(Enztalbote)

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Nurnu er 86

Fernruf 179

Arldbad, Mittwoch, den 12. April 1922

Fernruf 17S

57. Zahrgans

Tagesspiegel

Die deutschen amllichen Vertreter in Genua hatten am Dienstag vormittag eine Beratung mit den deutschen Sach­verständigen. Der Reichskanzler gab eine erläuternde Dar­stellung der Lage, wie sie nach der ersten korrfcrenzsihung geschaffen ist.

Der deutfch-schweizerifche Schiedsgerichts- und Vergleichs- vertrag ist von Schweizer Seite bestätigt worden, nachdem kürzlich Reichsrat und Reichstag dis Bestätigung vollzogen hakten.

Die ehemalige Kommandantur in Koblenz wird heute von der amerikanischen Lesahungsbehörde den deutschen Stellen zurückgegeben. Die amerikanischen Geschäftsleute wollen mit wenigen Ausnahmen die Stadl nach Abzug der Trüppen verlassen.

Die Verständigung zwischen den deutschen und polnischen Bevollmächtigten auf der Oberschlesienkonfcrcnz in Genf ist, wie vorauszusehen war. vollkommen gescheitert. Präsident Calonder (Schweizer) wird nunmehr einen Schiedsspruch fällen.

Die Eröffnung der Konferenz in

i Ein Telegramm poincares

Genua, 11. April. Gestern nachmittag 3.10 Uhr wurde im Saal des königlichen Palastes St. Georgi die Konferenz eröffnet. Nachdem die Vertreter aller Staaten ihre Plätze eingenommen hatten, erschien Lloyd George, mit Hände­klatschen begrüßt. Er schlagt den italienischen Ministerpräsi­den De Facta als Vorsitzenden der Konferenz vor, was mit Beifall ausgenommen wird. De Facta verliest darauf Bs- arüßungslelegramme des Königs von Italien und poincares. Letzterer bedauert, au den Sitzungen nicht teilnehmen zu kön­nen, da der Präsident der Republik, Millerand, zurzeit außer Landes in Afrika weile. Frankreich werde durch Barthou vertreten. Es sei bereit, au der Wiederaufrichtung Europas mitzuarbeiten, es werde aber keinen Angriff auf die Rechte, die es aus dem Friedensvertrag herleite, dulden.

Ansprache De Aackas

Nach Verlesung der Begrüßungstelegramme hielt der Vor­sitzende De Facta eins Ansprache. Mehrere Jahre nach Be­endigung des Kriegs seien die Völker noch weit von einem regelmäßigen Wirtschaftsleben entfernt. Das Vertrauen müsse erst wiederhergestellt werden. Kein Volk könne sich der Verpflichtung der Mitarbeit entziehen, es könnte sonst alsbald die Strafe für seine Gefühllosigkeit erleiden. Es handle sich demnach um eine internationale und rein menschliche Zusam­menarbeit. Auf der Konferenz gebe es nicht mehr Sieger und Besiegte. Die zu lösenden Fragen werden für alle eine Prüfung der Politik in Hinsicht auf Finanzen, Wirtschaft, Handel und Verkehr mit sich bringen. Als Ergebnis der Konferenz von Washington habe die Welt die große Wolke des Stillen Weltmeeres verschwinden sehen. Mit dem glei­chen guten Willen müsse in Genua gearbeitet werden. Und der Grundsatz müsse alle Beratungen beherrschen, daß das Heil der internationalen GSeilschaft nur darin bestehen könne, daß die Forderungen der Unabhängigkeit, Selbstver­waltung und Selbständigkeit der einzelnen Staaten in Ein­klang gebracht werden.

