Finanzamt die Eintragung des „Unbedenkllch'cits-Vermerks^ zu beantragen. Wer mißer dem Mobiliar und seiner sonstigen rein persönlichen Habe ke>" Vermögen von mehr als 30 000 Sl besitzt, übrigens ein t de'' heutigen Geldentwer- tung geradezu lächerlich anmutender Betrag —, oder mer als Angestellter ooer Arbeiter sein Steuerbuch vormeisen kann, erhält den Vermerk des Finanzamts gewöhnlich ohne Schwierigkeiten. Die Hinterlegung einer Steuerkautian für zwei Jahre darf von solchen Antragstellern n'ckst gefordert werden. Nur wer „Vermögen", also mehr als 30 000 Ersparnisse besitzt, hat eine vom Fmanmmt festzusetzende Summe zu hinterlegen. Erst dann wird der deutsche Sichtvermerk erteilt, mit dem nunmehr beim zuständigen amerikanischen Kon» sul der amerikanische Sichtvermerk zu beantragen ist. Vorzuweisen sind dabei das „Affidavit", der deutsche Paß, eine weitere Paßphotographie, das Gesundheitsattest, das polizeiliche Führungsattcft, der Geburtsschein und. bei Verheirate- ten, der Trauschein. Für den amerikanisF.n Sichtvermerk ist eine Gebühr von 10 Dollars, und zwar in amerikanischen Noten oder Münzen, zu entrichten. Deutsches Geld, Schecks auf amerikanische Banken, auch Schecks der „American Expreß-Co." werden nicht in Zahlung genommen.
Vielfach wird heute den deutschen Auswanderern von amerikanischen Verwandten die Schiffskarte zugesandt werden. Ist das nicht der Fall, so kann man sich natürlich die Gesellschaft auswählen, mit deren Schiffen man reisen will. Bevor man aber das Schisfsbillet erhält, ist erst noch ein ' Fragebogen mit nicht weniger als 35 Fragen auszufüllen. Die Beantwortung dieser Fragen wird von der amerikanischen Einwanderungsbehörde gefordert. Unter den Frauen befinden sich u. a. folgende: „Zweck und Ziel der Reise?" — „Haben Sie 50 Dollars zrnn Vorweisen bei der Landung?" — „Wenn nicht, wieviel haben Sie?" — Reisende der dritten Kajüte haben sich fünf Tage vor der Abfahrt des Dampfers in der Hafenstadt einzufinden und müssen sich sofort nach ihrem Eintreffen im Bureau der Schiffsgesellschaft melden. S e werden auf deren Kosten bis zur Abfahrt des Dampfers c nguartiert und verpflegt. Reisende der ersten und zweiten Kajüte brauchen erst drei Tage vor Abfahrt des Dampfers in der Hafenstadt zu sein. Sie müssen sich bis zur Abfahrt des Schiffs selbst verpflegen, also im Hotel wohnen. Vor der Abfahrt des Dampfers erfolgen in det Hafenstadt erst noch zwei ärztliche Untersuchungen. Die erste — die Vorunier- fuchung — wird von einem deutschen Arzt, und zwar sehr aründl ch, vorgenommen. Die am nächsten Mittag erfolgende Hauptuntersuchung geschieht durch einen Arzt der amerikanischen Eu-wanderungsbebörde. Sie besteht scheinbar nur in einem harmlosen Vorbeipassieren, da dem Arzt der bei der Voruntersuchung ermittelte Befund ja schon rorliegt. Daher erfolgt die Voruntersuchung auch so gründlich. Auf das eingehendste werden die Augen auf Trachomverdacht geprüft: die Männer haben ihre untere Körperhälfte zu entblößen, sie werden auf Krampfadern und Geschlechtskrankheiten untersucht. Frauen brauchen sich nur in den seltensten Fällen zu entkleiden: bei ihnen stellt der Arzt durch Befühlen des Körpers fest, ob sie Krampfadern haben oder ein Bruchband tragen. Reichsdeutsche Reisende der ersten und zweiten Kajüte. die nicht gesundheitlich verdächtig sind, werden nicht mehr geimpft. Bei der Untersuchung seitens des amerikanischen Vertrauensarztes wird die Fingernäglldiagnose angewandt, die dazu dient, Schlüsse auf innere Krankheiten oder Anlagen dazu zu ziehen, eine Diagnose, der man in Deutschland noch keine besondere Beachtung ichenkt, der aber die amerikanischen Gesundheitsbehörden anscheinend ziemlich große Bedeutung beilegen.
