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Nummer 296
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Das Weihnachtsgeschäft
Das Weihnachtsgeschäft, in früheren Zeiten Freude und Hoffnung eines jeden Geschäftsmanns, spricht das letzte entscheidende Wort-für die wirtschaftliche Beurteilung eines zu Ende gehenden Jahrs. Wollte man auch das Jahr 1922 nach seiner Geschäftslage beurteilen und danach, wie sich jetzt eine Woche vor dem Fest, das Weihnachtsgeschäft abwickelt. — wahrhaftig, die Kritik dieses Wirtschaftsjahrs kann nur bitter sein und abfällig lauten.
Wir haben keinen Anlaß, das Sterben des Jahrs 1922 besonders zu beklagen, weder nach der politischen, noch nach der wirtschaftlichen Seite hin. Die Erfahrungen die jeder Klein- und Großkaufmann im Ein- und Verkauf, mit seiner Kundschaft und mit seinen Lieferanten macht, sind mehr als geeignet, die jetzige tiefe Zerfahrenheit und Zerrissenheit des deutschen Wirtschaftslebens zu beleuchten Man spürt überall den Hauch einer verwesenden Wirtschaft und die Folgen eines Friedensvertrags, der das Wort Frieden zum grauenvollen Spott umwandelte. Von einem eigentlichen Weihnachtsgeschäft, zu dessen Abwicklung in normalen Zeiten auf Monate hinaus Vorbereitungen getroffen wurden, und dessen Erfolg auf weitere Monate hinaus die Existenz manches Geschäfts sicherstellen konnte, ist heute so gut wie nichts zu spüren. Niemand hat flüssiges Geld. Man kauft, was man unbedingt kaufen muß und was zum dringenden -Bedürfnis des Lebens gehört, übt im übrigen aber eine Zurückhaltung, die einfach aus der Not der Zeit heraus geboren worden ist.
In der Tat sind die Preise im Detailgeschäft heute bereits so hoch, daß der Verbraucher mit durchschnittlichem Einkommen sie kaum mehr aufzubringen vermag. Dabei verkauft der Einzelhandel im allgemeinen heute noch die Artikel zu keineswegs übermäßig hohen Preisen, weil er die Ware verhältnismäßig noch billig eingekauft hat. Wollte der Einzelhandel heute zwischen den Preisen der bereits vorhandenen und den neu bestellten Waren einen Durchschnittspreis berechnen und auf diesen, wie das Gesetz es gestattet, eine entsprechende Risikoprämie sowie einen angemessenen Reingewinn Aufschlägen, — es würden sich hieraus Preise ergeben, die geradezu zu einer Stillegung des Einzelhandels führen würden. Denn die „Mittelpreise", die man auf diesem Weg errechnen könnte, dürften fast doppelt so hoch sein, wie die Preise, zu denen heute noch in den Einzelhandelsgeschäften verkauft wird. Dazu kommt, daß die für später, also für die ersten Monate des neuen Jahrs, bestellte Ware vielfach in Devisen oder — was dasselbe ist — in Goldmark oder zu gleitenden Preisen oder in gebrochener Währung gekauft worden ist, weil heute viele Fabrikanten, z. B. die in der Txetilindustrie, sich weigern, zu anderen Bedingungen zu verkaufen. Jene Schichten des Wirtschaftslebens, die, wie der Großhandel und namentlich der Einzelhandel, zwischen Erzeugern und Verbraucher stehen, müssen mit der Zeit die Differenz aus ihrer Tasche, d. h aus ihrem Betriebskapital drauflegen. Diese Differenz ist groß; sie wächst von Tag zu Tag und hat schon manchem reellen Geschäftsmann die Existenz gekostet. Und die Hamsterkäufe von durchreisenden Ausländernoder Käufe in ausländischem Auftrag, die noch vor einigen Wochen eine gewisse Konjunktur im Einzelhandel zu schaffen schienen, spielen heute, insbesondere im Textilhandel, keine bedeutende Rolle mehr, da der Inlandspreis sich den Weltmarktspreisen bereits so weit angenähert hat, daß der Ausländer kaum noch darauf rechnen kann, mit Vorteil einzukaufen. E
Die Warenvorräte beim reellen Handel sind heute im allgemeinen klein bis höchstens mittelgroß, da die Geldentwertung kaum noch die Möglichkeit gibt, größere Warenmengen anzukaufen, um sie auf Lager zu legen. Selbst dort, wo zurzeit noch ein großes Lager vorhanden ist. wird dieses nach Eingang der neuen, auf Devienbasis abgeschlossenen Waren auf ein Minimum zusammenschmelzen, da heute der Hand.er erst einmal drei bis vier Stück der alten Waren verkaufen muß, um nur ein Stück der neuen sogenannten „Deoisenwace" erstehen zu können.
