Nr. 33

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

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tnungSwrtse: Lina! wöchentl. Anzeigenpreis: Die Zeile SO Mk.. Familienanzeigcn I

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Freitag, den 9. Februar 1923.

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Neueste Nachrichten.

Auch die deutsche Regierung hat jetzt eine scharfe Protestnote an Frankreich erlassen wegen der Besetzung von Appenweier und Offenburg, die als erneuter Rechtsbruch gekennzeichnet wird. Daß es sich hier um eine strategische Maßnahme handelt, das verrät rin belgisches Blatt, das darauf hinwrist, es handle sich um den ersten Schritt zur Trennung Snddeutschlands von Preußen, und damit des Anschlusses des katholischen (!) Siid- deutschlands an Frankreich und Belgien. Der Ultramonta­nismus wird also wieder zwecks Trennung der deutschen Stämme mobil gemacht.

Mit welcher jeden Rechtsempfindens baren Brutalität in Frank­reich de» Eewaltgedanken allein vertreten wird, zeigt eine Rede Loucheurs, der erklärte, daß man das von der Badischen Rnillnfabrik gekaufte Verfahren der Herstellung von Ammo­niak auf künstlichem Wege gut anwenden könnte, denn die dazu notwendigen Maschinen aus Deutschland würde man schon erhalten, well die Franzosen am Rhein stehen. Das ist ei« Beispiel für die französische Auffassung von Recht «nd Freiheit!

Eine merkwürdige Erscheinung ist fast gleichzeitig mit der Be­schlagnahme der Ruhrgebietszechen zu verzeichnen. Die Saar- gcbietsbergarbriter streiken, die Grube« sind militärisch be­setzt worden, die lothringischen Arbeiter streiken ebenfalls, «nd man spricht von weiteren Streikabsichteu in anderen fran­zösischen Bergbaugebietem. Diese Streiks könne» die französi­schen Schwierigkeiten noch vermehren.

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Wem» es richtig ist, daß die Türke« dem Kommandanten der al­liierte« Kriegsschiffe ein erneutes Ultimatum überreicht haben, den Hasen von Smyrna innerhalb 24 Stunden zu ver­lassen, so würde das eine äußerst gefährliche Verschärfung der Orientkrisis bedeuten. Von großer Bedeutung ist die Anwesen­heit amerikanischer Kriegsschiffe in den türkischen Ge­wässern. Bekanntlich haben die Amerikaner schon bei Eintritt der Türkei in den Krieg gegen die Alliierten ihre feindselige Stimmung gegen diese zu erkennen gegeben, und nach dein Krieg ihr großes .Interesse" an den türkischen Rekchtiimern bekundet. Es würden also schwere Komplikationen in Aussicht stehen.

Zur Lage.

Der französische Raubbeaufsichtigungsminister Le Trocquer, der das Ruhrgebiet besichtigt hat, hat dem Haoasvertreter ge­klagt, daß die Deutschen den Eisenbahnverkehr im Nuhrgebiet direkt sabotiert hätten, durch eine methodische Desorganisation. Aus diesem Paradoxon wäre also wieder einmal festzustellen, daß die Deutschen mit ihrem berühmten Methodisierungsvermögen alles sertigbringen, sogar die Organisierung des Wirrwarrs. Gleichzeitig aber behauptete er, die Verkehrseinrichtungen seien wieder so weit hergestellt, daß man nun daran gehen könne, die Kohlen aus dem Nuhrgebiet nach Frankreich abzutransportieren. Ob das so schnell geht, bezweifeln selbst seine eigenen Landsleute, denn bis jetzt ist nur erreicht worden, daß die lothringischen Hoch­öfen infolge Mangels an Ruhrkoks teilweise ausgeblasen wer­den mutzten. Und da di-ses Fiasko vor dem französischen Volk verheimlicht werden soll, so führte man Saarkohlen nach Frank­reich ab mit der AufschriftNuhrkohle". Wir haben schon früher daraus hingewiesen, daß die französische Regierung, nachdem sie sich einmal zu diesem Eewaltschritt durch die Nationalisten hat drängen lassen, nun auch gezwungen ist, die Sache bis zum bit­teren Ende durchzufvhren, und wenn man auch schon nach dem ersten Akt, (dem militärischen Einmarsch) und dem zweiten Akt (der Ausweisung der deutschen Beamten) gemerkt hat, daß das Unternehmen auf heftigen Widerstand gestoßen ist, so wird das natürlich dem Volke verheimlicht. Die nationalistisch« Presse stellt die Lage so dar, als gelte es nur noch ein wenig zu warten, so werde die Bevölkerung im Rheinland und Ruhrgebiet mürbe sein, und dann müsse das Kabinett Cuno gehen, und die neue Regierung müsse die französischen Forderungen annehmen. Die gemäßigten Parteien der Bürgerlichen Linken, deren Führer von der Aktion abgeraten haben, halten vorerst natürlich die natio­nale Disziplin, und auch die Sozialisten haben, abgesehen von lahmen Protesten, nichts getan, der Negierung entgegenzuwirken. Durch dieses wahnsinnige Unternehmen hat aber Poincarä nicht

