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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack in Wildbad.

Num er 136

Fernruf 179

Wildbad, Freitag, den 7. Juli 1922

Fernruf 179

57. Jahrgang

Tagesspiegel

Die Sozialdemokraten haben mit dem Zentrum und den Demokraten über den Eintritt der Unabhängigen Sozialdemo­kraten in die Reichsregierung verhandelt. Die beiden bürger­lichen Parteien wollen auch mit dar Deutschen Volkspartei iv> Unterhandlungen eintreten.

Die Blätter der drei sozialistischen Parteien »Vorwärts", »Freiheit" und »Rote Fahne" sind am ö. Juni wieder er­schienen; die bürgerliche» Blätter wurden noch nicht ausge- geben.

Auf eine Anfrage erklärte ein Regierungsvertreter lm englischen Unterhaus, Deutschland habe reichliches Kriegs­material abgeliefert oder vernichtet, was die Radikalen etwa noch verbergen, könne nur ganz unbedeutend sein. Die Ueber- wachungskommifsion des Verbands habe selbst nicht einen solchen Erfolg erwartet. (Poincare hat aber unbekümmert um diese Tatsachen unlängst wieder behauptet Deutschland besitze noch große verborgne Waffenvorräte.)

Die irischen Regierungskruppen haben ln Dublin gesiegt. Die letzten Aufständischen haben sich nach hartnäckigem Kampf ergeben. Viele Häuser, me von ihnen besetzt waren, find niedergebrannt. Die Verluste find groß.

Nun sind wir soweit

.Zch glaube, daß der Niedergang Europas durch die Fri-edenäverkräge in drohendere Nähe gerückt ist, als durch den Krieg. Mit jedem Tage sinkt es tiefer und tiefer. Begründet« Verbitterung steigt empor.'

Nitti: .Das friedlose Europa'. Auf der Brüsseler Finanzkonferenz des Winters 1920/21, einer jener zahllosen Konferenzen, die die Aufgabe hatten, Deutschlands Zahlungsfähigkeit zu studieren, stellte Dr. Si­mons fest, daß Deutschland in zwei, drei Jahren so weit sein würde, wie Oesterreich, wenn an den Entschädigungsbedin­gungen kein« Aenderungen vorgenommen würden, die mit der Wirklichkeit im Einklang stünden. Als diese Voraussage ausgesprochen wurde, stand die österreichische Krone in Zürich auf 1,80. Heute kostet ein Schweizer Franken 100 Reichs­papiermark. Wir sind soweit. Und manche Anzeichen sprechen dafür, daß wir in der nächsten Zeit auf diesem Weg noch einige Fortschritte machen werden. Wir haben die öster­reichischen Verhältnisse, Verhältnisse, die mit jedem Tage österreichischer werden, indessen die österreichischen längst den russischen ähnlich werden.

Man wird nunmehr der Frage nicht mehr ausweichen können, an welchem Punkt der Markentwertung, des wirt­schaftlichen Tiefstands, die Erfüllung des Ariedensvertrages aufhören muß. Zu wieviel Fristen, zu wieviel Stufen des Leids sollen wir uns noch weiterschleppen, ohne mit aller Energie zu versuchen, dem Irrsinn des Poincarismus zu be­gegnen? Wann ist das Maß von Geduld und Bitterkeit voll, das dem Deutschen zu leeren bestimmt ist?

Wir meinen, daß die Zeit gekommen ist, Entschlüsse zu fassen. Der Zeitpunkt ist im Hinblick aus die Meinung des Auslands nicht der ungünstigste. 100 Mark für 1 Franken ist schließlich ein Beweisstück, für das auch die Poincaristen Sinn haben werden jedenfalls hat die übrige Welt Ver­ständnis dafür! Das Gutachten der Bankisrskonferenz, das dis Gewährung einer Anleihe an Deutschland vom Abbau des Entschädigungswahnsinns abhängig machte, ist bisher in Deutschland politisch unbenützt geblieben. Man wird, stärker als bisher, dem Gedanken Raum geben müssen, daß die Friedensverträge" nicht dazu angetan sind, den Frieden zu schaffen, daß sie vielmehr der Vernichtung Deutschlands dienen. Francesco Nitti, einer der italienischen Minister­präsidenten der Kriegszett, keineswegs deutschfreundlich, hat in seinem BuchDas friedlose Europa" darüber mit aller Deutlichkeit geurteilt:

