Nr. 6

'Anus, und Anzeigeblatt ,ur ven Oberamtsbezirk Calw.

S9. Jahrgang.

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Dienstag» den 9. Januar 1923.

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Bezugspreis: In der Stadt «it rrLgerlohn «0 S». «onaüich. PostdetugSprei« LL9 «k. mit Bestellgeld. ' ^ .

Schluß -er Anzeigenounahme 8 Uhr vormittag».

Neueste Nachrichten.

Der deutsch« Reichskanzler hat de» Vertretern der amerilanischeu Press« mit wünschenswerte, Dentlichlrit erklärt, daß wir die unerfüllbaren Forderungen Frantreich» nicht annehmen wer- d«». Wen, Frankreich angesichts Unserer Zahlungsunfähigkeit in» Ruhrgebict einmarschiere. so sei da» ei» glatter Rechts, bruch, gegen den di« dentsch« Regierung schärfste Verwahrung riolege» werde.

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Der französisch« Fühl«,, daß Frankreich zuerst das Ruhrgebiet be­setze» »nd dann mit Dentschland über ei» Moratorium »er­handeln wolle, wird von der gesamte« deutsch-» Presse ab- gelehnt. da Deutschland mit Frankreich allein niemals über da, Reparationsproble» »erhandeln werde.

England nnd Amerika scheine» stch trotz ihre, Ansicht über die »nfährlichkeit de» französischen Unternehmen» noch z« keinem neuen Schritt entschlossen zu haben.

Am Orient scheint «ine Verschärfung der Berböltnisse «ingetrrte« z» sein. E, wird von militärischen Operationen der Krieche« in de, Nähe vdrianopel» gemeldet. Vernht diese Meldung ans Wahrheit, so wäre mit ernstesten Konflikt» z« rechnen. Sollte de, neue Druck Frankreiibs vielleicht mit d-n Vorgänge« im Orient znsammenhängen?! Bekanntlich hat Poinrar^ sein« Absichten gegenüber Deutschland v«ck> der Klei­nen Entente «nd Pole» bekannt gegeben, was gkeick>*»-de«tend mit eine, indirekten Mobilmachung an seine europäischen Va­sallen «st.

Jas Reparations-kM«!.

Nach der Pariser Konferenz.

Als Briand aus der Konferenz von Tannes grundsätzlich auf die englische Auffassung einzugehen gewillt war. das, das Repa- rattonsproblem hinsichtlich der Höhe der deutschen Zahlungs­verpflichtungen einer Revision unterzogen werden müsse um die deutsche Wirtschafts- und Finanzlraft zu erhalten, da wurde er von dem nationalistischen Block, der den größten Teil der maß­gebenden Presse Frankreichs beherrscht, zurückberufen, das Mi­nisterium gestürzt, und PoincarS an seine Stelle gesetzt. Poin- rarö wurde von den Nationalisten berufen, um die im Versailler Vertrag" stch bietenden Möglichkeiten zu benutzen, DeutHland eines bösen Willens in bezug auf die Einhaltung seiner Zah­lungsverpflichtungen, und auf diese Weise dem alten Ziel der französischen Politik, der Annekiion des Rheinlands und im Zusammenhang damit der Zertrümmerung des Deutschen Rei- ck>es nöherzukommen. Zwecks Vermeidung einer Regelung der Reparationsfrage auf der Grundlage einer nach englischer (I!) Ansicht wenigstens noch erträglichen Belastung Deutschlands sabotierte Poincarö von seiner Berufung an jede Konferenz, die Dentschland eine gewisse ihm tm VersaillerVertrag" zuge- standene, wenn auch nur passive Mitwirkung an der Feststel­lung feiner Schuld ermöglicht hätte, und suchte die Entscheidung immer auf die Botschafter- oder Ministerprösidenten-Konferen- zen zu übertragen, in denen Frankreich seinen politischen Ein­fluß in viel höherem Maße zur Geltung zu bringen in der Lage war, welk es hier seine Absichten gegenüber Deutschland immer mit Kompensationen auf andern außenpolitischen Gebieten durch­setzen in der Lage war. Deshalb ging PoincarS nicht nach Genna, um in jedem Augenblick auch hier durch die Erklärung der Unzuständigkeit der französischen Vertreter die Möglichkeit zu besitzen, eine Frankreich nicht genehme Entwicklung der dort zur Beratung stehenden Weltnürtsibaftsfragen zu hintertrciben, bei deren Behandlung natürlich auch der methodische Wahnsinn der Reparationspolitik Frankreichs gekennzeichnet werden mußte. Die nächste Etappe ans dem Wege nach dem französischen Ziele war die Beseitigung Lloyd Georges, der die Abstibten der Po­litik Frankreichs im Laufe der Zeit doch zu scharf gekennzeichnet hatte, als daß die Franzosen noch länger mit ihm als Vertreter eines verbündeten Staats hätten fortarbeiten können. In dem Kampf um die Beseitigung Poincargs oder Llovd Georges un­terlag letzterer, weil England infolge der gefährlichen Ent­wicklung der orientalischen Krisis die Lösung des Reparations- Problems zurückstellen, und die Hilfe Frankreichs in Anspruch Et-, Aber es zeigte sich bald, daß auch der neue «nqlisck« Ministerpräsident trotz seiner freundschaftlichen Ge­fühl« für Frankreich nicht in der Lage war. die Reparations- Politik VoincarSs in ihrem ganzen Umfange zu billigen, da

