(Enztalbote)

Amtsblatt für M'dbad. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei Wilddader Tagblatt; Vertag und Schriftleitung Th. Gack in Wildbad

Rümmer 17

Fernrnf 179

Wildbad, Montag, den 22. Januar 1923

Fernrnf 179

58. Jahrgang

Die Abhängigkeit Amerikas von Europa

Daß Zwischen einem Politiker und einem Wirtschaftler ein Unterschied ist, haben wir in der letzten Zeit genugsam er­fahren, wenn wir es nicht schon vorher gewußt haben sollten. Sogar zwischen einem Staatsmann und einem Wirt­schaftler besteht dieser Unterschied, und er fällt nicht zugunsten des Politikers oder des Staatsmanns aus. Ein Schulbeispiel bieten die verschiedenen Auffassungen der drei Gruppen in Amerika über den Einfluß, den die europäischen Verhält­nisse auf ihr Land üben. Die Politiker und Staatsmänner sind nur zu geneigt, die Sache auf die leichte Schulter zu Neh­men; die Wirtschaftler dagegen sehen die Frage mit nüchternen Augen an und geben rundweg zu, daß auch das Schicksal Amerikas von dem Europas ab­hängt. Der Januarbericht der National City Bank in Newyork zum Beispiel sagt, der gilt unterrichtete Beobachter sei beim Ausblick ins Jabr 1923 und bei ünsr Vorhersage über die wahrscheinliche Geschäftsentwicklung irr Amerika zu dem Schluß gezwungen, daß das Unsichere von ausschlag­gebendem Gewicht die politische Lage in Europa sei. Dieser Schluß müsse nicht deshalb gezogen werden, weil das europäische Geschäft für Amerika von größerer Bedeu­tung sei als das inländische, denn jenes sei klein im Verglich mit diesem; aber der Grund liege darin, daß in mancher Hin­sicht das amerikanische Geschäft mit Europa das heimische Ge­schäft in lebenswichtiger Weise berühre. Die amerikanischen Beziehungen zu Europa liegen hauptsächlich in der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Baden­er z e u g n i s s e n, die bei der Baumwolle zur Hälfte nach Europa gehe und bei den andern Massenerzeugnissen groß genug sei, um für die W e r t b e st i m m u n g des Gesamt- erzeugnisses wirblig zu sein. Das Einkommen der amerikani­schen Farmbevölkerung hänge zum großen Teil von den europäischen Käufen ab. und die E r t r a g f ä h i g k e r t d er Industrien werde sehr stark durch dis Schwankungen be­einflußt, denen die Kaufkraft der Farmer unterliege. D'e europäische Nachfrage sei unsicher. Niemand könne sagen ob sie aufrechterhalten bleibe oder nicht. Bis jetzt sei sie für Nahrungsmittel rege gewesen, aber nur zu verminderten Preisen. Die Armut und die mangelnde Kaufkraft Europas seien mitbestimmend :m amerikanischen Markt und eine fort­gesetzte Bedrohung des Wohlergehens. .

In einem andern Abschnitt beschäftigt sich der Bericht mit den Farmverhältniffrn in Amerika und stellt fest, der Farmer sei in schwieriger Lage, weil die Preise für alle an­dern Dinge in die Höhe gehen. Der Gouverneur des Staats Nebraska, Mc. Kelvie, weist auf die große Ungleichheit zwi­schen den Preisen für Farmerzeugnisse und den Erzeugungs­kosten hin. Selbst bei den jetzigen besseren Preisen sei es schwierig, einen angemessenen Gewinn zu erzielen, und so komme es, daß der Facmer derschlechtest bezahlte Arbeiter im Lande sei. Der Bericht des Wirtschafts­ausschusses der Univecsität Idaho für November 1922 aber sagt in einer zusammensasjenden Betrachtung der ganzen Lage:

Die Preise, die der Farmer erzielt, sind durch die Nach- frage und die Zahlungsfähigkeit desAuslands bestimmt. Wollte aber der Farmer dazu übergehen, sich auf die Er­nährung des amerikanischen Volks zu beschränken, so könnte er ebensogut gleich s e i n e u B e t r i e b e i n st e l l e n. lieber M 55 Prozent unserer Ausfuhr entfallen auf landwirtschaftliche ß Erzeugnisse und Rohstoffe. Davon gehen 75 Prozent nach ' Europa und 25 Prozent in die übrigen Länder. Die land­wirtschaftliche Ausfuhr betrag; ungefähr 15 Prozent des ge- samten Erntewertes auf der Farm. Im letzten Rechnungsjahr ist die Ausfuhrmenge unserer Farmerzeugmsss größer ge­wesen als im Jahr ovrher. aber ihr W e rt w a r u in 7 0 0 Millionen Dollar geringer! Vergleicht man die jetzmen Zablen mit denen vor dem Krieg, so zeigt sich, daß die ausgeführte Gette'd-'M-nge 1922 um gut 100 Prozent größer war als 1913. die Menge des ausgesührten Fleisches, der Molkerei und der tierischen Fette um 36 Prozent, und trotzdem war der Gesamtwert dieser Ausfuhr nur um IS j

buch die FlWseil!

