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(Enztalbote)
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Druck der Buchdruckerei Wilddader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack in Wildbad
Nummer 243
Fernruf 17S
Wildbad, Dienstag, den 17. Oktober 1922
Kurze Tagesüberstcht.
Tie Räumung Thraziens durch die Griechen hat unmehr begonnen, nachdem Griechenland das Mn- )ama-Abkoin«nen unterzeichnet hat.
tzßr blutigen Zusammenstößen kam es am Sonntag in Berlin zwffch:» Kommunisten und Schutzpolizei, oobei es nrhrcrs Tote und über 2SV Verletzte gab.
In England begann mit einer Rede Lloyd Georges sie politische Attseinandersetznng wegen der Orient- olitik Ntkd zugleich der Wahlkampf.
Um die Reichspräsidentenwahl bzw. deren Verschiebung wird in Berlin noch immer verhandelt. Eine Einigung über die Verschiebung der Wahl ist noch nicht erzielt.
Mehr als drei Jahre frohndeu wir scharr unter dem Truck des Diktats von Versailles. Seltsamerweise hat vis Welt nur wenig von dem erfahren, was wir bisher bereits geleistet haben. Unsere Regierung, die allein imstande ist, einen umfassenden Ueberblick zu geben, hat sich lange Zeit hindurch völlig in Stillschweigen gehüllt und somit dazu beigetragen, daß m der Well auch heule noch von unseren Gegnern die Unwahrheit verbreitet werden kann, wir hätten keinen ernsthaften Willen zur Erfüllung der im Friedensvertrag übernommenen Verpflichtungen gezeigt, zahlten nur ungenügend und könnten, wenn wir wirklich' wollten, noch weit inehr leisten als bisher. Erst vor einiger Zeit hat sich demgegenüber die Reichsregierung veranlaßt gesehen, einmal eine Zusammenstellung unserer Leistungen zu geben. Ein vollkommenes und ausreichendes Bild von der vollen Höhe der uns auferlegten Belastung wird aber das alles nicht gegeben; denn diese erschöpft sich keineswegs in den Goldzahlungen, Sachiliefe- rungen und Besatzungskosten, songern geht noch weit darüber hinaus.
Um sich darüber klar zu werden braucht — so schreM die „T. A. Z." — man beispielsweise nur darauf zu der- weisen, daß wir namentlich eine gewaltige Menge von Kohlen an Frankreich zu liefern haben, die uns nur zu ünscrem Inlandspreise angerechnet werden. Ter Abfluß der Kohlen nach Frankreich aber .zwingt uns zugleich zur Einschränkung der Tätigkeit unserer Industrie, also zu Verminderung der Gütererzeugung und ruft so Warenknappheit, neue Warenteuerung und zunehmende Arbeitslosigkeit hervor. So wächst bei uns ständig die Not, währen wir, bei Licht besehen, zu unseren Kvhlenliese- rungen an Frankreich auf jede Tonne noch den Unterschied zwischen Inlands- und Weltmarktpreis zuzuzahlen haben, ohne daß, uns dgs angerechnet, ja, ohne daß er nur irgendwie beachtet wird. Welche Bedeutung das hat, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß zurück beste Fettförderkohle durchschnittlich etwa 4105 McuZ für die Tonne kostete, während sich der Preis für entspre- chende englische Kohle auf rund 15000 Mark die Tonus stellt. Tatsächlich ergibt sich daraus, daß Frankreich aus jede Tonne Kohle noch einige Tausend Mark als Geschenk von uns bekommt. Frankreich zieht dann auch dieses von uns kommende Geschenk alsbald dadurch wieder ein, daszi es die gelieferte deutsche Kohle am Weltmarkt M Weltmarktpreisen verkauft. Erinnert man sich, daß unsere monatlichen Kohlenlieferungen etwa 1,7 Millionen Tonnen betragen, so gehen neben den Kohlen selbst monat^ lich noch viele Milliarden Mark an dem Unterschied zw« schen Inlands- und Auslandspreis verloren. Die End ziehung von Kohle macht es uns aber auch unmöglich, das Ausland am freien Markt mit Kohlen zu beliefern unS Hamit unsere Handels- und Zahlungsbilanz wieder aufzu- bessern. Auch Saarkohle, die man uns weggenommen Hatz brauchen wir und Frankreich ist P Pltcg, sie Ms zu 7ö
Franks für die Tonne - beim heutigen Frankenkurs ztz 12 352 Mark zürückznvcrkEn, wahrend es uns fm Lieferung ähnlicher Kohle nur 5 6000 Mark für W Tonne anrechnet. Es sind allo ganz ungeheure Ach Wendungen, die wir über die Goldzahlungeu undSach Lieferungen hinaus noch zu machen haben, ohne daß mak
uns vas überhaupt in Anrechnung bringt, wenn man vo» unseren Leistungen auf Grund des Friedensvertrags spricht. Was hier von der Kohle gesagt ist, das gilt i» ganz ähnlicher Weise auch von den Erzeugnissen der weiterverarbeitenden Industrie, das gilt insbesondere vor Holz, Eisen, Zement usw.