nur keine Ruhrkohle erhalten, er hat vor allem alle Reparations­leistungen hinfällig gemacht, er hat dem Lande neue gewaltige Lasten aufgebürdet, denn für die Ruhraktion leistet Deutschland keinerlei Bezahlung, und so ist die StaatsfinanUvirtschaft Frank­reichs naturgemäß noch weiter verelendet, weil sie auf dem Prin­zip ausgebaut war, die Deutschen bezahlen nicht nur den Wieder­aufbau und die französischen Kriegsschulden, sondern auch den größten Teil des Militarismus, der zur dauernden Niederhal­tung uiÄ womöglich der vollständigen Zerstückelung Deutschlands bereit gehalten wird. Mit dem furchtbaren Marksturz hatte auch der Fiankensturz eingesetzt, und wie sehr die französisch« Volks­wirtschaft im Zusammenhang mit der deutschen bewertet wird, das zeigt ein Rundschreiben der Schweizer Bankiers an ihre Kunden, in dem sie auf den bevorstehenden weiteren Sturz des Kurses des französischen Franken Hinweisen.

Kurses des französischen Franken Hinweisen. Aber in Paris triumphiert vorerst der Gedanke der Militaristen und der Schwerindustrie, denen die wirtschaftliche und finanzielle Lage Frankreichs und damit die Reparationsfrage nicht das wichtigste sind. Sie arbeiten in erster Linie auf die dauernde Besetzung des Rheinlands und Ruhrgebiets hin, und dann so sagen sie sich, wird der volkswirtschaftliche Wiederaufbau Frankreichs noch viel rascher und umfassender vor sich gehen können. Diese Auf­fassung müssen wir uns immer und immer wieder vor Augen halten und ihr Rechnung tragen. Und wir müssen auch die Tat­sache als gegeben hinnehmen, daß weder England noch Amerika, noch Italien gewillt sind, ihr Vundesverhältnis um dieses Pla­nes willen zu Frankreich aufzugeben, denn alle diese Staaken sind worauf wir schon vor dem Waffenstillstand und später immer wieder hingewiesen haben weltpolitisch so sehr aus einander angewiesen, daß keiner ohne den andern seine Raub­und Ausbeutungspolitik aufrechtzuerhalten vermöchte. Wir haben deshalb von jeher die angeblichen Widerstände, die von diesen Seiten mit mehr oder weniger Aufwand von Redensarten sich geltend gemacht haben, auch als das eingeschätzt, was sie waren, als taktische Schachzüge, die nur dazu bestimmt gewesen sein dürften, die öffentliche Meinung der Welt, und na­mentlich die Deutschlands irrezuführen, wie es die Angel­sachsen vor dem Krieg und während desselben so glänzend fertig gebracht haben, und leider noch heute fertig bringen. Dieselben Manöver macht man ja auch bei Behandung der orientalischen Frage, wo auch in geschickter Weise immer und immer wieder die Franzosen und Engländer als Gegenspieler nach außen hin austreten, um letzten Endes doch ihre Forderungen gemein­em zu vertreten.

Wir müssen also stets beachten, daß wir in dem Kampfe um Rheinland und Ruhrgebiet und damit die Einheit des deut­schen Volkes vorerst allein stehen, und daß uns nur strengste Disziplin und unerschütterliche Geschlossenheit im Innern Aus­sicht auf Rettung der Existenz unseres, Vaterlandes geben.

O 8.

Sie srauzWe EkMltpslitik.

Pretest der deiiW» Regier« gegen die mderrcchtlRc BeWnz WMM

Berlin, 8. Febr. Der deutsche Geschäftsträger in Paris hat heute der französischen Regierung folgende Note übergeben: Die französische Regierung hat in einer vom 2. Febr. datierten und am 4. Februar der deutschen Botschaft übermittelten Verbal­note der deutschen Regierung eine Verletzung des Vertrags von Versailles vorgeworfen, die dadurch begangen sein soll, daß die Rsichsbahnverwaltung die Durchlritung der internationalen Züge ParisBukarest und ParisMünchenPrag eingestellt hat. Sie hat zugleich angekündigt, daß sie alsSanktion" für diese angebliche Vertragsverletzung di edeutschen Städte Offen­burg und Appenweier besetzen werde Die Besetzung der beiden Städte ist noch am Tage der Ucbermittelung de» Note tatsächlich durchgcführt worden. Die deutsche Reichsbahnverwaltung hat sich infolge Kohlenmangels und anderer durch den französisch-belgi­schen Einbruch in das Ruhrrevier verursachten Verkchrsschwierig- keitsn zur Einstellung einer großen Anzahl fahrplanmäßiger Zngsverbindungen des internationalen und innerdeutschen Dien­stes gezwungen gesehen. Es ist richtig, daß sich darunter auch die beiden in der Note genannten Zugspaare befinden. Zeit und

