 1923

Fernruf 179

58. Jahrgang

Das Urteil gegen die Zechenbesitzer!

Das Kriegsgericht in Mainz

Mainz, 24. Jan. Heute vormittag 9 Uhr begann in dem geräumigen Schwurgerichtssaal des Justizgebäudes die kriegs­gerichtliche Verhandlung gegen die Industriellen und Zechen­vertreter des Ruhrgebiets. Der Zuhörerraum war in wenigen Minuten überfüllt. Eine große Zahl von Zeitungsvertretern, namentlich auch aus dem neutralen Ausland, ist anwesend. Kurz nach 8 Uhr nahm eine Abteilung französischer Infanterie mit aufgepftanztem Seitengewehr vor dem Gebäude Auf­stellung.

Der Gerichtshof setzt sich zusammen aus dem Oberstleut­nant de Ragny als Vorsitzenden, einem Major vom 510. Tankregiment, einem Kapitän vom 31. Artillerieregiment und einem Leutnant vom 30. Trainregiment. Vertreter der Anklage ist Militärstaatsanwclt Badin. Die Verteidigung liegt in den Händen der Rechtsanwälte Dr. Grim m-Essen, ^Dr. Neumann-Mainz und Leclerc-Nancy. Schweigen herrscht im Saal, als dieAngeklagten" unter militärischer Bedeckung erscheinen. Erhobenen Hauptes nehmen sie auf der Anklagebank Platz und mit fester Stimme geben sie Ant- wort auf die Frage nach ihren persönlichen Verhältnissen. In ironischer Weise verbessert Assessor Oelfe den schlecht über­setzenden Dolmetscher. Rechtsanwalt Dr. Grill beantragt Unzuständigkeitserklärung des Gerichts aus den bekannten formellen juristischen Gründen. Demgegenüber ist der Mili­tärstaatsanwalt Badin der Ansicht, daß das Militärgericht zuständig sei. Der Gerichtshof erklärt sich nach einer Be­ratung von 8 Minuten für zuständig. Angesichts der durch dis Entschädigungskommission festgestellten absichtlichen Verfehlungen Deutschlands, die der ,respektive«" Re­gierung völlig freie Hand zur Ergreifung jeglicher Maß­nahmen Deutschland gegenüber geben, sei nach dem Völker­recht die Besetzung des Ruhrgebiets gesetzmäßig, also auch die Anordnungen der Besatzungsbehörde. Für die Ueber- tretung solcher Anordnungen sei daher das Kriegsgericht zu­ständig.

Es findet darauf das Verhör der einzelnen Angeklagten statt, zunächst das von Fritz-Thyssen. Bei dem Verhör geben die Angeklagten eine Schilderung der bekannten Vor­gänge. Alle betonen ihre unentwegte Entschlossenheit, von niemanden Weisung erttgeaenzunshmen und zu befolgen, die dm Interessen ihres Vaterlandes zuwiderlauf?. Wir werden der deutschen Regierung die Treue wahren. Wir wollen nie und nimmermehr gegen die Interessen unseres Vaterlandes handeln. Nichts in der Welt kann uns veranlassen, gegen unser Land zu handeln. Das sind die Worte, die immer wieder ertönen und die trotz der starrenden Bajonette vom Zuschauerraum mit Beifall begrüßt werden.

Verschiedene Zeugen bestätigen, daß Anweisungen be­standen, die Kohlenlieferungen an Frankreich und Belgien gegen die zugesagte Bezahlung wieder aufzunehmen, daß aber sämtliche Lieferungen sofort eingestellt worden seien, als das Verbot des Reichskohlenkommissars erschien. Der Sohn des einen Angeklagten, des Generaldirektors Wüsten- höser bittet, ihn an Stelle seines alten Vaters festzusctzen. Direktor Dr. Sp 8 ing von den Thysscnwerken erklärt mit lauter Stimme, er habe, als er zu einem juristischen Gut­achten aufgefordert worden sei, jofort darauf aufmerksam gemacht, daß es sehr schwer für einen Juristen sei, ein solches Gutachten zu erstatten, weil es bisher noch nicht vor gekommen ist, daß ein Heer sich im Frie­den in ein anderes Land begibt. Der Vorsitzende verbietet dem Zeugen weitere derartige Ausführungen.