England sich wohl bewußt ist, daß die geplanten Eewaltschritte der Franzosen früher oder später zu einer Wirtschafte- und damit auch zu einer potitisa-en Katastrophe in Deutschland führen müssen, deren Auswirkungen nicht nur für Turopa man in London befürchtet. Und nun ist man in London auf den gege- benensalls vielleicht gerade so gefährlichen Ausweg verfallen, die Verantwortung für etwaige Gewaltmaßnahmen Frankreichs abzulehnen, den Franzosen aber freie Hand inbezng auf die gegen Deutschland etwa zu unternehmenden Aktionen zu lassen. Anders kann man die allerdings nur durch die Presse bekannt gewordenen Aeußcrungen Bonar Laws wohl nicht deuten, denn nach demPetit Parisien", einem Blatt, das mit der französi­schen Regierung enge Beziehungen unterhält, soll der englische Ministerpräsident, als er sich von Poincarä verabschiedete, diesem höchst aufrichtig guten Erfolg gewünscht haben", damit man bet einem etwaigen Mißerfolg den Engländer» keine Schuld wegen ihres Beistilestehens gebe. Im übrigen wurde aber von beiden Seiten offiziell und inoffiziell betont, daß diese Mei- nungsverschiedenheit in der deutschen Angelegenheit die Freund­schaft der beiden Regierungen und Völker in keiner Weise be­einflussen werde. Es zeigt sich hier wieder die Richtigkeit un­serer von jeher vertretenen Auffassung, daß England «nd Frankreich durch di« enge Verbundenheit ihrer weltpolitischen Jntressen so stark von einander abhängig find, daß an «ine Lö­sung ihrer Beziehungen in absehbarer Zeit nicht zu denken ist. Und deshalb darf es Frankreich auch wagen, gegebenenfalls isoliert" vorzugehen, weil weder England noch auch Amerika eg ernstlich zu hindern geneigt sind. Wir müssen endlich der Tat» salbe in die Angen schauen, daß die Angelsachsen durch die Ver­nichtung der deutschen Flotte und der Konkurernz der deutschen Volkswirtschaft ihr Ziel erericht haben, und daß sie es angesichts der militärischen Ohnmacht Deutschlands vorläufig wohl riskieren können, die Nicderhaltung und wenn möglich Zertrümmerung Deutschlands ihrem Vasallen in Europa zu über­lassen, ja daß sie aus taktischen Gründen sogar die französische Politik scheinbar bekämpfen, letzten Endes würden sie aber bei einer ernstlichen Auseinandersetzung Frankreichs mit Deutsch­land doch wieder an der Seite der Franzosen flehen. Ganz in demselben passiven Sinne wie die Aeußerungen Bonar Laws zu deuten sind, lauten auch die Nachrichten aus Washington, wonach die gmerikanische Regierung in der jetzigen Situation sich als wohlwollender Zuschauer (!)" bezeichnet, der mit allen an der Krise beteiligten Parteien in freundschaftlichem Verhältnis lebt. Dos ist ein ebenso vorsichtiger wie bequemer Standpunkt, der aber praktisch zur Folge haben kann, daß dabei Deutsch­land und mit ihm Europa angesichts des amerikanischenWohl­wollens" in eine Katastrophe gestoßen wird, deren Auswirkun­gen schließlich auch Amerika die Augen aufgehen lassen könnten. Und gerade der Beschluß der Zurückziehung der amerikanischen Truppen vom Rhein durch den Senat kann verhängnisvoll auf die Pariser Verantwortlichen wirken.

