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Nr. 203

vienstelg, öen 9. September ISIS

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Münchener Geiselmord-

Tie düsteren Bilder, tvelche die erste Woche des Geiselniordprozesses Münchner Justizpalast, der belaiunlich, wie tanm eiu anderes öffentliches Gebäude, mir den Narben, die ihm die Maikämpfe schlugen, über­sät ist - ansgerollt hat, verleihen diesem Strafprozesse ebenso den Charakter des Ungewöhnlichen, wie die Zahl der Angeklagten und die Julie der Zeugen die äußere Aufmachung der Verhandlung. Noch dauern die Ver­handlungen und es soll dein Urteile der Richter nicht durch eine vorzeitige Kritik vorgegriffen werden. Ueber die Seidl, Schieklhofer und alle die anderen Angcschuldigten wird noch zu reden sein, wenn der Urteilsspruch gefällt ist. Im Grunde genommen interessieren sie uns weniger, als das ganze politische System, das vor den Schran­ken des Gerichts Rechenschaft über sein Tun und Treiben nblegen muß. Ter kleine Allsschnitt aus der Münchner Räterepublik, der sich filmartig vor unseren Augen ab­spielt, belehrt uns untrüglicher als alle Zeitungsberichte ans Rußland über das wahre Wesen einer kommunistischen .Herrschaft.

Wir wollen einige der Bilder kurz streifen. Schau­platz ist daS Lnitpoldgnnniasinm, die .Handelnden sind die kommunistische Besatzung desselben und ihre Opfer. Ten Höhepunkt der Gerichtsverhandlung dürfte wohl die Vernehmung des Zeugen Frhr. v. Moser bilden. Er er- erzählt n. a. folgendes:

Ich bin in der Nnchr vom 27. nnf den 28. April imReichs­adler" vorhnfNt wvrdcn, nn dem gleiche» Tage, a» dem der Fürst Thur» u»d Tnris festgenmnmen wurde. 2» meiuer Be- gleinnio befanden, sich Ob.meuNnnn Frnch und zwei Damen. Die Haftbefehle waren von Seid! unterzeichnet. Wir wurden in das Gymnasium verbracht. Dort wurden wir Seidl in seinem Büro vorgesührt. S id! hat mich in einer ganz gemeinen Weise dehandeit. Seidl, der mit einem Revolver bewaffnet war, ging auf mich zu. und «!s ich ihm den Schutzschein von Kronauer vorzeigte, sagte er:Ich pfeife auf das Revvintmnstribuna!. Die stelle ich selbst an die Wand." Er hat mich dann brutal in eine Ecke geworfen, mir den Revolver aus die Brust gesetzt und gerufen:Ich schieße dich nieder, du Hund. Die ganze Bande wird erschossen." Er lies; überchnipt Nicht mit sich reden. Ich habe, obwohl ich weit in der Welt hernmgetzommen bin, noch niemals bei einem Menschen in d:r Erregung so etwas Tierisches ge­sehen wie bei Seid!. In der Nacht vom 28. zum 20. April kamen Lernen und Levine in den Keller herunter: Da war auch Seid! dabei. Man leuchtete uns mit einer Blendlaterne ins Ge- stchk Levien und Leuine weideten sich sichtlich an den Qualen ihrer Opfer. Wir waren zwei Tage und zwei Nächie im Keb ler. linier Tag wurden wir hernnfgefiihrr. Levien und Levim waren dann noch einmal ins Gyainäsinni gekommen. Auf cinc Frage eiklnrt der Zeuge, er sei nur ein einziges Mai vernommen worden und bas ganze Berhör habe in einer gemeinen Anpöbelei bestanden"