Die Unterkunftsstätten des Norddeutschen Lloyd in Bremen für die Reisenden der dritten Kajüte — früher nannte man sie Zwischendeck — sind wunderschöne Baulichkeiten und stellen eigentlich drei verschiedene Hotels mit Räumen sowohl für Einzelpersonen wie für Familien dar. Ueberall herrscht peinlichste Sauberkeit, besonders in den gemeinschaftlichen Speisesälen, wo für die Gäste der Schiffsgesellschuft auf das beste gesorgt wird. Gesundheitlich unverdächtige Reichsdeutsche unterliegen keiner Beobachtung und können sich un- gehmdert in Bremen bewegen. Von den drei Hotels ist eins, mit dem Namen „Warschau", nur für ostjüdische Auswanderer bestimmt, die hier nach ihrer religiösen Vorschrift verpflegt werden. In der zweiten Halle, „Washington", werden nur christliche Auswanderer untergebracht, und in der Halle „Columbus" können auch Reisende zweiter Kajüte wohnen, die sich selbst verpflegen wollen. Dolmetscher in allen Sprachen der Welt stehen jedem Gast der Auswande'--rhallen kostenlos zur Verfügung.
Am Tage der Dampferabfahrt bringt ein Sonderzug sämtliche Reisende in einer Stunde nach Bremerhaven, wo sie gleich von der Lloydhalle aus an Bord gehen.
Neue Nachrichten
Der Jungdeutschr Orden
Leipzig, 23. Jan. Der Staatsgerichtshof zum Schutz der Repuolck hat plle Verbote des Jungdeutschen Ordens in Preußen, Vr.m, wachsen usw. aufgehoben, da von dem Orden keinerlei Tatsachen vorliegen, die einen Verstoß gegen das Ausnahmegesetz enthalten. Andererseits genüge die bloße Annahme, daß solche Verstöße erfolgen könnten, nicht zur Begründung des Verbots.
Einspruch des Bischofs von Limburg
Limburg a. L.< 23. Jan. Der Bischof von Limburg und die Zentrvmsvartei in Wiesbaden haben gegen die Ernennung des früheren preußischen Kultusministers Hänisch (Soz.) zum Regierungspräsidenten in Wiesbaden beim preußischen Ministerium des Innern Einspruch erhoben, weil Hänisch durch seine Schulerlasse sich als Kirchenseind erwiesen habe.
Nationalsozialisten in England
München, 22. Jan. In der letzten Masfenversan'Ml mg der nationaliozialistischen Partei trat auch ein englischer Bergarbeiter, Henry Bramish, als Redner auf. Er erklärte, er sei eigens von England nach München gekommen um Hitler, den Führer und Gründer der nationalsozialistischen Partei zu hören und kennenzulernen. Er werde in Englai.d ei> e entsprechende Partei gründen.
In Benrath und Köln brachten die Arbeiter auf dem Bahnhof den verhafteten Grubenbesitzern bei ihrem Transport nach Mainz begeisterte Huldigungen dar. obgleich die Bahnhöfe vom französischen Militär scharf bewacht waren.
Poincare amksmüde?
London, 23. Jan. Der Pariser Berichterstatter der „Time." teilt mit, Poincare wolle sich zum Stabträzer der Pariser Anwaltschaft wählen lassen und dies werde wahr- scheinl'ch notwendig machen, daß er Ende Februar sein Mi- Uisteramt niederlege.
Anarchislenanschlag in Paris Paris. 23. Jan. Die 20jährige A. archistin Germain Verton erschien gestern auf der Schrsttleiiung der monarchistischen „Action Francaise" und wollte den Hauptschriftleiter und Abgeordneten Leon Daudet sprechen. Daudet empfing sie nicht Darauf ging die Verton zu dem ebenfalls monarchistischen Blatt „Camelots du Roy" und erschoß dessen Geschäftsführer Plateaux. Sie suchte sich sodann selbst zu erschießen, verletzte sich aber nur leicht.
Serbisch-bulgarischer Grenzzwischensall Belgrad, 22. Jan. Serbische Blätter berichten, daß in der Nacht zum 17. Januar eine bulgarische Komitadschibande das südserbische Dorf Kadsifakowo, zehn Kilometer von Jschtip, überfallen, ausgeplündert, die Bewohner großenteils nisder- oemacht und dann alle Häuser cmgcoündet habe- Die serbische Negierung habe auf den Kopf des Banden'ühreis einen Preis- von 200 000 Dinar gesetzt und den Vorfall allen europäischen Regierungen mitgeteilt.
