(Enztalbote)
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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schristleitung Th. Sack in »ilbbad.
Nummer 14V
Fernruf 179
Wildbad, Montag, den 19. Zuni 1922
Tagesspiegel
Die Reichsregierung hat Vertreter der Länder zur Beratung einer Erhöhung der Bezüge der Staatsangestellten nach Berlin berufen.
Das preußische Finanzministerium gibt bekannt, daß die Aleuerabgaben der Mitglieder des Hauses Hohenzollern ständig überwacht werden: das ganze Vermögen könne aber seht noch nicht erfaßt werden.
Der Garantieausschuß ist am Sonntag ans Baris in Berlin ekrZelroffen. Er wird sich voraussichtlich 14 Tage in Berlin aushallen.
Laut „Tageblatt" rechnet man damit, das; die Regierungserklärung des Reichskanzlers über die Rcpa- rationsverhandlnngen und die damit zusammenhängenden Kragen am nächsten Mittwoch erfolge» wird.
Wie der „Lokalanzeiger" hört, hat der Borsteher der Berliner russischen Gemeinde in Gemeinschaft mit der Großfürstin Xenia, der ältesten Schwester des ermordeten Zaren eine F estste klungst läge bei den Berliner Gerichten eingercicht, um auf dem Wege des Zivilprozesses die umstrittene Krage des Eigentumsrechtes an dem Berliner russischen Botschaftsgebäude zu klären.
Auf der Schichau Werft in Danzig lief heute in Gegenwart einer tausendköpfig,n Zuschanermengc der Personen- und Frachtdampfer „Kolnmbns", de» Schichau für den Nordd. Lloyd erbaut hat, glücklich vom Stapel Das Schiff ist mit 32 000 Bruttoregistertonnen und über 40 000 Tonnen Wasserverdrängung nunmehr das größte Schiff der dentschen Handelsmarine
Zwischen Deutschland «nd Polen soll ein Amnestie- abkommen getroffen werden.
Der schwärzeste Tag der deutschen Geschichte
Am 28. Juni werden drei Jahre verflossen sein, seit jener unheilvollen Stunde (es war nachmittags 3 Uhr), ats unsre beiden Vertreter, die Reichsminister Herma r^n Müller und Dr. Bell, in der denkwürdigen Spiegelgalerie des Schlaffes von Versailles schweigend.ihre Unterschriften unter das unglückliche Schriftstück setzten oder, sagen wir besser, setzen muhten. Vor ihren Unterschriften standen 67 Namen der 27 „alliierten und assoziierten Mächte". Die 28. — Rußland — fehlte. Immerhin ein unvergänglicher Ruhm für unser Volk, die Tatsache, die in dem Schandoer- trag verewigt ist, daß 28 Mächte der Welt zusammenstehen muhten, um uns nach vier- und mehrjährigem Ringen endlich nisderzuwerfen.
ClSmenceau leitete jenen Schlußakt der entsetzlichsten Tragödie, die je über ein Volk hereingebrochen war, mit der kurzen aber grausamen Ansprache ein:
„Die Unterschriften sollen vollzogen werden. Sie bedeuten die unwiderrufliche Verpflichtung, alle fe st gelegten Bedingungen inihremgan- zen Umfang zu erfüllen und treu und redlich auszuführen. Ich habe demgemäß die Ehre, die deutschen Herren Bevollmächtigte aufzufordern, den vor mir liegen- i Len Vertrag mit ihren Unterschriften versehen zu wollen."
Und sie — und wir haben seither Wort gehalten. S i e, die sogenannten „Sieger", an ihrer Spitze Frankreich als ihr Gerichtsvollzieher, haben mit teuflischer Freude bei jedem irgendwie gegebenen Anlaß, uns den entsetzlichen „Schein" vor die Augen gehalten, wo es nur auch war, in Paris oder London, in Spaa oder Boulogne und haben dessen restlose Erfüllung gefordert. Wir fanden nirgends Nachsicht, niemals Entgegenkommen. Es blieb bei der unerbittlichen Erklärung, die Elömenceau 6 Tage vor der Unterzeichnung, am 22. Juni 1919 abgegeben hatt:
Die alliierten und assoziierten Mächte halten sich zu >er Erklärung verpflichtet, daß die Zeit der Erörterung vorbei ist. Sie können keinerlei Abänderung jder Vorbehalt annehmen oder anerkennen.
Ja, welchen Vorbehalt? Gemeint war nämlich unser naliges letztes Angebot vom 22. Juni 1918, das lautete:
„Die Regierung der deutschen Republik -st bereit, den Hriedensvertrag zu unterzeichnen, ohne je och a-
mit anzuerkennen, daß das deutsche Volk der Urheber des Kriegs je i."