Die Rede Lloyd Georges

Lloyd George führte in seiner Rede u. a. aus: Die Kon­ferenz werde in gutem oder bösem Sinn eine ungeheure Wir­kung auf das Schicksal nicht nur Europas, sondern der ganzen Welt haben. Die Teilnehmer treffen sich aus dem Fuß völli­ger Gleichheit. Aber unter vier Bedingungen: Ein Land (Deutschland), das einem anderen Land oder dessen Staats­angehörigen gegenüber Verpflichtungen übernimmt, darf diese wegen einer Aenderung der Regierungsform nicht ver­leugnen. Zweitens: Kein Land darf gegen die Einrichtun­gen des anderen Krieg führen. Drittens: Keine Nation darf einen Angriffskrieg gegen das Gebiet einer anderen unter­nehmen. Viertens: Staatsangehörige jedes Landes haben das Recht, unparteiische Rechtsprechung' vor fremden Ge­richten zu fordern. Diese Bedingungen seien in Cannes festgesetzt worden und bilden die Grundlagen für die Kon­ferenz von Genua. Wer die Einladung für Genua an­nehme.'habe damit auch jene-Bedingungen angenommen.

Das erste Bedürfnis Europas sei ein wirklicher Friede. Man höre aber immer noch die Bleute mck shr Lärm

peinige die Nerven der ganzen Welt. Die öffentliche Mei­nung der Länder sei schon ein ausreichendes Hemmnis der nötigen Niihe. Aber wenn in led- n Land dis Staatsmän­ner einen Ausruf an die Wähler und an das Gemüt ncbten

würden, so würde die öffentliche Meinung aller LSnder'sich besser leiten lassen. Man könnte sie belehren, daß das Un­glück des einen noch nicht notwendig das Glück des anderen zu sein braucht. Hier zerfalle die Welt nicht in zwei Halb­kugeln, deshalb sei es zu bedauern, daß die große Republik des Westens (Amerika) in Genua nicht vertreten sei. Aber sie werde sich wohl anschließen, wenn die Konferenz einen geordneten Stand der Dings Herstellen könne. Wenn die Konferenz aber scheitere, so werde ein Gefühl der Verzweif­lung durch die Welt gehen. .... ^

Die Rede Barkhsus

Der Führer der französischen Abordnung Barthou, sagte u. a.: Er bringe auf die Konferenz die wohldurchdachte Willensäußerung einer aufrichtigen Mitarbeit Frankreichs mit, das von keiner nationalen Selbstsucht beseelt sei und keine Vorherrschaft anstrebe. In Cannes seien die Rechte Frankreichs festgestellt worden. Die Aufgabe von Genua könne es daher nicht sein, eine Berufungssteke zu bilden, wo die bestehenden Verträge zur Sprache gebracht, beurteilt oder geändert werden könnten. Was dagegen zur Wiederherstel­lung des gepeinigten Europas wesentlich sei, könne frei sr- örtert werden. Friede und Arbeit sei die Losung Frank­reichs. Die Welt sei der schönen Redensarten müde.

Reichskanzler Dr. Wirlh spricht. ^

In seiner Ansprache erklärte Reichskanzler Dr. Wirth: Auch Deutschland suchte in Genua Heilung von einer Krank­heit, die die ganze Welt ergriffen und in die Gefahr des Siechtums geführt hat. In letzter Stunde muß man sich ent­schließen, die wirtschaftlichen Fragen als solche zu erkennen und von den politischen Zielen und Streitpunkten loszu­lösen. Die Reichsreaierung ist bereit, an den Aufgaben der Konferenz mitzmvirken in der Hoffnung, daß auch die an­deren Mächte in einem Geist Mitarbeiten werden, der das ' Mißtrauen beseitigt, für das Wohl des Ganzen Opfer brin- ^ gen und auf eng gesehene Interessen verzichten kann. Die ' europäischen Staaten müssen entschlossen und mutig aus ^ dem gegenwärtigen Weg hattmachen und zum unbehinderten ! Handel zurückkehren. Ein Mißlingen der Konferenz würde eine- schwere Enttäuschung für di? hoffenden Völker sein. Wir werden ebenfalls Vorschläge machen, von denen wir glauben, daß sie allen Völkern den Weg zu einer glücklichen Zukunft ebnen werden. Die Hilfe kann aber nur so gewährt werden, daß sie der politischen und wirtschaftlichen Selbst­bestimmung der Völker keinen Eintrag tut. Die Größe der Aufgabe soll ein Ansporn sein, die Verhandlungen von allen (Seiten mit der Hoffnungsfreude (Optimismus) zu führen, ins alle großen Werke beflügeln muß. j

