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(Enztalbote)

Amtsblatt für M'dbad. Chronik und Anzeigenblatt

für das obere Cnztal.

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Druck der Buchdruckerei Wilddader Tagblatt: Berlag und Schriftleitung Th. Gack iu Wildbad.

Nummer 18

Fernruf 179

Wildbad, Dienstag, den 23. Januar 1923

Fernruf 179

58. Jahrgang

Z

Der Krieg im Ruhrgebiet.

ES ist nun kein Zweifel mehr: im Ruhrgebiei geht es hart auf hart, um Leben oder Tod Tie bruta.e Gewalt der Franzosen will es so. Ihre Massenbeförderung von Truppen ins neu besehe Ge­biet, die Beschlagnahme deutscher Reichs- Privat­gelder, die Besetzung von staatlichen Zeche r, die Ver­haftung führender Industrieller und deren kriegs­gerichtliche Aburteilung in Mainz am Dienstag, die Eingriffe in das Transportwesen und das rigorose Vor­gehen gegen Bahn- und Steuerbeamte hat die Atmo­sphäre zur Hochspannung gebracht. Tie Eingriffe in das Eisenbahnwesen haben bereits als Protest gegen die französische Gewalt einen 24stündigen Streik bei den Eisenbahnbeamten und -Arbeitern ausgelö"-. Tie Fortdauer der Haft der Industriellen wird oder hat zur Stunde schon einen Streik der Bergarbeiterschaft entfacht, soweit es sich um dis. der Zechen des Thhssen-Konzerns handelt. Aber auch andere Arbeiterverbände stehen vor dem Streik. Tie wirtschaftlichen Beschlagnahmeversuche der Fran­zosen stoßen überall auf den starken geschlossenen Abwehrwillen der Arbeiter- und Beam­tenschaft. So müften si h die Pfänderbeschlagnahmen bald tot laufen, und dann werden Frankreichs Ver- nihtungsziele in deutliche Erscheinung treten. Und die Fragen gehen dann dahin: Wird Deutschland so stark sein und durch Geschlossenheit die Abwehr durchhalten und wird die übrige Welt diesen Bölkerrechtsbruch. diesen Krieg im Frieden weitsrgehen lassen?

Streik der Bergleute.

Düsseldorf, 22. Jan. Fünfzehn Betriebsratsmitglie­der der Thyssen'schen Werke haben Einspruch gegen die Verhaftung von Fritz Thyssen erhoben. Sie haben dem Oberst Denvignos, bei dem sie sich als Vertreter von 4-5 000 Arbeitern vorgestellt haben, dis sofortige Stillegung der gesamten Thyssen- schsn Werke angekündigt, falls Fritz Thyssen nicht sofort auf freien Fuß gesetzt wird. Tie Bergleute der Aeche Sterkrade", die die Arbeit niedergelegt hatten, weil die Grube von Militär besetzt .worden war, sind wieder eingefahren, da inzwischen die Soldaten wieder von der Grube zurückgezogen worden sind.

Proteststreik der Eisenbahner.

Bochum, 22. Jan. Tie Eisenbahner des neu be­setzten Gebietes sind am SamStag in einen 24stnndigen Proteststreik eingetreten. Ter Personenverkehr rnht vollständig.

Eine Protestnote der deutschen Regierung.

Berlin, 22. Jan. Die Reichsregierung hat an dis französische Regierung eine Note überreichen lassen, in der sie gegen das gewalttätige Vorgehen der fran- ' zösischen Truppen gegenüber einer friedlich demon­strierenden Menge in Bochum, bei dem ein jugend­licher Arbeiter getötet, mehrere Perso­nen schwer v er letzt wurden, den schärfsten Protest einlegt und sich vorbehält, für die dem Gewaltakt zum Opfer gefallenen Personen volle Ge­nugtuung zu fordern.

Tie verhasteten deutschen Industriellen nach Mainz überführt.

Paris, 22. Jan. Wie die Blätter berichten, sind die sechs verhafteten deutschen Industriellen, darunter Fritz Thyssen nach Mainz überführt worden. Die kriegsgerichtliche Verhandlung ist auf Dienstag, 4 Uhr nachmittags, festgesetzt worden. Der Sohn des verhasteten Generaldirektors Wüstenhoefer hat sich nach Mainz begeben, um die dortige Besatzungs­behörde dringend zu ersuchen, seinen alten und kränk­lichen Vater aus der Haft zu entlassen und dafür ihn "selbst inhaftieren zu wollen. Diese Nachricht wirkt umso erschütternder, als sich die verhafteten Herren nicht, wie vielfach angenommen, in Ehrenhaft, son­dern im MilitärgesängniS befinden.

Ter Reich? 'er dankt den deutschen Märtyrern.

