erläge zu Ar. 75. des „Wildöader Anzeigers
Samstag den 3V. Juni 1888.
Die Thronrede Kar-er Wilhelm II.
Mit atemloser Spannung hat Deutschland, ja die ganze Welt der heutige» Eröffnung des Deutschen Reichstags, vor allen Dingen aber de» Worten des Deutschen Kaisers entgegengesetzt'», welche gewissermaßen das Regierungsprogramm für die Zukunft ntthalten sollten.
Wir haben nnö daher für verpflichtet gehalten, im Nachstehenden die Thronrede des Kaisers unseren Lesern zu übermitteln.
Se. Majestät der Kaiser hat den Reichstag mit folgender Thronrede eröffnet:
Geehrte Herren!
Mit tiefer. Trauer im Herzen begrüße Ich Sie, und weiß, daß Sie mit Mir trauern. Die frische Erinnerung an die schweren Leide» Meines Hochscligen Vaters, die erschütternde That- sache, daß Ich drei Monat nach dem Hintritl weiland Sr. Majestät deS Kaisers Wilhelm berufen war, den Thron zu besteigen, üben die gleiche Wirkung in dem Herzen aller Deutschen, und unser Schmerz hat warme Teilnahme in allen Ländern der Welt gefunden. Unter dem Drucke desselben bitte ich Gott, Mir Kraft zur Erfüllung der hohen Pflichten zu verleihen, zu denen Sein Wille Mich berufen hat.
Dieser Berufung folgend, habe Ich das Vorbild vor Augen, welches Kaiser Wilhelm, nach schweren Kriegen, ln friedliebender Regierung seinen Nachfolgern hinterlasscn, und dem auch Meines Hochseligen Herrn Vaters Regierung entsprochen hat, soweit die Bethätigung seiner Absichten nicht durch Krankheit und Tod verhindert worden ist.
Ich habe Sie, geehrte Herren, berufen, um vor Ihnen dem Deutschen Volke zu verkünden, daß Ich entschlossen bin, als Kaiser und als König dieselben Wege zu wandeln, auf denen Mein Hochseliger Herr Großvater das Vertrauen seiner Bundesgenossen, die Liebe des Deutsche» Volkes und die wohlwollende Anerkennung deS Auslandes gewonnen hat- -Daß auch Mir dies gelinge, sicht bei Gott, erstreben will Ich cs in ernster Arbeit.
Die wichtigsten Aufgaben des deutschen Kaisers liegen auf dem Gebiete der militärischen und politischen Sicherstellung des Reiches nach Außen, und im Innern in der Ueberwachung der Ausführung der Rftchsgcsetze. Das oberste dieser Gesetze bildet die Reichsverfassnng; sie zu wahren und zu schirmen, in allen Rechten, die sie den beiden gesetzgebenden Körpern der Nation und jedem Deutschen, aber auch in denen, welche sie dem Kaiser und jedem der verbündeten Staaten und deren Laudesherrn verbürgt, gehört zu den vornehmsten Rechten und Pflichten des Kaisers.
An der Gesetzgebung deS Reiches habe Ich nach der Verfassung mehr in Meiner Eigenschaft als König von Preußen, wie in der des Deutschen Kaisers mitzuwirken; aber in Beiden wird cs Mein Bestreben sein, das Werk der Reichsgesetzgebung in dem gleichen Sinne forlzuführen, wie Mein Hochseliger Herr Großvater cs begonnen hat. Insbesondere eigne Ich mir diesem ihm am 17. November 1881 erlassene Botschaft ihrem vollen Umfange nach an, und werde im Sinne derselben fortfahren, dahin zu wirken, daß die Neichsgesetzgebnng für die arbeitende Bevölkerung auch ferner den Schutz erstrebe, den sie, im Anschluß an die Grundsätze der christlichen Sittenlehre den Schwachen und Bedrängten im Kampfe um das Dasein gewähren kann. Ich hoffe, daß cs gelingen werde, ans diesem Wege der Ausgleichung ungesunder gesellschaftlicher Gegensätze näher zu kommen, und hege die Zuversicht, daß Ich zur Pflege unserer inneren Wohlfahrt die einhellige Unterstützung aller treuen Anhänger deS Reiches und der verbündeten Regierungen finden werde, ohne Trennung nach gesonderter Parteistellung.
Ebenso aber halte Ich für geboten, unsere staatliche und gesellschaftliche Entwicklung in den Bahnen der Gesetzlichkeit zu erhalten und allen Bestrebungen, welche den Zweck und die Wirkung haben, die staatliche Ordnung zu untergraben, mit Festigkeit cntgegenzntrcten.
