(Enztalbote)
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stummer ZL Fernruf 179.
Der dritte Bismarckband.
m.
Ueber den persönlichen Umschwung von Rußland zuEngland schreibt Bismarck: „Ich selbst erhielt einige Monate später eine Probe von der Stimmung Sr. Majestät. Als der Besuch des Zaren im Oktober 1889 in Berlin zum Abschluß gekommen war und ich mit dem Kaiser von dem Lehrter Bahnhof, wohin wir den nach Ludwigslust abreisenden Zaren begleitet hatten, zurückfuhr, erzählte er, er habe in Hubertusstock sich auf deu Bock des Pürschwagens gesetzt, dem Gast das ganze Jagdvergnügen überlassend, und schloß mit den Worten: „Nun loben Sie mich doch!" Nachdem ich dieser Aufforderung genügt hatte, fuhr er fort, er habe mehr getan, er habe sich bei dem russischen Kaiser auf längeren Besuch angemeldet, den er zum Teil in Spala mit ihm zuzubringen gedenke. Ich erlaubte mir Zweifel, ob es dem Kaiser Alexander willkommen sein werde; derselbe liebe Ruhe, Zurückgezogenheit und das Leben mit Frau und Kindern; Spala sei ein ganz kleines Jagdschloß und nicht auf Besuche ein- erichtet. Ich erwog dabei den Gedanken, daß die beten hohen Herren zu einem sehr engen Verkehr miteinander genötigt sein würden und in den durch eine so lange Zeit hinzuspinnenden Unterhaltungen die Gefahr liegen könnte, empfindliche Punkte zu berühren.
Ich nahm mir vor, zu tun, was ich konnte, um diesen Besuch zu verhindern. Die Verschiedenheit der Charaktere und Denkweisen der beiden Monarchen war vielleicht keinem Zeitgenossen so bekannt wie mir, und diese Bekanntschaft ließ mich befürchten, daß ein längeres Beisammensein ohne jede geschäftsmäßige Kontrolle zu Reibungen, zur Abneigung und Verstimmung führen könne, und daß letztere beim Zaren schon d'irch die längere Störung seiner Einsamkeit gegeben sei, wenn er auch die Ankündigung des Besuchs seines Wirts natürlich mit Höflichkeit entgegengenommen hatte. Im Interesse des Einvernehmens "beider Kabinette hielt ich es für bedenklich, die mißtrauische Defensive des Zaren mit der aggressiven Liebenswürdigkeit unseres Herrn ohne Not in enge und lange Berührung zu bringen, und um so mehr, als durch die Anmeldung ein Vorschuß an Zutunlichkeit gewährt wurde, welcher der russischen Politik egenüber kaum und der mißtrauischen Einschätzung des ckisers Alexander gegenüber noch weniger angebracht war. Wie begründet meine Besorgnisse waren, zeigte sich in den früher erwähnten geheimen Berichten aus Petersburg, die, auch angenommen, daß sie übertrieben oder gefälscht waren, och mit Kenntnis der Lage geschrieben sein mußten.
Der Kaiser war von meinen Bedenken, wo er Anerkennung erwartet hatte, unangenehm berührt und setzte mich vor meiner Wohnung ab, anstatt in dieselbe einzutreten und über Geschäfte weiter mit mir zu sprechen.
Der Besuch, den der Kaiser dem Zaren vom 17. bis 23. August 1890 in Narva und Peterhof abstattete, führte zu der von mir befürchteten Verstärkung der persönlichen Verstimmung.
Auf Narva folgte die Begegnung in Rohn stock und und der Handelsvertrag mrt Oesterreich, die Wendung Sr. Majestät zu England war schon seit dem Besuch in Osborne Anfang' August 1889 von englischer Seite mit geschickter Berechnung betrieben worden, und hatte den Vertrag über Sanzibar und Helgoland herbeigeführt. Die Uniform des Emirat ok tim kiest kann als das Symbol eines Abschnitts in der auswärtigen Politik des Reichs angesehen werden."
Der Zwische fall Windthorst.
Im 8. Kapitel berichtet der Altreichskanzler über die Spannung mit dem Kaiser, die zu seiner Entlassung sührte. Die erste persönliche Schärfe im Verlauf der Meinungsverschiedenheiten zwischen Kai,er und Kanzler kam bei dem bekannten Zwischen'atl Wiudthorst zum Ausdruck, bei dem Fürst Bismarck das Verlangen des Kaisers,' über Verhandlungen des Kanzlers mit Parlamentariern vorher unterrichtet zu werden, entschieden ab- lehnte, worauf der Kaiser sich scharf gegen die Kabinetts- vrder von 1852 aussprach, die die Ressortminister an- hielt, sich ^ wichtigen Fragen mit dem Ministerpräsidenten in Verbindung zu setzen, ehe sie dem König Vortrag hielten. Diese Kabinettsorder, auf deren Be,e,ti- 8ung Kaiser mit steigender Heftigkeit drang, gab
Wiläbsä, Donnerstag, den 10 februar 1921
den formellen Hauptgrund für den Bruch mir oem Kanzler. Sachlich spielte wohl die größere Rolle, daß der Kaiser hartnäckig an der noch auf Waldersee zurückgehenden Auffassung über Rußland festhielt.
