in kriegsgerichtlicher Untersuchung und könne daher seine Tätigkeit nicht ausnehmen, bis das Verfahren eingestellt und anerkannt sei, daß er als deutscher Beamter nur deutsche Gesetze zu befolgen habe. Die Franzosen haben den Versuch, den Eisenbahnverkehr durch eigenes technisches Personal auszuführen, wieder aufgegeben. Der Reichsverkehrsminister hat die Zugsbefördervng durch Franzosen und Belgier in einem Telegramm an die Eisenbahndirektion Essen für unzulässig erklärt. Das Publikum sei durch die Benutzung von solch unkundigem Personal den größten Gefahren ausgesetzt. Der Hauytbahnhof Dortmund streikt weiter. Die Verkehrslage ist im allgemeinen aber bis jetzt normal.
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Gegenbefehl der Neichsreglerung
Berlin, 23. Jan. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hat Beamten und Arbeiten, verboten, an der Abholzung der Staats- und Ecmeindewaldungen mitzurvir» ken: das Holz darf durch die Eisenbahnen nicht befördert werden.
Die diplomatischen Vertreter in Paris, Brüssel, London und Rom find angewiesen worden, gegen die Verfügungen der Rheinlandkom Mission vom 13. und 18. Januar für das besetzte Rheinland bctr. Kohlcnverteilung, Beschlagnahme der Kohlensteuer. der Ein- und Ausfuhrabgaben, sowie der Einkünfte aus den Sir als- und Ce.ncindervaldung.'n als einen Bruch des Völkerrechts und des Vertrags von Versailles Widerspruch zu erheben. Dis Reichsregierung habe ihre Beamte darauf Hingelviesen, daß die,Befehle der RI inlandskommission rechtsunwirksam sind und daß ihnen keine Folge gegeben werden dürfe. Gegen dis Mitwirkung des italienischen Vertreters der Kommission wird Einspruch erhoben.
Voykolk
Berlin, 23. Jan. Der Gesamtverein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller hat beschlossen, mit Frankreich und Belgien alle geschäftlichen Beziehungen äbzubrechen und laufende Verträge zu kündigen. Es sollen weder Bestellungen ausgeführt, noch Eisenerze usw von dort bezogen werden. Die Reichsregieruna wurde gebeten, die zollfreie Eiseneinfuhr aus Frankreich, Belgien und Luxemburg aufzuheben und die Einfuhr ganz zu verbieten. Dagegen sollen die Ersenbahnfrachten für die Einfuhr von Kohlen und Lebensmitteln ermäßigt werden.
Die Berliner Wein- und Spirituosenhändler haben die geschäftliche Verbindung mit französischen und belgischen Firmen abgebrochen.
Der Hauptverband des deutschen Großhandels fordert leine Mitglieder auf, mit k>en feindlichen Firmen alle Geschäftsverbindungen zu lösen, solange die Besetzung dauert. Die größeren Geschäfte in München Huben i„ den Schau- Unstern Anschläge angebracht: „An Franzosen und Belgier wird nicht verkauft. Diesen Staatsangehörigen ist das Betreten der Geschäftsräume verboten."
Hilfe für das Ruhrgebiet
Berlin, 23. Jan. Von pommerischen Landwirten sind bereits einige Wagen Lebensmittel ins Ruhrge'net abg.sandt worden. Der Reichslandbund fordert die Landwirtschaft auf, namentlich auch Kartoffeln sofort zu sammeln und abgehen zu lassen. — Die Bürgerschaft in Magdeburg ruft zu Spenden für die Ruhrhilfe auf. 28 Industrielle und Großkaufleute zeichneten als ersten Beitrag 25 Millionen Mark, — die Beamten, Angestellten und Arbeiter der städtischen Erziehungsanstalt Struveshof bei Berlin haben unter sich 57 023 Mark für die bedrängten Brüder im Ruhrland gesammelt. Die Sammlung wird fortgesetzt.
Der 350 000 Mitglieder zählende Gewerkschaftsbund der Angestellten hat beschlossen, seinen Mitgliedern ein Freiheitsopfer von 400 und 200 Mark zugunsten der Mitglieder im Ruhrgebiet aufzuerlegen. Daneben sind schon freiwillige Spenden von über einer Million Mark eingegangen.
Das Personal des Po st s ch e ck a m ts F r a n kf u r t a. M. stellte der Regierung eine Sammlung von 625 000 Mark zur Verfügung als Dank für das treudeutsche Festhalten der westfälischen Prüder.