Württemberg
Kluligarl, 23. Jan. Am letzten Sonntag wurde in den Abendstunden in eine Wohnung des Hauses Wagnerstraße 34 eingebrochen und 140 000 Bargeld, zwei Schecks über 20 000 und 40 000 -4t und Gold- und Silberwaren (Uhren, Bestecke, Armreife, Ohrringe, Siegelring und versch. Dosen) gestohlen. Für Wiederbeibringung ist eine Belohnung von 300 000 °4l ausgesetzt.
Die Städl. Sparkasse Groß Skukgarl übernimmt die bei ihr bis 31. Dezember v. .I. in Verwahrung gegebenen Kriegsanleihestücke zum Kurs von 95, wenn außer dielen Stücken keine anderen Wertpapiere hinterlegt sind und Kriegsanloihestücke den Betrag von 1000 Mark nicht übersteigen.
Todesfall. Die leitende Franziskanerschwester der kath. Töchterschule in Stuttgart, Oberin Adelheid Hoffarth, ist im Marienhospital im Alter von 55 Jahren gestorben.
Beim Schlittenfahren auf den Höhen um Stuttgart herum sind in den letzten Tagen, wie alljährlich, zahlreiche Unglücksfälle besonders Erwachsener zu verzeichnen gewesen.
Beim Fußballspiel in Degerloch wurde am'Sonntag einem Reichswehrsoldaten aus Ludwigsburg der rechte Fuß am Knöchel abgeschlagen.
Heilbronn, 23. Jan. Für das Ruhrgebiet. Die Beamten und Angestellten des Neckarbauamtes yaben beschlossen, zugunsten der von den Franzosen bedrängten Volksgenossen im Nuhrgebiet 3 v. H. ihres Januargehaltes abzugeben. .
Mergentheim, 23. Jan. H ü h n e r d i e b st a h l. Ein hiesiger Hausbesitzer fand morgens in seinen' Hühnerstall nur noch 15 abgeschnittene Köpfe vor.
Rottenburg, 23. Jan. Verkauf. LrauZ und Scheuer de» Engelbert Wiedmaier in der Ehingerlanggasse gingen um den Preis von 1110 000 -4( in den Besitz von Josef Schiebet über.
Ravensburg, 23. Jan. Mord? Der 20jährige hiesig« Vürgerssvhn Franz Grom, der nach Amerika auswandern wollte und schon 4 Monate in Hamburg arbeitete, um das Reisegeld zu verd enen, wurde in Hamburg tot im Bett gefunden. Der Gashahnen war geöffnet. Da die Spargelder fehlten, wird Raubmord vermutet.
1..L. haigerloch (Hohen;.), 23. Jan. Bauernprotest. Eine von den Landwirtschaftlichen Bezirksvereinen Glatt und Haigerloch einberufene, stark besuchte Versammlung in Empfingen am letzten Sonntag sagte der hohen,zollerischen Regierung den schärfsten Kampf der Landwirte an. Verschiedene Reoner sprachen aus, daß die Bauernschaft die bauernfeindliche, einseitig parte'politische Richtung der gegenwärtigen Regierung nicht mehr tragen. Die von der Regierung gewalttätig eingesetzte Landwirtschaftskamm'r könne unter der Führung des Regierungspräsidenten keine sach-' gemäße Arbeit leisten. Die ganze Bauernschaft Hohenzollerns müsse einmütig zum Kampf zusammenstehen.
Gerlinoen, OA. Leonbero 23. J-m. Der Gemeinderat hat den soizaldemokratischen Antrag auf Uebernahme der Geburtshilfe- und Begräbniskosten auf die Gemeindekssse einstimmig angenommen.
Heilbronn, 23. Jan. Selbstmord. In der FriÄtens» straße hat sich ein Fabrikant erschossen.
Allerlei
Noch etwas von der „Lusikania". Professor A Sommerfeld an der Universität München, zurzeit Memorial-Professor an der amerikanischen Universität Wisonsin, Madison, schreibt der „Köln. Ztg." über ein Nachspiel zur Versenkung der „Lusitania", das in den Vereinigten Staaten wohlbekannt ist, aber auswärts wenig beachtet wird: Amerikanische Versicherungsgesellschaften haben sich geweigert, den Hinterbliebenen der mit der „Lusitania" Umgekommenen die Lebens» Versicherungsprämien auszuzahlen. Sie riefen die Gerichte an und stellten durch diese fest, daß die „Lusitania" Munition mit sich führte, und daher nach Kriegsrecht der Versenkung ausgesetzt war. Somit ist durch amerikanische Gerichte entschieden, daß die Torpedierung durch das deutsche Tauchboot berechtigt war. Leider ist diese gerichtliche Feststellung erst erfolgt, als Amerika bereits den Krieg erklärt hatte.