Urb, den Zustand des' berüchtigten Geiselkellers sagte der Voriitzenbe n. a,: ,,Nach allen Schilderungen war ich aus viel gesagt; was ich aber (bei einem Besuch der Stätten des Verbrechens) sah, das halte ich denn doch nicht erwartet! In der Tat,ach allem, was man hörst, wäre es eines Tauie nicht ganz unwürdig gewesen, die Schrecknisse dieses enlschensvollen Aufenthaltes zu er­finden. Dieser Kellerloch ist 4 Meter lang mch 4 Meter breit. Tie gewölbte Decke ist an ihrer höchsten Stelle 1,80 Meter vom Boden entfernt. Dieser Boden war fußhoch bedeckt mit Schmust und stinkenden Lumpen; von den Wanden tropfte es feucht. Das Tageslicht halte keinen Zutritt zu dem nur gelegentlich von einer Kerze spärlich erhellten Raum. Tort waren die Gei­seln zniannnengepstrcm; einmal sollen es 22 gewesen sei". Daß man sich ein Vergnügen daraus machte, die Aermsten, die nieist seelisch völlig zusammengebrocheii waren, mit Todesdrohn »gen zu ängstigen, fügt sich ganz passend in das Bild ein. Rotgardisten kommunistischer Gesnuiung, die nnlen Wache stehen mußten, machten kein Hebl ans ihrer Verurteilung dieses Verfahrens; einige sollen drauf und dran gewesen sein, ob ihres Unvermö­gens zu Helsen, in Tränen auszubrechen."

Ter verständige Mensch fragt sich nun, wo find die Urheber zu suchen. Daß Levien und Leviue nicht so ganz unschuldig aus dem Geiselmorde waren Oven» sie auch nicht gerade unmittelbar den Befehl dazu erteilt haben, ergibt sich ans dem bisherigen Verlauf der Ver­handlung zur Genüge. Beide waren oft im Lnilpvld- gymnasinm, beide wußten nicht nur von der Anwesen­heit de: Geiseln: nein, sie ließen sich sogar in den Keller tstnuntermhren, sieb einzelne d?r Geiseln beim

Schein einer Blendlaterne (welch ein Bild übrigens!) zeigen und nennen. Und besonders Levien machte Be­merkungen über das den Geiseln bevorstehende Schick- , sai, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen ließen.

' Ueber den Gang des Prozesses ist zu sagen, da,, es in, allgemeinen bisher ziemlich gesittet und äußer­lich will man von einigen pathetischen Momenten Seidels (der, wie der Vorsitzende einmal sagte:von nischt weeß") absehen erregungslos zugegangen ist. Hsti Zeugenzimmer soll es dafür umso lebhafter gewesen sein. Wenigstens spricht die Beschwerde des Belastungs­zeugen Moser, daß man ihn gewarnt habe,in seinen Aussagen vorsichtig zu sein, da bald andere Zetten kom­men könnten", für die Annahme, daß im Zeugenzim­mer und aus den Korridoren die Meinungen gelegentlich aufeinander platzten. Daß Seidl selbst mit 'der Mög- > lichkeit rechnet, daß auch im Falle eines für ihn un­günstigen Ausganges der Verhandlung das Spiel noch nicht verloren sein wird, geht aus einem Kassiber her­vor, den man am Dienstag abend in seiner Zelle bei ihm vorfand, und dessen Verlesung durch den Vorsitzen­den während Seidl, sichtlich innerlich in Weißglut aufzischend, mit verkniffenem Gesichte und einem Kinn, das noch weiter vorgestreckt erschien, als es so schon ist, vor dem Richtertische stand zu den dramatischstes Au­genblicken gehörte, die der Geiselmordprozeß bisher ge­bracht har. . ^

