(Enztalbote)
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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack in Wildbad.
Nummer 15
Fernruf 179
Wildbad, Freitag, den 19. Januar 1923
Die Beschlagnahme der Ruhrkohlen
Ein bolschewistisches Experiment
Ein in Berlin weilender Staatsmann eines während des Krieges neutral gebliebenen Landes überläßt mir folgende Betrachtung: Die Panzerwagen der französischen Armee haben nun „siegreich" fast das ganze Ruhrgebiet durchmessen. Das traurige Werk der neuen Sanktionen ist so gut wie vollendet. Hat Poincare seinen Zweck erreicht oder besteht noch Aussicht, daß der Zweck erreicht wird? In der französischbelgischen Ankündigungsnote wurde als Zweck der Ruhraktion, die nur ein Ingenreurbesuch unter militärischem S "utze sei, angegeben: Ueüsrwachung des deutschen Kohlen- syndikates, genaue Durchführung des Programms der Ent- schädigungskommissivn, Einkassierung der Beträge. Die Ueber- wachungskommission von Ingenieuren und Beamten sollte mit diktatorischen Befugnissen ausgestattet werden. Sie sollte volle Befehls- und Strafgewalt über das Personal der deutschen Verwaltung und über die Vertretung von Industrie und Handel in den besetzten Gebieten haben. Auch sollte sie befugt sein, von den Verwaltungsstellen, den Handelskammern, den Arbeitgebern und Arbeitnehmerverbänden sowie von den Kaufleuten jede Auskunft zu verlangen und die Büros, Bergwerke, Fabriken, Bahnhöfe und andere Anlagen zu durchsuchen.
Die Herren Diktatoren kamen, hinter jedem Ingenieur ein General. Aber das Nest in Essen war leer. Das Kohlensyndikat war nach Hamburg ausgeflogen und die Zechenbesitzer erklärten dem verdugten Eindringling, daß nicht sie, sondern das Kohlensyndikat über die Verteilung der Kohlen zu verfügen habe. Dieses war der erste deutsche Gegenschlag. Die Ingenieurkommission verlangte Lieferung der Kohle ohne Syndikat. Prompt traf das Telegramm des Kohlenkommissars aus Berlin ein Ich verbiete die Kohlenliefsrung, auch gegen vorschußweise Bezahlung. (Zweiter Gcaenschlag.) Nun erhielten die Zechenbesitzcr den militärischen Befehl der Generale, die Lieferung der Reparationskohle an Frankreich und Belgien sofort wieder auszunehmen. Im Namen aller Zechen erklärte aber Fritz Thyssen: Wir sind Deutsche und stehen auf dem Standpunkt, daß wir nur deutschen Gesetzen unterworfen sind. Wie einst Hugo S t innesin Spaa, so hat jetz7 in Essen ein deutscher Wirtschaftsführer den fordernden Gegnern die Stirne geboten. Es war der dritte Gegenschlag.
Und wie antwortet darauf wieder Poincare? Er droht mit der Requisition! d. h. mit der kriegsmäßigen Beschlagnahme und Wegschleppung der Kohlen. Er will dabei, so erklärt er den zusammengetrominelten Pressevertretern in Paris, (ssv verfahren, wie die deutsche Heeresleitung während bes Kriegs in Belgien und Nordfrankreich vorgegangen sei, also Rachepolitik in Verfolg eines Friedensvertrags!? Die Requisitionsscheine müsse die deutsche Regierung bezahlen. Die Bergleute erhalten Papiermark. Demnächst werde ein besonderes Zahlungsmittel — also eine neue Währung? — geschaffen. Die Gemeinden und Handelskammern würden gezwungen werden, für eine Art von Notgeld Bürgschaft zu leisten.
Wie dieser Angriff verlaufen wird, ob Poincare, wie er glaubt, die Reichsregierung durch Folterung der Zechen auf die Knie zwingt, muß abgewartet werden. Rein volkswirtschaftlich betrachtet ist der französische Plan nichts anderes mehr als ein bolschewistisches Experiment: Poincare schwingt sich zum Herrn über die Kohlenproduktion im Ruhrgebiet auf. Er beschlagnahmt den Privatbesitz und versucht die bisherigen Besitzer zur Weiterarbeit zu zwingen, ohne daß sie jedoch das Recht besitzen, den Produktionsprozeß zu regeln. Die Früchte werden weggenommen. Die Kosten und das Risiko trägt nicht der neue Besitzer. Das geht eine kurze Zeit lang, dann muß der Betrieb zusammenbrechen. Der Bankrott dieses Systems erfolgt schon deshalb unweigerlich, weil Frankreich die Rechnung mit einem ungeheuren Passivposten belastet: mit den Unkosten ferner großen militärischen Unternehmung. Diese Unkosten vernichten jede Rentabilität, und so wird die Ruhrbesetzung für Frankreich, woraus die deutsche Presse bereits mit Äecht hinweist, ein großes D e fr zi t g e s ch ä ft, ein umso größeres, je mehr Truppen zur Ausdehnung und Verstärkung der Sanktionen herbeigeholt werden. Der atemlose Lauf der Franzosen nach immer neuen, immer weiter liegenden Pfändern muß schließlich den Fehlschlag der Politik Poincares beschleunigen. Sieht man in England, in Italien und in den Vereinigten Staaten dieses Ende immer noch nicht voraus? Der Londoner „Times" scheint ja bereits ein Licht aufzugehen. Sie sieht das ganze. Wirtschaftssystem Deutschlands durch die Loslösuna des Ruhrgsbiets stark ^erschüttert". Die
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Tagesfpiegel
Der Reichswirtschafksrat ist in die Beratung des Arbeiks- zeitgesehes eingetreten, das eine Verlängerung der Arbeitszeit bringen soll.