Von Magdeburg sind Lebensmittel im Betrag von sechs Millionen Mark nach dem Ruhrgebiet abgegangen.
Der christlich-nationale Landarbeiterverband fordert seine Mitglieder zur Abgabe aller irgend entbehrlichen Lebensmittel für die Ruhrbevölkerung auf.
Im Himmelmoos.
Von Hermann Schmid.
86. (Nachdruck verboten.)
Der Gedanke an Engerl, die Sehnsucht nach der liebgewordenen Genossin, feiner Leiden — das war es, was ihn nebenbei vollauf beschäftigte, und so kam es ganz natürlich, daß die beiden Gedankenreihen zuletzt in einander flössen und die Müdigkeit verscheuchten, wenn solche sich einzustellen begann.
Das Gemach lag an der Rückseite des Hauses, nur wenig über die Erde erhaben, in einer Art von Mittel- stockwerk, vor dessen Fenstern die blattlosen Astkronen des Obstgartens sich kreuzten; leichte Läden waren davor angelehnt, aber so sorglos, daß sie nicht ganz fest anschlossen und von den Windstößen gerüttelt werden konnten. Diese waren in der Nacht immer mehr wach geworden und machten die Läden schüttern, daß sie befremdliche Töne von sich gaben, die einer fruchtbaren Einbildungskraft wohl Vorkommen mochten wie menschliche Klaaetöne. Wildl achtete lange nicht darauf, der Gedanke an Engerl, die Pläne, wie er sie auffinden, wie er zu ihr gelangen, wie er sie im Hause als Frau einführen könnte, umspannen ihn immer mehr wie die Ranken einer schnellaufstrebenden Schlingpflanze, und er war so ganz darin verstrickt, daß er fast erschrocken auffuhr, als die Schwarzwälderuhr, welche nebenan in der einstigen Schlafstube des alten Himmelmoosers hing, zum Schlagen aushob und mit eigentümlich singendem Tone Mitternacht schlug.
Aufhorchend blickte er um sich her; denn gleichzeitig hatte ein mächtiger Windstoß abermals an den Läden gerüttelt, als ob eine starke Hand sie von außen aufzustoßen versuchte. Unmittelbar darauf aber trat wieder Ruhe ein; nur die Zweigen rauschten ein wenig nach ; als auch sie verstummten, war es so still, daß man von draußen her jeden Laut, jeden Tritt hören mußte.
Begeisterung in Bayern
München, 23. Jan. Wie die Blätter aus allen Landesteilen berichten, erregt das hartnäckige Aushalten der Westfalen gegen den feindlichen Druck in Bayern freudige Begeisterung. Die bayerische Regierung wird oufgefordert, sich an die Spitze eines bayerischen Hilfswerks für das Ruhr- g.chiet zu stellen.
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Das angebliche Zahlungsfrlslangebot ein Lockmittel
Berlin, 23. Jan. Die Pariser Meldung über das Angebot einer zweijährigen Zahlungsfrist ist nach amtlicher Darlegung nichts anderes als ein Manöver, um in die deutsche Abwehr st im mung vorläufig mit Presseangeboten Uneinigkeit und Zweifel hineinzutragen. Der angeblich von Poincare und Barthou in Aussicht gestellte Zahlungsaufschub ist ein plumper Trick und wird von allen deutschen Wirtschaftskreisen und der Reichsregierung als solcher gewertet. In Paris täuscht man sich, wenn man glaubt, ein Zahlungsaufschub mit Beibehaltung der Pfänderpolitik werde in Deutschland auch nur die geringste Beachtung finden. Die Zahlungsfrist mit derartiger Belastung der Wirtschaft wäre ja auch re n sinnlos. Die Behauptung, daß der Reichskanzler selbst in feinem Schreiben an Vonar Law eine innere Anleihe von 3 Milliarden Goldmark vorgeschlagen habe, ist unwahr; der Kanzler hat keine Summe genannt.. Außerdem ist die deutsche Leistungs - fähig keit durch den Einbruch der Franzosen und die Markentwertung weiter stark vermindert worden.
