Wader

(Enztalbote)

Amtsblatt für W''dbad. Chronik unk» Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack Wildbad

EM

Nummer 19

Fernruf 17»

Wildbad, Mittwoch, den 24 Januar 1923

Fernruf 179

58. Jahrgang

Wegen 9 Prozent!

Wir sollen mit 9 Prozent m unseren Kohlenlief rungen im Rückstand sein. Daher die Besetzung der Ruhr von Düsseldorf bis Dortmund, daher mehr als 50 000 Mann in kriegsmäßige: Ausstattung im Herzpunk; der deutschen In­dustrie, daher die furchtbare Aufregung in ganz Deutschland, Sturz der Mark, Teuerung, Steigerung der Wohnungsnot, drohende Arbeitslosigkeit und noch viel anderes Elend-

S Prozent! Und 10 Prozent Rückstände gibt's bei allen großen Kohlenlieferungen, ohne daß man ein solches Geschrei macht. Warum aber jene 9 Prozent? Erstens haben die Franzosen durchschnittlich 3 Prozent unserer Lieferungen an Kohle wegen angeblicher Minderwertigkeit abgelehnt. Zwei­tens gab's im Februar einen großen Streik. Drittens hatte der Rhein zu wenig Wasser und erschwerte so den Abtrans­pott, der nach dem Abkommen von Spa zu einem Viertel auf dem Wasserwege zu erfolgen hatte.

Wie aber steht es mit diesem Abkommen? Die Ge­samtmenge der in Deutschland vor dem Kriege jährlich ge­förderten Steinkohlen betrug rund 187 Millionen Tonncn. Nach dem Vertrag von Versailles nun hätte Deu.schland 1919: 43 Millionen Tonnen. 1920: 44,5, 1921: 46, 1922: 46,5, 1923: 47,1924: 35 Millionen Tonnen abzuliefern. Die Ablieferung begann mit dem 30. Mai 1920. Wir waren aber so nobel uno lieferten schon vorher 6 384 346 Tonnen ab. Im Juni und Juli 1920 brachten wir es jedoch zusammen nur zu 4,71 Millionen und erklärten deshalb in Spa, daß wir, nachdem man uns das Saargebiet und Lothringen genommen hatte, unmöglich mehr als 1,1 Millionen Tonnen monatlich ab­geben könnten. Gleichwohl bestanden die Verbündeten auf der Forderung von monatlich 2 Millionen Tonnen, und zwar für dis 6 Monate 1- August 1920 bis 31. Januar 1921. Und richtig, wir kamen unfern Verpflichtungen bis auf einen rück­ständigen Rest mit 700 000 Tonnen nach.

Aber Frankreich tat nicht seine Schuldigkeit. Es war verpflichtet, für jede Tonne eine Prämie von 5 Goldmark zur Beschaffung von Lebensmitteln für die Bergarbeiter zu ent­richten. Dafür waren wir gehalten, beste Kohle zu liefern. Wir bekamen aber statt 33 nur 19 Millionen Goldmark.

Im Juli 1922 kam der Verlust O b e r s ch l e s i e n s, das uns in der Vorkriegszeit nicht weniger als 40 Millionen To. jährlich eintrug. Drei Viertel dieser Menge fiel dem räuberi­schen Palen als Geschenk des famosen Völkerbundsrats zu. Wir erklärten daraufhin, daß wir fürderhin nur 1,34 Millio­nen Tonnen monatlich liefern könnten Hals nichts. Die Entschädigungskommission diktierte uns 1,6 Millionen. Außer­dem hätten wir noch 125 000 Tonnen monatlich den Polen aus Ost-Oberschlesien abzukaufen.

Frankreich reichte nun bei der Entschädigungskommisston eine.Denkschrift ein, worin u. a. bemerkt war, Deutschland habe 1913 nicht weniger als 17,8 (also moncnlich 1,483) Mil­lionen Tonnen nach Frankreich und Luxemburg ausgeführt. Es liege alsoböser Wille" vor, wenn Deutschland jetzt plötz­lich nicht einmal 1,6 Millionen Tonnen abliefern wolle. Ge­wiß, wir konnten das 1913. Aber damals hatten wir Loch­ringen und vor allem die Saarbergwerke, die man uns bekanntlich, wegen angeblicher Zerstörung der nordfranzöfi- sischen Bergwerke, durch den Versailler Raubvertrag abge­brochen hat. Das ist also die wabre Sachlage. Frankreich macht uns aus einem Rückstand von etwa 9 Prozent ein himmelschreiendes Kapitalverbrechen, das mit den aller­schwerstenSanktionen" geahndet werden müsse. Gleichzeitig aber kam es seinen eigenen vertragsmäßigen Verpflichtungen sehr schlecht nach: 1. lieferte es uns an Prämie 14 Millionen Goldmark weniger, 2. hat es die übernommene Verpflichtung, in erheblicher Weise für eine Verbesserung der Ernährung der Ruhrbergarbeiter Sorge zu tragen, ganz unvollkommen erfüllt, 3. ist es der weiteren Zusage, die Pfalz mit Saarkohle -u beliefern, überhaupt nicht nachgekommen.

