Gebeugt, aber nicht gebrochen.

Erzählung von C. Cornelius.

(Nachdruck verboten.)

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In einem kleinen Thale des hessischen Berglandes liegt das Dörfchen Cattenhanse». Der Rittmeister v. Heimdahl hatte gut gewählt, als er vor Jahren, die Einsamkeit suchend, sich mit seiner Familie hier angesiedelt hatte. Das Dörfchen war eine kleine Welt für sich. Jahrzehnte konnten vergehen, ohne hier eine sicht» liche Veränderung hervorzubringen. Die Saaten grünten und reiften einen wie alle Sommer, kam der Winter heran, so liefer­ten die dichten Waldungen der Berge Brennholz genug, um gegen die Kälte zu schütze». Und wenn die genügsamen Einwohner des Dörfchens beim warmen Ofen saßen, so erzählten sie sich von den Vorgängen in der großen Welt draußen, wie man sich Märchen erzählt. Gegen mancherlei Entbehrungen und Uebelstände, die auch hier, wie überall, nicht ausblciben,wußte man kein Mittel, sie mußten ertragen sein, das war ja immer so gewesen und eben­sowenig zu verhindern, wie, wenn der Habicht ab und zu ein junges Gänschen stiehlt. Starb ein alter Mann, so trat der Sohn an seine Stelle, fiel eine alte Tanne nm, so war ja auch ihre Stelle bald wieder von frischem Grün überwuchert.

Das Haus dcS Rittmeisters V. Heimdahl lag am Fuße eines bewaldeten Berges, nur wenige Schritte von den ärmlichen Hütten des Dörfchens entfernt und von einem wohlgepflegten Garten um­geben. Eben trat der Besitzer, ein grauer Alter mit verschlossenen Zügen, aus der HauSthür. Der feste Schritt und die militärische Haltung verrieten den ehemaligen Soldaten, ein leichter Sommer­anzug umschloß die kräftige Gestalt. Heute, wie jede» Morgen, war sein erster Gang zu seinen Granitbrüchcn auf halber Höhe des Berges, von wo ein Krachen und Hämmern die Thätigkcit der Arbeiter verkündete. Aus einem schmalen, steinigen Fußpfade, welcher sich durch dichtes Gestrüpp wand, klomm der Alte bergan. Die Anstrengung des StcigenS in der heißen Sonne vermochte ihm weder einen Seufzer zu entlocken, noch seinem Gesichte auch nur für einen Augenblick ihren Stempel aufzuprägcn.

In den Granitbrüchen fand er alles in gewohnter Ordnung. Die Arbeiter hatten sich unter einem großen Strohdach? eben zum Frühstück niedergelassen. Beim Eintritt des Rittmeisters ließ jeder ehrfurchtsvoll seine beiden, dem Munde eine mächtige But­terschnitte zuführenden Fäuste sinken, und schluckte den zuletzt ab- gebisscncn Brocken eiligst hinunter, um einguten Morgen, Herr Rittmeister" hervorbringen zu können. Dieser erwiderte ihren Gruß in herablassender Weise und erkundigte sich dann bei dem Aufseher, wann die nächste Ladung transportiert werden könne, ob die Gerüste, über welche die Arbeiter ihre fieinbeladencn Kar­ren zu schieben halten, auch genau untersucht seien, und ob unter de» Leuten etwas vorgefallen sei. Hierauf ging er zur großen Erleichterung der ängstlich blickenden Arbeiter wieder hinaus. Trotz seiner bärbeißigen Art, mit ihnen umzugehen, waren sie doch gern in seinem Dienste, weil er niemals ungerecht war, und weil seine Tochter ihren Familien häufig in Fällen der Not mit Rat und That zur Seite stand.

Der Weg, welchen der Rittmeister eiugeschlagen hatte, mün­dete in die breite Dorfgasse, vorüber an einem Häufchen schmutziger Kinder, welche vergnügt vor einen Scheunenthor im Staube wühl­ten, schritt er auf den Pfarrhof zu. Dieser lag neben der seitab auf einer kleinen Anhöhe stehenden Dorskirche. Ihr Aussehen predigte von der Vergänglichkeit alles irrdischen, während der Pfarrhof ein Bild weltlicher Behaglichkeit war. Eine alte Stein­platte vor dem Altar der Kirche berichtete, daß dieselbe zur Zeit des dreißigjährigen Krieges als Pserdcstall benutzt worden, ob aus Irrtum oder Notbehelf stand nicht dabei. Jenem Umstande mochte es znzuschreiben sein, daß sie ihre Würde verloren hatte.

Der jetzige Pfarrer war eben bemüht, einige Köpfe Blumen­kohl im Vorgeschmack des Hochgenusses, den sie ihm durch seine eifrige Pflege später bereiten würden, von Raupen zu säubern, alS sich einGrüß Gott, Herr Pfarrer," vernehmen ließ.

Sie kommen doch mit in diegoldene Traube" zum Früh­schoppen."

Gewiß, Herr Rittmeister, ich habe nur gewartet bis ich Sie vorübergehen sehe." Mit diesen Worten trat der Pfarrer aus dem Pjörtchen seines Gartens heraus und beide gingen auf das Wirtshaus zu.