Ueber den Befehl zum Abschiedsgesuch gibt Bismarck folgenden, in den sachlichen Grundlagen bereits bekannten Bericht:
„Am folgenden Morgen, 17. März, kam Hahuke wieder, um mir mit Bedauern mitzuteilen, Se. Majestät bestände auf Zurücknahme der Order und erwarte nach dem Bericht, welchen er, Hahuke, ihm über seine gestrige Unterredung mit mir erstattet habe, daß ich sofort meinen Abschied einreiche: ich solle am Nachmittag auf das Schloß kommen, um mir denselben zu holen. Ich erwiderte, ich sei dazu wohl nicht jung genug und werde schreiben.
An demselben Morgen kam eine Anzahl von Berich ten von Sr. Majestät zurück, darunter einige von einem Konsul in Rußland. Denselben lag ein offenes, also durch die Büros gegangenes Handschreiben Sr. Majeftäl bei, also lautend:
„Die Berichte lassen auf das Klarste erkennen, daß die Russen im vollsten strategischen Aufmarsch sind um zum Krieg zu schreiten — und muß ich es sehi bedauern, daß ich so wenig von den Berichten erhal- ten habe. Sie hätten mich schon längst auf die furchtbar drohende Gefahr aufmerksam machen können! ES ist die höchste Zeit, die Oesterreicher zu warnen, und Gegenmaßregeln zu treffen. Unter solchen Umständen ist natürlich an eine Reise nach KraSnoe meinerseits nicht mehr zu denken.
Die Berichte sind vorzüglich."
. . . Also weil ein Konsul einige, zum Teil drei Monate alte militärische Vorgänge aus dem Bereich seiner Wahrnehmung berichtet hatte, unter anderem die dem Generalstab bekannte Versetzung einiger Sontnien "Kosaken nach der österreichischen Grenze, sollte Oesterreich in Alarm gesetzt, Rußland bedroht, der Krieg vorbereiet und der Besuch, zu dem Se. Majestät sich aus eigenem Antrieb angemeldet hatte, aufaegeben werden: und weil" die Berichte des Konsuls verspätet eingegaugen, wurde nnr der versteckte Vorwurf des Landesverrats gemacht, der Vorenthaltung von Tatsachen, um eine von außen drohende Gefahr zu vertuschen. Ich wies in einem sofort erstatteten Jmmediatbericht nach, daß alle nicht von dem Auswärtigen Amt aus direkt dem Kaiser vorgelegten Berichte des Konsuls unverzüglich dem Kriegsminister und dem Generalstab übersandt waren."
14stündige Arbeitszeit.
Zu den Sntschädigungsforderungen der Pariser Konferenz schreibt W. Rathenau im „B. T.": Deutschland hat noch 16 Millionen landwirtschaftliche und industrielle Arbeiter. Bei 300 Arbeitstagen zu 8 Stunden ergibt sich eine Jahressumme von 36 Milliarden Arbeitsstunden mit einer Gütercrzeugung von durchschnittlich 18 Milliarden Goldmark (eine halbe Goldmark aus die Arbeitsstunde). Davon und 6 Milliarden Einfuhr (Lebensmittel und Rohstoffe) zu bestreuen, für die Kriegsentschädigung müßten stufenmäßig weitere 6 Milliarden abgezogen werden, von dem gesamten Arbeit ertrag blieben also schließlich für den eigenen Verbrauch des deutschen Volks nur noch 6 Milliarden übrig, während der Aufwand für die Lebenshaltung vor dem Krieg in Deutschland 24 Milliarden Goldmark an Werten betragen hatte. Entweder — so meint Rathenau — wäre nun der Verbrauch auf ein Viertel der früheren Lebensführung einzuschrünken, oder es müßte die Arbeitsleistung entsprechend, also um 6 Stunden täglich, erhöht werden.
Die Rechnung stimmt zwar nicht ganz, weil der von Rathenau behauptete Verbrauch von 24 Milliarden Goldmark sich auf eine Reichsbevölkerung von annähernd 70 Millionen Menschen bezieht (in welcher Zahl auch entsprechend viel Arbeitskräfte enthalten sind), wogegen die heutige Einwohnerzahl des verstümmelten Deutschlands nur noch rund 60 Millionen beträgt. Jmmerlstn ist die Beweisführung nicht uninteressant und schließlich ist es vollends unerheblich, ob in Deutschland die Lebenshaltung auf ein Viertel oder ein Drittel herabgesetzt oder die tägliche Arbeitszeit auf 14 oder 12 Stunden hinansgeschroubt werden muß. Beides ist gleich unerträglich oder uiunögii.h.
Fernruf 179.
