(Enztalbote)

Amtsblatt für W''ddad. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei «ildbader Tugblatt; »erlüg und Schriftleitung LH. «ack in «ildbad.

Nummer 1Ü8

Fernrnf 17»

«Udbad, Mittwoch, de» 1». Mai 1922

Tagesspiegel

Der Gesetzentwurf über die Zwangsanleihe ist dem Reichsrat zugegangen. Die Beratung soll so beschleunigt werden, daß der am 10. Mai zusammenkrekende Reichstag die Borlage noch vor dem 31. Mai erledigen kann.

Im Finanzausschuß d«s Reichstags wurden die Anträge zu 8 33 des Beamtenrätegesehes abgelehnt, die entweder all­gemeines Mitbeskimmungsrechk in persönlichen Angelegen­heiten (Antrag des Abgeordneten Sleinkopf. Soz.) oder dasselbe Recht für bestimmte Fälle fesklegen wollten (An­träge der Abgeordneten Delius. Demi und Hosfmann. USP.j.

Der Rumor in Genua wird nicht überall ernst genommen, jedenfalls steckt zu durchsichtigen Zwecken hinter den Auf- regungsmeldungen über eine Spaltung der Konferenz und einen Bruch zwischen Lloyd George und den Franzosen viel Mache. In gewissen politischen Kreisen Englands ist man mit Lloyd George nicht zufrieden; man wirft ihm vor. er sei gegen die Franzosen zu schroff gewesen. Italien bemüht sich eifrig.

wischen beiden Teilen zu vermitteln und die Konferenz ^»-

ammenzuhallen. Die italienische Vertretung sucht auch die Russen zur Nachgiebigkeit zu bewegen.

Präsident Millerand ist Dienstag nach Paris zurückge­kehrt. Um 11 Ahr empfing er Pomcare, mit dem er sich längere Zeit über die auswärtige Lage, speziell über die Ar­beiten der Konferenz von Genua besprach.

Marschall Jofsre ist von seiner sechsmonatigen Reise nach dem fernen Osten und nach Amerika wieder in Paris einge- trosfen.

Kinder aufs Land

Jetzt beginnt wieder die Unterbringung von Kin­dern der städtischen Bevölkerung auf dem Land, die sich seit dem Jahr 1917 zu einem wichtigen Wirkungsfeld der Bolkswohlfahrtspflege ausgewachsen hat. Wenn der Landmann gelegentlich Schilderungen der Not hört, die vielfach in städtischen Kreisen herrscht, dann denkt er an die ungeheueren Preise, die auch er bezahlen muh, an die lawinengleich wachsenden Arbeitslöhne, und er denkt nicht zum wenigsten an den sinnlosen Luxus, den er gerade auch in den Kreisen sieht, die ihn früher nicht kannten und die sich gedankenlos Dinge leisten, auf die er noch heute verzichtet und wird mißtrauisch. Nicht ganz ohne Berechtigung. ^ ^

Gleichwohl muh die Unterbringung der Stadtkinder auf dem Land noch auf Jahre eine der wichtigsten Volksausgaben bleiben, ebensowohl um der Volks- qesundheit willen, wie wegen des Ausgleichs zwischen Stadt und Land. Noch hält sich die bitterste Not tn begreiflicher Verschämung verborgen. Tatsächlich aber gibt es Tausende und aber Tausende, die mcht nur längst auf den kleinsten Luxus verzichten lernten, son­dern buchstäblich darben und bei den stetig steigenden Preisen ihren Kindern auch die unentbehrlichen kraft- bildenden Nahrungsmittel nicht mehr lneten können. Früher mochten manche ihre erholungsbedürftigen Kin­der in Heimen unterbringen, heute sind sie nicht mehr in der Lage, die dort geforderten Preise zu bezahlen. Ueberdies sind die Folgen der jahrelangen Unter­ernährung in dem Heranwachsenden GeMecht noch lange nicht überwunden. Das macht freilich die sorg- sam sie Auswahl der unterzubrmgenden Kmder zur Pflicht. Eine schematische Beschränkung auf be- stimmte Stände oder Volksklassen wurde zu Ungerech-