Die Meinung in England
London, 23. Jan. Hier glaubt man leichte, aber bedeut- same Zeichen feststellen zu können, daß Poincars e'nlenken möchte. Im Parlament würde Vonar Law auf schärfste Gegnerschaft der Opposition stoßen, wenn er dem franzosenfreundlichen Einwirken Lord Curzons oder dem französischen Presseagenten (Rothermere, Bruder des verstorbenen North- cliffe und Herausgeber der „Daily Mail") Gehör gebe. Der „Köln. Ztg." wird versichert, daß die sehr gesunken? Achtung vor Deutschland zusehends im enghf hen Publ.kum steige.
In einer Rede in Glasgow erklärte der Arbeiterführer Ramsay Macdonald: „Wir können nickst beiseite stehen und zusehen, daß die deutschen Hilfsquellen durch die Franzosen verdorben werden."
Der sinkende Franken
Paris, 23. J-n. Der französische Franken hat gestern den tiefst.n Stand . Kri.' erreicht; für ein englisches
Pfund Sterling wurden i).02 ^-"nken berechnet. — Die belgische Nationalbank hat den Diskont:'n 4)1 auf 5^ Proz. erhöht.
Der Abzug der Amerikaner
Koblenz, 23. Jan. Die amerikanische Besatzung wird am
25. Januar nach Antwerpen abtransportiert und dort am
26. Januar eingeschifft. Auf dem Ehrenbreitstein wird die stanzösische Flagge gehißt werden-
Der Raubzug der Litauer ins Memelland
Der Putsch der litauischen Freischärler hat sich zur Komödie gestaltet, deren traurige Begleiterscheinung der Tod einiger Unbeteiligten war. Das ganze Abenteuer als solches läßt die Rolle der fran ösischen Besetzungstruppen und des französischen Oberkommisfars Petisnö als recht kläglich erscheinen. Seck Donnerstag schon westen auf den meisten öffentlichen Gebäuden litauische Fahnen über denen der Verbündeten, trotzdem zwei französische Torpedoboote und ein kleiner englischer Kreuzer im Hafen liegen. Herr Petisnö genießt keinerlei Machtvollkommenheit mehr, und der neue memelländisch-litauische „Gewalthaber", Simonaitis, schaltet und waltet unangefochten.. Simcmaitis gab tüe Erklärung ob, daß er den Oberkomm'sfor nicht mehr anerkenne, wohl aber bereit sei, mit der von der Botjchafterkonfersnz angekündigten Vechands-Sonderkommission zu verhandeln. Der Freistaatgedanke scheint nach dem Erfolg des litauischen Patsches begraben. D e immer noch ängstlich aus Memel abwesenden Freistaatführer, Steputat, Jahn und Kraus, dürften ihre Rollen endgültig ausgespielt haben; die Bevölkerung nimmt sie nicht mehr für ernst und spottet ihrer unnötigen Flucht. Die Art der Freischärler, sich Sympathien zu gewinnen, ist zweifellos geschickt. Requisitionen werden verm.e- den, alle Wyren bar bezahlt. Der neue Eewalthabu Simo-
naltls, einst deutscher Gevichtsaktuar und während des Kriegs ! Reserveoffizier, ein blonder, behäbig ausschender Mann „re- i giert" vorläufig mit Geschick. Eine Aussprache mit dem deut- ^ scheu Bevollmächtigten, Negierungsrat Meyer von Halfern, > ergab die Zusicherung des Simonaitis, daß die im Memelgebiet nach wie vor tätige deutsche Beamtenschaft unbehelligt bliebe und ihre Rechte „voll und ganz" gewahrt würden. ^ Wohl aber scheint Simonaitis die deutsche Währung (im Memelgebiet sind die Reichsmark und Oberostgeld amtliches Zahlungsmittel) abschaffen und die litauische Litaswährung l einführen zu wollen. Er betrachtet übrigens, wie er betonte, se ne „Regierung" nur als eine Art Kabincttswechsel.
lieber die Entstehung des Putlches veröffentlicht die „Großlitauische Memelgauzeitung" - ihr Schriftleiter ist der frühere Schriftleiter der deutschnationalen Kattowitzer ! Zeitung, Bonin —, eine Erklärung, die mck aller Osssnheck . die Beteiligung Litauens zugesteht. Es heißt in ihr, tue s politischen Verhältnisse Polens und die das Memelland be- ^ drohenden polnischen Absichten hätten die Rotwend'gkeit des e Schritts ergeben. Angesichts der Unmöglichkeit. i>n Memelland selbst die erforderlichen Kräfte dakür zu gewinnen, sei man eben nach Litauen gegangen, habe sich dort die not- ) wendige Ausrüstung besorgt und sei dann, nachdem sich nach Freunde und Bekannte angeschlossen hätten, gemeinsam ins ! Memelg^biet zurückgekehrt.
