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Ls.

Kr. 274

Die Lage in Rußland.

Die Nachrichten aus Rußland und über die Lage in Rußland sind immer noch voll von Widersprüchen, je nach dem Lager, aus dem sie kommen. Dazu hatte das Tele­graphenpersonal vier Tage lang die Tätigkeit eingestellt, sodaß in dieser Zeit nicht einmal die Möglichkeit Unmittel­barer Nachrichtenvermittlnng vorlag und man ans die mündlichen Anssagen der wenigen Personen angewie­sen war, denen es gelang, über die Grenze zu kom­men. Eines steht jetzt fest: Kerenski ist erledigt. Seine verschiedeneil Versuche, ein Heer aufzubringen, und Petersburg zu nehmen, sind alle gescheitert; teils ver­weigerten die Truppen, die er der Nordfront entahm, von vornherein die Gefolgschaft, teils gingen sie vor dem Kampfe öder während desselben zu den Bolschcwiki über. So wurden die kleinen Häuslein Kerenskis vor Peters­burg, bei Zarskoje Selo und bei Gatschina geschlagen. Kerenski gab jedesmal Fersengeld und jetzt soll er sich an der Südwestfront anfhalten, um die dortigen Truppen für seine verlorene Sache zu gewinnen. Kerenski hat alle Erwartungen, die man in den russischen Bürgerkveisen nach der Absetzung des Zaren auf ihn setzte, enttäuscht; man hatte sich durch sein Mundstück täuschen lassen. In Wirklichkeit ist Kerenski zwar fanatisch bis zu blinden Wut, dabei aber feige, in entscheidenden Augenblicken unentschlossen und vor allem ohne sittlichen Halt. Die Triebfeder seines politischen Hervortretens ist im Grunde sein maßloser Ehrgeiz und vielleicht, wie ihm sein Geg­ner Lenin vorwarf, persönlicher Eigennutz.

Es wäre aber ein Irrtum, ans der Niederlage Ke- rensliS den unbestrittenen Sieg der Bohchewiki zu fol­gern. Tie Macht der Marima'listen reicht über den Be­reich des Petersburger Militärbezirks Wohl nicht weit hinaus. Im Norden hat sich eine finnländische Republik gebildet, wenn das Chaos in Finnland die Anwen­dung des Ausdrucks für eine Dtaatsform noch zuläßt. Auch aus Finnland kommen die widersprechendsten Be­richte, ans denen nur so viel hervorgeht, daß die Ver­bindung mit der Reichshauptstadt gebrochen ist. Auf der andern Seite stehen die Heerführer Kornilow und K a- din, die gegen die Bolschewiki, aber auch gegen Kerenski jeder für sich Staatspolitik ans eigene Faust betreiben. Wie groß der Einfluß des von Kerenski verratenen ehe­maligen Sberstkommandierenden Kornilow ist, .wie gxoß

Irrlicht.

Roman von Leonore Pniih.

Und es steht doch hier," beharrte die Alte, indem sie des Malers Hand nochmals aufmerksam durch ihre dürren Ringer gleiten ließ.Denkt an mich, wenn Ihr erfahren habt, daß alles so ist, wie ich es gesagt habe, und ver­geht nicht, mich Euren Freunden anzuempfehlen. Und wenn Ihr wiederkommt, so geht nicht vorüber an meiner Türe, ohne ein Glas bei mir zu trinken. Ihr sollt das­selbe haben, aus dem Ihr heute getrunken habt; es ist ein Glas meines Seligen, keinem andern als Euch hätte ich es gegeben."

Rach dieser glaubwürdigen Erörterung fand es Red­witz an der Zeit, sich zu empfehlen. Er warf ein Geldstück auf den Tisch und trat auf die Straße. Ein zerlumpter Knabe drängte sich an ihn heran und fragte, ob er dem Herrn vielleicht als Führer in die Umgebung dienen könne. Redwitz verneinte und schritt weiter, was den andern nicht hinderte, noch eine Weile hinter ihm her zu traben. Erst als er sich überzeugt hatte, daß der Herr seine Anwesenheit längst nicht mehr bemerkte, schnitt er eine greuliche Grimasse und empfahl sich, indem er hinter dem Rücken desselben eine lange Nase drehte, worauf er in mächtigen Sätzen zurückrannte.