Umstand jedoch gaben dieser Anordnung der Reichsbahnoerwal- tung offensichtlich den Charakter einer vorübergehenden Not­standsmaßnahme; von einer Vertragsverletzung kann daher keine Rede sein. Selbst wenn aber eine formale Verletzung des Ver­trags vorläge, müßte es als ein Zerrbild des Friedenszustandes bezeichnet werden, daß die französische Regierung eine Maß­nahme von so untergeordneter Bedeutung wie die Einstellung zweier Zugs-Verbindungen zum Anlaß «imint, ohne weiteres ihre Truppen in deutsche Städte einmarschieren zu lassen. Allerdings hat die französische Regierung, um das schreiende Mißverhältnis zwischen dem Deschwerdcerlaß und der von ihr verfügten Maß­nehmen zu verdecken, den Versuch gemacht, noch weitere angeb­liche Vertragsverletzungen Deutschlands hcranzuziehen. Dem­gegenüber verweist die deutsche Regierung auf ihren früheren Notenwechsel mit der französischen Negierung. Cie stellt fest, daß sie io jedem einzelnen Falle de» gegen sie erhobenen Bor­wurf der Verletzung ihrer Verpflichtungen in eingehender Be­gründung entkräftet hat, ohne daß die französisch« Regierung auch nur versucht hätte, die deutfchr« Argumente zu widerlegen Den Rechtstitel, auf den sie ihr vermeintliches Sanktionsrecht stützen will, führt die französische Regierung nicht an; ihr stehen also in diesem Falle nicht einmal Schringründe zur Verfügung. In der Tat handelt es sich um einen Akt reiner Willkür und Gewalt, begangen unter der Ausnutzung der Wehrlosigkeit des deutschen Volkes. Di« deutsche Regierung erhebt hiergegen vor aller Welt feierlich Protest.

Am Tage der Uebermittlung der Verbalnote an die deutsche Botschaft hat auch die interalliierte Rheinlaudskommisflon in Koblenz dem deutschen Reichskommissar für die besetzten rhei­nischen Gebiete eine Note zugestellt, in der sie mitteilt, daß sie unter Billigung der von der französische« Negierung eingeleiteten Besetzung von Offenbar- und Appenweier beschlossen hat, dieses Gebiet unter das Regime des Brückenkopfes Kehl zu stellen und die Befugnisse ihres Delegierten in Kehl entsprechend zu erwei­tern. Das Rheinlandsabkommen umschreibt ebenso wie den ma­teriellen, so auch den örtlichen Umfang der Befugnisse der inter­alliierten Rheinlandskommission. Nach Artikel 1 umfaßt das Ihrer Zuständigkeit unterworfene Gebiet nur diejenigen deut­schen Landesteile, deren Besetzung in Artikel 3 des Waffenstill­standsabkommens vom 11. November 1918 und im Artikel 7 des Zusatzabkommens vom 16. Januar 1919 vorgesehen ist. Die Städte Appenweier und Offenburg liegen außerhalb dieses Gebiets. Keine Bestimmung des Rheinlandabkommens oder des Vertrags von Versailles gewährt der interalliierten Rheinlandskommission das Recht, das Gebiet ihrer Zuständigkeit eigenmächtig zu er­weitern. Die von ihr ausgesprocheneBilligung" macht die ver­tragswidrige Maßnahme der französischen Regierung nicht zu einem vertragsmäßigen Recht und kann ebensowenig der inter­alliierten Rheinlandskommission den für ihre Anordnung fehlen­den Vertrags- und Rechtstitel ersetzen; vielmehr zeigt dieses Vorgehen erneut, daß die interalliierte Rheinlandskommission sich zum Werkzeug der französischen Politik machen läßt. Auch gegen diesen Rechtsbruch legt die deutsche Regierung Verwah­rung ein.

Wegen der Mitwirkung der interalliierten Rheinkandskom- misston sind entsprechende Vorstellungen auch bei der englischen und der belgischen Regierung erhoben worden.

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Fortdauer der Gewalttaten.

Berlin, 8. Febr. Das Hauptzollamt Kreuznach, dessen Amts­räume von den Franzosen besetzt sind, hatte eine Hilfsstelle ein­gerichtet. die am 8. Februar von französischen Soldaten und Zollbeamten auch besetzt worden ist. Die deutschen eBamten wur­den verhaftet und die Akten und Formulare beschlagnahmt.

Lffen, 8. Febr. Aus dem besetzten Gebiet liegen wieder zahlreiche Meldungen über Verhaftungen und Ausweisun­gen von Neichsbeamten vor, die im Zoll-, Post- urnd Poli­zeiwesen wichtige Stellungen verwalten, so aus Reckling­hausen, Duisburg, Düffeldorf und Cleve. Rücksichtsloses und brutales Vorgehen gegen die Vetrofsenen ist dabei an der Tagesordnung. In Witten-Ruhr hat sich die Be­satzungsbehörde dazu verstanden, die Beschlagnahme der den Bergarbeitern für ihre eignen Haushaltungen zu­stehenden Kohlenmengen aufzuheben.

Düffeldorf, 9. Febr. Am Nheinufer in Düffeldorf liegt seit voriger Woche der neue große RheindampferDüffel­dorf" der Hapag-Linie mit einer großen Ladung hochwer-

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