Wer in einem Glashaus sitzt, soll bekanntlich nicht mit Steinen werfen.

Im übrigen ist es Frankreich weniger darum zu tun. um für sich möglichst viel Kohle zu erhalten. Nein, es weiß sehr gut:Deutschland steht und fällt mit der Kohlenförderung". Und Frankreichs Wille ist es, daß esfallen" soll. Im Jahr 1920 wurden an der Ruhr 6 398 060 Tonnen (1913: 9 545 000 Tonnen) gefördert. Davonfollcn.llnr 1WW abftejeru und

Tagesspiegel

Lin Rechtsgutachten der englischen Justizbehörde bezeichnet die Ruhrbesetzung als einen Bruch des Ver­sailler Vertrags.

In seiner Zurückweisung des deutschen Einspruchs gegen die Verhaftung der Zechenbesttzer droht Poin- car6 neue Erpressungsmatznahmen an.

Der Präsident des Landesfinanzamts Köln, Hähling von Lanzenauer, ist wegen Nichtbefolgung des Aus­weisungsbefehls von den Franzosen verhaftet wordcn.

Die Leiter der Zechen des Ruhrgebiets lehnen in einer mannhaften Erklärung erneut die Befolgung sranzössischer Befehle ab.

Die Reichsregierung beabsichtigt, für das Ruhr­gebiet eine allgemeine Sammlung im ganzen Reich zu veranstalten. In Stuttgart sind bis heute früh allein schon annähernd 6 Millionen Mark eingegangen

daneben sollen doch die Eisenbahnen, die Gasanstalten, die Elektrizitätswerke ihre Schuldigkeit um. der Hausbrand be­friedigt werden, Landwirtschaft und Industrie lebensfähig bleiben! Mit Recht gab am 24. Juli 1920 der Reichswirt­schaftsrat die Erklärung ab, in dem Kohlenabkommen von Spa liegeeine Belastung des deutschen Wirt­schaftslebens vor, deren Folgen unüberseh­bar" seien. ^

Kriegszustand"

Bonn, 23. Jan. Der französische Kommandant In Bonn hat eine studentische Feier der Gründung des Reichs am 18. Januar mit der Begründung untersagt, zwischen Frankreich und Deutschland bestehe Kriegszustand.

Essen, 23. Jan. Bis jetzt sind die Kohlenzüge ins unbe­setzte Gebiet ohne Schwierigkeiten durchgekommen. Nur in Dortmund gab es ernste Störungen, da das deutsche Per­sonal wegen der Verhaftung der Bahnhofoberbeamten die Arbeit niederlegte. Die Franzosen beschlagnahmten die Loko­motiven und machten den verbrecherischen Versuch, die Züge mit eigenem Personal abzulassen. Ein Zug wurde nach Essen abgelassen, der alle Signale einfach überfuhr und nur durch em Wunder nicht schweres Unheil anrichtete.

Nach französischen Angaben sollen vom 18. bis 22. Januar 24 000 Tonnen Kohlen und 6000 Tonnen Koks auf dem Wasserweg nach Frankreich gebracht worden sein.

Köln, 23. Jan. Der Präsident des Kölner Landesfinanz­amts Hähling v. Lanzenauer weigert sich, dem französischen Ausweisungsbefehl Folge zu leisten. Er be­sucht sein Amt weiter.

Präsident vonLanzenauerist gestern abend im Bei­sein englischer Offiziere verhaftet und nach Bonn abge- fühtt worden. Die Engländer erklärten aus die Frage Lan­zenauers, der englische Befehlshaber habe seine Genehmigung zur Verhaftung erteilt. Als Lanzenauer aus die Straße trat, um den Kraftwagen zu besteigen, brach das Publikum in stür­mische Hochrufe aus.

Die Meldung der Ausweisung des Landrats v. Stein in Zell a. Mosel soll sich nicht bestätigen.

Der Oberbefehlshaber desenglisschenBesetzungs- gebiets (Köln und Umgebung) wird laut Köln. Ztg. keine weiteren Ausweisungen oder Verhaftungen deutscher Persönlichkeiten durch die Franzosen in diesem Gebiet vor­nehmen lassen, bis er von se'ner Regierung neue Anweisun­gen erhält. Die erbitterte Stimmung seiner Truppen veran- faßte ihn zu dieser Stellungnahme.

Das englische MattCologne Post" warnt vor einem Pariser Bericht, daß deutsche Geheinwerbände einen An­griff auf die Truppen im Ruhrgebiet vorbereitm.

wieder eine französische Blukkat

Köln, 23. Jan. Ein französischer Offizier, der ein Mäd­chen beim Dom auf der Straße in schamlosester Weise be­lästigte, wurde von deren Bräutigam zur Rede gestellt. Der Franzose zog ohne weiteres seinen Revolver und gab auf den jungen Mann mehrere Schüsse ab, non denen einer ein ande­res vorübergehendes Mädchen verwundete. Vor der erregten Menge ergriff d»r Franzose die Flucht.