Wie S monaitis heute mstteilt, ist die Grenze nach Litauen wieder geschloffen und der Tätiakeit der Grenz- und Zoll- ck w'ickcker kein Hindernis gesetzt. Der Zuaverkehr m Memel- ^ gebiet wird wieder von der Deutschen Re:chsöahn und mit deutschem Personal fahrplanmäß'g du^^aekührt. ^ Ein- - resie wird immer noch das französische V lu n verlangt. B^st- s markensammler d'"-rfte die bevorstehende Ausgave neuer Post- i Wertzeichen interessieren. ^
Wenn man nach Amerika auswandern will
In der guten, alten Zeit — so darf man gewiß tüe Zeit li vor 1914 nennen — war es sehr wohl möglich, sich abends Zf irgendwo in Deutschland in einen Nachtschnellzug zu setzen,-st morgens in Bremen oder Hamburg anzukommen, dort gegen !» Erlegung einer Anzahl von Hundertmarkscheinen die tele- iz graphisch bestellte Reisekarte erster Kajüte in Empfang zu ck nehmen und eine Stunde später nach Cuxhaven oder Bre- i merhaoen abzudampfen, um noch am gleichen Tag an Bord ' eines unserer Riesendampfer in See zu stechen. Hatte der r Amerikareisende einen Paß, so war das gut, hatte er keinen, ! so war es auch nicht schlimm, wenn er erster oder zweiter st Kajüte fuhr; drüben, am Pier von Hoboken, konnte er sich in ein Auto setzen und als freier Mann im sie.en Land in st sein Hotel fahren. i
Heute klingt das w'e e'n Märchen — es war einmal...! st Wann diese Zeiten wiederkommen werden, das vermag nie- -s mand zu sagen; nur soviel steht fest, daß me zuvor die Aus- Ä Wanderung so unendliche Mühe und Schwierigkeiten gemacht K bat wie heute. Das Schlimmste ist, daß es in Deutschland H immer noch an einer Stelle fehlt, tue den Auswanderer über st die Unzahl von Förmlichkeiten unterrichtet, die cr restlos zu s erfüllen hat, wenn er das kolossale Freiheitsstandbild er- ! blicken will, das am Hafen von Newyor' wie ein Wahr- L Zeichen den Eingang zur Neuen Welt darstellt.
Wer nach den Vereinigten Staaten auswandern rockt, s muß zunächst ein „Affidavit" baden. Es ist das eine Ur- i künde, die die amtliche Bürgschaftserklärung eines cmeri- ' konischen Staatsbürgers darstellt, für den nach Amsckka kommenden Ausländer so lange sorgen zu wallen, bis er auf eigenen wirtschaftlichen Füßen steht. D'ess Verpflichtung muß vor ejnem amerikanischen Notar unter Eid zu Protokoll gegeben werden: nach Lage der Dinge wird sie gewöhnlich von einem Anverwandten erbeten und erteilt werden Ist der Auswanderer in dem Besitz des „Affidavits" gelangt, so beantragt er bei der Polizeibehörde seines Wohnorts die Ausstellung eines Auslandsreisepasses und eines Führungsattestes. Dem Antrag sind zn-?> Bob>i'^warl'vbicn beizu- lcgen. Darauf hat man sich aus eigene Kosten ärztlich unter- I suchen zu lassen. In dem ärztlichen Zeugnis muß bescheinigt § sein, daß der Antragsteller weder an ansteckenden oder ekel- t erregenden Krankhe'ten (z. B. Kopfgrind), noch an Trachom ^ — der ägyptischen Augenkrankheit, die ja in Deutschland nur s sehr selten vorkommt —, Krampfadern oder an einem Bruch j leidet. Wer ein derartiges Ls'den hat und es nicht vorhei ' ausheilen läßt, darf nicht in den Vereinigten Staaten landen. : Die Union will nur ganz gesunde Emwnnderer haben. Vor f Erteilung des deutschen Sichtvermerks ist beim znständ'gen !