München, 8. Sept. Ans den weiteren Behand­lungen ragt die Vernehmung des Zeugen Johann Wiede- mann heraus. Dieser macht Aussagen über die Erschie­ßung der Geiseln: Die furchtbare Erbitterung unter t» Soldaten sei von dem Plakat gekommen, ans welchem Kopfpreise für eingeiieferte Rotgardisten ansgesetzt Muren. Tw Soldaten sprachen auch davon, daß bei einem An­griff ans das Schulhans die Geiseln zuerst medergemacht werden sollten. Gegen 9 Uhr wurden sämtliche Gei­seln, auch die zwei Weißgardisten, heruntergeführt, er (Wiedemann) durfte oben bleiben. Was drunten passierte, wisse er nicht, plötzlich krachttn Schüsse; die zwei Weiß­gardisten waren erschossen worden. Die übrigen Geiseln wurden zum Kartoffelschälen kommandiert. Später soll Levien noch einmal dagewesen sein; auf ihn habe er alh seine Hoffnung gesetzt, weil er der Meinung war, daß Levien mit einein Geiselmord nicht einverstanden sein werde. Nachmittags kam dann Hausmann mit zwei Rotgardisten und einem Schreiber und rief die Namen der einzelnen Geiseln dem Schreiber zu, der sie aufnotierte, wobei Hausmann bei einzelnen einen roten Strich hinzu­machte. Zum Schluß sagte Hausmann: Die werden er­schossen. Es waren 8 Personen airfgeschrieben worden. Er, Zeuge, habe nicht geglaubt, daß man es wirklich so weit treiben werde. Nach ungefähr einer Viertelstunde krachte die erste Salve. Das Kommando habe Haus­mann gegeben. Ueberhanpt sei Hausmann während der ganzen Rälczeit der^ böse Geist Seidls gewesen. Er, Zeuge, habe nur die Erschießung des Oberleutnants Seyd- litz vom Fenster aus gesehen. Die Schützen seien meist in Jnfanteriennisocm gewesen. Seidl war während des Akts nicht im Hof. Als vorher der Prinz Taxis noch ein­mal heranfgesührt worden war, sagte Seidl kurz angebun­den:Bei uns wird nicht verhandelt, »unter damit!" Prinz Taxis wurde abgeführt, dann krachte die letzte Sal­ve. Die Gräfin Westarp habe er vom Fenster aus ans dem Rücken eines Soldaten schreiben sehen. Er, Zeuge, Hab- Be Erschießung nur für eine Aktion des Hausmann ge­eilten, der sich dein Drängen Oer blutdürstigen Rotgar­disten nicht mehr länger »übersetzen zu können glaubte. Es wurde unter den Mannschaften erzählt,;elhofer habe den Befehl znm Erschießen gegeben. Es kann aber möglich sei», daß Seidel das Erschießen

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Erschießen angegrdnel hat.

ie Unterzeichnung des österreichischen

Friedensvertrags. " / ' - ' - >

Paris, 8. Sept. Ter üsterr. Vertreter: hat dem Oberge» Rm gestern nuigetLilt, daß Staatskcmzlev 'Dr. Renner von der österr. Nationalversammlung ermäch­tigt wurde, in ihrem Namen den Friedensvertrag zu unterzeichnen. Tr. Renner wird am Dienstag mit allen »öligen Papieren nach St. Germain zurückkehren. Dm s verbündeten und vereinigten Mächte werden ersucht, de,, j Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vertrages festzusetzen i und dekaniilAugeben. Tie Uinerzeichnung imrd Mittwoch, morgens .10 Uhr. im Schloß von St./ Germaizr, statt­

finden. Dem Schreiben des Vertreters Dr. Renners ist eine von der österr. Nationalversammlung angenom­mene Erklärung beigefügt, worin ein allgemeiner Ein­spruch gegen die Härte gewisser politischer und wirt­schaftlicher Bestimmungen des Friedensvertrags erhoben wird. Dieser Einspruch richtet sich hauptsächlich gegen das österreichische Verbot, über sich selbst frei zu be­stimmen. Ein weiteres Schriftstück gibt eine Reihe kur­zer Einsprüche wieder, die von den Vertretern der vom österreichischen Staate losgetrennten Bevölkerungen her­stammen, insbesondere von Südtirol, den Sudetenlän­dern, den Bewohnern Kärntens und Steiermarks. (

Rumänien und der österreichische Friedensvertrag.