.Zn Wahrheit hat kein vernünftig denkender Mensch je daran geglaubt, daß Deutschland mehr als ein ge Milliarden jährlich befahlen könne, und niemand glaubt ernstlich, daß man ein küliivieries Land dreißig Jahre unter Kontrolle halten kann Aber es wirkte das Ziel, das das ganze Werk des Vertrags beherrschte: Deutschland zu zerschmettern, Deutschland zu zerstückeln, Deutschland zu erwürgen. Di« Verträge waren, wie Elemeuceou sich ausdrückte. ein Mittel, den Krieg fork- zusühren.' ' ..

Das ist die Tatsache, die Absicht Frankreichs wenigstens. Die Haltung Poincarös, der immer lauter mit Sanktionen, Besetzungen und Versklavungen droht, je näher wir ans Ende unsrer Ersüllungsmöglichkeit gekommen sind, ist Be- weis für die Richtigkeit dieser Anschauung. Es gehört für ein entwafsnetes, zermürbtes, politisch zerfleischtes Volk viel Mut und Charakter dazu, diese Tatsache zu werten. Aber MM HU politischen Führung ist'», zu dieser Erkenntnis

durchzudringen, ihr neue Methoden des Handelns anzupassen. Es geht nicht weiter, wie es bisher mit Ach und Weh zu gehen schien. Es ist nicht richtig, daß die Zeit für uns arbeitet. Sie arbeitet zu langsam. Wir werden uns rühren müssen in unsrem Elend, hörbarer, als es seit Versailles je geschehen ist.

Der Umbau des Reichtzhauses

Die SelbstbesttmruÄiA der deutschen Länder.

Wir geben im Nachftehs- den «-rer Zuschrift unsres Ber­liner Mitarbeiters Rom.', ohne uns zu der Auffassung des parlamentarischen Verfassers' von dum Artikel 18 der Wei­marer Verfassung zu bekennen. Gewiß hätte der Artikel Recht, wenn es sich nur darum handelte, den deutschen Ein­zelstaaten eine größere Selbständigkeit gegenüber der frühe­ren Vormacht Preußen zu sichern. Aber das kommt längst nicht mehr in Frage; das Gelüste nach weiterer Selbständig­keit könnte heute nur noch etwa dem Reich gegenüber geltend zu machen sein, das namentlich seit der großen Fi­nanzreform, seit der liebere''er Verkehrsanstalten an die Reichsverwallung usw..e..:s Zusammenfassung, der Re­gierungsgewalt bewirkt hat, die schon mehr als emmal den Widerspruch der vier süddeutschen Staaten hervorrief. Es sei nur an die Mmisierprüsidentenbesprechungen in München und Karlsruhe erinnert. Die Bedenken gegen die neue Aus­legung des Artikels 18 bewegen sich in der Richtung, daß er allerdings der Zerschlagung Preußens Tür und Tor öffnet. Mit Oberschlesicn hon es ängefannen, Hannover wird, wie der Verfasser selbst sagt, bald Nachfolgen, und ein Ende ist nicht abzusehen. Darüber können Schlagworte wie Gliede­rung und Selbstbestimmung nicht hinwsgtäuschen. Die Zerschlagung Preußens wäre aber ein Unglück für das Reich und seine Zukunft, und die starre Reichseinhcit wäre 'un diesen Preis doch zu teuer erkauft. Die Schriftleitung.

Ein parlamentarischer Mitarbeiter schreibt mir: In der­selben Reichstagssitzung, in der Ende voriger Woche dis Ge­treideumlage beschlossen wurde, ging auch das Gesetz durch, das die Ausführung des Artikels 18 der Weimarer Reichsverfassung regelt. Der wichtige Augenblick darf in den Wirren dieser Tage nicht übersehen werden. Es handelt sich um die künftige Gliederung des republikani­schen Deutschlands in seine einzelnen Stammländer. Es handelt sich darum, die Vor­herrschaft Preußens, wie sie aus der früheren geschichtlichen Entwicklung überkommen ist, durch Selbst­bestimmung des Volkes zu brechen, ohne das Reich zu zersALgen. Artikel 18 der Verfassung bietet dazu die Das neue Gesetz eröffnet die praktischen

Möglichkeiten.