Es war schon nahe an Mittag, als Redwitz in innere Stadt betrat. Er schritt rascher vorwärts, denn es war schon sehr schwül in den Straßen, und er sehnte sich nach seinem kühlen Zimmerchen.

Der ununterbrochene Lärm, welcher, verursacht durch die dahinrasenden Wagen und sonstigen Geräusche, an sein Ohr schlug, tat ihm nach der ländlichen Stille, aus der er eben kam, förmlich Weh. Als er auf die Plaza de la Con- stitucion hinaustrat, gewahrte er einen Offizier, der, sein Pferd am Zügel führend, eifrig sprechend neben zwei Da­men hinschritt. Nun wandte die rechts gehende Dame den Kopf und bkickte zu ihm hinüber. Es war Donna Klara. Redwitz zog hastig den Hut vom Kopf und grüßte. Die Gesellschafterin nickte tbm freundlick zu. und auck Donna

Daime»stag, -rn 22. Uvvrnrdrr 1917»

die Zahl der ihm treu gebliebenen Truppen ist die Offiziere scheint er großenteils auf seiner Seite zu haben

ist nicht bekannt. Größere Macht scheint der Kosaken- gcneral Kaledin in Händen zu haben, der sich auf die ihn: ergebenen Kosaken der Ukraine und auf die Hilfs­mittel der reichsten Landestcile stützen kann. Kaledin soll sogar nach unbestätigten Nachrichten die Wieder­einsetzung des Zartums beabsichtigen. In den größeren Städten des Reichs scheinen die Bolschewiki keine aus­schlaggebende Rolle mehr zu spielen, teilweise sind sie in blutigen Kämpfen überwältigt worden.

Aber in Petersburg selbst ist die Herrschaft der Bol- jchewiki keineswegs unbestritten. Mehr und mehr macht sich der Gegensatz zwischen den äußersten Sozialrevolu­tionären und den agrarischen Sozialisten geltend, wie denn die Revolutionsideen der Maximalsten bei der gro­ßen Mehrheit der Bauernschaft eigentlich nie Boden ge­funden haben. Die Agrarsozialisten in den revolutionären Bauernräten in den Großstädten sind mit verschwindenden Ausnahmen keine Bauern, sondern teils Kathedersozia­listen, Professoren, Redakteure usw., oder sonstige Theore­tiker. Die Bauern wollen Land und Frieden haben, alles andere ist ihnen gleichgültig. Stehen also die Vertreter der Bauernschaft in demVorparlament" oder wie die von den wechselnden Machtgruppen geschaffenen parla­mentarischen Eintagsfliegen alle heißen, in ziemlich loser innerer Verbindung mit den durch sie vertretenen Jnter- essenkreisen, so ist ihre Stellung gegen die Maximalsten deutlich abgegrenzt, denn ohne diese Scheidelinie würden die Agrarsozialisten im eigenen Lager den Boden unter den Füßen bald ganz verloren haben. Tie Agrarsvzia- listen wollen nun den Maximalsten oder Bolschewiki die beanspruchte Führung der Regierung nicht zngc- stehen, da die durch die maximalistischen Arbeiter- und Soldatenräte vertretenen Bevölkerungsschichten gegenüber der Landbevölkerung weit in der Minderheit sind. Auch sind die Agrarsozialisten mit dein völligen Ausschluß, des bürgerlichen Elements von der Regierung nicht einver­standen, und auch die Minderheit der Sozialrevolutio­näre, die Menschewiki oder Gemäßigten, haben seither wenigstens die Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen als eine Selbstverständlichkeit betrachtet.