Paris, 8. Sept. DerTemps" glaubt zu wissen, daß die rumänische Delegation am Montag dem Obersten Rat die Note der rumänischen Regierung übergeben wird, in der diese die Gründe darlegt, warum sie den Friedens­vertrag mit Oesterreich nicht unterzeichnen kann. Be­kanntlich stützt sich die Weigerung auf einige Klauseln, die den Schutz der Minderheiten betreffen, ferner aus den Entzug des Rechts, selbständig Handelsverträge ab­schließen und gewisse Bahntaxeu festsetzen zu können.

Neues vom Tage.

Die deutsche Antwort unannehmbar.

Paris, 8. Sept. In Abwesenheit des Barons v. Leisner hat Legationsrat Schmidt die deutsche Antwort­note an das Ultimatum des Verbands wegen Artikels 61 der Verfassung übergeben. Der Oberste Rat wird sich am Montag damit beschäftigen. Die Note wird allgemein inhaltlich und der Form nach als unannehmbar bezeich­ne!.' Die vom französischen Minister des Auswärtigen, Pichon beeinflußten Pariser Blätter halten jedenfalls die Note, für unzulänglich und behaupteil, der Verband werde verlangen, daß der deutsche Reichsrat (?) unver­züglich einberusen werde, um ihrer Forderung vollkom­men Rechnung zu tragen.

Paris, 8. Sept. (Havas.) DerTemps" meldet, daß der Oberste Rat sich wahrscheinlich heute mit der Antwort an die deutsche Regierung auf die Note der­selbe» betreffend Artikel 61 der denischen Versajsung ve- schästigen wird. Ter Oberste Rat wird die Prüfung der Verträge, mit der, nenerstandenen Staaten, wie sie sich ans den Bestimmungen des deutsch-österreichischen Ver­trags ergeben, sortsetzen. Er wird sich besonders mit den Maßnahmen beschäftigen, die dazu bestimmt sind, Rumänien und Jugo-Slawien zu schützen. Ferner wird er die ethnischen und religiösen Minderheiten und des weiteren die Transit- und Schiffahttssragen besprechen.

Kein Verfahren gegen den Kaiser.

Haag, 8. Sept. Nach Mitteilungen des ameri­kanischen Staatssekretärs Lansing kam die Kommission zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegen den deutschen Kaiser einstimmig zu dem Ergebnis, daß es nicht möglich ist, den Kaiser strafrechtlich zu verfolgen.

Erzbrrgers Strafantrag gegen Helfferich.

Berlin, 7. Sept. Tie Morgenblütter veröffentlichen ein Schreiben des Staatsministers Helfferich an den Reichspräs.deuten Eberl, worin Heliferich daran erin­nert, daß drei Wochen vergangen sind, seitdem das Reichs- justizministerium mit der Prüfung eines gegen ihn ein­zuleitenden Strafverfahrens beauftragt worden ist, und worin er im Interesse der Reinlichkeit des öffentlichen Lebens notwendig ein gerichtliches Verfahren vor aller Oefsentlichkeit fordert, widrigenchlls aus dem Unterbleiben selchen Verfahrens die einzig mögliche Folgerung zu ziehen sei. Sollte der Reichs inanzminifter sich dieser Alter­

native noch länger zu entziehen suchen, so würde Helffe­rich genöligt sein, seine bisher geübte Zurückhaltung fallen zu lassen. Darauchin hat der Reichspräsident an Helffe­rich folge »des Schreiben gerich'.ei: An den Staatsmini« stm Dr. Helstench in Berlin. Auf das gefällige Schrei­be» vom 5. September beehre ich mich, Ew. Exzellenz mitzuieile», daß das Reichskabinett dieser Tage beschlossen hat, aus Veranlassung des Reichsministers Erzberger Strafantrag beim preußischen Justizininister gegen Sie zu stellen. Gez.: Ebert.

Ler Wiederaufbau Rordfrankreichs.

Verkitt, 8. Sept. Wie derVorwärts" hört, haben sich bereits 400000 deutsche Arbeiter zum Wiederaufbau in Nordirankreich gemeldet.