Nummer 275

(Enztalbote)

Amtsblatt für Wildbad. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt: Verlag und SchriMeituug: Th. Gack iu Wildbad

Fernruf 179

^jläbscl, Mittwock cierr 23. November !9^l

Fernruf 179

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Deutsche Schmach.

Von Ernst Edler von Planitz.

Es mnß endlich ofsen ausgesprochen werden: das deut­sche Volk geht nicht am Krieg und seinen Folgen das deutsche Volk geht an sich selbst zugrunde. Nicht die Feinde vernichten Deutschland, sondern die Charakter­losigkeit der Deutschen ist der Wurm, der an unserem Mark frißt. Dieser sittliche Defekt ist die eigentliche Ursache unseres Untergangs, denn das wir untergehen, steht außer aller Frage. Es sei denn, es geschehe ein Wunder in letzter Stunde. D

In Frankreich wurde während des Kriegs jeder erschos­sen, der vom Frieden zu sprechen suchte, bevor Deutsch­land besiegt sei. Bei uns war es anders! Während unsere Kinder hungerten, unsere Brüder und Söhne in den Laza­retten stöhnten, wurde ofsen zur Fahnenflucht aufgefordert. Jetzt, da wir unter den Folgen, d. h. unter den Peit­schenhieben des Versailler Fronfriedens uns winden und Frankreich seineFriedensfeste" feiert, laufen vieledeut­sche" Weiber zu'Taus.'nden in Dirnenkostümen der Pariser Schneider auf der Straße umher mit Röcken, wie sie früher nur bezahlte Hetären in verhängten Weinkneipen trugen. Während Frankreich durch s ine Schwarzen jen­seits des Rheins den letzten Rest unserer Ehre besudelt, i tanzt und säuft und schwelgt der deutsche Nachwuchs in T Tanzlokal.m und Teedielen, als ob wir die Welt erobert RF Hätten. Während unsere deutschen Schriftst ller sich ver- ä g'bens bemühen, ihre Geistesarbeit bei Verlegern und Th aterdirektoren unterzuöringen, werden in Berlin be- rcils wieder französische Ehebruchspcs en au geführt und das Pack des Berliner Westens sitzt alle Abend in diesen eleganten Theatern und wälzt sich vor Vergnügen über die stinkenden Witze der Franzosen. War das Bestreben, das deutsche Drama durch französische Possen zu ver­drängen, schon vor dem Krieg ein Un ug; jetzt nach einem solchen Krieg ist es geradezu eine Gemeinheit und Scham­losigkeit, wenn d.ntsche Männer und Frauen in einem Theater sitzen und lachen lachen über französische und polnische Possen und Zoten. In Paris wäre das Theater demoliert wo den, das drei Jahre nach dem Krieg von 1870 gewagt hätte, ein deutsches Stück au die Bühne zu bringen. In Berlin rftßt man sich alle Abend um die Eintrittskarten. Volle zehn Jahre nach 1870 spielten die Pariser Bühnen ununterbrochen Revanchestücke, m denen der französische Geist nach Rache schrie. Jahrelang pach dem Krieg von 1870 gingen di? jranzösischeK Frauen in Trnuerkleidern. Tie Bildsäule der S.adt Straßburg ?uf demEintrachtsplatz" in Paris trug 47 Jahre lang schwarzen Trauerflor.

. Als ich acht Jahre nach dem deutsch-französisch n K ieg m Paris studierte, war es mir nur möglich, an der Sorbonne anzukommen, weil ich mich als geborener Ame­rikaner ausweisen konnte. Als geborener Deutscher wäre lch mit .Hunden auf die Straße g hetzt worden. Noch zwei­undzwanzig Jahre nach dem Kriep gebärdeten sich die Franzosen wie Wahnsinnige, als die rus i'che Flotte im Wen von Toulon einfuhr, denn man dämmerte die Remanche. I. j selbst habe damals als Berichterstatter der deutschen Presse zwei Monate in der Festung geweilt' und g eschen, mit welcher verbiss neu Entschlossenheit Frankreich ununterbrochen daran arb.itete, die Nieder­lage von 1871 auszuwetzen. Als ich im Winter 1893, auf Grund nwiner Beobachtungen und Studien in Frankreich Vorträge in ganz Deutschland hielt und vor der Re- banchegefahr warnte, wurde ich von internationalen Blät­tern alsKriegshetzer" verschrien. G nau zwanzig Jahre später traf dann buchstäblich ein, was ich damals warnend vorchergesagt hatte.