Belgischer Bankraub

Aachen, 22. Jan. Die Reichsbank in Berlin hat an die Bantstelle in .Aachen, telegraphisch mitgeiejj.t, die Lautstell«

werde nicht eher wieder geöffnet, bis die Belgier das weg­genommene Geld zurückerstattet und die Zusicherung ge­geben haben, daß sie sich künftig jedes Eingriffs in den Reichsbankbetrieb enthalten wollen. Bis dahin unterbleiben auch Berliner Geldsendungen nach Aachen.

Einfache Antwort Poincares

Daris, 23. Jan. Auf den Einspruch des deutschen Ge­schäftsträgers gegen den Mord in Bochum antwortete Poin- care, er habe darauf hinzuweisen, daß nach den allgemeinen Grundsätzen jeder Versuch, die Sicherheit der Be­satzungstruppen zu gefährden, streng unterdrückt werden müsse. DasDeutschlandlied" ist ohne Zweifel in hohem Maß geeignet, um dieSicherheit" des französischen Heeres zu gefährden.

Die Blätter behaupten, die Besetzung solle bis Münster und Hannover (dem Wohnsitz Hindenburgs) ausgedehnt werden. Hindenburg wird den Franzosen wohl schwerlich den Gefallen tun, ihnen Gelegenheit zurUeberwachung" oder zu persönlichem Verkehr irgend welcher Art zu geben,

Ahrens freigelassen

Buer, 23. Jan. Der Leiter der Staatsgruben, Oberberg­rat Ahrens, ist von den Franzosen gegen eine Sicherheit von 100 000 Mark freigelafsen worden und unter ungeheurem Jubel des Zechenpersonals auf seinen Posten zurückgekehrt. Die Franzosen haben die Besetzung aus den staatlichen Zechen zurückgezogen. Es wird weiter gearbeitet. , .. .,

Ein neues Ansinnen "

Bochum, 23. Jan. Die Besetziingsbehorde eröffnete dem Zollrat Faust, das Hauptzollamt Bochum solle in ein Lan­desfinanzamt umgewandelt werden, damit es von dem ihm übergeordneten Landesfinanzamt Münster unabhängig werde. Faust solle Vorsitzender Les Londesfinanzamts wer­den. Dieser lehnte es ab, auf den Plan einzugehen, da er nur den Zweck verfolgt, die gesamten Zölle und Stenern aus dem besetzten Ruhrgebiet in Bochum festzuhalten und den Franzosen nutzbar zu machen.

Die Gewerkschaftsvertreter aller Richtungen haben dem französischen Zivilkommissar erklärt, daß die deutschen Ar­beiter es ablehnen, Sklavenarbeit für Fremde zu leisten.

Streik auf den Siinnes-Zschen

Essen, 23. Jan. Die Arbeiterabordnung der Stinneszechen wollte dem General Degoutte in Düsseldorf einen Ein­spruch gegen die Verhaftung ihres Generaldirektors über­geben, sie wurde aber nicht vörgelassen. Es wurde sodann be- schlossen, von Dienstag an aus sämtlichen Stinneszechen die Arbeit einzustellen.

Eine Abordnung der Beamten. Angestellten und Arbeiter der Thyssenwerke und der übrigen Zechen, deren Be- sitzer und Direktoren verhaftet sind, reiste nach Mainz, um bei General Degoutte einen Protest gegen die Verhaftung anzubringen. Die Abordnung erhielt die Antwort, der Ge­neral befinde sich in Duisburg; alle Bemühungen seien zweck­los, denn an den Befehlen des Generals sei nichts zu ändern.

Gemeinsame Abwehr der Gewerkschaften

Duisburg, 23. Jan. Die Gewerkschaftsvorstände haben einstimmig beschlossen, daß Mittel, Ott und Zeit des Abwehr­kampfes nur gemeinsam von den Gewerkschaftsleitungen be­stimmt werden.

Mainz, 23. Jan. Alle Betriebsräte von Mainz haben gegen das Vorgehen der Franzosen gemeinsam scharfen Widerspruch erhoben.

Fernsprechsperre

Essen, 83. Jan. Sämtliche Fernsprechstellen des Ruhr- aebiets führen für Franzosen keine Verbindungen aus. Die Franzosen legen eigene Leitungen an. Wo sie sich der Fern­sprechstellen bemächtigt haben, gerät der Fernsprechverkehr in Unordnung.

Der französische Kommandant teilte den Post- und Tcle- graphenbeamten mit, daß die verhafteten Direktoren frei­gelassen seien; es liege in beiderseitigem Interesse sür Post und Besatzung, Hand in Hand zu arbeiten. Die Vertretung der Beamten und Arbeiter erklärten darauf, daß sie nach wie vor sich nur an die Weisungen ihrer rechtmäßigen Regierung gebunden halten.

Normale Verkehrslage

Essen, 23. Jan. Die Franzosen haben den verhafteten. Elsenbahndirektionspräsidenten Jahn gebeten, sein Amt wieder zu übernehmen und den Verkehr im Dortmunder Be­zirk in Ordnung zu bringen. Jahn erwidert«, er befinde sich.