Nachrichten aus dem fernen Ausland zufolge sind die Ausländsdeutschen über die feste Haltung der Reichsregierung gegen die französische Anmaßung sehr erfreut. In Mexiko fand eine große Kundgebung der Deutschen statt, die ein Glückwunschtelegramm cm den Reichskanzler absandte.
Der französische Botschafter in London hatte eine längere Unterredung mit Bonar Law. wobei er über die Pläne der französischen Regierung Mitteilung machte.
Bei Taza (Marokko) wurden 2 französische Offiziere und 9 Reiter von den Eingeborenen erschossen.
Die mohammedanische Bevölkerung Cyperns verlang? die Rückgabe der Insel an die Türkei.
Ergebnisse der Ruhrbesetzung würden einander mit trauiger Folgerichtigkeit folgen. Aber die Times ist noch nicht die Regierung. Europa und dis Welt erwarten endlich ein Wort der Einsicht an amtlicher Stelle, sei es in London, sei es in Washington. ? —er-
Dom Kriegsschauplatz
Umbruch ins Lippegebiet
Köln, 18. Jan. Französische Reiterei ist über Dortmund hinaus in der Richtung auf Lünem—Kanem—Hamm an der Lippe vorgestoßen. Damit hat sie die von Reichswehr freizulassende 50-Kilometerzone vor dem seit Kriegsende besetzten Gebiet, die bei Dortmund endet, überschritten und ist in das Reichswehrgebiet eingebrochen. Die nächste Reichswehrgarnison steht in Münster. Die Reichsregierung hat nach der „Köln. Ztg." die Mächte auf diese Tatsache aufmerksam gemacht und für alle noch nicht übersehbaren Folgen die französische und belgische Regierung verantwortlich gemacht. Die Reichsregierung behält sich weitere Schritte vor.
In Berlin wurde die Polizeistunde von 1 auf 11 Uhr vorverlegt, alle Tanzlustbarkeiten sind verboten. Die Verfügung soll auf ganz Preußen ausgedehnt werden.
Havas berichtet: Die französische, italienische und belgische Regierung haben als Sanktion die sofortige Ausbeutung der Staatswaldungen im linksufrigen Rheinland befohlen. ,
In Barmen ist eine französische Vorhut eingetroffen.
Bei der gestrigen Besprechung mit den deutschen Grubenbesitzern verlangte der Vorsitzende de: französischen lieber- wachungskommission, A a r o n, die Vorlegung der Betriebsakten. Fritz Thyssen erwiderte, sie seien bereit, die allgemeinen statistischen Belege beizubringen: soweit sie aber Geschäftsgeheimnisse berühren, müsse die Auslieferung verweigert werden. — Auf diese kommt es den Ueber- wachungsspitzeln aber ja gerade an. ^ , s/ ,
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MMWßM' Die Zechenvertreker bleiben fest ' > '
^ Karlsruhe, 18. Jan. Staatspräsident Remmele teilte mit, daß die F r a n z o s e n auf dem Rhein Kohlenkähneanhalten und die Schiffer mit vorgehaltenem Revolver zwingen, aus dem linken Rheinufer anzulegen. - i
Essen, 18. Jan. Der Vertreter Krupps, Direktor: Thomas, erklärte gestern namens der Zechenoertreter in' Gegenwart des Generals Simon und Dewigne: „Wir sind bereit, uns vor das Kriegsgericht stellen zu lassen, wir werden auch unsere Urteilsstrafe hinnehmen, wir werden auch Gefängnisstrafen erleiden, aberwirwerden keineKo tz- len liefern."
Die Franzosen haben gestern 3000 Tonnen Kohle, die für Bayern bestimmt waren, mit Beschlag belegt. Sie beabsichtigen, täglich 15 000 Tonnen Kohle und 15 000 Tonnest Koks aufzutreiben. Da die Tonne Koks doppelt angerechnet wird, so würde die Requisition monatlich insgesamt 1350 000 Tonnen ergeben. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, daß diese Absicht zu verwirklichen wäre, würden die Franzosen damit kaum die bisherigen Entschädigungslieferungen erreichen. Damit ist der ganze Einfall im Ruhrgebiet gerichtet, denn sie wollten nicht nur ihre Ent- schädigüngsforderungen in vollem Umfang Herauspressen, sondern auch das linksufrige Rheinland, das Ruhrgebiet selbst, das übrige Deutschland und andere Länder beliefern, um auf diese Weise die Kohlensteuer herauszubekommen., mit der die Bergarbeiterlöhne..und die sonstigen Be
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58. Jahrgam
triebskosten gedeckt werden sollten. Bon diesem Plan ist es . allmählich still geworden. Das Pariser „Journal" meldet, daß die französische Regierung 15 Milliarden Papiermark, die in Frankreich gesamme.lt würden, auf den 25. Januar zur Ablöhnung der Bergarbeiter bereit gestellt habe.