Plötzlich drang durch die augenblickliche Stille ein eigentümlicher Klang; die Fensterläden flogen auf, daß sie rücklings an den Wänden zu beiden Seiten anschlugen, und zugleich klopfte es deutlich an der Fensterscheibe — es war ein Ton, welchen der Wind nicht Hervorbringen konnte und der unverkennbar von den Fingern einer Menschenhand herrührte, die an die Scheibe geschlagen hatte.
„Was der Wind für eine Gewalt hat!" sagte Wildl, sich erhebend, und schritt zum Fenster. „Oder sollt' an dem Gerede von der Waitz doch etwah wahres sein? Das ist ja gerade die Geisterstunde. Ich muß den Laden nur wieder anlegcn, sonst gibt'A die ganze Nacht keine Ruhe."
Er stellte die Lampe beiseite, damit beim Oefsnen des Fensters nicht ein plötzlicher Windstoß dieselbe auslösche. Er hatte auch recht mit dieser Vorsicht, denn als er das Fenster öffnete, fuhr der Wind wie absichtlich mit einem gierigen Stoße in die Stube, daß er Mühe hatte, die Läden zu fassen und wieder anzulegen. Als er sich wieder der Stube zuwendete, war es klar, daß es nicht der Wind allein gewesen, der die Läden losgemacht, sondern daß wirklich ein Mensch an die Scheibe gepocht hatte. Mitten in der Stube lag, feucht vom Schnee, ein Blatt Papier auf dem Boden, offenbar von jemand auf das äußere Sims gelegt und vom Winde hereingeweht.
Er nahm es auf. Es war ein Stück groben Papiers, von ungeübter Hand geschrieben, mit Zügen, welche durch die Witterung noch undeutlicher geworden waren, als sie schon an sich gewesen. Er zog den Docht der halb erlöschenden Lampe in die Höhe und las:
„Lieber Bub'! Du wirst schon erfahren haben, daß ich fort bin, weil ich den Leuten aus dem Wege gehen will und auch Dir. Ich kann mir wohl einbilden, daß Du mich suchen wirst, ich will mich aber nicht finden lassen, es ist ja doch aus mit uns zweien für diese Welt. Es hat nicht sein sollen, daß wir zusammenkommen, und
darum will ich nicht haben, daß Du an mich denkst. Aber nein! Das will ich auch nicht haben. Ich möchte schon, daß Du an mich denkst, weil ich auch an Dich denken werde, bis ich tot bin. Deswegen schreibe ü„ Dir, daß tun sollst, als wäre ich nie ans der Welt gewesen. Es wäre eine Sünde, wenn wir zwei zusammenkommen wollten; also könnte auch kein Glück dabei sein und kein Segen. Darum frage mir nicht nach! Du kannst mich doch nicht auskundschaften, und wenn Du es auch könntest, dein toter Vater steht zwischen uns. Ich will dich nicht verdammen, aber leben könnte ich nicht mit Dir. Also, behüt' Dich Gott, lieber, lieber Bub'! Laß Dir's gut gehen, recht gut! Ich bet' schon für dich. Ich sag' Dir noch 'mal von Herzen tausend: Behüt' Gott! Engelberta." Etwas weiter unten stand noch eine Zeile:
„Da ist eine Zäher ans meinen Namen gefallen und hat ihn fast ausgelöscht. Du wirst es aber doch schon lesen können, wer das geschrieben hat."
Noch geraume Zeit, nachdem er gelesen, starrte Wildl auf das Blatt und beugte sich darüber — die Spannung, die den ganzen Tag über angehalten, ließ nach; eine Träne trat ihm ins Auge und kugelte über Wange und Bart auf den Brief, gerade auf die Stelle, wo Engerl's Träne den so teueren Namen bis zur Unkenntlichkeit gelöscht hatte.
Es stand alles wirklich so da. Je heißer seine Gedanken und Wünsche noch eben bei der Geliebten verweilt, je plötzlicher erkalteten und erstarrten sie nun, als wäre ein Guß eiskalten Wassers über schmelzendes Erz geschüttet.
„Also sie glaubt es auch," sagte er mit gebrochener Stimme vor sich hin. „Sie kann es auch glauben; sie hat nicht das Herz, zu mir zu halten. Dann ist auch ihre Liebe nicht die rechte; dann muh ich schon schauen, wie ich einschichtig zurechtkomme." Er öffnete das Fenster, zerriß den Brief in Stücke und iibergab sie dem Sturmwinde, der sie bereitwillig von hinnen trug.
(Fortsetzung folgt.)