^^Eine"solche Auswahl muß übrigens der Landmann nocb aus ganz anderen Gründen fordern. Er hat rn der^wischenzät auch seine Erfahrung nnt Stadtkindern gesammelt. Nicht selten wurden ihm Kmder zugchmdt, denen daheim manchmal geflisien lich ubertrie bene Vorstellungen von emem "Schlemmerleben der Bauern" eingevslanzt worden waren. Er hat aber des weaen nicht nötig, von seiner zwar kräftigen, aber ^urch^eg einfache Kost abzugehen. Noch weniger habm ihm andere Erfahrungen Freude gemach N cht selten kommen Sonntags Vater und Dieter nr t und Kegel bei den Pflegee ern angereist um sch aus demUeberfluß" mit verpflegen zu lassen und reichen Vorrat mit nach Hause zu brmgen ch s^.^ st^

leiste Rücksicht genommen wird bezüglich des Alters,

Geschlechtes und der Religion der Kinder, ist selbstver­ständlich, ebenso, daß ihnen keine ausgesprochen kranken oder schlecht gehaltenen Kinder anvertraut werden. Ebenso selbstverständlich sollte es aber auch sein, daß sich die Kinder in die Verhältnisse des ländlichen Hauses - einstigen, daß sie eine anspruchsloseDankbar- keit bekunden und dieselbe Hilfsbereitschaft zeigen, zu dar der Landwirt von klein aus seine eigenen Kinder erßieht. Das ist um der Kinder selbst willen nur er­wünscht, weil sie dann unter Aufsicht sind und Beschäfti­gung haben.

Trübe Erfahrungen auf diesem Gebiet werden aber im allgem-inen von den guten Ergebnissen überwogen. Oft ist ein persönliches Verhältnis angeknüpst worden, so daß es d.n Pflegeeltern schwer ward, den jungen Gast nach 23 Monaten wieder ziehen lassen zu müssen, und daß dem Kind die Abreise blutsauer wurde, das oft schon eine Einladung, im nächsten Jahre wie­derzukommen, mit nach Hause nahm. Naturgemäß hat sich dieses große Werk sehr schnell zu einer weit ver­zweigten Organisation ausgebildet, handelt es sich doch darum, über hunderttausend Kinder auszuwählen und unterzubringen. Das ganze Reich ist in Aufnähme- und Abnahmekreise eingeteilt. Mit den Vorarbeiten muß schon in: Winter begonnen werden. Für die Reis« werden Begleiter gestellt, Fahrpreisermäßigungen er­wirkt, die auch den Kindern von Verwandten zugute kommen können, wenn die Vermittlung der Organisa­tion angenommen, eine ärztliche Bescheinigung über deren Erholungsbedürftigkeit, sowie eine schriftliche Ein­ladung des betreffenden Verwandten vorgezeigt wird. Die Einschulung dieser Stadtkiner aus dem Land ist durch besondere Verfügungen geordnet. Die Versiche­rung der Kinder, der Transportbegleiter, sowie der Haushaltungsvorstände gegen Unfall und Haftpflicht ist geregelt. Auch kann ein mäßiges Kostgeld bewilligt werden, obgleich die unentgeltliche Aufnahme wegen der großen vaterländischen und sozialen Bedeutung des Werks die Regel sein sollte. Leider haben sich aber in dieses segensvolle Werk auch unlautere Elemente ein­geschlichen, die auf eigene Faust und um persönlichen Gewinnes willen als Werber und Vermittler auftreten. Vor ihnen muß eindringlichst gewarnt werden. Man halte sich also grundsätzlich an die amtlichen Vermitt­lungsstellen, die man allerdings möglichst mit Schreib­werk verschonen möae.

