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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack iu Wildbad

Nummer 24

Fernruf 17»

^Vildbad, Montag, den 3V. Januar 1922

Fernruf 170

56. Jahrgang

Tagesspiegel.

Der Reichshaushaltsplan für 1922 ergibt im ordent­lichen Haushalt einen Neberschnß von 16V- Milliarden Mark, im außerordentlichen einen Fehlbetrag von 3,1 Milliarden. Tie Post erfordert einen Anlcihebcdarf ^ von 2,4, die Eisenbahn von 6.8 Milliarden. Tie Aus­führung des Fricdensvertrags macht einen Zuschuß von 171 Milliarden notwendig. Insgesamt sind 183,36 Milliarden auf Anleihe zu übernehmen.

Der Reichswirtschaftsminister hat eine hauptsächlich infolge der neuen Löhne notwendig gewordene Er­höhung der Kohlenpreise um 56 Mk. für die Tonne ohne Steuer genehmigt.

Ter Ausschuß der Abrüstungskonferenz beschloß, die Prüfung der Regeln für die Kriegführung einer neuen Konferenz zwischen den fünf Mächten vorzubehalte«.

Nach derD. Allg. Ztg." hat Amerika die amt- ktche Beteiligung an der Konferenz in Genua abge­lehnt; es wolle sich nicht aufs neue in europäische Streitfragen einmische» und werde nur einenBeob­achter" entsenden.

Aus Moskau wird die Veröffentlichung weiterer Ge­heimdokumente der zaristischen Regierung angekündigt, mit denen die Schuld Poincares am Weltkrieg be­stätigt wird.

Der deutsche Reform- und Garantieplan.

Berlin, 29. Jan.

Der Wiederherstellungskommission wurde am Sams­tag die Antwort der deutschen Reichsregierung auf die in Cannes getroffene Entscheidung vom 13. Januar übergeben. Die Note führt u. a. aus:

Die Sachverständigen der Verbündeten auf der Brüs­seler Konferenz im Dezember 1920 erkannten an, daß die deutsche direkte Besteuerung keiner weitere» Stei­gerung mehr fähig ist. Gleichwohl wird durch die dem Reichstag vorliegenden Gesetzentwürfe Vermögens­steuer, Vermögenszuwachssteuer, Kapitalsteuer, Ver­kehrssteuer, Körperschaftssteuer die direkte Besteu- rung erneut erhöht, so daß vielfach ein Eingriff in die Bermögenssubstanz nötig ist. Die Erhöhung der Um­satzsteuer von IV- v. H. auf 2 v. H. und der Kohlen­steuer von 20 V.H. auf 40 v. H. belasten Produktion und Verbrauch im Voraus. Ebenso sollen wichtige Zölle und Verbrauchssteuern erhöht werden. Tie Zölle sollen auf wirkliche Goldbasis erhoben werden. Die Gesamtbelastung des Berbranchs ist der indirekten Be­steuerung anderer Länder mindestens gleich. In der Anlage wird die deutsche Stenerbelastung mit 31 bzw. 23 V.H. gegenüber 14/15 bzw. 16V. V.H. der fran­zösischen vom Einkommen angegeben.