Essen, 22. Jan. Reichskanzler Tr. Cuno hat an Herrn Fritz Thyssen in Mülheim a. Ruhr foflaendes Telegramm gesandt: Im Namen der Reichsregierung Lanke ich Ihnen für die bewiesene Festigkeit und

Truppensendungen.

Tages5pieyel

Die Verhandlung gegen Thyssen und die übrigen Ver­hafteten aus dem Ruhrgebiei vor dem Kriegsgericht in Mainz beginnt am 24. Januar, vormittags S Ahr.

Ein Beamter der Bad. Anilin- und Sodafabrik, der in der Reichsbankstelle in Ludwiashafen Lohngelder erhoben halte, wurde auf die Kontrollstelle gebracht.

Bei der Zerlegung von Leuchtpatronen in der Kasematte der ehemaligen Festung Ingolstadt wurden S Frauen und 2 Männer durch Explosion getötet. Die Patronen sollten zu einem Feuerwerk verwendet werden. Der Unternehmer, der die notwendigen Schutzmaßnahmen versäumt hatte, wurde verhaftet«

Pflichttreue. Aus der Fülle rechtswidriger Verhaf­tungen greife ich die Ihre heraus und drücke mit diesem Gruß gleichzeitig allen anderen tapferen Män­nern die Hand, die zum Heil der Volksgesamtheib gegen Gewalt und Beraubung persönliche Freiheit ein­setzten. Es ist unser Stolz und unsere Zuversicht, daß Arbeitnehmer und Braune in gleicher Treue zu Reich und Nation stehen. Je brutaler die Gewalt, desto stärker unser Recht und unsere Hoffnung.

Verhaftung des Eisenbahnpräsidenten Jahn. Essen, 22. Jan. Der Eisenbahnpräsident Jahn und sein Vertreter Pusch sind verhaftet worden. Die bei­den Herren befinden sich in ihren Arbeitszimmern unter französischer Bewachung und können keine Amts­handlungen vornehmen.

Berlegung des französischen Hauptquartiers nach Essen Paris, 22. Jan. Wie die Blätter berichten, hat General Degoutte sein Hauptquartier von Düsseldorf nach Essen verlegt.

Tie englische Arbeiterschaft gegen die Ruhrbesetzung.

Glasgow, 22. Jan. Vor einer großen Arbeiter- Versammlung behandelte ein eng.ischer Arbeiterführer die Frage der Ruhrbesetzung. Er bestand darauf, daß die ganze Angelegenheit dem Haager Schiedsgericht oder dem Vöikervund zur Entscheidung vorgelegt würde Gleichzeitig sprach er sich für den Rückzug der englischen Truppen vom Rhein aus, um die ge­genwärtige französische Politik nicht zu unterstützen. Ter Redner sprach ebenfalls einer antisranzösischen Politik das Wort durch einen wirtschaftlichen Vertrag zwischen England und Deutschland.

Abreise der Amerikaner vom Rhein.

Paris, 22. Jan. Die 1200 Amerikaner, die sich noch am Rhein befanden, haben am Montag Kob­lenz verlassen, um sich in Antwerpen einzuschiffen.

Das Räubertum im Ruhrgebiet

Düsseldorf, 22. Jan. Die Franzosenbeschlagnahmten" einen Kraftwagen der Deutschen Bank in Düsseldorf mit 150 Millionen Papiermark, worauf die Bank ihre Kassen­räume schloß. Die Franzosen drangen in die Räume der Reichsbank ein, durchsuchten die Kassenzimmer undbeschlag­nahmen" alle Gelder, die sie vorfanden. Deutsche Bank wie Reichsbank sind bekanntlich Privatunternehmung "n und das Privateigentum pflegt sonst auch im offenen Krieg von halb­wegs kultivierten Völkern geachtet zu werden. Die Fran­zosen setzen aber scheints ihren Stab darein, den Krieg mög­lichst auf Jndianerart zu suchen.)

Bochum, 22. Jan. Der Beerdigung des im französischen Maschinengewehrfeuer gefallenen 15jährigen Schlosserlehr­lings Josef.Birwe wohnten viele tausend Bürger der Stadt, Gemeinderat und Stadtverordnete vollzählig, die Be­rufsschule, der Vereine deutschgesinnter Jugend, Körper­schaften aller Art bei.

In Langendreer wurde abends ein auf dem Heimweg be­findlicher Krankenwärter von einem französischen Posten erschossen.

Auf die Beschwerde des Bürgermeisters gegen den Mord gab der französische Kommandant achselzuckenb die höhnische Antwort, der Soldat habe nur nach seiner Vorschrift ge­handelt.

Der Ingenieur Ludwig Badsch in Essen wurde von einem rasend sausenden französischen Kraftwagen totge- sahren.