Im allgemeinen werden Kinder vom vollendeten 6.16. Lebensjahr untergebracht. Die Dauer des Auf­enthalts ist auf 23 Monate bemessen. Schüler höherer Lehranstalten sollen möglichst in den großen Ferien auf das Land entsendet werden. Ihnen kann übrigens ein Urlaub bis zu 3 Monaten gewährt werden. Von außer­ordentlicher Wichtigkeit aber wäre es, wenn sich die Or­ganisation auch auf das höhere Alter, z. B. besonders der Studierenden legen könnte. Es ist bekannt, mit welchem Ernährungselend weite Kreise gerade der aka­demischen Jugend zu kämpfen haben. Es sollte nicht übersehen werden, wie viele in ihrem späteren Beruf unmittelbar und mittelbar der Landwirtschaft und dem Land dienen: es kommen ja fast die meisten Studieren­den in Frage. Da sind viele, die mit Freuden hilfe­leistende Handarbeit für eine Zeitlang gegen die An­spannung ihrer geistigen Kräfte vertauschen werden. Hier könnte geradezu eine Art Ersatz für die allgemeine Dienstpflicht von einst gefunden werden. Wie dienlich wäre der Jugend von heute die körperliche Arbeit, die schon angestrebte gesetzlich? Arbeitspflicht!

Es bleibt von höchster Bedeutung, daß besonders die in der Großstadt ausgewachsenen Kinder einmal in un­mittelbare Berührung mit der Natur kommen; ihnen muh ja erst noch eine Ahnung aufdämmern von dem Wert bodenständiger Sitte und schollentreuen Volks­tums. Es ist gut, wenn sie lernen, daß dem Landmann der Segen wahrlich nicht so von selber zuwächst, son­dern daß er sein besonderes Maß schwerer Sorgen zu tragen und saure Arbeit zu leisten hat. Es ist noch besser, daß der Landmann beweisen darf, daß er durch­aus nicht der Eigennützige sei, als der er oft verschrien wird. Und das ist das beste, wenn dieses Werk hilft, den albernen Dünkel des Städters und das Mißtrauen des Bauern zu verscheuchen, wenn es Brücken schlägt zwischen Stadt und Land, die nur im Zusammenleben

Fernruf 179

57. Jahrgang s

und Jneinanderarbeiten uns wieder vorwärts bringen können.

Das Erdöl beherrscht die Lage

Politik und Kapital

Zwei Fragen beherrschen das Schicksal der Konferenz von Genua, äußerlich. Und für beide Fragen ist entscheidend der englisch-französische Gegensatz. Bei der einen Frage handelt es sich um die Stellung zu Deutschland, bei der anderen um die Stellung zu Rußland. Frankreich will nicht auf ein sogenanntes Recht, eines Tags über da» wehrlose Deutschland herzusallen, verzichten; wogegen Eng­land einsieht, daß v»n einer Wiederherstellung des europäi­schen Wirtschaftsfriedens nicht die Rede sein kann, solange Europa mit einem Raubüberfall auf das Ruhrgebiet zu rechnen hat. Und was Rußland betrifft, so möchte England der Sowjetregierung wenigstens soweit entgegenkommen, daß sie sich bis auf weiteres behaupten kann; während Frankreich ihr Bedingungen auferlegen möchte, deren Annahme einer Abdankung gleich käme. Offen ist demgegenüber noch die andem Frage, ob die Russen auch nur die Bedingungen ar>- zunehmen Lust haben, worauf England bestehen zu müssen behauptet. Nehmen die Russen die ganze Denkschnfl nicht an, so hat das Ringen um die französische Zustimmung kernen rechten Sinn gehabt. Vielleicht geht unter der Decke rin französisch-russisches Sonderspiel darum, wer zuerst das Nein aussprechen soll, derart, daß jeder von beiden es dem andern zuschieben möchte. Für den Fall, daß die Verständigung mit den Russen so oder so scheitert, sollen etliche Sonderabkommen man spricht von einem italien-scy- ruisischen, auch von einem tschechisch-russischen wurde gemim- kelt schon zur Unterschrift bereit liegen. Ob diesen Nas- nchten Tatsachen zugrunde liegen, oder ob sie in Umlau, gesetzt werden, um irgend einen Gegner zu überlisten, ist natürlich aus der Ferne noch weniger r» entscheiden, als m Genua selbst.