Kohlenkredik für Stinnes
London, 18. Jan. Die Blätter bestätigen, daß es Hugo Stinnes gelungen sei, in England eirnn Kredit von 2 Millionen Pfund Sterling (nach heutigem Kurs etwa 170 Milliarden Papiermark) zum Ankauf englischer Kohle für Deutschland zu erhalten.
Erzschuldig -
Paris, 18. Jan. Die Entschädignngskommission hat, ge- - treu ihrem Auftrag, mit den bekannten drei Stimmen gegen die Stimme des englischen Vertreters (Bradbury selbst war nicht anwesend) „festgestellt", daß bei den deutschen Minderlieferungen von Kohlen, Holz und Vieh Verfehlungen vor- liegen. Der deutschen Kriegslastenkommission wurde mitgeteilt, die Anhörung deutscher Vertreter sei nicht nowendig, da vorsätzliche Verfehlung offensichtlich sei. — Es soll bemerkt werden, daß auch bei dieser schändlichen Komödie der Italiener wieder im Bunde war.
Alles fürs Geschäft
Paris, 18. Jan. Das „Echo de Paris" sammelt Unterschriften zu einer Aufforderung an dis Regierung. t»n Deutschen das Luftfahren und den Bau von Luftschiffen io lange zu verbieten, bis sie ihre Schulden bezahlt haben. Dadurch werde Frankreich von einer großen Sorge befreit und die Zwischenzeit könnte dazu benützt werden, um der französischen Industrie den ersten Platz in der Welt zu sichen!.
Das Spiel der Dreien
Dondon, 18. Jan. Das Londoner Blatt der französischen Regierung, die „Daily Mail", fordert die fritische Regierung auf, ihre Haltung Frankreich gegenüber zu ändern und droh,, andernfalls werde eine deutsch-französische Verständigung über Kohle und Eisen Zustandekommen, die ein fataler Schb g sür die britische Industrie wäre. — Daraus geht hervor, daß sich Poincare in der Hoffnung getäuscht sieht, in Mussolini einen zuverlässigen Helfershelfer gefunden zu haben, und das er den Faden nach London wieder anknünfen will. Andererseits soll auch Mussolini eine Wiederannäherung an London — nach seinem verunglückten Festlandblocksvorschlag — eingeleitet haben.
Deutsche Beschwerde
Düsseldorf, 18. Jan. Regierungspräsident Dr. Grüß- ner hat dem General Denvignes mitgeteilt, die Vertreter der Zechen und der Bergarbeiter seien durch die Behandlung, die ihnen von General Simon und Denvigne zuteil geworden sei, äußerst erregt. Sie haben erklärt, daß sie niemals wieder zu persönlichen Verhandlungen mit den französischen Besatzungsbehörden erscheinen werden. Es sei noch nicht klar, wer in den nächsten Tagen die Vergarbeiterlöhne (2,4 Milliarden sür den Tag) bezahlen werde. Die Lebensmittel seien bereits im Preis um die Hälfte gestiegen, seit die Franzosen im Lande seien. Der Präsident ersucht, künftig jede Beitreibung von Lebensmitteln im besetzten Rhein- und Ruhrgebiet zu unterlassen und warnt, das Ruhrgebie vom Reich abzuschnüren; die Errichtung einer Zollinie werde eine völlige Verwirrung und Störung der Verkehrsmittel zur Folge haben. ,
In vergangener Nacht wurde eine große Zahl von Rhein- sch-leppkähnen und leeren Eisenbahnwagen als „Sanktion" beschlagnahmt.
Die Versorgung mik Lebensmitteln
Berlin, 18. Jan. In der gestrigen Besprechung mit den Gewerkschaftsvertretern betonte Reichsernährungsminister Dr. Luther, die Lage sei ernst, aber nicht bedrohlich. Die Brotversorgung dürfte bis Ende Juni oder Mitte Juli gesichert sein. Kartoffeln seien genügend vorhanden; der Fleischverbrauch sei bedenklich gesunken, doch werde eine stärkere Einfuhr von Gefrierfleisch vorbereitet. Die Zwangswirtschaft wieder einzuführen, sei unmöglich, dagegen soll durch Verordnungen übermäßige Verwendung von Mehl zu Kuchen usw. sowie der Fleischverbrauch in Gasthäusern eingeschränkt worden. Gegen Luxuslokale werde scharf vorgegangen werden.
Die Helden von Bochum
l- Berlin. 18. Jan. Der französische Oberst Houillon, der tzm Bahnhof in Bochum auf die Zivilbevölkerung das siegreiche Maschinengewebrfeuer richten ließ, ist seines Postens
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