Militärstaatsanwalt Badin vertritt in der Anklage­rede die Ansicht, daß die Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen durch den Versailler Vertrag gerechtfertigt sei. Die Verordnungen des Generals Degoutte beständen zu Recht und seien rechtswirksam für alle Einwohner des besetzten Ge­biets. Die Angeklagten hätten sich dadurch schuldig gemacht, daß sie einem ihnen ausdrücklich gegebenen Befehl keine Folge geleistet hätten. Darüber hinaus hätten sie gegen eine dem internationalen Recht unterstellte Verpflichtung Deutsch­lands verstoßen, denn sie seien zwar Privatleute, die von ihnen bewerkstelligten Kohlenlieferungen für Reparations­zwecke hätten aber nicht auf privaten Handelsabmachungen beruht, sondern sie hätten dabei im öffentlichen Dienst ge­standen. Die Aufrechterhaltung dieses öffentlichen Dienstes in vollem Umfang habe General Degoutte in seiner Pro­klamation bei der Besetzung des Gebiets besonders gefordert. Zugeben müsse man, daß die deutsche Regierung dem An­geklagten tatsächlich den Befehl gegeben habe, keine Kohlen­lieferungen an Frankreich und Belgien zu machen. Die deutsche Staatsregierung habe kein Recht, di? Angeklagten

Tagesspiegel

Tie Zechenbesitzer standen vor dem Kriegsgericht der Rhcinarmee in Mainz «nd wurden zu hohen Geld­strafen verurteilt.

Rach französischen Blättermeldnngen beabsichtigt Frankreich, sich 2 Jahre im Rnhrgebiet militärisch scstzusetzen und die wirtschaftliche Abtrennung des RnhrgebietS von Teutschland durchzuführen.

Zu diesem Zweck wird die militärische Besatzung ver­stärkt, darunter durch drei französische Jlngzeng- geschwader, aber anch Zollbeamte in großer Zahl sind an die Ruhr entsandt, zwecks Errichtung einer Zollinie.

Tie 666 666 Bergarbeiter des Ruhrgebiets habe« an den französischen General Degoutte ein Ultimatum gerichtet, in dem sie bei Nichtbeachtung ihres Ein­spruchs gegen die Verhaftung der Industriellen den Generalstreik androhen.

Tie Reichsregiernng lehnt alle Vermittlungsversuche kn der Ruhrfrage ab, solange die Rnhrbesetznng und die Pfänderpolitik besteht.

Der afrikanische Senator Borah forderte im Senat eine sofortige Intervention Amerikas in der Ruhr- b se'nng.

zur Nichtablieserung der Kohlen anzuhalten, da dies gegen die übernommenen Verpflichtungen verstoße. Die moralische Verantwortung für die Vergehen der Angeklagten trage die Reichsregierung. Das könne strafmildernd berücksichtigt wer­den. Auf Antrag der Verteidigung wird die Verhandlung um 11.10 Uhr aus '2N Uhr nachmittags vertagt.

Das Llrteil.

Mainz, 24. Jan. Abc s wurde nach einer Un­terbrechung der Verhandlungen das Urteil verkündet. Me Hauptschuld frage wurde verneint, dage­gen wegen Verstoß gegen einen Requisitionsbefehl aus folgende Geldstrafen erkannt:

Fritz Thyssen 566 666 französische Franken, Generaldirektor Kesten 15632 Franken,

Direktor Dlfe 224666 Franken,

Generaldirektor T engelmann 6626 Franken, Generaldirektor Spind! er 47752 Franken, Generaldirektor Wiistenhöfer 8646 Franken.

Im Anschluß an die Nrteilsvrrkündigung begann die Verhandlung gegen Tr. SchlndiuS und Geheim­rat Raiffeisen.

*

Dieses französische Urteil, das jeder Gerechtigkeit Hohn spricht und überhaupt keine Rechtsgrundlage hat. zeigt deutlich die Raubgesinnnng Frankreichs. Es will Geld. Die Verurteilung von Thyssen zu 500 000 fran­zösischen Franken bedeutet eine Summe von rund 766 Millionen Mk. nach der heu igen Valuta. Es ist kein Zweifel, daß diese Summe nicht bezahlt wird. Aber Frankreich will damit nur Vorwände für Eingriffe in das Prtvatvermögen der Zechenbesitzer schaffen. An­dererseits zeigt die Erkennung auf Geldstrafen, daß )as Ultimatum der Bergleute, bei Nichtfreilassung de stechenbesttzer in den Streik zu treten, doch gewirkt ha

Der Krieg ohne Blut

Die deutschen Gegenschlägs

Oer deutsche Krieg gegen den französischen Roubzug ins Ruhrgebiet wird mit unblutigen Waffen geführt. Diese Waffen sind nicht stumpf, und itw Erfolg tritt bereits deutlich in Erscheinung. In sämtlichen Berliner Hotels wei­gert sich das Personal, Franzosen oder Belgier zu bedienen. In den Gastwirtschaften geht kein Kellner an einen Tisch, an dem sich Vertreter dieser beidenSiegernationen" nieder- . lassen- Vrele suchten dann Unterkunft in Pensionen und

Privatlogis. Aber auch hier herrscht fast durchweg eiftge Ablehnung. Infolgedessen haben die in Berlin weilenden französischen und belgischen Staatsangehörigen, soweit sie nicht noch durch Amt und Pflicht zurückgehalten sind, die ungastliche" Hauptstadt der verachteten Boches verlassen und. da der Krieg ohne Blut setzt >m ganzen Reich geführt wird, suchen sie wohl schleunigst ihr Heimatland auf. Dort mögen sie erzählen, daß der deutsche Widerstand eisern und unerbittlich ist. Er wird in den nächsten Tagen zunehmen und nach immer neuen Waffen suchen.