Der Artikel 18 ist eine der umstrittensten Stellen der Verfassung. Die unmöglichen Bedingungen von Versailles, die militärische Fremdherrschaft in den Rheinlanden uns Oberschlesien verhinderten Deutschland, sein neues politisches Dasein in Freiheit auszugestalten. Die zweijährige Sperr- frist, unter die Artikel 167 der Verfassung die schwierigsten und wichtigsten Bestimmungen gestellt hatte, ist vor einiger Zeit abgelaufen, ohne daß die erhoffte Klärung der Ver­hältnisse eingetreten wäre. Gleichwohl hat die Neichsregie- rung den Schritt gewagt, ein Ausführungsgesetz zum Art. 18 dem Reichstag vorzulegen. Sie mußte zwei Entwürfe vor- bereiten, da wesentliche Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und dem Reichsrat bestanden.

Zunächst handelte es sich um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein« Volksabstimmung staltzufin- den habe. Der Artikel 18 selbst spricht mit ausdrücklichen Worten nur für den Fall von einer Abstimmung, daß ein Drittel der wahlberechtigten beteiligten Einwohner es ver­langt. Die Reichsregierung folgert aber aus der Entstehungs­geschichte des Artikels, daß ihr daneben das selbständige Recht zur Vornahme von Volksabstimmungen habe zu­gebilligt werden sollen. Und der Reichstag ist in seiner Mehrheit der Anschauung der Reichsregierung gefolgt. Im Reichsrat hatte sich Braunschweig auf die Seite des Reichs gestellt. Es kämpfte dort für die niedersächsischen Selbständigkeitsbestrebungen, die in absehbarer Zeit zur Loslösung Hannovers von Preußen führen werden.

Vielumstritten war ferner die Frage, ob einer nicht von der Reichsregierung angeordneten Volksabstimmung ein Zulassungs- und Eintragungsverfahren vor- auszugehen hat. Auch hier hat die braunschweigische Auf­fassung schon im Rechtsausschuß des Reichstags gesiegt, in­dem das öffentliche Eintragungsverfahren durch die geheime Vorabstimmung ersetzt worden ist, für welche die gleichen Vorschriften wie für die Abstimmung selbst gelten sollen.

Don den Bestimmungen des Aussührungsgesetzes ist end­lich noch zu erwähnen, daß als stimmberechtigt nur die Reichstagswähler anerkannt werden, die am Abstimmungs­tage Einwohner des Abstimmungsgebiets sind, und daß die Einwohnereigenschaft von dem Wohnsitz oder dem einjäh­rigen Aufenthalt in dem in Frage kommenden Gebiet ab­hängig gemacht wird. Hier und da geäußerte Wünsche, die

Sttmmberechttgung aus die seit längerem in dem Abstim­mungsgebiet seßhafte Bevölkerung zu beschränken und nach dem Vorbild insbesondere der oberschlesischen Abstimmung auf die im Abstimmungsgebiet Heimatberechtigten auszu­dehnen, sind nicht erfüllt worden, und konnten es wohl auch nicht angesichts der Fassung des Artikels 18 selbst, der als stimmberechtigtdie zum Reichstag wahlberechtigten Ein­wohner" bezeichnet.

Das letzte und eigentlich« Ziel des Artikels 18 und seines neuen Ausführungsgesetzes ist, den immer noch bestehenden Gegensatz zwischen dem Reich und Preußen zu beseitigen. Das Ziel ist nicht," so führte der Redner der Bayerischen Volkspartei im Reichstag, Aba. Dr. Benerle, aus, Preußen klein zu schlagen. Preußen wird immer der größte Staat im Reich bleiben. Aber die anderen Stämme des Deutschen Reicks wollen wie die Bäume eines Gartens gleiche Freiheit, gleiche Möglichkeit der Entfaltung haben."

er.

Deutscher Reichstag

Schuhgeseh

Berlin, 6. Juli.