Das alles der Welt regelmäßig immer wieder aus Gru'.id umfassenden und unanfechtbaren Zahlenmaterials vor Augen zu führen, scheint uns eine der wichtigste» Aufgaben der Neichsregierung zu sein. Sie sollte sich künftighin nicht darauf beschränken, einfach zusammenW stellen, was in Gold und Sachlieferungen unseren Gegf nern zugeführt worden ist, sondern darüber hinaus itz regelmäßigen zeitlichen Zwischenräumen auch Aufschluß darüber geben, welche Milliardenbeträge von uns mstteb bar im Zusammenhang mit jenen ohne weiteres auch dem blödesten Auge erkennbaren Leistungen noch aufgl» gebracht werden müssen. Dazu gehören übrigens nM» den kurz hier angedenteten Posten auch noch eine ganzs Reihe anderer Aufwendungen. So zum Beispiel die AuSi gaben für Erwerbslosenfürsorge und Arbertslvsenmiteo stützung, soweit sie durch jene Beschränkungen mijepch Prvduktionsfähigkeit veranlaßt sind. I
> Geht die Reichsregierung dazu über, Srs alles in aiv schaulichcr, leichtvcrständlicher Form jedermann vor Ar« gen zu führen, so wird dadurch nicht nur der gegnerische Propaganda, die immer wieder mit der Unwahrheit vo» Deutschlands bösem Willen arbeitet, ein wichtiger Stützpunkt entzogen, sondern auch der Propaganda gegen das unselige, ganz Europa ins Elend führende „Friedens"- diktat ein wirksamer Dienst geleistet. Man sollte deshalb jerw ^ m, daß die Reichsregierung alles daran setzen um Ms diese Weise nicht nur unser eignes Woltz sondern auch die ganze Welt darüber aufzuklären, was wir in unserer Erfüllungspolitik bisher aufgebracht Haben und noch immer zum Schäden unserer wie fremde» Volkswirtschaften anfbringen. Ter Erfolg einer solchen Aufklärungspolitik würde sicherlich nicht auf sich warten
Lloyd George verteidigt seine Politik.
London, 16. Okt. In einer Rede, die Lloyd Georgs Samstag nachmittag im Reformklub von Manchester hielt, betonte er zunächst, daß es niemals die Absicht des britischen Kabinetts gewesen sei, einen Krieg zu entfesseln. England sei durchaus friedlich gesinnt und wünsche keinen Krieg. Tie jüngsten Verhandlungen seien in einer Weise geführt worden, daß dabei Englands Stellung ohn. Reichen gewesen sei. Während der ganzen Verhandlungen sei die Negierung der Gegen? stand von Verleumdungen gewesen. Das Land werde über derartige Handlungen Richter sein. In den Orientfra- gen verfolge England drei Ziele. Es wollte die Freiheit der Meerengen durchsetzen, wollte ein Ueber- greifen des Krieges nach Europa verhindern und eine Wiederholung der unerträglichen Schrecken von Kleinasien in Konstantinopcl nnd Thrazien verhüten. Der- Ministerpräsident erinnerte daran, daß der Weltkrieg im Jahre 1914 auf dem Balkan begonnen habe. Seit 1914 hätten die Türken, amtlichen Feststellungen zufolge, lä/z Millionen Armenier und MO 000 Griechen niederge- aemetzelt. Lloyd George richtete lebhafte Angriffe gegen seine liberalen Kritiker. Lloyd George bedauerte die von den Liberalen vertretene Anschauung, daß England zwischen Türken und Griechen sich nicht einzumischen hätte. Das sei nicht die Lehpe des alten Gladstone gewesen. Die Politik des gegenwärtigen englischen Kabinetts entspreche durchaus den höchsten Ueberlieferungen Englands. George legte sodann dar, daß nach den Berichten des Generals Harington in Koustantinopel sich 15—20 000 bewaffnete Türken befänden. Anderseits kam der englischen Regierung von der französischen Regierung die Nachricht zu, daß, weuu die Griechen oder Türken in die neutrale Zone eindrängen, die Verbündeten Widerstand leisten müßten. Dieser Ansicht der französischen Regierung pflichtete die englische bei. Es sei zwecklos, einen Gegner bluffen zu wollen, der ein ausgezeichneter Kämpfer sei. Die Türkei sah ein, daß es England ernst war, und nur so konnte der Friede aufrechterhalten werden. Man sage, daß das englische Kabinett entgegen den Kvaeln der alten diplomatischen Schule gehandelt hat.
Fernruf 179
57. Jahrgang
Am so schlimmer für die alle Diplomatie! Sit habe den furchtbarsten Weltkrieg zu st and« gebracht, den die Welt jemals sah. Tie Diplomat^ von Amateuren habe im Jahre 1922 den Frieden zu» standegebracht. Lloyd George habe die Politik Englands im Orient nicht von: Zaun gebrochen, sondern ererbt. Einzelne Abmachungen wären vor seiner Uebernahme dei Ministerpräsidmtschaft schon geschlossen worden. Tie englische Orientpolitik mußte eine Umgestaltung erfahren. Dabei war man aber erfolgreich.