Russisch-französischer Zusammenstoß i

Tschit scherin, der Hauptvertreter der Sowjetrepu- ! blik, sprach anfangs ruhig und über allgemeine Fragen. Un- ! erwartet ging er aber darauf auf die Abrüstung ein und for- derte weiter, daß alle Staaten in der Arbeit am Wiederaus- bau gleichberechtigt seien. Die Konferenz von Genua könne ! er nur als eine Vorbereitung auf eine wirkliche Völkerkonse- renz betrachten, die sich mit den großen wirtschaftspolitischen ! Fragen befasse. Er erhob Einspruch gegen die Ausschließung Rußlands. Sofort erhob nun der Franzose Barthou Ein- . spruch dagegen, daß Tschitscherin Fragen vorbringe, die den ^ Grundsätzen von Cannes widersprächen. Frankreich wurde nicht zustimmen, daß Genua, wie Tschitscherin verlange, nur ' die erste von einer Reihe weiterer Konferenzen sei. Die Ab- rüslung dürfe in Genua nicht erörtert werden. De Facta und L'loyd George griffen wiederholt vermittelnd in die ; Zwiesprache ein. (In seiner Rede hatte Lloyd George die : bemerkenswerte Aeußerung getan:Wenn die Konferenz von Genua nicht zur Abrüstung führt, dann ist die Welt bankrott.") ^

2 Milliarden kosten!

Düsseldorf, 11. April. DieDüsseldorfer Nachrichten" er­fahren aus Berliner Quelle, daß für die Kosten der Reise der deutschen Delegation nach Genua vom Reichsministerium vor­behaltlich der Etatverrechnung 250 Millionen Mark angewie­sen sind. Die Gesamtkosten des Aufenthalts der deutschen Abordnung in Genua seien bei einer vierwöchigen Dauer der Konferenz mit zwei Milliarden veranschlagt.

Lloyd George, der Kreuzfahrer

London, 11. April. Das Blatt Lloyd Georges,Daily Ehronicle", berichtet aus Genua zur Eröffnungskonferenz, Lloyd George kämpfe, wie er seit Jahren nicht mehr getan habe, mit dem Eifer eines Kreuzfahrers und mit der Geschick­lichkeit eines Fechtmeisters. Es sei kein Zufall gewesen, daß k ü den Worten Lloyd Georges das Geknurr der Meute in Europa gehe weiter, sein Gesicht der französischen Abordnung zugekehrt war. An die französische Adresse sei. auch der Aus- wruck gerichtet gewesen, dab. der Nutzen eines Landes nickt

nolwenvlgerweise den Schaden eines anderen bedeuten müsse.

Die englische Geschäftswelt an die Konferenz

London, 11. April. Von über 800 Führern der eng­lischen Bank-, Industrie- und Handelswelt ist an die Kon­ferenz von Genua ein Ausruf gerichtet worden, nicht nur aus die Beseitigung der Nachkriegswirkungen hinzuwirken, son- dein auch weitgehende Maßnahmen zur Belebung des Welt­markts zu treffen.