Unter den scharfen Maßnahmen gegen die Kapital- und Steuerflucht wird die Aushebung -es Bankgeheim­nisses, die Ueberwachung des Wertpapierbesitzes bei den Banken durch die Steuerbehörden, besonders her­vorgehoben. Die Tarife sind gegenüber der Vorkriegs­zeit wie folgt erhöht: Eisenbahnpersonenverkehr 19fach, Güterverkehr 32fach, Post, Telegraphen 21fach. Zu­schüsse für Lebensmittelverbilliguug werden rm Jahr 1922 nur noch eine Milliarde Papiermark gegenüber wie bisher 22,5 Milliarden betragen. Der Brotprcis wird demnächst erneut um 75 V.H. erhöht. Statt der Erwerbstosenunterstützung wird eine Arbeitslosenver­sicherung auf Kosten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingeführt. Die außerordentlichen Ausgaben der Post und der Eisenbahn betragen nur ein Drittel v. H. des Anlagewerts gegenüber 3 V.H. in der Vorkriegszeit. Der ordentliche Reichshaushalt weist mit 103,2 Mil­liarden Einnahmen und 86,7 Milliarden Ausgaben einen Ueberschuß von 16V- Milliarden auf, die für die Kriegsentschädigungen usw. zur Verfügung stehen Zwecks Einschränkung der sch,vebcnde» Lch..ld wird die Reichsregierung 1922 trotz des Mißerfolgs der Spar­prämienanleihe 1919 erneut eine innere Anleihe ver­suchen. Ein Erfolg ist erst zu erwarten, wenn sest- steht, daß die Bestimmungen des Vertrags von Ver­sailles den Dienst nicht beeinträchtigen können. Un­abhängig davon ist die im Steuerkompromiß vorge­sehene Zwangsanleihe, die aber nur eine Gerste, nicht zu wiederholende Maßnahme darstellt, um die Ent­schädigungsleistungen für 1922 möMW ohne Noten­presse entrichten zu können. Die Selbständigkeit der «eicksbank wi'-d aeseblick sicherasstellt. Die Befugnis

Die russische Hungersnot.

Tie Ost- und Südgouvernements Rußlands befinden sich in Hungersnot. Wie schrecklich sie ist, haben die furchtbaren Berichte gezeigt, die meldeten, daß Mütter die Leichen ihrer Kinder zu verzehren begonnen haben.

Nicht der Krieg ist die Ursache dieses ungeheuren Elends. Tenn selbst während des Kriegs, der die waffen­fähige Bevölkerung Rußlands vom Äcker fernhielt, war die Bebauung und damit der Ertrag viel größer, als sie heute sind. Äuch zeigt Deutschland, das schwerer unter dem Krieg gelitten hat, weil es die Absperrung durch die Hungerblockade erdulden mußte, daß Hungersnot keine notwendige Folge des Weltkriegs ist. Schuld an den russischen Verhältnissen trägt zunächst das politisch-Ivirt-

des Reichskanzlers zu Eingriffen in die geschäftliche Leitung wird beseitigt. Die Wirtschafts- und Finanz- statrstik wird in gleicher Weise wie vor dem Krieg ! voröffentlicht werden. !

Das Reformprogramm gewährleistet die Deckung der inneren Zahlungsverpflichtung, jedoch nicht die gesunde Finanzierung der Entschädigungsleistungen, da die Reichseinnahmen nur Papiergeld bringen.

Die Note verweist auf die Ausführungen Rathenaus in Cannes über die Gründe des Marksturzes und die Unmöglichkeit, trotz höchster Kraftanstrengungen zur­zeit die Entschädigungswlstungen aufzubringen Deutsch­land besitzt außer Kohlen nur noch wenig Rohstoffe. Die Produktivität der Landwirtschaft ist erheblich zu­rückgegangen. Der jährliche Einfuhrbedarf an unent­behrlichen Rohstoffen und Lebensmitteln beträgt je 2Vr Milliarden Goldmark. Die Ausfuhr von 10 Milliar­den Goldmark im Jahr 1913 ist auf rund 4 Milliar­den, also unter Berücksichtigung allgemeiner Steige­rung der Weltmarktpreise auf etwa ein Viertel gefallen. Die Zahlungsbilanz mit rund 2 Milliarden ist passiv. Jede erhebliche Devifenzahlung bringt eine neue Er­schütterung des Markkurses, vermehrt die Notenaus­gabe und schwächt Deutschlands Fähigkeit zur Ent­schädigungszahlung immer mehr. Bei der wirtschaft­lichen Betrachtung der Entschädigungsfrage ist daher Vas Ergebnis, daß es unbedingt erforderlich ist, Deutsch­land mindestens für 1922 von allen Leistungen in bar z« befreien.