Väckerstreik. Die Bäckermeister in Tennenbronn (Amt Triberg) haben das Backen eingestellt, da sie die hohen Holzkosten nicht mehr erschwingen inw. aus dem vorgsschriebenen Brotpreis nicht heraussmlagen können.
Bilderdiebstahl aus dem Lübecker Dom. Am Samstag nachmittag ist aus dem Dom in Lübeck ein sthr wertvolles Nachbild des berübmten Gemäldes Caravaggio, „Grablegung Christi" aus dem Rahmen aestlmitten -md gestohlen worden. Als Täter kommen zwei Leute !m Alter von etwa 25 Jahren in Betracht, die sich auffallend lang vor dem Bild aufbielten.
Devisenschmuggel. Der Inhaber eines „Jmmobillen- geschöfts" in München wurde wegen Schmuggels und Schiebungen von ausländischen Zahlungsmitteln verhaftet. Werte von 17 Millionen Mark wurden beschlagnahmt.
Schiffsunkergong. Ein polnisches mit Getreide beladene» Schiff ist auf der Fahrt von Danzig nach Antwerpen in der Nordsee vor Cuxhaven gesunken.
Schuldenfreie Stadt. Die märkische Stadt Oranienburg hat durch den "Verkauf eines Wäldchens an eine Magdeburger Holzhandlung eine Einnahme non 17 650 000 Mark erzielt. Nach Tilgung der Stadtschulden von 6 Millionen Mark verbleibt noch ein recht hübscher Rest.
80 Schafe von Hunden zerrissen. Einem Schäfereibesitzer aus Ockholm wurden auf der Feldmark Lütjenbornholdt (Kreis Rendsburg) 80 beste tragende Mutterschafe von um- herstreisenden Hunden zerrissen. Da von dem Fleisch der
gekörten Tiere nichts mehr verwertet werden konnte und der verschont gebliebene Teil der Herde sehr gelitten hat, erwächst dem Besitzer ein Schaden von 7 bis 8 Millionen Mark.
Winternot.
Skizze von Anna Koch-Karlsruhe.
Es war eine silberhelle ..acht. Ter Mond stand voll am Himmel. Alle Tinge trugen ein Gesicht, wie es der Tag nicht kannte. Tie hohe gothische Kirche hing gleichsam in der Luft. Ter spitze Turm trat so klar ins nächtliche Bild, als oa ec nicht aus Steinen gebaut, sondern in den Ae.her hinein mit scherenschnitt- kundiger Hand gezackt worden wäre. Tie Häuserreihen warfen seltsame Schatten. Tie armse.igen Gaslaternen warHp erloschen, g.ekchsam, als wollten sie sich schämen, in dieser SiGernacht eine Rolle zu spielen.
Es war Winter und recht kalt. Die Nacht weit vorgerückt. so daß aus deiarn Gründen wohl kein Mensch mehr weit und breit zu sehen war. Ein Kater, der einsam auf einem Tach mü...le, nahm sich aus wie ein Ungeheuer, das auf Raub zieht. Sonst regte sich nichts.
Vor der Kirche war e-n mit Bäumen und Sträu- chern angelegter P'atz, im Sommer wohl lauschig anzusehen, jetzt kahl und öde. Um einen Brunnen zog sich rings eine Bank, die auch einsam stand, obgleich sie zu anderen Zeiten nicht über Langeweile zu klagen halte. Um das Kirchenportal schlüpften soeben fünf vermummte Gestalten, die sich erst auf der Bank ein wenig aus den Mänteln schälten. Man erkannte fünf Frauen von wundersamer Schönheit.
„Ob sie wohl kommen?" flüsterte die Erste.
„Ich kann? kaum erwarten," sagte die Zweite.
„Mein Herz ist voll schöner Erlebnisse," äußerte die Tritte.
„Ich brenne darauf, meine Schwestern zu grüßen," meinte die Vierte, und die Fünfte lächelte: „Ta sind sie auf die wir warten."