Aber gerade das sollte unter allen Umständen stehen bleiben. Das ist es auch, was Frankreich heute nach drei Jahren nie und nimmer zulasten will. Sie wissen recht gut, daß mit dem Artikel 231, der die Alleinschuld Deutschlands behauptet, der ganze Vertrag steht und fällt. Hat doch der gegenwärtige Ministerpräsident Frankreichs, Poincare, am 27. Dez. 1920 im „Temps" ausdrücklich geschrieben:
„Was in den Augen der ganzen Menschheit die französische Forderung rechtfertigt, das ist nicht der Ausgang der Feindseligkeiten, sondern allein der Ausgangspunkt des Kriegs . . . Wenn tatsächlich nicht die Mittelmächte es sind, die den Krieg hervorgerufen haben, warum sollten sie dazu verurteilt sein, dessen Schulden zu bezahlen? Eine geteilte Verantwortlichkeit, schließt sie nicht immer auf Fug und Recht die Teilung der Kosten in sich? Man teile also die Kosten, wenn Deutschland Entschuldigungen hat."
Und deren hat Deutschland mehr als genügend. Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch (Kautshy-Akten), das Weißbuch des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, das österreichische Rotbuch, die Veröffentlichungen eines Tirpitz, Bethmann-Hollweg, v. Jagow, Helfferich, v. Bülow, Hamann — und wenn diese Deutschen nicht gelten sollen, dann greife man zu den direkten und indirekten Zeugnissen von Männern, die dem feindlichen Ausland angehören, zu Lord Fisher, Viscount Haldane, Jswolsky, Palöologue, Caillaux, nicht zu vergessen die Belgier Beyens und Guillaume, namentlich aber zu dem unerschrockenen englischen Wahrheitszeugen C. D. Morel und der hinter ihm stehenden „Union der demokratischen Kontrolle."
Obenan aber steht ein Mann, der neben Wilson und Clemenceau die größte Verantwortung am Vertrag von Versailles trägt. Wir nennen keinen geringeren als Lloyd George. Er sagte am 23. Dez. 1920:
„Je mehr man Aufzeichnungen und Bücher liest, die in den verschiedenen Ländern über die Ereignisse vor dem 1. August 1914 geschrieben wurden, desto mehr sieht man ein, daß niemand an führender Stelle zu jener Zeit geradezu den Kr ieg wollte. Es war etwas, in das sie glitten, oder eher wankten und stolperten vielleicht aus Dummheit und eine Aussprache hätte es zweifellos verhindert."
Ist dem so, warum wird dann Deutschland kein mildernder Umstand zugebilligt? Fahrlässigkeit ist kein Verbrechen. Aber der Friedensvertrag stempelt uns zu Verbrechern schlimmster Sorte. Da» Ultimatum vom 16. Juni 1919, das unser« Unterschrift über da» Versailler Diktat forderte, enthält di« furchtbare Anklage gegen uns;
„Der Ausbruch des Krieg» ist nicht au? einen plötzlichen Entschluß, der in einer schweren Krisis gefaßt ist, zurückzuführen. Lrwardaslo«-scheSrgebnis«iner Politik, die seit Jahrzehnten von Deutschland unter dem Einfluß des preußischen Systems verfolgt wurde."
Jahrzehnte! Welch himmelschreiendes Unrecht! Genau das Gegenteil ist wahr. Soeben sind die ersten sechs Bände der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amts der Oesfentlichkeit übergeben worden. Das gesamte Material über die deutsche Politik vor dem Weltkrieg soll offen vor aller Welt-ausgebreitet werden, nichts zurückgehalten, nichts verschwiegen werden. Die neuen Veröffentlichungen enthüllen eine große unumstößliche Wahrheit: die zielbewußte Friedenspolitik des ersten Kanzlers. Und seine Nachfolger haben es nicht anders gewollt und nicht anders gehalten.
Jetzt heißt es auch für die andern Völker, für England und Frankreich: Heraus auch mit Euren Karten! Und nun sollen unparteiische Richter ihren Spruch fällen. Wir Deutsche brauchen uns nicht davor zu fürchten. Aber dann fordern wir auch eine Nachprüfung des Schimpfvertrags von Versailles. Der 28. Juni 1919 muß wieder gut gemacht werden.
Es muß wieder tagen. „Die unwürdige Rotte", sagte einmal Moltke, „die man uns spielen läßt, kann ja nicht von langer Dauer sein. Ein schimpflicher Friede hat noch niemals Bestand gehabt."
tt.
Fernruf 179 57. J»hrgSNg
Deutscher Reichstag
Kchlichiungsordnung
Berlin 17. Juni.
In ^er gestrigen Sitzung des Reichstags wurde nach Erledigung einiger Anfragen ohne allgemeines Interesse in allen drei Lesungen der Entwurf angenommen, durch den die Bezüge aus der Unfallfürsorge für Gefangene verzehnfacht werden, ebenso der Entwurf über die Erhöhung der Vergütungen für Ouartierleistungen an die Reichswehr.