5S. Istirgang
Eine amerikanische Warnung.
Tie Täuschung, der man sich in Deutschland über dte Haltung der Vereinigten Staaten beim Ausbruch deL Kriegs hingab, ist bekanntlich für die letzte Entscheidung sehr verhänau'-voll geworden. Man konnte nickt glaubm, daß Amerika trotz der unfreundlichen Haltung gegen Deutschland und trotzdem es von. der ersten Zeit an die Entente in reichstem Maß mit Geld und Waffen unterstützte, selbst in den Krieg eintreten werde, und man suchte die Amerikaner mit allen Mitteln bei leidlich guter Stimmung zu erhalten. Wilson hatte aber, wie er vor dem Senat nach Kriegsende selber zugeben mußre, von Anfang an den Krieg beschlossen und er begann sofort mit der Ausbildung und Ausrüstung eines Heers von einigen Millionen Mann, das für jeden klar Blik- kenden gar keinen andern Zweck haben konnte, als die Verwendung auf den europäischen Kriegsschauplätzen an der Seite der Entente. Auch jetzt wieder knüpft man vielfach in Deutschland an die Tatsache, daß Amerika die wirtschaftliche Vernichtung Deutschland wahrscheinlich nickt so ohne weiteres hinnehmen werde, weil es nämlich dadurch eine vielleicht nie wieder gutzumachende Schädigung seiner Handelsinteressen erleiden würde, die ausschweifendsten Hoffnungen und man träumt schon von „Einschreiten hardings bei der Londoner Konferenz" und ähnlichen schönen Dingen. So wird es wohl nicht kommen. Ter Widerstreit der amerikanischen und der i großbritannischen Interessen wird zwar weiter bestehen i und bis zur letzten Kraftprobe weiter wachsen, aber bis - zum Austrag kann es noch eine lange Zeit sein. Teutsch- ' lands wegen werden sich die Amerikaner sicherlich in keine Unkosten stürzen.
So richtet nun, wie die „Deutsche Allg. Zta." meldet, die „Newyork Times", allerdings ern Blatt, da» zum Kreis des englisch-amerikanischen Zeitungstrust» Northcliffes gehört, folgende Warnung an Deutschland: In Deutschland möge man den Fehler von 1914 nicht wiederholen, indem man Amerika abermals falsch beurteile. Das Urteil in Amerika sei einmütig. Die Empfindungen und Zwecke des Kriegs seien nicht verschwunden. (Das heißt: Tie verlogene Hetze der North- cliffe-Presse während des Kriegs über Kriegsschuld, Kriegführung usw. hält noch einen großen Teil der Amerikaner in Bann. T. Schr.) Man wolle nicht, daß Deutschland auseinandergerissen und zum Sklaven gemacht werde, aber man halte es in den Vereinigten Staaten für recht, daß Deutschland bis zur Grenze des Möglichen seine Zerstörungen im Krieg zu ersetzen habe. Es sei nicht zu bezweifeln, daß auch Harding diese Meinung teile. Deutschland würde vor einem peinlichen Erwachen stehenSwenn es sich darüber einer falschen Aussassuua h-ingäb». _
Neues vom Tage.
Hindenbnrg in Bremen.
Berlin, 9 Febr. Auf der Werft des Bremer Vulkan in Vegesack f nd gestern der Stap llauf des Dampfers „Hindenbnrg" in Aliwesenheit des Generalfeldmarschalls Hindenburg, des Generals Ludendorff und der Hiudenburg'schen Familie statt. In der Taufrede fa^e Hindenbnrg u. a.: „So ziehe denn hin über das werte Meer und zeige der Welt, daß Deutschland den redlichen Willen hat, mit allen Völkern in Frieden zu leben, solange es ihm die Ehre erlaubt, und knüpfe ein Band zwischen ihnen und uns, das die Menschheit einander nähert und den friedlichen Austausch der Erzeugnisse ihrer Geißesarbeit, ihrer .Hände Arbeit und ihres Fleißes ermöglicht. Das ist der treue Wunsch eines alten Soldaten." Tie nach Zehntausenden zähl.mde Menge brachte Hindenburg begeisterte Huldigungen "dar. Vor dem Stapellauf hatte eine Abstimmung der Arbeiterschaft statt- gesunden, bei der sich 300 Angestellte einstimmig, die Arbeiter mit 30 Stimmen Mehrheit für den Namen „Hindenbnrg" entschieden hatten.'
Tie „Weserzeitung" veröffentlicht eine Unterredung mit Hindenburg. Mit sichtlichem Interesse lieh sich der Generalfeldmarschall über den politiscken Umschwung berichten. Ja, warf er ein, einig müssen wir sein, unser Unglück ist unsere Cigenbrödelei. Aus das Gebiet der großen Politik kommend, betonte Hindenburg, daß ein militärischer Führer Frankreichs dir Angst vor Deutschland nicht los werden könne und dafür vor allem die sinkende Bevöllerungszifser.