Formaljuristifch gedacht stehen wir jetzt vor folgender Si­tuation: Am 15. Januar ist wieder eine Eoldrate fällig, di« nach dem Verteilungsplan Frankreich zu beanspruchen hat. Die Franzosen haben nun in der Reparationskommission den Beschluß einer Verfehlung Deutschlands inbezug auf die Holzlieferungen durchgesetzt, wobei sie keinen Unterschied zwischen absicht­licher oder durch Lieferungsunfähigkeit bewirkter Verfehlung machen. Nach dem Versailler Vertrag darf aber nur eine Ver­fehlung, bei der böser Wille festgestellt ist, als Anlaß zu Zwangs­maßnahmen genommen werden, und die Feststellung einer sol­chen Versohlung muß auch durch Mehrheitsbeschluß in der Re- parationslommission erfolgen. Es wird nun darauf ankommen, erstens ob Frankreich in den nächsten Tagen einen dahingehen­den Beschluß zustandebringt, und ob es dann auch das Mandat zur Ausführung der geplanten Maßnahmen im Rheinland und Ruhrgebiet erhält. So wie die Dinge im Augenblick der Abfas­sung dieses Aufsatzes stehen, müssen wir auf alles gefaßt sein, denn sowohl Italien wie Belgien Minen stark in französischem Fahrwasser zu segeln, sodaß England bei etwaigem Widerstand isoliert wäre. Es ist allerdings auch zu beachten, daß in der Haltung Frankreichs viel unter Umständen alles Theater- regie fein kann, und daß die englische Politik ebenfalls sich be­wußt zurückhält, um aus Deutschland die größtmöglichsten Zu­geständnisse herauszupressen. Sehr viel wird es daher auf die Orientiertheit «nd Festigkeit der deutschen Regierung ankommen, und nicht zuletzt auf das hinter ihr stehende deutsche Volk, wie diele nach Versailles vielleicht schwersten Entscheidungen aus- fallen. Das scheint sicher zu sein, das Kabinett Enno wird keine Zugeständnisse machen» die für die deutsche Volkswirtschaft un­erfüllbar find, und sie wird zweifellos auch die nötigen Schritte unternehmen, »m »inen Rechtsbruch seitens der Franzosen.

wie ihn di« geplanten Gewaltmaßnahmen darstellen würden, entsprechend vor aller Welt zu kennzeichnen. O 3.

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Die deutsche Reg.erung bleibt fest.