Schon ist ja der Boykott französischer Waren kn vollen Gang. Der deutsche Käufer von Weinen, Likören. Toilette- und Modeartikeln vergewissert sich jetzt genau, ob die Ware, die er erwirbt, nicht aus Frankreich oder Belgien stammt. In den meisten Geschäften ist diese Vorsicht bereit« überflüssig geworden. Die Kaufleute bieten solche Waren nicht mehr an. Am Mittwoch abend wird der Verband der Berliner Spezialgeschäfte über ein einheitliches Vorgehen be­schließen, und dieser Beschluß wird in ganz Deutschland ein bereitwilliges Echo finden. Gewiß ist das alles an sich nur ein schwacher Gegenhieb auf den französisch-belgischen Rechts­und Friedensbruch, aber man kann auch von diesen Maß­nahmen, wenn sie nur einheitlich und energisch durchgeführt werden, sagen: Steter Tropfen höhlt den Stein. Die Regierungen der Betroffenen werden bald einsehen, daß es so nicht weitergehen kann, daß jeder friedliche, wirtschaft­liche Verkehr mit Deutschland unmöglich wird. Das Militär­kommando der Verbandskommission in Berlin hat verfügt, daß die Offiziere und Soldaten der h'er stationierten Ver­bandstruppen in der Öffentlichkeit nicht erscheinen dürfen. Also auch die Amtspersonen des Verbands sind nur noch verkleidet in Deutschland. Sie verdanken diesen wenig an­genehmen Zustand dem Krieg, den Herr Poincare vom Zaun gebrochen hat.

Soweit der private Krieg, der nichtamtliche Kampf, von den Maßnahmen, die die deutsche Regierung trifft, um den feindlichen Gewaltstreichen zu begegnen, sind zwei neue hervorzuheben: Einmal die Ankündigung, daß Staat. In­dustrie und Publikum für die °n Streik geratenden Berg­arbeiter sorgen werden. Die Weiterlöhnung ist gesichert. Sodann das Verbot an die deutschen Mitglieder des Pariser Ausgleichsamts, fernerhin an den Abrechnungen mit Frank­reich oder Belgien teilzunehmen. Jede Beziehung zu den, Friedensbrechern, die sich auf den Versailler Vertrag stützen könnte, wird abgebrochen. Die Begründung: Ihr habt es so gewollt, denn ihr habt den Friedensvertrag zerrissen.

Der wirksamste Schritt, der bisher deutscherseits getan wurde, ist zweifellos die Streikdrohung der Berg­arbeiter und die Zusicherung der Weiterlöhnung durch Regierung und Bolk. Auf einen solchen, großzügig organi­sierten Widerstand hat sich die französische Regierung offen­bar nicht vorbereitet. Bei den Verhandlungen in Essen bat der bestürzte General Simondie Bergleute himmelhoch, sie sollten doch ja nicht streiken oder gar Sabotage verüben, dann werde sich alles finden. Die französischen Eroberer versuchen es also den Arbeitern gegenüber mit dem Zuckerbrot der Anbiederung, während sie gegen die Zechenbesitzer die Peitsche seelischer Mißhandlung anwenden. Für den deutschen Ge­genkrieg gibt es da nur eine Parole: Die Nerven be­halten! Schon äußert sich die Pariser Presse rechi klein­laut über die drohende Streikbewegung, und Poincare muß alle Künste der Phantasie und üebsrredung anwenden, um seine Zeitungen bei der Stange zu halten. Er verspricht, die 450 000 deutschen Ausständigen, wenn es sein muß, durch polnische, italienische und tschechoslowakische Arbeiter zu er­setzen, Er behauptet, das deutsche Kohlenreich mit seinen 80 oder 100 Ingenieuren verwalten zu können (während bis­her 30 000 deutsche Ingenieure nötig waren, die Kohleniöide- rung im Ruhrgebiet zu leiten!). Alles Spiegelfechterei, die den geheimen Wunsch nach Verhandlungen noch verschleiern soll. Beginnen aber einmal die Verhandlungen, jo hat Deutschland diesen Krieg ohne Blut gewonnen!

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