Nicht der Imperialismus, nicht der Militarismus hat ruiniert, sondern die Wankelmütigkeit und Kurz­üchtigkeit des deutschen Charakters. Der Deutsche predigt ^.nternationalität und ist noch nicht einmal reif kur Nationalität. So lange es eine Geschichte gibt, be­deutete Nationalität Jugend, Aufschwung, Blüte, "suternationalität war stets gl ichbedeutend mit Nieder­ung und Zerfall. Das römische Reich ist der klassische Erweis dafür. Die Erklärung ist sehr einfach: Nationa- "tät ergibt Sammlung, Jnternationalität ist ein Ge- ^chgsel auseinanderstrebender Krücke. Wo war die viel Asrühmte internationale Solidarität, als die Kriegsfurie dse Fackel hob? Der Franzose ist Patriot vom Scheitel °'s zur Sohle. Darum vergißt er nicht, und wenn Jahr- ichnte darüber verrauschen. Der D uOckfe ist noch nicht

einmal so wert, zu begreifen, daßBaterrand" sofort nach denr BegriffGott" kommt. Denn nur das Vaterland als solches gibt uns Halt, Würde und Kraft.

Ein Volk, das so s.ckne Würde und die Trauer in seinem Unglück vergißt, wie heute die Deutschen, ist ein Sklaven­volk und wert, daß es zugrunde geht. Daher die Ver­achtung, mit der uns das Ausland behandelt. Das Aus­land hat recht. Wir verdienen es nicht anders. Wo ist die eiserne Faust, die unsere Jug nd aufrüttelt, hart und eins zu werden in Trauer und Entschlossenheit, bevor es zu spät ist? Wie lange noch wird die Selbsttäu­schung in Deutschland das Szepter schwingen, die Selbst­täuschung, die da glaubt, mit Parteihader und parlamen­tarischem Kuhhandel, mit dreckigem Papiergeld, dilettan­tischen Steuergesetzen und Verordnungsparagraphen ein zertretenes Volk wieder gesund zu machen? Wenn wir nicht von ganz vorn beginnen und unfern Kindern Tag für Tag ins Gedächtnis hämmern, deutsch sein, heißt treu sein, so sind wir verloren. Treu dem, was unsere Väter gewollt und geschafft, treu dem, was wir selbst vor dem Krieg erreicht und genossen, treu dem, was'un­sere Ehre erheischt uird verlangt, treu der Nation, treu denr Vaterland!

Die Konferenz in Washington.

Briand redet.

Paris, 22. Nov. Der Sonderberichterstatter der Agence H'avas meldet aus Washington: In der gestrigen Voll­sitzung der Konferenz erklärte Staatssekretär Hughes zu der Frage der Entwaffnung zu Lande, für die Vereinigten Staaten werde die Frage nicht gestellt, denn sie hätten, nachdem sie bei Abschluß des Kriegs 4 200 000 Mann unter -Waffen gehalten hätten, zur Zeit nur 160 000 Mann reguläre Streitkräfte. Die Vereinigten Staaten legten sich aber Rechenschaft ab von den Schwierigkeiten und den Ansichten anderer Nationen und seien bereit, sich vor jeder Rücksicht auf die nationale Sicherheit zu beugen.

Daraufhin ergriff Briand das Wort und erklärte: Um Frieden zu schließen, muß man zu zweien sein. Man muß den Nachbarn betrachten. Die Entwaffnung muß nicht nur materiell, sondern auch moralisch er­folgen und ich hoffe, beweisen zu können, daß in dem Europa, wie es augenblicklich ist, noch ernste Beun­ruhigungselemente vorhanden sind. Es bestehen noch Verhältnisse, die, Frankreich verpflichten, sein ganzes Interesse seiner Sicherheit zu widmen. Er gebe zu, erklärte Briand weiter, daß ein amerikanischer Staats­bürger sage: Der Krieg ist gewonnen, der Frieden ist unterzeichnet, Deutschland ist mit einem stark vermin­derten Heer besiegt, sein Kriegsmaterial ist vernichtet, warum behält Frankreich eine beträchtliche Armee? Was verhindert, daß der Frieden in Europa einzieht? Viele versuchen, fuhr Briand fort, von Hintergedanken Frankreichs zu sprechen. Es wolle eine Art mi­litärischer Vorherrschaft aufrichten und sich an die Stelle des alten imperialistischen Deutschlands setzen. Wenn es ein Land gebe, das mit allen seinen Kräften und mit seinem ganzen Willen den Frieden wolle, so sei es Frankreich. (!) Ein ganzes Jahr hindurch habe Deutschland über seine Verpflichtungen gesprochen und sich geweigert, für den Wiederaufbau zu zahlen und zu entwaffnen. Frankreich sei aber kalt geblieben. Es habe nichts unternehmen wollen, was die Lage er­schwert hätte. Es habe keinen Haß im Herzen. (!) Es werde alles tun, damit zwischen Deutschland und ihm die Reihe der blutigen Kämpfe beendet werde. Er wolle nicht ungerecht sein. Es gebe ein Deutschland, das aus mutigen und vernünftigen Männern bestehe, die in Frieden demokratische Einrichtungen aufbauen woll­ten. Man werde alles tun, um diesen Deutschen zu Helsen. Aber es gebe noch ein anderes Deutschland, das durch den Krieg nichts gelernt habe und das seine schlimmsten Absichten von vor dem Krieg beibehalte. Keiner dürfe sich über den Staatsstreich Kapps täu­schen. Wäre es gelungen, dann wäre das alte Deutsch­land wieder erstanden. Man dürfe den Wert des deut­schen Soldaten nicht unterschätzen. Die französischen Soldaten wüßten, mit welchem Heldenmut diese Sol­daten fähig seien, zu kämpfen. Sieben Millionen, die aus dem Krieg hervorgegangen seien, seien vorhanden. Es sei möglich, sie morgen zu mobilisieren. Als Stämme betrachte Briand die deutschen Polizeikräfte

und die Reichswehr. Der.bayerische Mmi,recpräftdent habe jüngst sagen können, daß er ein Heer von 300 000 Mann zur Verfügung habe, mit ausreichendem Kriegs­material versehen.