Die deutsche Reichsregierung erkennt jedoch an, daß die schwersten Bedenken für die deutsche Wirtschaft und die Finanzen hinter den politischen Notwendigkei­ten znrückznstellen sind. Sie verweist ausdrücklich auf die ihr bekannten Ziffern von 720 Millionen Gold­mark Barzahlungen und 450 Millionen Goldmark Sach­leistungen, die von den Verbündeten in Cannes in Er­wägung gezogen sind. Sie bittet, die Barzahlungen, nötigenfalls unter Erhöhung der Sachleistungen, nie­driger fcstzusetzen, schlägt aber ohne Rücksicht auf die Höhe der Festsetzung auf Grund der Vorbesprechungen in Cannes verschiedene Einzelheiten für die Durchfüh­rung der Lieferungen vor. U. a. sollen die Besatznngs- kosten auf die Gesamtleistungen von 1922 verrechnet und sonstige Verpflichtungen in fremder Währung aus dem Friedensvsrtrag, insbesondere dem Warenabrech- nungsverkchr, ermäßigt werden. Deutschland gibt fer­ner erneut seiner Bereitwilligkeit Ausdruck, mit allen verfügbaren Mitteln und Kräften an der Wiederher­stellung der zerstörten Gebiete mitzuwirken. Deutsch­land ist bereit, auch mit anderen Verbündeten Ab­kommen über Sachliefernngen abz,«schließen.

Der Schluß der Note weist auf die Erfahrung hin, daß monatlich oder vierteljährlich wiederkehrende Zah­lungen fremder Währung die Leistungsfähigkeit Deutsch­lands empfindlich schädigen und eine völlige Ordnung der Finanzen verhindern. Eine wirkliche Zahlungs­fähigkeit oder Inanspruchnahme inländischen und aus­ländischen Kredits zur Durchführung der Finanzopera­tionen großen Stils ist nicht denkbar.

Tie Wiederherstellung des Vertrauens der Welt in Deutschlands Zahlungsfähigkeit ist die Vorbedingung für eine umfassende Durchführung der Reparationen. Die Reichsregierung ist daher der Auffassung, daß die Erhebung der Entschädigungen für 1922 nur ein erster Schritt auf dem Weg zur Lösung des Finanzproblems ist. Wird dieses nicht in Angriff genommen, so wird die Ungewißheit über die Leistungen im Jahr 1923 auch auf die wirtschaftliche und finanzielle Lage' der Verbündeten Länder einen lähmenden Druck ausüben. Die deutsche Reichsregierung bittet die Wiederherstel­lungskommission, die Schlutzausführnngen besonders zu beachten, damit der Weg der Wiederherstellung des deutschen Kredits im In- und Ausland gefunden und eine große Anleihe und ein internationales Zusammen­wirken möglich gemacht werden könne. >

schaftliche System des Bolschewismus, das, mit dem An­spruch auftretend, die Menschheit von den Nebeln einer schlechten Gesellschaftsform erlösen zu können, nichts zu­wege gebracht hat als die Stockung aller wirtschaftlichen Strömungen, die den staatlich n Organismus gesund er­halten. Tie Lehrer des Bolschewismus befinden sich dem in Zuckungen liegenden Körper des Volks gegenüber. Tas ist der Zustand, den sie angerichtet haben. Und wenn heute ein Mann wie Lenin einzusehen beginnt, daß er auf dem falschen Weg war und sich zu dem Wagnis ge­zwungen sieht, zu erklären, daß der Kapitalismus nicht entbehrlich sei, so wird doch niemand die un'agbar große Schuld von den Bolschewistenführern abwälzen können für das, was nun einmal geschehen ist.