Auf der Tagesordnung der gestrigen Reichstagssitzung stand die erste Beratung des Gesetzentwurfes zum Schuh der Republik, verbunden mit einem Amnestiegesetz. Die Unab­hängigen und die Mehrheitssozialdemokraten hatten dazu verschiedene Anfragen eingebracht, die in der Donnerstag­sitzung behandelt werden sollen. Zu dem Schutzgesetz erklärte Reichsminister des Innern Dr. Köster, an Stelle der er­gangenen Verordnungen solle das Gesetz treten, da der Ar­tikel 48 der Verfassung so selten und so kurz wie möglich an­gewandt werden dürfe. Der Sumpfboden, aus dem die klei­nen, feigen Mordgesellschaften entsprechen seien, müsse endlich geheilt werden, lieber Einzelheiten könne man reden. Im übrigen stehe und falle die Regierung mit diesem Gesetz. Weitere Gesetzentwürfe würden noch in dieser Sitzungs­periode folgen. Das Reich habe keine Busführvngsgewalt. erst die Gewalt der Länder gebe die Macht. Das Reich sei in Gefahr: ieder möge seine Pflicht tun.

Abg. Silberschmidt (Soz.) betonte, daß es sich um ein Ausnahmegesetz gegen rechts handle. Die Republik habe bisher Geduld gehabt, doch sei es jetzt genug. Der Entwurf gehe seiner Partei nicht weit genug, vor allein müsse da» Reich die Ausstihrungsgewalt besitzen.

Abg. Dr. Bell (Ztr.) sagte, im Hinblick auf die politischen Verbrechen müssen Maßnahmen zum Schutz der Republik er­griffen werden. Seine Partei stelle sich auf den Boden des Entwurfs, Ausnahmegesetze lehne sie aber ab. Auch ein über­zeugter Monarchist solle seine Ansicht sachlich vertreten dür­fen. Für die Ausschußberatung behalte sich seine Partei die Aenderung von Einzelheiten vor.

Abg. Dr. Petersen (Dem.) erklärte, daß es sich bei dem Gesetz um notwendige Ergänzungen des Staatsrechts handle, das nach allen Seiten hin angewandt werden müsse.

Abg. Dr. Düringer (Dntl.) verurteilte die geheimen Organisationen, die Verschwörungen und besonders den Mord an Nathenau und erkannte grundsätzlich die Maßnahmen des Reichspräsidenten als berechtigt an. Ueberraschen müsse aber die Erklärung des Iustizmmisters, daß diese Verordnungen außschließlich gegen rechts gerichtet seien. Seine Partei stehe aus dem Boden der Verfassung. Das Gesetz sei ein trauriger Beweis einseitiger Parteipolitik, weshalb seine Partei es in dieser Form ablehne,

Abg. Dr. Rosenseld (Unabh.) forderte ein neues Dis- ziplinarstrafgesetz, das die Entfernung von monarchistischen Beamten ermögliche. Auch brauchten wir endlich einen repu­blikanischen Reichswehrminister.

Abg. Dr. Stresemann (DB.) erklärte, seine Partei sei bereit, an dem Gesetz mitzuarbeiten. Die Mörderorgani­sationen müßten ausgerottet werden. Die jetzigen Mitglieder der Regierung könnten nicht für unsere üblen Zustände ver­antwortlich gemacht werden. Für unabsehbare Zeit sei der Wiederaufbau Deutschlands nur möglich auf dem Boden der Ärpublik, die sich aber von Bilderstürmerei fernhalten sollte. Einzelne Bestimmungen des Gesetzes gingen weit über das ehemalige Sozialistengesetz hinaus, was seine Partei nicht mitmachen könne. Die Ausschreitungen in Darmstadt seien unerhört. Es sei festgestellt, daß aus den Tag der Kund­gebungen am Dienstag in Darmstadt 400 Schutzleute beur­laubt worden seien. Wegen dieser Notiz seien dieFrank­furter Nachrichten" verboten worden. Soll das die neue Freiheit sein?

Abg. Leicht (B. VpZ schloß sich den Erklärungen des volksparteilichen und des Zentrumsredners an. Abg. R e m- mele (Komm.) findet das Gesetz nicht weitgehend genug und fürchtet, daß die Verordnungen auch gegen links ange­wandt werden. Auch das Amnestiegesetz geht ihm nicht weit genug. Vor allem verlangte er die Freilassung von Max

^Hierauf wurde das Gesetz zum Schutz der Republik und ebenso das Amnestiegesetz dem Rechtsausschuß überwiesen.