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(Enztalbote)

Amtsblatt für W^dbad. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack in Wildbad.

Nummer 204

Fernruf 179

Wildbad, Freitag den 1. September 1922

Fernruf 179

57. Jahrgang

Tagesspiegel

In Paris konnte man sich bis gestern nachmittag noch keineswegs einigen. Es tauchte ein neuer belgischer Vorschlag aus, wozu auch der amerikanische Beisitzer in der Repara- tionskommifsion das Wort ergriff.

Staatssekretär Schröder hat in der Reparastonskommis- sion eine umfassende Erklärung über die deutsche Finanz­lage und die Sachlieferungsptane der deutschen Regierung atMgeben.

Der NeichskoPenrak hat den Preis für die Tonne rhei- nisch-wesifälischer kohlen auf 2413 Mk. mit Steuer und 1723 Mark ohne Steuer festgesetzt.

Am nächsten Dienstag sollen im Reichsfivanzmlnisterium Verhandlungen über die Erhöhung der Bezüge der Beamten und Skaatsarbeiter beginnen.

Im Reichseisenbahnrat wurde mitgeteilk, daß die am 1. Oktober zu erhöhenden Personenkarife am 1. Dezember nochmals um 60 Prozent erhöht werden.

Der Rechtsausschuh des sächsischen Landtags beschloß mit den bürgerlichen und kommunistischen Stimmen, d«m Volks­begehren auf Landtagsauflöfung stattzugeben.

Die Türken melden in Sleinasien bedeutende Erfolge, die von griechischer Seite zugegeben werde«.

Sedan

(1. September)

Ueberholt? Nein, große Tage eines Volkes können mck» dürfen nicht überholt, nicht vergessen, nicht zurückgsstsllt wer­den, auch wenn trübe, elende Zeiten es heimsuchen.Nacht muß sein, wo Friedlands Sterne leuchten."

Und ein solcher Stern erster Ordnung ist und blsibt Se­dan. Es war am 1. September nachmittags. Der großartige französische Kavallerieangriff auf der Hochfläche von Flo- ing war abgeschlagen. Noch fehlte es an der Maasarmee, die nicht recht vorwärts kam. Auf dem äußersten rechten Flügel stand das Gardekorps. Trat dieses kn Tätigkeit, dann konnten sich die beiden Armeen im Nordvsten von Sedan die Hand reichen und der eiserne Kreis war geschlossen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.

Graf v. Moltke verfolgte mit der an ihm gewohnten » bewundernswerten Ruhe den spannenden Augenblick. Plötz-

» lich richtete er sich straff auf, schob die Schärpe zurecht und

trat an den König heran. Er meldet:Das Gardekorps greift ein. Ich wünsche Eurer MajestätGlückzu ei­nem der größten Siege diese» Jahrhun­derts." -

Dieser Glückwunsch gilt heute noch dem deutschen Volk. Viel, unendlich viel liegt zwischen 1870 und 1922. Der Feind der damals in nie dagewesener Wucht niedergeworfen wurde, derselbe Feind nennt sich heute denSieger" und sucht mit grausamer Wollust seine Rache für Sedan an einem Volk zu kühlen, zu dessen Bändigung er mehr als zwei Du­tzend Staaten der Welt aufbieten mußte.

Und wenn es Frankreich noch im letzten Augenblick ge­lang, so ift's wahrlich nicht sein Verdienst, aber auch nicht unsere Minderwertigkeit. Alle menschliche Kraft har eine letzte Grenze, an der sie naturnotwendig zusammenbricht. So ift's auch mit der Kraft des deutschen Volkes. Aber hinter der Kraft steckt der Geist.

Und das ist der G ei st von Seda n. Mag er auch in großen Teilen des Volkes erloschen sein, jener Geist des unerbittlichen Pflichtgefühls und der schrankenlosen Hingabe an das Vaterland, so ist er immer noch da. Er glüht unter der Asche eines Trümmerhaufens von Ohnmachr und Ver­elendung weiter. Es bedarf nur eines starken Windstoßes der Geschichte, um wieder aufzuleuchtsn.

Davor fürchtet man sich kindisch in Paris. Obwohl po­litisch und militärisch erledigt und jetzt, leider Gottes, auch finanziell entmündigt, bleibt Deutschland immer noch eine Macht, mit der auch Frankreich rvisder einmal rechnen muß.

Aber dieser Sieg zeigt auch, wo unser größter Feind steht. Nicht rechts, nicht links. Nein, derKladderadatsch" hat wieder einmal den Nagel aus den Kopf getroffen, wenn er zum Sedanstag 1922 dichtet: ,

Sei deutsch und eins; daß Glück und Glanz dir werde, Und präge fest dir diese Wahrheit ein:

Du hast nur einen Feind auf dieser Erde.