Auf der Zeche Slerkrade der Gute Hoffnungshütte sind )L0 Mann und von der Abendschickst 250 Mann nicht einge- iahren; sie weigern sich, unter den Bajonetten der Belgier zu arbeiten.

Allgemein herrscht Empörung, in welch brutaler Weise die Franzosen die verhafteten Personen behandeln.

Oberbürgermeister Scheidemann ist in letzter Zeit, wie das A.T.B. meidet, wieder von verschiedenen amtlichen Stellen vor Anschlägen gewarnt worden. Ls handle sich um gewisse Vorbereitungen in Hamburg. Auch Drohbriefe feie« bei ihm eingelaufen. Eine amerikanische Gesellschaft soll Scheide­mann 4 Millionen Mark für den Abdruck säner Tagebücher, die noch nicht veröffentlicht find» angebote» haben. Scheide­mann hat abgelehnt.

»Echo de Paris" erfahrt. Bradbury sei aus der LukschSdi- gungskommission ausgetreten.

Nach der »Daily Mail" wird der britische Botschafter in Berlin Lord d'Abernon durch den derzeitigen Oberkommissar in Konstantinopel. Sir Rumbold, erseht werden. Auch sonstige Veränderungen sollen im diplomatischen Dienst Englands in nächster Zeit zu erwarten sein.

Proz. höher. Gerade in dem Augenblick, wo der amerikanisch« Farmer Nutzen ziehen sollte von dem Niederdruck» Rußlands, steht er vor sich bankrotte Staaten, die nicht in der Lage sind, seinen Ueberschuß abzunehmen, es sei denn zu Schleuder­preisen. Wenn nun obendrein auch die Dinge, die er selbst braucht, zu steigen beginnen, dann müssen die Farmer tatsäch­lich mit Kummer auf dieses Zeichen von neuer Papiergeld- Wirtschaft blicken.

Der Fall Cachin

Poincarä und die Ruhr-Opposition

Aus Paris über Basel: Die deutschen Zeitungsberichk- erstatter in Paris, die auf einem wenig beneidenswerten Vor­posten stehen, sind bekanntlich zur Pressetribüne der franzö­sischen Kammer immer noch nicht zmelaffcn, Mit voller Ab­sicht der Poincareschen Regierung. Denn alles das, was rom deutschen Standpunkt zu erfahren wichtig wäre, soll ver­schleiert bleiben. So auch jetzt wieder der Fall Cachin, der von den parlamentarischen Pressebureaus möglichst vertuscht wird. Der Kommunist Marcel Cachin wird vom Staats­anwalt auf Befehl der Regierung alsHochverräter" ver­folgt, weil er sich mit den deutschen Arbeitern in Essen gegen das französische Vvrgeben an der Ruhr verschworen habe. Bei der Aufhebung der parlamentarischen Freiheit Each-ins durch Mehrheitsbeschluß der Kammer spielten sich Skandal» fzenen und Handgreiflichkeiten ab. wie man sie in Par*s schon fest längerer Zeit nicht mehr erlebte Cachin verteidigte sich damit, daß er nichts anderes getan habe, als auf die Ge­fahren hingewiejen. die der Arbeiterklasse aller Länder Euro­pas durch den wahnwitzigen Einfall des französischen Heeres ins Ruhrgebiet drohen. Half ihm aber alles nichts. Die Kammer beschloß nach den denkbar heftigsten Auseinander- setzungen die Aushebung seiner Straffreiheit als Abgeord­neter. Der Antrag seines Parteifreundes Ernest Lafont, doch das Material der Anklage noch einmal zu prüfen, wurde ab- gelehnt.

Wer ist Marcel Cachin? Er ist Kommunist. Seine Be- deutung aber wächst dadurch, daß außer seiner kleinen Partei neuerdings auch die gemäßigten Sozialisten und die links­bürgerlichen Paraeien in der Sanktionsfrags auf seine Seite treten. Bei der letzten Kammerverhandlung vor dem Ruhr­einmarsch durch die geschickte Mache Poincares mundtot ge­macht, haben diese Parteigruppen beschlossen, der Regierung scharf auf die Finger zu sehen und chr keine Ruhe mit der Frage zu lassen, was sie sich denn bei ihrem militärischen Abenteuer gedacht und welches Ergebnis der Kohlenfsldzug gezeitigt habe. Man kann die Wiederaufnahme der Ver­handlungen im Februar kaum erwarten und man hofft bis dahin auf eine neue Stellungnahme Englands und Amerikas, um der verhängnisvollen Regierungspolitik die Spitze bieten zu können. Den Ausschlag gibt der Umstand, der von den Machern des Falls Cachin natürlich verschwiegen wird, näm­lich daß Cachins politische Sonderausgabe seit Jahr und Tag die Bekämpfung des Versailler Vertrags und der raubsüch­tigen Entschädigungspolitik ist. In den Novembertagen des Jahrs 1918 erklärte er:Wir müssen jetzt verhindern, daß der Krieg in einen Raubzug »usartet . Tachin war es auch, der

mit Marius (Moutet) und seinem Freund Lafont ein« llnttr- suchungsreise nach Rußland unternahm, um dann in der Pariser Kammer die Geheimabmachungen zwischen Doumer- gue, dem Abgesandten Poincares, und der Zarenregicrung z* enthüllen und den wahren Charakter des Lntentekriegr nach­zuweisen.