Ernst« Erklärungen de» deutschen Reichskanzlern

Berlin, 8. Jan. Reichskanzler Dr. Luno empfing heute vormittag die hiesigen Vertreter der amerikanischen Depcjchen- agenturen und gab ihnen gegenüber solgend« Erklärungen ab: Dir alliierte« Ministerpräsidenten habe« bei ihre« Pariser Be­ratungen über die Reparationssrage »nsere Vorschläge n.cht hö­ren wolle« «nd über ihre eigenen Vorschläge sich nicht einigen können. Die Lösung be» Problem» ist von neuem ausgeschoden. Frankreich scheint sich zu dem Versuch anzuschickrn, sein« An­sprüche im Wege des Zwangs und der Gewalt durchzusetzen. Dabei hat es den Anschein, als ob man in einigen Kreisen in Frankreich wirklich glaubt, durch einen solchen Zwang di« Re­parationsleistungen von uns erhalten zu können. Ich sagte schon in meiner Hamburger Red«, daß jede Zwangsmaßnahme de» Tod der wirtschaftliche« Reparationen bedente» würde. Das kann ich heute nur mit größtem Ernst und Nachdruck wieder­holen, denn so sehr wir bereit waren und es auch heute nc '> find, freiwillig und gestützt auf unsere Wirtschaft bis an die Grenze unserer wirtschaftlichen und finanziellen Kraft zu gehen, so wenig sind wir willens, uns irgend einem Zwang zu beugen. Unser« Bereitschaft znr freiwilligen Leistung de» Mögliche» haben wir durch di« Tat bewiese«. Wir haben damit das llns- rige getan. Wir find zum Frieden bereit. Da» dentsch« Volk wird aber, wenn «» sein muß, «brnso entschlossen de» Weg de» Leid, gehen. Unter Druck und Drohungen werden wir nicht han­deln. Wir werde« der Gewalt nicht mit Gewalt entgegenkom« men. Was wir aber in voller Entschlossenheit und in voller Uebereinstimmung mit dem deutschen Volk tun können, das ist, die wirtschaftliche Unvernunft und Rechtlosigkeit des französischen Vorgehens der Welt in ihrem wahren Licht zu zeigen. Gewalt bleibt Gewalt! Frankreich versucht di« geplante Aktion mit einem Schein des Rechts zu umkleiden, indem es von Sanktionen und Pfändern spricht, die in den Bestimmungen des Versailler Vertrags ihre Stütze haben sollen. So ungeheuerlich er auch sonst ist, er geht nicht so weit, den Alliierten beliebige Angriffe aus deutsches Gebiet zu gestatten. Zur Sicherung ihrer Forderung aus dem Vertrag, namentlich zur Sicherung der Reparakionssor- derung, halten die Alliierten für eine bestimmte Zeit die Rhein­lands besetzt, eine Garantie, wie sie stärker und drückender wohl in keinem Friedensvertrag zwischen Kulturvölkern festgelegt wurde. Wenn Frankreich jetzt auf eigne Faust noch weiter gehen will, wenn es im besetzten Gebiet sich nicht in den Schranken des das Besatzungsrecht regelnden Abkommens hält, oder wenn es sogar seine Hand noch über das Rheinland hinaus auf unbe­setztes deutsches Gebiet legen will, so ist das nicht eine Ausübung des vertraglichen Rechts, sondern ist vertragsbrnch »nd Sewalt gegen ein wehrlose» Volk. ,

Zuerst Gewalt» dann Verhandlungen?

Berlin, S. Jan. Die Blätter schreiben zu der Ankündigung der französischen Presse, baß die Pariser Regierung nach de, Besetzung Essens in direkt« Verhandlungen über ein Morato­rium mit der deutschen Regierung eintreten wolle, eine Besetzung Essens sei das ungeeignetste Vorwort für die Eröffnung einer direkten Aussprache. Conderverhandlungen mit Frankreich über di« Reparationsfrage seien für die deutsche Regierung eine Un­möglichkeit, da, laut Friedensvertrag nur die Gesamtheit der Entente als Vcrhandlungsfaltor in Betracht komme. Gegen eine Besetzung von Essen, die eine Vergewaltigung des Ver­sailler Vertrags sein würde, habe das «ntwasfnete Deutschland kein anderes Mittel als das des Protestes, von dem es auch Ge­brauch machen werde. Im übrigen hoffe man, daß Frankreich selbst sehr bald zu der Einsicht gelangen werde, daß derartige Gewaltmittel am allerwenigsten geeignet seien. Reparationen zu erhalten und die zerstörten französischen Gebiete wieder auf­zubauen. Nach Meldungen aus dem Ruhrgebiet sieht man dort mit ruhiger Gelassenheit dem Kommenden entgegen. Heute nachmittag soll in einer Ministerbesprechung die Haltung Deutsch­lands zu dem drohenden Gewaltalt Frankreichs behandelt wer­den.

Die militärischen Vorbereitungen

für den Einmarsch ins Nuhrgebret.

London, 8. Jan. Der Pariser Berichterstatter derTimes" schreibt, seinen Informationen zufolge werden die französischen Sanktionen ohne Verzug angewandt werden. Vor bezw. unmit­telbar nach dem 15. Jan. werde der Schritt erfolgen. Wahrschein­lich werde Frankreich schließlich einem bedingten Moratorium »«stimmen, da die Regierungen nicht hätten Übereinkommen kön-