So sind die Bemühungen der Bolschewiki, aus den drei revo utionären Cr ppen -eine Sammelregi Cr n ng unter Leitung Lenins und Trollis, der maximalistischen

34. Zahrgans

Führer, zu bilden, bisher erfolglos geblieben; Rußland ist tatsächlich ohne jede Regierung und dieVerwaltung" wird in jedem Kreis so gut oder so schlecht, als es- eben geht, von Ausschüssen ausgeübt. Es läßt sich denken, wie groß die Verwirrung allgemein sein muß in dem Riesen-- .--eich, das durch bald dreieinhalbjährigen Krieg und durch oie Wirren einer seit acht Monaten dauernden inneren Umwälzung bis ins Mark erschüttert ist. Dazu kommt, daß die alten Beamten der verschiedenen Verwaltnngs- - zweige sich weigern, unter der Herrschaft der Bolsche­wiki zu arbeiten und so erlebt man die Ungeheuerlichkeit, daß der Ausschuß der Maximalisten an verantwortungs­volle Posten gewöhnliche Matrosen und Soldaten stellt, wie z. B. der Postdirektor und der Generalgouverneur von Helsingfors zurzeit ein Matrose bzw. ein Soldat ist. Die Eisenbahner wollen ebenfalls streiken, ja sie beabsichtigen, eine eigeneRegierung" zu errichten.

Die Verbandsmächte haben jetzt beschlossen, nnt den Bolschewikiunter Vorbehalt" in Verbindung zu treten, denn irgend jemand muß. doch da sein, mit dem die Bot­schafter der Entente sprechen können, von eigentlichem, diplomatischen Verkehr ist keine Rede mehr. In der En- tentcpresse ist ja schon sehr deutlich zum Ausdruck ge­bracht worden, daß man dieBaude von Verrätern" nur. als Notbehelf betrachtet, die man sobald als möglich wieder "bschüttelt. Um endlich eine Grundlage zu schaffen, soll min beschlossen haben, die verfassunggebende Versamm­lung auf den 28. November einzuLerufen. Das will nicht recht glaubhaft erscheinen; in 8 Tagen läßt sich eine solche Versammlung nicht zusammmbringen, wenn es mit rechten Dingen zugehen soll, nicht einmal in Friedens- zciten. Die Nationalversammlung sollte schon im August tagen; Kerenski wußte sie immer wieder hinauszuschieben. Wird Lenin ein größeres Interesse daran haben? . ,

Die Erklärung Clemerreeaus.

Paris, 20. Nov. (Agence Hcrvas.) In der heute nachmittag in den Kammern verlesenen Ministererklä-- rung heißt es: - '

Wir haben eingcwilligt, die Regierung zu übex-r nehmen, um ' i

-cn Krieg mit verdoppelter Anstrengung zu. führen, daniir alle Kräfte besser ausgenutzt werden. Wir treten vor Sie in dem alleinigen Gedanken an den

Jnez wandte sich um und erwiderte seinen Gruß, während der Offizier ihm einen forschenden Blick zuwarf. Da Red­witz über den Platz gehen mußte, um in seine Straße zu gelangen, geschah es, daß er ganz nahe an der kleinen Gesellschaft vorüberkam. Dabei klangen ihm die Worte un pintor" undsolamente" ins Ohr. Offenbar hatte das junge Mädchen ihren Anbeter über die Gefährlichkeit seiner Person beruhigt.

Nedwitz lächelte.Wenn die Alte in Albaicin mit dem schwarzhaarigen Mädchen Donna Jnez gemeint hatte, konnte sie beruhigt sein. Die war, wie es schien, bereits anderweitig versorgt. Und ein Maler, was war das Wohl in den Augen dieses verwöhnten Kindes?"

Der Gedanke, Donna Jnez könne sich gestern auf den ersten Blick in ihn verliebt haben, kam ihm so ungeheuer komisch vor, daß er laut lachend die Treppe zu seiner Wohnung emporklomm und noch lachte, als er bereits in seinem Zimmer stand. Verwundert blickte die Mietsfrau ihrem hübschen Zimmerherrn, den sie bereits in zärtlich

keuscher Liebe in ihr vereinsamtes Witwenherz geschlossen hatte, nach. Dann klopfte sie schüchtern an seine Tür.