DenHagel Er steht drübe» Ktz4rm Rhein. iss. N.

Die Entscheidung der Reparations- komvlisfion.

Paris, 1. Sept. Die Reparationskommisston hat mit 3 zu 1 Stimme den Vorschlag Bradburys Deutsch­land ein bedingungsloses Moratorium zu gewähre», abgelehnt. Dagegen wurde der belgische Vorschlag, wonach Deutschland seine Schulden in Schatzanweisungen von 6 monatlicher Fälligkeit bezahlen müsse, einstimmig angenommen.

An unsere Leser!

Eine Katastrophe ist über die deutsche Presse HSr- eingebrochen, die alle bisherigen Erscheinungen der Zei- tungsnot in den Schatten stellt. Ein Unglück, dessen Auswirkung sich noch nicht abschätzen läßt, das aber tief einschneiden wird nicht nur in die Wirtschafts­lage der Zeitungsbetriebe, sondern auch in die gesam­ten kulturellen Verhältnisse unseres Vaterlandes.

Der Papierpreis, der vor dem Krieg 20 bis 21 Pfen­nig für das Kilo Zeitungspapier betrug, war schon für den Monat August auf 28 Mark, also auf das Hundertvierzigfache gestiegen. Jetzt teilt der Verband deutscher Druckpapterfabriken den Zeitungsverlegern tnit, daß vom 1. September ab ein Papierpreis von wenigstens 70 Mark für das Kilo verlangt werden müsse. Das ist rund gerechnet das Drethnndert- fünfztgfache des Vorkriegspreises l

Berechnet man aber, in welchem Ausmaß die Be­zugspreise der Zeitungen gesteigert werden müßten wenn sie mit den Papierpreisen gleichen Schritt hal­ten wollten, so wird leicht festzustellen sein, daß die nunmehr eintretenden ganz ungewöhnlichen Preise für den Bezug einer Zeitung beim besten Willen nicht an­ders zu gestalten sind. Schweren Herzens müssen die Zeitungsverleger solche Entschlüsse fassen, weil ihnen unter dem Zwang der bestehenden Zustände zu ihrem tiefsten Bedauern keine andere Wahl bleibt und ihnen keinerlei wirksame Hilfe zuteil wird. Im Gegenteil: das Holz aus den staatlichen und privaten Waldun­dungen der Hauptbestandteil des Papiers wird immer weiter zu wahrhaft unerhörten Preisen htnauf- getrieben.

Die Leser unserer Zeitungen, die mit dem von ihnen zu entrichtenden Bezugspreis in den meisten Fällen lediglich den reinen Papierpreis, oder gar den nicht einmal, decken, werden um verständnisvolle Würdi­gung der geschilderten katastrophalen Lage gebeten. Das feste Band, das die Leserschaft mit den Zeitungen verbindet, darf nicht gelockert werden, und wir sind sicher daß die viel gerühmte schwäbische Treue sich auch in diesen kritischsten und sorgenvollsten Wochen der Zeitungsnot bewähren wird.

Heimatliebe

Ungeheuer viel ist uns kn den letzten trchwigen Icchren verloren gegangen. Bleischwer senkt sich usts eine neue Sorge um die andere entgegen, nicht nur die Sorge um das persönliche bißchen Existenz, sondern auch der Kummer ums deutsche Ganze. Trübselige Klein geisteret treibt ihr Zersplit­terungswerk, während es doch das Gebot der Stunde wäre, daß wir in einer innersten deutschen Gemeinsamkeit zuein­ander stünden, befähigt und bereit, rastlos aufzubauen, was im Rahmen des Möglichen für unser armes Volk und Vater­land wiederaufgebaut werden kann. Auf innerste deutsche Edelkräfte sollten wir uns besinnen und nicht zuletzt jenes alten gutenauf Treu und Glauben" gedenken, das unfern Vätern noch mehr war als alle pochernen Verträge und Ta­rife, und an dessen Stelle jetzt ein Wettrüsten des Mißtrauens getreten ist und so viel gottsjämmerliche Lüge, Hinterhäl­tigkeit rmd schwindelnde Egoisterei in den weitestgreifenden ßvMen. Ift's nicht, als Mrey wix.tp Mem tiH tragisches

Sinne heimatlos geworden? Aber dann wollen wir um so mehr dem unverkennbaren Selmsuchtstone lauschen, der ge­rade in unseren dunkelverworrenen Tagen nach dem Erleb­nis der deutschen Heimat rusti