In der auswärtigen Politik bin Ich entschlossen, Frieden zu halten mit Jedermann, soviel an Mir liegt. Meine Liebe zum Deutschen Heere und Meine Stellung zu demselben werden Mich niemals in Versuchung führen, dem Lande die Wohlthaten des
Friedens zu verkümmern, wenn der Krieg nicht eine, durch de» Angriff auf das Reich oder auf dessen Verbündete, uns aufge- druugene Notwendigkeit ist. Unser Heer soll den Frieden sichern und, wenn er uns dennoch gebrochen wird, im Stande sein, ihn mit Ehren zu erkämpfen. Das wird cs mit Gottes Hülfe vermögen nach der St rke, die es durch das von Ihnen einmütig beschlossene jüngste Wehrgesetz erhalten hat. Diese Stärke zu Angriffskriegen zu benutzen, liegt Meinem Herzen fern. Deutschland bedarf weder neuen Kriegsruhmes noch irgend welcher Eroberungen, nachdem es sich die Berechtigung, als einige und unabhängige Nation zu bestehen, endgültig erkämpft hat.
Unser Bündnis mit Oesterreich-Ungarn ist öffentlich bekannt; Ich halte an demselben in deutscher Treue fest, nicht bloS, weil cS geschlossen ist, sondern, weil Ich in diesem defensiven Bunde eine Grundlage des europäischen Gleichgewichtes erblicke, sowie ein Vermächtnis der Deutschen Geschichte, dessen Inhalt heut von veröffentlichen Meinung des gesamten Deutschen Volkes getragen wird, und dem herkömmlichen europäischen Völkerrechte entspricht, wie cs bis 1866 in unbestrittener Geltung war. Gleiche geschichtliche Beziehungen und gleiche nationale Bedürfnisse der Gegenwart verbinden uns mit Italien. Beide Länder wollen die Segnungen des Friedens festhaltcn, um in Ruhe die Befestigung ihrer neugewonnen Einheit, der Ausbildung ihrer nationalen Institutionen und der Förderung ihrer Wohlfahrt zu leben.
Unsere mit Oesterreich-Ungarn und Italien bestehenden Verabredungen gestatten Mir zu. meiner Befriedigung die sorgfältige Pflege Meiner persönlichen Freundschaft für den Kaiser von Rußland und der seit hundert Jahren bestehenden friedlichen Beziehungen zu dem russischen Nachbarreichc, welche Meinen eigenen Gefühlen ebenso wie den Interessen Deutschlands entspricht.
In der gewissenhaften Pflege des Friedens stelle Ich Mich ebenso bereitwillig in den Dienst des Vaterlandes wie in der Sorge für unser Kriegsheer, und freue Mich der traditionellen Beziehungen zu auswärtigen Mächten, durch welche Mein Bestreben in erste: er Richtung befördert wird.
Im Vertrauen auf Gott und auf die Wehrhaftigkeit unseres Volkes hege Ich die Zuversicht, daß cs uns für absehbare Zeit vergönnt sein werde, in friedlicher Arbeit zu wahren und zu festigen, was unter Leitung Meiner beiden in Gott ruhenden Vorgänger-auf dem Throne, kämpend erstritten wurde."
Vermischtes.
— In der Rhein- und Nahegegend sind, wie aus Bingen geschrieben wird, am Samstag nachmittag und abend mehrere Wolkenbrüche niedergegangcn, die an Weinbergen und Aeckern große Verheerungen angerichtet haben. Die Bahnlinien wurden unfahrbar gemacht, so daß die von Köln fälligen Abeudzügr in Bacharach liegen blieben.
— Wie ans Trier geschrieben wird, ist bei Station Ehrang die Eisenbahnbrücke eingestürzt; der Eisenbahnverkehr wird über die Koblenzer Strecke geleitet.
— Die in London verhafteten Individuen sind von den Münchner bezw. Augsburger Herren als diejenigen erkannt worden, welche den Einbruchdiebstahl bei Juwelier Thomas begangen haben. Ein großer Teil der gestohlenen Diamanten ist bereits wieder beigebracht.
— In Fürth erstickten zwei Arbeiter in einem Brunnenschacht.
— Die Luftkünstlerin Olga that vor einigen Tagen in Barmen im Zirkus Wulff bei einer Probe einen Fehlsprnng und erlitt dabei eine Erschütterung des Rückenmarks, die ihren Tod herbciführte. Die Künstlerin hieß Theophila Szterker, war 24 Jahre alt und aus Grätz in Schlesien gebürtig.
— Auf der Zeche „Consolidation" bei Schalke (Westfalen) wurden ani Samstag durch eine Entzündung schlagender Wetter- Vier Bergleute schwer verletzt; sie liegen im katholischen Krankenhause auf den Tod darnieder. In demselben Schachte ereignete sich vor 2 Jahren eine fürchterliche Katastrophe, welche 53 Arbeitern das Leben kostete.