Mit großer Schärfe kritisiert der „Temps" die Redl Lloyd Georges. Ter englische Ministerpräsident habe ein« Wahlrede gehalten, und um die patriotischen Leidenschaften zu entfachen, gegen die Türkei und das heißt in diesem Falle gegen Frankreich gesprochen. Keine feindliche Regierung habe während des Krieges Frankreich und Italien stärker beleidigt, als jetzt ein Bundesgenosse. Frankreich habe die neutrale Zone an der Meerenge geschützt, solange Gefahr bestand, daß die Griechen der Krieg in den Bosporus tragen würden. Jetzt nach Besei- tchung dieser Gefahr, haben Frankreich und Italien, di, nicht nach der Beherrschung der Wasserstraßen streben keinen Grund, ihre Truppen gegen die Türkei zu schicken. Aber England habe seine eigenen Pläne. Erst habe es angesichts seiner schwachen Position in Tschanak dkl politische Unterstützung Frankreichs gebraucht, um du Türkei zur Räumung der neutralen Zone zu bewegen Jetzt, da dies gelungen, der Vertrag von Mudania unter, z.ichnet'rnd. die Stellung.bei Tschau«*, ausgebaut ist ändert Lloyd George den Don. Jetzt verleumdet ei Frankreich und Italien. Er strebe die Eroberung bei Meerengen an, die mit der Unabhängigkeit der Türkei uns den Lebknsintcressen Rußlands nicht vereinbar ist.
Das Urteil im Nachenau-Mordprozetz.
Berlin, 15. Okt. Tis Morgenblätter besprechen das Urteil des Leipziger Staatsgerichtshofs im Rathcnau- Prozeß. Tis deutschnationale „Deutsche Zeitung" nennt die Strafen ungeheuerlich. Die Techows gehörten in eine Besserungsanstalt. Die „Kreuzzeitung" schreibt, absolute Klarheit sei darüber geschaffen, daß die Teutschnationale Volkspartei und andere nationale Vereinigungen in keinerlei Beziehungen zu dem Morden standen. Ter „Tag" äußert sich ähnlich. Ju der „Germania" werden die Beteiligten als unchristlich und undeutsch charakterisiert. Deutschland komme aus der Mordlust nicht heraus, wenn nicht das „Liebe deinen Nächsten" Gewicht erhalte. In der „Vosstschen Zeitung" heißt es, der Prozeß Habs erwiesen, daß es Mordorganisationen in Deutschland gebe und die Anstiftung zum Mord bei uns gefahrlos sei. Die Fäden des planmäßigen Kampfes gegen die Republik seien unentwirrt. TaS „Ber liner Tageblatt" spricht die Hoffnung aus, daß durch das ^rechte und würdige Urteil des Staatsgerichtshofes as Unkraut, das den Boden der Republik mit Unfruchtbarkeit bedrohe, entwurzelt werde. Die "Note Fahne" glaubt daß der Prozeß die vollkommene- Untauglichkeit des Staatsgerichtshofes erwiesen habe. Die „Deutsche Allg. Zeitung" hofft auf eine Reinigung der politischen Atmosphäre und auf die Zurückdrangung sinnloser Bestrebungen und Taten, dis nur aus einer nachwrrkenden Kriegspsychose zu begreifen sind. Erfüllt sich diese Hoffnung, dann ist der arme Walter Rathenau nicht umsonst gestorben. Der „Vorwärts" urteilt: So billig wäre ein Mintstermord unter dein alten System nicht gewesen. 33 Jahre Zuchthaus, das war unter dem alten System; erade die Sühne für einen verprügelten Gendarmen.
ist das schlimmste Manko dieses Prozesses: die Mordorganisation ist dadurch nicht enthüllt, nicht zer«, stört. Gewiß ragt das Urteil des StaatsgerichtshofK sei allem noch immer turmhoch über die Schano--- arteile reaktionärer Gerichte, die überführte Mörder statt laufen ließen, wenn sie ihrer Richtung anae-, hörten. Ern Fortschritt ist es demgegenüber gewiß,-! iber eS ist nicht die republikanische Tat, die map erwartet hatte. Die „Frankfurter Zeitung" bc- jkertt: Niemand wird ehrlicherweise bcch-m, ..-n kö:: nen, daß sich dieser Gerichtshof, der von den Gegnern ber Republik als Revolutionstrrvunal geschmäht worden ist von Gefühlen des Hasses und der potttischeW Voreingenommenheit habe leiten lassen; man könnte -ber von einer Ueberobjektivität sprechen, die in der L ndringlichkeit der Befragung manches vermisse» ließ, tzs wird manche geben, die da l U-teil angesichts eines! H furchtzbartzy Bexhrechens n->) der überlegten Art,