Gehen der Herr ins Hotel, oder soll ich das Esten herausbringen?" fragte sie, in der Tür stehen bleibend.

Wenn es Ihnen nicht zu viel Umstände macht, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie es mir heraufbrächten. Aber etwas Gutes muß es sein," schloß er mutwillig.

Vielleicht ein Huhn mit Kompott?"

Meinetwegen, wenn es fertig ist. Warten kann ich nicht länger, ich habe einen so fürchterlichen Hunger, daß ich Sie, appetitlich wie Sie sind, sofort verschlingen könnte!"

Errötend über das ihrer Person gezollte Lob verließ die Frau das Gemach.

Gegen füns Uhr packte Nedwitz sein Malgerät zusam­men, vertauschte den besseren Rock, welchen er auf dem Spaziergange getragen hatte, mit einem weniger kostba­ren und begab sich nach der Alhambra. Stumm, in Ge­danken versunken, schritt er dahin und erschrak infolgedessen nicht wenig, als er plötzlich seinen Arm von fremder Hand berührt fühlte.

La corridoa de toros, Sennor," entschuldigte sich die Person, ein halbwüchsiger, dunkeläugiger Junge, indem er Redwitz einen leuchtend roten Zettel zwischen die Fin­ger drückte. Aergerlich schob der Maler das Papier in die Tasche, ohne es eines Blickes zu würdigen. Doch "berzeugte er sich im Weiterschreiten, daß an allen Stra- necken ähnliche rote Plakate angeklebt waren, und daß die Leute scharenweise und lebhaft debattierend davor stehen blieben. Das verdroß ihn. Er war ein Feind aller Tierquälerei, und es ärgerte ihn, in einem so herrlichen, von der Natur so verschwenderisch ausgestatteten Lande den Hang zur Grausamkeit mit solch rücksichtsloser Deut­lichkeit ausgeprägt zu finden. Es fehlte nicht viel, so hätte der Gedanke daran ihm die Stimmung verdorben. Aber als er endlich die Straßen der Stadt hinter stich hatte, und die Alhambra in holdseligster Beleuchtung vor seinen Blicken auftauchte, da schwand die düstere Wolke von sei­ner Stirne, und jubelnd griff seine Hand nach dem Pin­sel. Er hörte nicht das liebliche Zwitschern der kleinen Vögel, die neben ihm unbehindert weitcrsangen, nicht das Flüstern der wiegenden Halme. Die Alhambra hatte seine ganze Künstlerseele gefesselt, ihre Schönheit ließ ihn die Welt um ihn her vergessen.

Je weiter die Zeit vorrückte, desto stiller und fried­voller wunde es. Nedwitz malte, als müsse er noch am selben Tage das Bild vollenden. Seine Augen leuchteten vom Eifer der Arbeit, und nur zuweilen hielt er sekunden­lang inne, um die würzige Luft einzuatmen, die wie eine weiche Umarmung seine Stirn liebkoste. Jedwede düstere Erinnerung war entschwunden, und sein Herz schlug wie­der freudig und lebensfroh, als plötzlich, verursacht durch :inc ungestüme Bewegung, der verhängnisvolle Zettel seiner Rocktasche entfiel und vor'ihn hin auf die Erde fiel, ilnwillig bückte er sich danach, drehte ihn zu einem Knäuel and wollte ihir wegschieudern. Doch die Neugierde, die» nenschlicbe Schwäche, welche jeder nach Kräften ableugnet, re aber dafür nicht minder besitzt, hielt ihn davon ab. Er ^»ättete das zerknüllte Papier so gut es ging und überlas nit finster zusanrnrengezogenen Brauen die pompöse An- ündigung, der zufolge am nächsten Tage sechs prachtvolle Stiere im Zirkus ihr Leben einbüßen tollten ,