An der Spitze der Regierung befinde sich ein Mann, den er für aufrichtig und loyal halte. Das sei Dr. Wirth. Seine Anstrengungen, die Unterzeichneten Verpflichtungen zu erfüllen, seien ehrlich. Es handle, sich aber um eine schwache Regierung. Deutsch­land habe insgesamt 250 000 Mann zur Verfügung. Er frage das amerikanische Volk, ob es seine Augen vor einer solchen Gefahr verschließen würde. Man sage, Deutschland habe kein Material mehr. In Deutsch­land sei noch alles vorhanden, um Kanonen, Maschinen«

, gewehre und Gewehre zu fabrizieren.

Tie Antwort der Berüündeten.

' Nach Briand ergriff Balfour (England) das Wort. Er erklärte, daß die freimütige Erklärung Briands von allen Mitgliedern der Konferenz voll gewür­digt würden. Balfour erkennt mit Trauer an, daß die Rede, die Briand gehalten habe, im Augenblick keinen ermutigenden Ausblick auf die Lösung der Frage ! der militärischen Abrüstungen gebe. Briand befürchte, i Frankreich könne sich moralisch isoliert fühlen, das ! wäre tragisch. Die Freiheit der Welt im all- ^ gemeinen und die Frankreichs im beson- ' deren müsse gegen jede herrschsüchtiLePo- litik der Frankreich benachbarten Natio­nen sicher gestelltwerden.

Schanzer, der italienische Vertreter, teilte mit, daß die italienische Regierung die Frage neuer Herabsetzungen prüfe.

Admiral Kalo erklärte für Japan, Japan wolle für sein Heer nur die für die Staatsverteidigung durch­aus notwendigen Kräfte.

Der belgisch-e Botschafter Kartier de Mar­ch i e n n e sprach von der Verletzung der belgischen Neu­tralität. Belgien könne seine Bewaffnung nicht weiter herabsetzen. Jedoch sei kein Staat mehr gegen den Krieg eingenommen, unter dem es so viel gelitten habe, als Belgien.

Staatssekretär Hughes dankte schließlich Briand, so beredt und vollkommen die Stellung der Politik Frankreichs definiert zu haben. Die Worte Briands würderk begreifen lassen, daß Frankreich den Willen habe, trotz aller Schwierigkeiten den ewigen Frieden zu erreichen.

Schließlich überwies die Konferenz die Frage der Abrüstung zu Land der Kommission der Vertreter der fünf Großmächte, dft schon mit der Frage der See- ab>-üstung beschilft ist. (Dies? ?!lung auf der Konferenz muß ein erhebendes Schauspiel gewesen' sein. D. Sehr.) , ck

England und Amerika einig. '

Washington, 22. Nov. In unterrichteten Kreisen ver­lautet, zwischen den Vertretern Englands und den Vereinigten Staaten bestehe volle Einmütigkeit. Frank­reich scheint sich auf die Seite des vereinsamt stehenden Japan annehmen zu wollen.

Neues vom Ta-e.

Die Plünderungen in Berlin.

Berlin, 22. Nov. Die Plünderungen in den Stra­ßen Berlins werden fortgesetzt. Die Sicherheitsvorkeh- rungen der Stadt und der Regierung sind durchaus ungenügend. Gestern nachmittag zog der Pöbel durch mehrere Straßen, zerschlug die Scheiben einer großen Konditorei und plünderte sie aus. Demselben Schick­sal verfiel ein Herrenartikelgeschäft in der Köntgstraße. Sodann zog die Menge, nachdem in der Rosenstraße noch mehrere Läden ausgeraubt waren, in ein Herren­kleidergeschäft in der Gertraudenstraße und raubten es vollständig aus. Die Plünderer zogen die neuen Klei­der sogleich an. Das Publikum nahm nun eine drohende Haltung gegen die Plünderer ein und der Polizei gelang es, 40 derselben festzunehmen. Man hat den Eindruck, daß die Plünderer nach einem ausgearbeiteten Plan verfahren. Stundenlang stan­den gestern abend noch die Leipzigerstraße und die Nebenstraßen unter der Herrschaft der Massen. 13 Ge­schäfte, darunter zwei große Kaufhäuser, wurden fast ganz ausgeräumt. In Neukölln wurde ein großes