Aus dem Reich

Die Antwort an die Lnsichädigungskommisfion

Berlin, 11. April. Die deutsche Antwort auf die Note de« Entschädigungskommssion vom 21. März d. Is. weist aus die zunehmenden finanziellen Schwierigkeiten Deutschlands seit den Zehntagezahlungen von je 31 Millionen Goldmsrk an dir Kommission hin, deren Folge zunächst eine sprunghafte wei- tere Entwertung der Mark und ein Emporschnellen der Le- bensmittelpreife war. Viele wichtige Lebensmittel sind um das 6070fache der Vorkriegspreise teurer geworden, selbst der Brotpreis, der durch das Umlaaegstreide künstlich nieder­gehalten wurde, ist nun um das 25fache gestiegen. Die Preis« für Kohlen sind in letzter Zeit vom 35- auf das 60fache, für Baumwolle vom 60- auf das 95fache, für Möbel, Wäsche usw. um weit über 100 Prozent gestiegen. Die Teuerung hat zu einer erschreckenden Notlage geführt, die umso empfindlicher ist, als Deutschland trotz des Rückgangs des Fleischverbrauchs von 55 bis 60 Prozent und des Brotverbrauchs um 24 Proz. einen jährlichen Zuschuß von Lebensmitteln aus dem Aus­land im Wert von 2^ Milliarden Goldmark beziehen muß. Für 1922 wird die nötige Getreidezufuhr allein etwa noch 500 Millionen Goldmark kosten. Wenn dis dafür nötigen Auslandswechsel nicht beschafft werden können, so steht Deutschland vor einer Hungersnot. Gelingt es nicht, der Markent- wertungEinhalt zu tun, so wird die Mark im Ausland bald keinen Wert mehr haben und damit wird die völlige Zah­lungsunfähigkeit Deutschlands eintreten. Die' Gefahr liegt vor allem in den Eoldzahlungen. Die deutsche Reichsregie» rung ersucht daher, die Entscheidung vom 21. März durch Sachverständige unter Leitung der Kommission nachprüfea zu lassen. Die Forderungen der neuen 60 Milliarden-Steuery und der Finanzüberwachung muß die Reichsregierung als unmöglich ablehnen; sie ist überzeugt, daß den Cntschädigungs» forderungen nur durch eine äußere Anleihe entsprochen werden kann. !

Belgier sind die Mörder?

Duisburg. 11. April. Die Untersuchung über dt« Ermov-« düng des belgischen Leutnants Graff scheint, eins für die belgische Besatzung sehr peinliche Wendung zu nehmen. Wie verlautet, sollen die Mörder des Offiziers zwei belgische Sol­daten sein, die den Mord aus Rache ausgeführt haben. Der Vater des Offiziers ist belgischer General, der die beiden Leute schlecht behandelt haben soll.

Die Explosion in Gleiwitz

Gleiwitz, 11. Avril. Der französische Kreiskontrollenr- veröffentlicht einen Bericht über die'Untersuchung der Explo- ion am letzten Sonntag nachmittag 1.15 Uhr. In der Ka- iclle sei eine große Menge von Waffen und Munition gr­ünden worden. Die Explosion sei durch eine gegen dir Mauer der Kapelle abgebrannte Melinitmine, die mit einem Nachzünder versehen gewesen sei, verursacht worden.

Paris, 11. April. Ministerpräsident PoincarS halt, gestern eine Unterredung mit dem französischen Geschäfts­träger in Berlin, Laurent. Man glaubt, daß über dis Explosion in Gleiwitz gesprochen worden sei. Die Blätter benützen den Vorfall, um aufs neue gegen Deutschland zu Hetzen. Jetzt sei der Augenblick gekommen, um Deutschland an seine wahre Lage zu erinnern. Die Komödie der deut­schen Demokratie sei von Wirth und Rathenau lange genug gespielt.

Vom Ausland

s Versteigerung des beschlagnahmten deutschen Eigentums r- in Amerika?

Paris, 11. April. Nach einer Meldung derChicago Tribüne" aus Washington hat der Treuhänder über das be­schlagnahmte Eigentum ehemals feindlicher Staatsangehöri­ger im Senat einen Bericht eingebracht, in dem die bei dem Eintritt der Ver. Staaten in den Krieg beschlagnahmten Werte auf 350 Millionen Dollar, die amerikanischen privaten Ansprüche aus Kriegsverlusten dagegen auf 415 Millionen Dollar berechnet werden. Der Bericht schlägt die V e rste ge rung des beschlagnahmten Eigentums durch einen be» sonders ftir diesen Zweck geschussenen Gerichtshof vor.