Bei der ersten Lesung der Novelle zur Schlichlungsordnung stimmte Abg. Giebel (Soz.) grundsätzlich dem Gedanken einer Schlichtungsordnung zu, äußerte aber Bedenken wegen der scharfen Zwangsbestimmungen des Entwurfs. Reichsarbeitsminlster Dr. Brauns stellte als Ziel des Entwurfs in den Vordergrund, den Wirtschaftsfrieden zu fördern und zu sichern. Am Streikrecht rüttelte die Schlichtungsordnüng nicht. Sie wolle nur die auch von den Gewerkschaften bekämpften wilden Streiks verhindern. Abg. Ehrhardt (Ztr.) bezeichnete die Sicherung des gewerblichen Friedens als eine Lebensnotwendigkeit unseres Volks. Abg. Graf- Thüringen (D.Nat.) stimmte den Grundgedanken der Vorlage zu und beantragte ihre Verweisung an den sozialpolitischen Ausschuß. Abg. Ausfhäuser (Unabh.) bezeichnete die Vorlage als ein Gesetz zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Gewerkschaften. Den Arbeitern und Angestellten wollte man damit das Selbstbestimmungsrecht nehmen. Abg. Moldenhauer (D.V.P.) steht der Vorlage, die der Zurückdränaung des Klassenkampfes diene, zustimmend gegenüber. Abg. Fick (Dem.) äußerte Bedenken wegen des bürokratischen Aufbaus der Vorlage und hätte die berufliche Gliederung derjenigen nach Bezirken vorgezo- gen. Abg. Weiner (B.V.P.) sprach ebenfalls Bedenken gegen Einzelheiten der Vorlage aus. ,
Die Sitzung des Reichstags am 17. Juni beginnt um 12 Uhr.
Der Entwurf auf angemessene Entschädigung für Schöffen, Geschworene und Vertrauenspersonen wird in zweiter und dritter Lesung angenommen.
Das Wiesbadener Abkommen und da» Bemel- mänsche Abkommen gehen ohne Aussprache an die Ausschüsse.
Die Zwangsanleihe, die Aenderung der Einkommensteuer und die Anträge der Rechtsparteien auf Aenderung der Erbschaftssteuer kommen gemeinsam zur ersten Beratung.
Abg. Hölle in (Komm.) erhebt Einspruch gegen die Steuerpolitik der Regierung und wirft der Sozialdemokratie vor, daß sie ihren Parteigenossen, den Reichswirtschaftsminister Schmidt bei seiner Forderung nach Erfassung der Sachwerte im Stich gelassen habe.
Da sich niemand mehr zum Wort meldet, werden die Vorlagen und Anträge dem Ausschuß überwiesen, ebenso die Vorlage der Schlichtungsordnung.
Am Montag kommt die Getreideumlag« zur Beratung.
Die Haager Konferenz
Beobachter und Studienkommiffare
Die Haager Sachverständigenkonferenz hat begonnen. Es ist zunächst nur eine tastende Vorkonferenz, und die eigentlichen Sachverständigen sind noch gar nicht da. Das Feld beherrschen vorläufig noch die Diplomaten. Diese wollen aber beileibe nicht als Politiker auftreten, d. h. sie haben der angeblich rein wirtschaftlichen Konferenz den Weg zu ebnen. Sie sind nur „Beobachter". Der französische Gesandte Benoist hat das ausdrücklich erklärt und der belgische Vertreter Cattier hat keinen anderen Wunsch als das französische Spiel zu spielen. Da auch der amerikanische Gesandte von seiner Regierung den Befehl erhalten hat, eingehend, aber sachlich zu berichten, werden in dieser Konferenz, die im Gegensatz zu Genua nur von minderen Größen beschickt ist, bald mehr Beobachter als Handelnde sitzen.
Eine gewisse Beschloffenheit und Arbeitswilligkeit zeigt nur die englische Abordnung. Sie besteht aus dem Minister des Schatzamts Commander E. Hilton Poung, dem Direktor für den überseeischen Handel Sw Philipp Lloyd Greame, dem Mitglied des Handelsministeriums S- Chapman und etwa zwei Dutzend Beamten. Aber Liese Engländer wissen noch nicht recht, was sie zu tun. haben. Die Entscheidung hängt von dem Besuch Pomcares bei Lloyd George ab, der aus Anlaß des sog. Verduntags mit vielem Pomp und Festen — General P e t a , n ist auch dabei — in London soeben veranstaltet wird. , ^
Nur der Form wegen, um Eifer zu zeigen, sollen me Haaaer Vertretungen einstweilen „die Bedingungen prüfen, unter denen eine Zusammenarbeit mit einer ruffischen Sachverständigenkommission möglich ist". Am 20. Juni soll der russischen Regierung gnädigst verkündet werden, welche Märkte von den Verbündeten und Neutralen — Deutschland.