Ein in der Sonne blinkendes Schild winkte schon von weitem. Es wär eine goldene Traube von der Größe derer, welche die von Moses in das Land Kanaan gesandten Kundschafter mit­brachten uud von denen cs heißt,zween Männer trugen sie auf einem Stecken."

Der Kellner, welcher die beiden Stammgäste schon erwartet hatte, setzte ihnen sogleich ihre gefüllten Gläser vor. Tie beiden schweigsamen Herren sollten nicht lange die einzigen in der WirtS- stube'bleiben. Durch die nur angelehnte Thür sprang ein Jagd­hund herein. Wäre es ein Mensch gewesen, so würde der Ritt­meister ihn vielleicht nicht beachtet haben, dem Tiere widmete er, als Jagdliebhaber, jedoch seine Anfmerktamkeit. Er leckte cs zu sich heran und streichelte cs. Jetzt kam auch der Besitzer des Hundes mit seinem Begleiter heran. Trotz der sie bedeckenden Staubschicht erkennen wir doch die Züge Arnolds und seines Freundes wieder. Um der Enten willen, deren Köpfe ans ihren Jagdtaschen hervorsahen, erwiderte der Rittmeister den Gruß der beiden ziemlich freundlich und gratulierte ihnen zu ihrer Beute. Die Jagd war ein Thema, bei welchem er seine sonstige Ein­silbigkeit und Schroffheit gänzlich vergaß.

Die gegenseitige Vorstellung war bald gemacht und das Ge­spräch im besten Gange. Die Freunde erboten sich, den Ritt­meister am Nachmittage an den Ort führen zu wollen, wo sie die Enten geschossen hatten. Dieser nahm den Vorschlag dankbar an und forderte die beiden jungen Leute auf mit ihm zu gehen und den Tag bei ihm und seiner Tochter zuzubringen. Dem Aner­bieten wurde freudig Folge geleistet und die kleine Gesellschaft brach auf.

Unerhört," murmelte der Pfarrer, als er sich verabschiedet hatte,er, der ehemalige hessische Rittmeister ladet zwei angehende preußsische Beamte zu sich ins Haus! Nun, es wäre auch gewiß nicht geschehen, wenn sie nicht ihre Taschen voll fetter Enten hätten l"

Das Haus des Rittmeisters war bald erreicht. Die Freunde baten, sich, bevor sie dem gnädigen Fräulein vorgestellt würden, ein wenig menschlich machen zu dürfen, und die herbeigerufene alte Dienerin wies ihnen im oberem Stock ein Zimmer an.

Unerhörtes Glück I" rief Arnold, sich behaglich in einen Lehnstuhl werfend, wenn der brave Rittmeister erführe, was für Friedensstörer er in sein Haus geführt hat, er würde uns gewiß schleunigst wieder hinauswerfen. Jetzt laß uns aber vor allen Dingen höflich sein und seine und seiner Tochter Gunst zu ge­winnen suchen, was vielleicht in meiner Angelegenheit nötig sein wird. Ich möchte nur, ich hätte die unangenehme Geschichte erst hinter mir. Heute Nachmittag mußt Du den Alten allein nach der Stelle locken, wo wir die Enten geschossen haben, ich bin dann noch zu müde und bleibe bei dem Fräulein zurück, um meine Sache mit ihr ins reine zu bringen. Vorläufig werde ich mich bei ihr liebenswürdig zu machen suchen, indem ich Ihr meine Enten überlasse."

Du bist und bleibst doch immer der alte Schlaukopf," entgegnete der Freund.Jetzt müssen wir uns aber beeilen, unser Wirt erwartet uns gewiß schon."

Nach einigen Minuten gingen beide hinunter in das Wohn­zimmer wo ein einladentes Frühstück ihrer harrte. Der Ritt­meister stellte sie seiner Tochter, einer schlanken, einfach, aber sehr geschmackvoll gekleideten Dame mit ernsten, aber noch auffallend jugendlichen Zügen vor.

Erlauben Sie, gnädiges Fräulein, daß wir Ihnen einen Teil unserer Beule zu Füßen legen," sagte Arnold und öffnete seine Jagdtasche, in der vier prächtige, grünschillernde Enten steckten.

Adele nahm ohne langes Sträuben das Geschenk an und lud in anmutiger Weise die beiden ermüdete» Jäger zum Stillen ihres Hungers und Durstes ein. Hinter der Thür meldete sich noch durch Kratzen und Winseln ein dritter Gast. Auch Nimrod, dem großen Jäger, wurde sein wohlverdientes Frühstück zuteil.

Die Unterhaltung drehte sich wieder fast ausschließlich um die Jagd. War es der gute Wein, oder war cs das Thema, was den Rittmeister anrcgte, er wurde nach und nach sehr ge­sprächig. Gern ließen sich die Freunde einige schwache Münch- hauseniaden von ihm gefallen, um den Preis seiner wünschens­werten Gunst.

(Fortsetzung folgt.)

Redaktion, Druck und Verlag von Bernhard Hosmann in Wildbad.