Tie Turmuhr schlug eben die zwölfte Stunde. Wuchtig drangen die Schläge durch die klare Lust. Wie aus dem Schatten geboren, aus dem Schall gezeugt kam es daher gehuscht. Geister- und schemenhaft. Fünf andere Gestalten, mit leeren Augen und schlotternden Gewändern. Die Kälte, die durch kein warmes Tuch abgehalten war, schlug ihnen die Zähne zusammen.
„O Gott!" seufzten sie, „gibts keine Rettung für diese Winternot?"
Tie schönen Frauen, als sie diese Schatten kommen sahen, erhoben sich, um deren Blöse mit ihrem Mantel zu decken.
„Wir haben euch manches zu künden," sagte die Erste mit Tränen in den Augen.
Die Zweite ergänzte: „Wir haben uns ausgemacht in Stadt und Land, diese Eure Not den Mitmenschen zu klagen, ihre Herzen zu rühren und zu sehen, ob es wahr sei, daß die Brüderlichkeit und dys hohe Menschentum ausgestorben wäre."
Tie Dritte versetzte: „Wir haben das Panier unserer Schwester aufgepflanzt vor jedem Haus, daß keiner daran vorübergehen kann, er schlösse denn die Augen, es nicht zu sehen."
Tie Vierte meinte: „Wir haben uns nicht getäuscht, als wir unserem Vorhaben die Tat folgen ließen und Einkehr hielten in jeder. Familie.
„Und" schloß die Fünfte, „unsere Erwartungen sind weit übertroffen worden. Noch lebt die Menschlichkeit, das Menschentum und die Brüderlichkeit. Schmach über die, die es nicht glauben und nicht selbst ausleben wollen."
Tie fünf schemenhaften Gestalten lauschten dieser Botschaft mit ungläubigen Mienen. „Wir glaubten," sagte die Armut, „daß man unser vergessen hätte."
„Wir wagten nicht mehr zu hoffen," klagte die Not, „daß in dieser nüchternen Zeit noch jemand eines Opfers fähig sei, wo jeder nur an sich denkt."
Das graue Elend versetzte: „Mir war zum Sterben heute und die Verzweiflung hatte meine Seele umnachtet. Nun ich Eure Botschaft höre, teure Schwestern. will es wieder licht und hell in mir werden."
„Welch eine himmlische Musik vermeinte ich zu vernehmen," lispelte die Sorge, „nun wage ich mein Haupt wieder zu erheben, denn die Hoffnung ist mein Gefährte geworden."
Zuletzt erhob sich aus gebückter Stellung das Alter, das zitternd diesen Reden zugehört hatte. Sein unverschuldetes Elend war bejammernswert anzusehen. Es hungerte und fror und hatte keine Kraft mehr, sich aufzurafsen zu einem neuen Leben der Wirksamkeit.
Des Mitleids schönes Auge ruhte sinnend aus ihm. Tie Barmherzigkeit streichelte seine welken Hände. Der Glaube sprach gütige Worte, die Liebe deckte seine Blöße und die Hoffnung wies auf das strahlende Firmament.
Das Alter flüsterte: „Ihr seid alle zu uns gekommen, ihr göttlichen Schwestern, uns Hilfe zu bringen. Sag- - tet Ihr nicht, daß die Jungen, die Gesunden, dre Reichen, die Wohlhabenden^ kurz alle Brüder uns helfen wollen?"
„So sagten wir," antwortete die Liebe.
„Sagtet Ihr nicht, daß der Hand- und Kopfarbeiter uns von seiner Zeit etwas opfern will?"
„Gewiß," versetzte die Hoffnung „und dies ist keine Lüge."
„Vernahm ich recht," forschte das Alter weiter, „daß iw Stadt und Land kein Einziger wäre, der nicht auf den traurigen Altar der Not eine Gabe legte für uns?"
„Tu vernahmst recht," erwiderte der Glaube. „Es ist keiner, der sich ausschlösse, es sei denn, daß er sich in alle Ewigkeit schämen müßte, an Euch vorübergegangen zu sein."
„So ists," rief die Not, „ein wundersames LiebeS- werk ist im Gange und der Glaube hat recht behalten, daß die Menschlichkeit, die Brüderlichkeit, noch nicht erloschen, daß sie vielmehr — einmal ausgerufen — zu großen Dingen und Taten bereit ist."
In die Augen des grauen Elends kam ein Leuchtenr „So wird," schluchzte es, „uns dieser Winter nicht gar vernichten, darum, daß unsere Schwestern für uns einstehen mit nieversiegender Tat."
Die Kirchenuhr schlug eins. - -,