Die Handelskreise halten es nicht für richtig, daß ein Te der Fabrikanten in dieser Zeit, wo alle Schichten des deutfchen Volks von Monat zu Monat mehr verarmen, nicht nur «ein Vermögen auf der bisherigen Höhe des inneren Werts er» hält, sondern es sogar durch recht beträchtliche Gewmnaus- schläge noch erhöht, während z. B. der Großhändler den für ihn ruinösen Verlust ganz allein tragen muß, der für G dadurch entsteht, daß er die Ware an den Einzelhändler um»
MMKoM, Montag, >«r 18. Dezemker 1A3L
aus diesem Wege an den Verbraucher kaum nur zur Hälfte seines tatsächlichen Selbstkostenpreises weitergeben kann. Der Verband Deutscher Tuchgroßhändler und die sonstigen einschlägigen Verbände des Handels haben daher die Ein» kaufssperre in Aussicht genominen, d. h. den Beschluß, die Abnahme und Bezahlung aller in Devisen oder Goldmark gekauften Waren so lange einzustellen, bis die Fabrikanten- schast sich bereit erklärt, einen angemessenen Teil des durch dis Geldentwertung entstandenen Verlustes zu übernehmen.
PoincarLs Niederlage ,
Paris, 17. Dez. In der vollbesetzten K a m m e k s l 8 a kk g! am Freitag .gab -Ministerpräsident Po in ca re die o«gekündigte Erklärung über die Londoner Konferenz ab. Seit der Friedenskonferenz in Lausanne, so führt« er aus, habe sich der öffentlichen Meinung Europas so etwa» wie ein Fieber bemächtigt. Ohne ersichtlichen Grund. Die Konferenz von Lausanne habe vielmehr die vollstärHigs Einigkeit der Verbündeten erwiesen. Es handle sich mehr um Mißverständnisse als um Meinungsverschiedenheiten, wie daraus hervorgehe, daß die Türkei dem Völkerbund beitreten wolle. Die Konferenz in London sei in herzlichem Ton verlausen. Er (Poincare) bedauere di« Vergangenheit nicht; er fei überzeugt, daß die Anklagen französischer Herrschsucht bei den Verbündeten keinen Anklang finden. Da aber die Besprechungen noch nicht beendet seien, sondern am 2. Januar fortgesetzt werden sollen, könne er der Kammer keine längeren Erklärungen geben. Er wolle aber vor allem feststellen, daß die deutsche Entschädigungsschuld und die Kriegsschulden der Verbündeten untereinander etwas ganz Verschiedenes seien; elftere bedingen ein Vorrecht vor den Verbandsschulden. Es wäre eine Schmach, wenn von Frankreich die Bezahlung seiner Kriegsschulden gefordert würde, bevor seine Ansprüche von Deutschland befriedigt wären. Bonar Law habe jene Note Balfours (die noch unter Lloyd Georges Regierung einen Nachlaß der englischen Guthaben von den Verbündeten ablehnte, solange Amerika nichts an den englischen Kriegsschulden Nachlasse. D. Schr.) fallen lassen und es sei Hoffnung vorhanden, daß in diesem Punkt am 2. Januar ein« Verständigung gefunden werde. Deutschland habe im Jahr 1922 statt der ihm vom Londoner Ultimatum auferlegten 2600 Millionen Goldmark nur 405 Millionen gezahlt, während 705 Millionen Gutscheine ausgegeben worden seien. Wenn es im neuen Jahr seinen Verpflichtungen nicht Nachkomme, würden die Verbündeten berechtigt sein, in Deutschland Pfänder zu ergreifen. Frankreich denke aber weder für heute noch für morgen an ein militärisches Vorgehen oder an Strafsanktionen. (I) Es sei entschlossen, Pfänder zu nehmen, wo es sie vorfinde, und er hoffe, daß dies in Uebereinstimmung mit den Verbündeten geschehen könne. Die letzte Noted esReichskanzlersCuno sei vollständig ungenügend.gewesen; sie habe von Festigung der Mark und von Anleihen, aber nicht von Sicherheiten gesprochen. Doch sei sie deshalb interessant, weil sie zum erstenmal eingestehe, daß große deutsche Kapitalien ins Ausland gebracht worden seien. Die vorgeschlagene innere Anleihe habe nur den Zweck gehabt, diese Kapitalien herbeizuschaffen und die skandalösen Gewinne der Großindustriellen (I) festzuhalten. Mehr könne er im Augenblick nicht sagen, denn es wäre unangebracht, Deutschland vorher über sein« Absichten zu unterrichten. Dies würde nur dazu benützt werden, des Absichten der Regierung zu durchkreuzen.