Die wirkliche Weisheit der Heimat weist auf ein Blei- bendes und Bodenständiges. Kein Zufall ist es, daß sie so gern an die Ackerscholle anknüpft, an ländliche Sitte und damit an alten volkstümlichen Brauch, den man in Ehren hält, auch wenn der Stadtmensch die Sache nicht ver­steht und wenn er demgemäß die Nase rümpft. Ja, da ist manches Wunderliche bei Hochzeit und Kindtaufe, bei Kir­mes und Erntefest, beim Hausbau und wohl auch bei Tracht und Mundart, im Süden anders als im Norden, oft mit einer ganz seltsamen Abgeschlossenheit, und doch überall als deutscher Heimatsinn, deutsches Heimgefühl. Gewiß, es hat sich manches gelockert und verwischt, der modische Zug der Stadt hat manchem sein Dorf als reizlos und rückständig er­scheinen lassen, und mancher Zivilisationsunsegsn ergoß sich, verwirrend und zerstörend über alte ländliche patriarchalische Verhältnisse. Aber die wahrhaft Einsichtigen unter den Volksfreunden haben es stets empfunden und empfinden es heute mehr denn je, daß Landflucht und Gleichgültigkeit ge­gen ländliche Eigenart eine große Torheit ist. Nicht als ob sie gerade für das Land das Rad der Kulturgeschichte krampfhaft nach rückwärts gedreht halten möchten, sondern weil es um Sein oder Nichtsein deutschen Heimatlebens geht, und weil ein völliges Schwinden dieses Erlebens den Verfall eines guten Teiles deutscher Kraft, deutscher Geistes­und Seelenkrast darstellen würde, was doch keineswegs eine Unbedingte Schicksalsnotwendigkeit zu sein braucht.

Und so geschieht'-! denn auch redlich und reichlich, daß man sich müht, die Heimat mit allen ihren lieben, trauten Besonderheiten wieder von Grund aus zu entdecken und in das volle rechte Licht zu rücken. Heimatschutzl Hei- matpflege! Es ist eine Losung geworden, von der man's nun auch gerade wieder in der Stadt und zumal der Großstadt fühlt, daß sie etwas hervorragend Kulturfördern­des hat, und daß es sich' hier um eine wichtige deuriche Ge­genwartsaufgabe handelt. Heimatkunst, Heimatstil, Heimat­forschung und Heimatfeste, alles soll beitragen, um den Her­matgedanken von neuem im deutschen Volke zu verankern, und es ist schön, wenn die Jugend in aller Einfachheit hin­auszieht, um deutsche Natur und Landschaft unmittelbar per­sönlich zu erleben, bis in die tiefsten Falten der Seele, zu erleben als wahrhaft glückschaffende Weisheit der Heimat. Daß bei solchem Sinnen und Unternehmen auch Ueberstie- genheiten und Geschmacklosigkeiten mitlaufen können, soll uns die Freude an dem gesunden neuen Zug zur Heimat nicht verleiden. Auch das Beste und Heiligste hat seine Zerr- bilder.

Deutsches Volkstum und Heimatliebe das klingt zu­sammen wie Helles, klares Erz. Ein guter Teil unserer sin- nigsten Volkslieder ist auf diesen gesunden, urwüchsigen Ton gestimmt, und gern schlagen wir im bunten und reichen Buche deutscher Geschichte jene Blätter aus, wo uns auch von gro­ßen persönlichen Opfern für die Heimat berichtet wird, von Opfern, die doch mit einer ganz selbstverständlichen Freudig­keit dargebracht wurden. Daneben freilich gmg bei uns im­mer ein Zug nach unbekannten Fernen, ein Wander- und Auswanderungstrieb, bei dem das Selbstwertgefühl der Heimat leider nicht immer mitgenommen und wie ein Hei­ligtum bewahrt wurde. Ein allzu schnelles Sichanpassen und Sicheinleben aus fremder Erde und unter fremdstäm­migen Menfchen gmg dann vor sich, und zuletzt kam doch nicht das erhoffte Glück heraus. Um so fruchtbringender aber, fürs Eigenperfönliche ebenso wie fürs Kulturelle in einem tiefsten Seelenfinne, war es immer, wenn Deutsche auch draußen" mit vollem Bewußtsein und doch ohne Auf­dringlichkeit einen kräftigen Hauch Heimatluft schufen und hochhielten. Wir wollen uns gerade jetzt mit diesen Aus- lanüdeutschen inerlich verbunden fühlen.

In der Heimat ist es schön!" Schlichter, selbstverständ­licher Satz des volkstümlich. Liedes wie hast du dich tau­sendmal als hohe Wahrheit erwiesen, auch wenn keine rau­schenden Waldberge oder still anmutige Täler einem von der Heimat Fernen vor der heimwchdurchzitterten Seele auftauchten, sondern vielleicht nur eine kleine Stadt mit en­gen, verwinkelten Gassen, oder auch eine große Stadt mit dem Surren und Rasseln des Verkehrs und den vielen Mietskasernen! Menschen machen die Heimat. Wem, untere Altvordern da, WortFremde" gebrauchten,