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All dies Getriebe ist ältester Diplomatenstil, aus der Zeit des Wiener Kongresses und dem 18. Jahrhundert. Daneben und dahinter aber machen sich Einflüsse geltend, dieunver, fälschtes 20. Jahrhundert sind. Wo es um Wieder­aufbau oder Untergang Europas, um französische Vorherr­schaft oder englisches Weltgeschäft, um Imperialismus oder Bolschewismus zu gehen scheint, geht es in Wahrheit mög­licherweise nur um das Ringen zweier Erdöl- trusts. Im Weltgeschäft in Erdöl stehen sich zwei Gruppen sche der Standard Oil Company uns

gegenüber, die amerikaui

eine englisch-holländische, die je nach Bedarf als Royal Du: ?

oder als Shell-Trust arbeitet. Der

: Zankapfe

sind die Oetfelcher von Baku am Kaukasus. Die e-

el zwischen beiden

tisch-holländische Gruppe hatte hierfür von den Russen wohl

so etwas wie ein Monopol in Aussicht gestellt oder zugesichert erhalten. Diesem Monopol zuliebe wollte Lloyd George tn bezug auf das von der Sowjetregierung beschlagnahmte Pri- vateigentum von Ausländern mit sich handeln lasstu: die Sowjetregierung sollt^ nicht zur Wiederherstellung des Privateigentums der Ausländer genötigt werden, sondern es sollten Formen gesucht und gefunden werden, unter , men die Interessen der ausländischen Vorbesitzer gewahrt werden könnten und doch der Schein des Staatseigentums aufrecht erhalten bliebe. So sollte zum Beispiel Privateigentum da nicht zurückgestellt werden müssen, wo seine Vertrustungim Interesse der Sache" läge. Das so werden wir aus fr,m- Mischer Quelle belehrt richtet sich gegen dieBelgier, dir im Monopolgebiet der englisch-holländischen Gruppe Anteile an Oelfeldern besitzen oder vielmehr besessen haben. Die möchte die Dutch-Shell-Gesellschast schlucken, während die Bel- gier sie sich nicht aus dew Händen reißen lassen wollen. Daraus würde sich der zähe Widerstand der Belgier gegen die Verständigung mit Rußland, auf der Grundlage von Lloyd Georges Denkschrift erklären.

Restlos aber wohl erst dann erklären, wenn man an- nimmt, daß hinter den Belgiern der amerika- Nische Erdöltrust steht, der das englisch-holländisch« russische Geschäft noch unmittelbar vorm Abschluß zerfst- stn möchte. Weil Standard Oil das nordkaukasische Erdölmvnopol nicht in die Hände von Dutch-Shell fallen lassen will, deshalb darf Sowjet-Rußland nicht anerkannt werden. 8'st st- ,,'ns vorläufig noch nicht. Wenn Sowjetrußland das Ocsch , mst Standard Oil machen will, wird die amerikanische Polill sich wahrscheinlich mit Leidenschaft für die Anerkennuna der Sowjetregierung einsetzen. Bisher müssen die stststn sich aber doch vom Abschluß mit der englisch-holländiscycn vrn pe den größten Vorteil versprochen haben. Inzwisa m .

Standard Oil, es habe neue H-lfstrup,mgea--->mm, -> m es die Mehrheit der Anteile in der schwedisch-russischen E ool- Gesellschaft (Nobel) erworben habe. Leicht wird England indes nicht aufgeben, was es schon zu halten glaubte. D-,n hier handelt es sich um mehr als nur um ein Geschäft. Hier handelt es sich um eine der Lebensbedingungendes Britischen Bei der zunehmenden Kohlen-