Abg. Daudet beantragte, die Besprechung der eingegangenen drei großen Anfragen. Die Regierung erklärte, daß sie der Besprechung nicht zustimmen könne und sie beantrage ihre Vertagung. Der Regierungsantrag wurde mit 288 gegen 22Z Stimmen abgelehnt. Die Kammer ging zuerst zur Behandlung einiger kleineren Anfragen über.
Tardieu verlangte sodann von der Regierung, sie solle erst das Ergebnis und die Rückwirkungen ihrer beabsichtigten Maßnahmen prüfen und sich klar machen, daß ein militärisches Vorgehen ohne vorherige Verständigung mit den Verbündeten nicht von Dauer sein könne. Die Geldbeitreibungen seien zuerst im besetzten Gebiet am Platz. In den Ruhrhäfen liehen sich wohl Abgaben erheben.
Die Sitzung wurde bis 10 Uhr abends vertagt.
Poincarö hat sein Schicksal nun auch ereilt Genau vor einem Jahr hat er gelegentlich der Konferenz in Cannes au der Grube geschaufelt, in die er — damals Vorsitzender des Senatsausschusses für Auswärtiges — seinen Vorgänger Briand wie ein gehetztes Wild Hineintrieb. Die Ränke und Schliche, die Briands Stellung untergruben und di« Llaod Leora« kürzlich mit aller wünschenswerten
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S7. ZahrtzMlG
Deutlichkeit rücksichtslos in Zeitungsartikeln aufgebeckt HÄ, haben nun in gleicher Weise Loucheur und Tardie« gegen Poincare angewendet. Der Abgang Briands wäre - aber eine Himmelfahrt zu nennen gegenüber dem kläglichen Höllc-nsturz Poincares. Briand war auf dem besten Weg, sich mit Lloyd George über eine Enrschädigungspolitik ohne Gewalt zu verständigen und die habgierigen Absichten der Großkapitalisten Frankreichs auf die Bodenschätze des deutschen Rhein- und Ruhrgebiets einzudämmen, wenn nicht gaiiz zurückzudrängen. Die schlotternde Angst der „Großen Nation" vor dem deutschen Kinderreichtum sollte nach dem Angebot Lloyd Georges durch einen Vertrag beschwichtigt werden, durch den England sich zu militärischer Hilfe im Fall eines deutschen Angriffs verpflichtete. Da« alle« war vom Standpunkt der Verbündeten aus als eine Poliük der Mäßigung zu bezeichnen. Und ohne Zweifel war alles ganz ehrlich gemeint. Ganz anders Poincarö. Man kann ohne Uebertreibung sagen: seine ganze Politik ist eine einzige große Lüge. Mit Lügen hat er den Prast- dentenstuhl im Kabinett erstiegen: aus Lügen waren die unerhörten Beschimpfungen und Bedrohungen aufgebaut, dt» er in seinen zahllosen amtlichen und nichtamtlichen Reden gegen Deutschland schleuderte; mit Lügen hat er den Präsidentenstuhl wieder verlassen. Cr fand den Mut, auch vor der Kammer öffentlich die Ablsugnung zu wiederholen, nkreich denke weder für heute noch für morgen an ein anl .arisches Vorgehen gegen Deutschland oder an Strafsanktionen". Dies ist aber von allen übrigen Teilnehmern an der Londoner Besprechung sofort bezeugt morden wenn sie es hinterher „aus Rücksichten" zu vertuschen geneigt sein sollten. Dies militärische Vorgehen und die Strafsanktionea wurden in jener Geheimsitzung beim Präsidenten Millerand beschlossen, bei der auch Marschall Foch, der Kriegs- Minister Maginot und einige andere Bullenbeißer zugezogen waren. Allerdings, als man in London darauf bestimmt und unmißverständlich erklärte: von den Beschlüssen des Geheimen Rats sei der englischen Negierung „nichts bekannt," — in gewöhnlicher Sprache heißt das: die Franzosen werden doch nicht glauben, daß England sich auf solche Abenteuergeschichten einläßt — da behauptete auch Poin- rarö: er wisse von nichts.