Nur der äußerste Zwang hat die Soivjetverwaltung veranlassen können, von ihrem System der Ableugnung abzugehen, die inneren Verhältnisse Rußlands wenig­stens teilweise zuzugeben und nach Mitteln zur Besserung zu suchen. Auf dem 9. Rätekongreß stand die Land­wirtschaft im Vordergrund des Interesses. Den Haupt­bericht über die Landwirtschaft hat Ossinski am dritten Tag des Kongresses erstattet. Er ist von besonderem Interesse, weil selbst aus dieser vorsichtigen Darstellung der Verhältnisse die Not des Landes hervorgeht.

Ossinski sagte: Trotz der Verbesserungen auf einigen Gebieten schreitet der allgemeine Niedergang der Landwirtschaft fort und wird sich weiter ent­wickeln, wenn wir nicht außerordentliche Maßnahmen ergreifen. Ter Rückgang der Sommerfelder war 1920 katastrophal. Im Frühling 1922 wird an der Wolga bloß ein Fünftel der Saatfläche von 1916 besät sein. Es genügt eben nicht nur, die Saaten hinzuschasfen, sondern sie müssen auch ausgesät werden.

In bezug auf die Formen der Landnutzung, d. h. des Besitzes, erklärte Ossinski, daß die Sowjetregierung der Bauernschaft hierin volle Freiheit gebe. Tenn sie wisse, daß weder das Eigengehöst, das der Zarismus begünstigte, noch der Gemeindebesitz volle Entwicklung der Landwirtschaft gewährleiste. Es können also gan^e Dörfer und ebenso einzelne Mitglieder des Dorfs die Form der Landnutzung wählen, die ihnen ge'ällt. Ebenso solle die Landpacht, aber nicht länger als auf sechs Jahre bei alljährlicher Erneuerung des Pachtvertrags, gestattet werden. Es soll aber dem Bauern nur die Pacht eines solchen Landes gestattet werden, das nicht größer ist als die Hälfte seines Anteils. Auch die Zu­lassung von gemieteten Arbeitskräften sei unter bestimmten Bedingungen zu gewähren. Ferner befür­wortete Ossinski Meliorationskrcdite, Eiwuhr von land­wirtschaftlichen Maschinen und von Kunstdünger, Ab­schaffung einiger Naturalsteuern, landwi.tschaft iche Unter­weisung und Einführung von Getreidearteu, die der Dürre widerstehen, wie Mais. Wie man sieht, sind es neben den letztgenannten praktischen Maßnahmen Schritte zurück zum Kapitalismus und zur Anerkennung des bäuerlichen Landeigentums, die Ossinski in seinem Bericht vorschlug.

Tas erschütternde Urteil über den Stand der russischen Wirtschaft wird durch den Bericht des Vertreters des Faratower Gouvernements, Bulaiko, iwch vertieft. Nach seinen Angaben ist die Saatfläche von Südost-Ruß» land um 90 Prozent zurückgegangen! Tie die­sem Gebiet zugeteilten Saaten be rügen 38 bis 40 Prozent der Saatmenge von 1916. Der Viehbestand ist stark zurückgegangen. In den deutschen Kolonien war der Vieh­bestand zum 1. August 1921 um die Hälfte gesunken; seit dem 1, August sind die Viehbestände weiter nochmals um die Hälfte dahingeschwundeu. Es gibt viele Kolo­nistendörfer ohne ein einziges Pferd. Im Saratower Gouvernement sind über Itt^ Millionen Hektar unbesät. Dieses Gouvernement mit seiner Bevölkerung von 3,5 Millionen wird aus einem kornausführenden zu einem korneinführenden Gebiet. Dasselbe gilt vom ganzen Wol- gägebiet. Auch dieser Redner ries zu he wischen Maß­nahmen auf, um den Verfall von Südostrußland auf­zuhalten. ^ ^

Tie Hilferufe Nansens sind verhallt, die Versuche, dem zusammengebrochenen Land von außen staatliche Hilfe zu bringen, am Widerstand Frankreichs gescheitert. Hier ist der Punkt, wo die Schuld des Bolschewismus an die Schuld des herrschsüchtigen Frankreichs grenzt.