Beschlagnahme der Zollämter

Dortmund, 22. Jan. Am Samstag nachmittag wurden die Zollämter im besetzten Ruhrgebiet von den Franzosen be­schlagnahmt und der bejahrte Amtsvorstand, Zollrat Ver­na r d, sowie Zollamtmann Plate, in Dortmund, ferner der Regierungsdirektor Mergsns der Zweigstelle Speyer des Landesfinanzamts Würzbucg in rohester Weise verhaftet. Wäsche, Geld und Rauchzeug wurde den Beamten abgenom­men. Die Franzosen .-beschlagnahmten' die gesamten Ein­nahmen der Zollämter.

Die Bergbauvertreker vor dem Kriegsgericht

Essen, 22. Jan Als der Verteidiger der sechs verhafteten Großindustriellen, Rechtsanwalt Dr. Grimm, vor der fran­zösischen Kommandobehörde mit den Herren zu sprschm ver- langte, wurde ihm kurz eröffnet, die Industriellen seien auf Befehl des Generals Degoutte bei ihrer Vernehmung ver- baftet und sofort nach Mainz abtransportiert worden. Dr. Grimm begab sich unverzüglich nach Mainz, um feine Be­mühungen fortzusetzen. Keinem der Verhafteten wurde er­laubt, seine Familie von der Verhaftung in Kenntnis zu setzen.

Die Verhafteten wurden in einem Eisenbahnwagen von Düsseldorf nach Benrath gebracht, wo der Wagen an den Kölner Schnellzug, der sonst in Benrath nicht hält, ange> bängt wurde.

Der Präsident des Landesfinanzamts Köln, Wänling von Lanzenauer, wurde ausgewiefen; seine Familie hat bin­nen vier Tagen das besetzte Gebiet zu verlassen. Der Stell­vertreter des Oberpräsidenten in Wiesbaden, Oberregie­rungsrat von Rödern, wurde ausgewiesen, weil er die An­ordnungen der deutschen Reichsregierung für die Postbeam­ten weitergegeben hat. Der Reichsbankdirektor in Lüd- wigshafen wurde verhaftet, weil er sich weigerte, da» KontoZölle" zu streichen.

In Essen wurden von den Franzosen EisenbahnprSsi- dent Jahn, Baurat Pusch, Oberpostdirektor Jünger und Telegraphendtrektor Zahme wegen Gehorsamsverweige­rung verhaftet.

Duisburg, 22. Jan. Auf dem Hauptpostamt in Duis­burg und in verschiedenen anderen Städten im besetzten Ruhrgebiet haben die Franzosen einen Ueber - wachungsdienst für Briefe eingerichtet. Die Briefe, hauptsächlich Geschäftsbriefe, werden zur Handelsspionage von den feindlichen Beamten geöffnet und nach Durchsicht wieder geschlossen und zwar ohne Prüfungsvermerk. Es dürfte sich empfehlen, bei Schreiben nach dem besetzten Ge­biet Borsicht walten zu lassen.

Sperrung der rheinischen Braunkohlen

Köln, 22. Jan. Die französische technische Ueberwachungs- l'ommission bei der Eisenbahndirektion Köln hat dem Rhei­nischen Braunkohlensyndikat verboten, Braunkohlen ins un­besetzte Deutschland zu verschicken. Bisher gingen täglich 3500 bis 4000 Wagen nach dem unbesetzten Reich.

Die erste Beute

Paris. 22. Jan. Nach demTemps" sind am Samstag 22 Wagen Koks (440 Tonnen) und 16 Kähne Kohlen (16 315 Tonnen) beschlagnahmt worden.

Reue Truppensendungen

Mainz, 22. Jan. Die Stadt Mainz ist von französischen Truppen überfüllt. Zug um Zug rollt nach dem Ruhrgebiet ab, und immer kommen neue Truppenzüge aus Frankreich an. Im Rheinland stehen nach der Mitteilung eines hohen französischen Offiziers 90 000 Franzosen, für das Ruhrgebiet sollen 260 000 Mann in Aussicht genommen fein.

Zollgrenze

Frankfurt a. M., 22. Jan. Im besetzten Test des Eisen­bahndirektionsbezirks Frankfurt sind Eisenbahndienstcä ime in verschiedenen Städten als Z o l l st a t i o n en für die fran­zösische Zollerhebung beschlagnahmt worden.

Das Bankhaus Gebr. Röchlin in Ludwigshafen am Rhein wurde von den Franzosen ausgeräumt; sie richten in dem Gebäude eine Zollstation ein.

Die Franzosen holen Streikbrecher

München, 22. Jan. In München wurden 65 italienische und 60 tschechische Arbeiter, die von französischen Agenten an- geworden waren, u ' : Ruhrgebiet als Sttvikbr;cher zu Auen, von der Polizei auigehaU.