Dre Grundlüge der deutschen Schuld am Krieg benützt Poincarö ferner zu der Behauptung, die deutschen Enl- schädigungsschulden gehen allen anderen vor und der — unseligerweise unterschriebene — Friedensvertrag gebe das Recht, Pfänder zu nehmen d. h. gegen Deutschland eins Raub- und Crprefferpolitik zu betreiben. Die Verbündete« hätten das Recht gehabt, sagte Poincare, Deutschland die gesamten Kriegskosten aufzuerlegen, sie hätten sich aber darauf beschränkt, nur di« von Deutschland angerichteten Schäden ersetzen zu lassen. Jedes Wort verlogen! Gelogen von Poincarö, der den ganzen Krieg erwiesenermaßen angestiftet hat! Es ist weiter eine Lüge, wenn Poincarä. von den „skandalösen Gewinnen der deutschen Großindustrie" spricht, die ihm das „Recht" zum Zugriff nach deutschem Privateigentum geben sollen. Poincare kennt sich doch i« der französischen Großindustrie, mit der er eng genug verfilzt ist, genügend aus, um zu wissen, daß bei der deutschen Geldentwertung eine Dividende von 30 Prozent heute weniger ist als eine Dividende von zwei Prozent vor dem Krieg. Daß das Zahlungsangebot des Reichskanzlers Enno überstürzt und darum unvollständig war, ist nicht zu bestreiten, aber es war kein Grund, das Angebot ols eine „Bs- leiiügung" rundweg zurückzuweisen: Poincarö hätte ja tun können, was nachher Bonar Law getan hat, und bei der deutschen Industrie. anfragen lassen, wieweit sie bei dem Cuno'schen Vorschlag mitzuwirken bereit sei. Aber das paßte in die Gewaltpolitik nicht hinein.
Wir Deutsche dürfen nun aber nicht glauben, daß es setzt für uns gewonnen sei. Gesetzt, es käme der frühere Minister Loucheur ans Ruder, so werden die jährlichen Bar» und Sachleistungen auf eine unerhörte Höhe geschraubt werden, wenn sie auch vielleicht nicht mehr mit den Bajonetten ein- getrieben werden sollten, denn Loucheur ist ein Wiederherstellungsfanatiker, der nicht genug bekommen kann. Fiele aber die Wahl aufTardieu, so genügt es daran zu erinnern, daß er der Schule Clemenceaus angehört und ihr unerbittlichster Verfechter ist. Tardieu ist allerdings nicht mehr zu überbieten, es sei denn durch eine Säbsloogtei Fach oder Rollet. In Deutschland wird man sich aber vor Augen halten müssen, daß die Entschädigungssache nicht eher zur Ruhe kommen wird, bis sie vorher auf d:e äußerste Spitze getrieben ist. Für uns ist es Lebensfrage, daß dl« Reiäisleitung m der Hand eines Mannes von Schrot und Korn liegt und daß wir alle ohne Ausnahme durch äußerste Anstrengung den guten Willen beweisen, von der mm estr- mal übernommenen Last abzutragen, was menschenmöglich ist. Zugleich dürfen Reichsleitung und Volk aber nicht einen Augenblick aufhören, die wahrhaft Kriegsschuldigen ans Licht zu ziehen und auf diesem natürlichsten und uns leider allein verbliebenen Weg das Lügengewebe der,
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