Für jene Enthüllungen sucht sich Poincare nun zu räche«. Die Gelegenheit scheint gekommen zu sein, den immer gefähr­licher werdenden Gegner unschädlich zu machen. Nach altem Muster werden alle Mittel der Lüge und der Verleumhun- angewandt. Eachins Vorgehen wird alsbolschewistisch", at» von Deutschland aus geleitet hingestellt. Eine Lüge, die »von oben" verbreitet wird, weiß von 80 Millionen deutschen Gol­des zu erzählen, das bei der Opposition gegen dieSanktio­nen^ eine Rolle spielen soll. Am meisten fürchtet ja Poür« care das Ausbrechen von Streiks im Ruhrgebiet, und wenn es wahr wird, was aus dem Ruhrgebiet berichtet wird, nämlich daß die jungen französischen Truppen nicht ganz zu­verlässig seien, daß sie im Fall eines von der 3. Internationa­len erklärten Generalstreiks Gewehr bei Fuß bleiben wollen, o wird der Justizminister sich beeilen, die Schuld für das Vor­igen des Einbruchsheeres demHochverräter" Cachin ebei» alls in die Schuhe zu schieben. Die Kommunisten in der, ranzösischen Kammer sind schwach und bedeutungslos, aber der Fall Cachin kann eine Lawine der Opposition auslösen. die den verwegenen Kletterer Poincare und sein ganze» Ruhrabenteuer erschlägt. ,er.

Paris, 21. Jan. Der Abgeordnete Cachin ist verhaftet worden.

Rechtsfragen des Ruhrkrieges

Privateigentum, Bergwerke und Forsten

Die französischen Generale im Ruhrgcbiet sind in ihrer Enttäuschung dazu übergegangen, die Zechenbesitzer mit Verhaftung und Kriegsgericht zu bedrohen und Privateigen­tum zu beschlagnahmen. Haften doch nach emem offenbar aus dem Büro Poincares stammenden juristischen Wink desPetit Parisien" die Grubenherren mit ihrem Vermögen für die Einziehung der Kohlensteuer durch Frankreich. Weder der Friedensvertrag noch das Völkerrecht bieten eine Handhabe für dieSanktion". Der Vertrag, auf den Poin- carö in seiner unglaublichen, sagen wir, Kühnheit seine Pfänderpolitik stützt, läßt im Artikel 248 nur den Besitz und die Einnahmequellen des Deutschen Reichs und der Deut­schen Staaten für die Cntsckädigungsschuldcn haften. Ganz abgesehen davon, daß durch diesen Artikel nicht das Recht für eine einzelne fremde Macht hergeleitet werden kan», auf Grund des Friedensvertrags zur Eintreibung zu schreite«, geht das eine mit unbedingter Sicherheit aus diesem Artikel hervor, daß das Privateigentum von dieser P^anH- haftung ausgeschlossen ist. Nicht anders ist er, wen» man das allgemeine Völkerrecht bettachtet. Welche Pflich­ten und Rücksichten obliegen der militärischen Gewalt auf be­setztem gegnerischem Gebiet? Diese Frage ist im Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche de» Landkriegs vom 18. Oktober 1905 geregelt und dann auf der zweiten Friedenskonferenz im Haag 1907 von 41 Konfe­renzmächten einschließlich Frankreich, Belgien und Deutsch­land durch Unterzeichnung zum internationalen Gesetz er­hoben worden. Dieses Gesetz ist durch den Weltkrieg nicht abgeschafft worden. Es gilt nach wie vor. In seinem, drit­ten Abschnitt bestimmt es, daß die militärische Gewalt, soweit kein zwingendes Hindernis besteht, die Landesqesetz» zu beachten hat, daß Leistungen nur für die Bedürfnisse de» Besatzungsheers gefordert werden dürfen, daß sie bar zu bezahlen sind, daß das Privateigentum zu achten ist und nicht eingezogen werden darf. Diese Grundsätze wurden An­wendung zu finden haben, wenn es sich um eine militä­rische Besetzung feindlichen Gebiets im Landkriea handeln würde. Wieviel mehr werden sie daher jedenfalls als Mindestmaß des Schutzes des Privat­eigentums im vorliegenden Fall zur Anwendung kommen müssen, wo die französische Regierung erklärt, »arch die Be­setzung des Ruhrgebiets eine kriegerisckt« Maßnahme nicht vorgenommen zu haben. Die französischen Genera,r im Ruhrgebiet gehen also, wenn sie sich auch nur an die Min­destforderungen des Völkerrechts ballen wollten, da^ Pri­vateigentum und die Privatperson qar nichts an.

Etwas anderes ist es allerdings mit den staatlchen Bergwerken und Forsten. Die Pariser Neuerung verfügte die Pfändung der Staatsgruben im Ruhrgebiet und well es bei dem neuen Feldzug in einem -ingeht, auch diZ