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Ar. 163
Montag, de« 16. Intt 191V.
34. Jahrgang
Der neue Kanzler.
Nachdem am Samstag früh nicht mehr die Tatsache, sondern nur noch die Stunde des Rücktritts Bethman» Hollwegs in Frage stand/ hörte man auf den Straßen, den öffentlichen Lokalen und überhaupt überall nur noch die Frage: wer ist der neue Mann?, der die Kraft un^ 8as Können in sich fühlt, den verfahrenen Reichswagen aus den fetzigen Wirnissen heraus- und wieder in den Gang zu bringen, der ihn durch die Gefahren, die ihm durch den weiteren Verlauf des Krieges und den Uebergang in die Friedenswirtschaft bevorstehen, hindurchhilft. lieber die Frage der Nachfolgerschaft Bethmann Hollwegs lag zunächst noch völliges Dunkel; wohl wurden die Namen des Unterstaatssekretärs und preußischen Ernährungskom- missars Tr. Michaelis, dann des Grafen Roedern, des Grafel, Bernstorff, des Haager Gesandten Grafen Brocks- dorspRantzau, des Tr. Solf und zahlreiche andere genannt, die teils für den Kanzlerposten, teils für den Posten des Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes, in Frage kamen, dagegen hieß es über die Kandidatur des Grafeil Hertling, daß dieser bayerische Staatsmann allen derartigeil Anregungen answeiche, da er sich einer solchen Bürde mit Rücksicht auf seine Jahre und seinen Gesundheitszustand nicht mehr gewachsen fühle.
Merkwürdigerweise tauchte der Name Michaelis zuerst in einem Blatte auf, das den schwerindustriellen Kreisen nahesteht, doch wollen .wir hieran keine Vermutungen knüpfen, vielmehr ohne Vorurteil uns den neuen Kanzler ansehen. Eigenartig ist, daß er genau 8 Jahre nach der Ernennung seines Vorgängers Bethmann Hollwegs (14. Juli 1909) zum Reichskanzler berufen worden ist. Dr. Michaelis ist 1857 geboren, steht also iin 60. Lebensjahr und ist ein Jahr' jünger als sein Vorgänger. Nachdem er als Gerichtsassessor in den Staatsdienst eingetreten war, dein er bis 1884 angehörte. wurde er 1885 zum Dozenten an der Schule für deutsche Rechts- und Staatswissenschaft in Tokio ernannt. Aus Japan kehrte er 1889 'in den preußischen Justizdienst zurück, ivurde 1891 zum Staatsanwalt in Schneidemühl, 1892 zum Regierungsdirektor in Trier ernannt, drei Jahre später in gleicher Eigenschaft nach Arnsberg versetzt und 1899 als Oberregierungsrat ins preußische Kultusministerium versetzt. Nach längerer Verwaltungstätigkeit in Liegnitz und.
Breslau trat er 1909 als Unterstaatssekretär in das preußische Finanzministerium ein. Als solcher wurde er im Februar ds. Js. zum preußischen Staatskommissar für Bolkseruähruug ernannt. Der neue Reichskanzler hat also nach anfänglich normalem Vorrücken eine Karriere voll.fast märchenhafter Schnelligkeit gemacht und hat er sichs wohl in seinen kühnsten Erwartungen nie gedacht, daß er als e r ster B ü r gerlich er einmal in das Haus an der Wilhelmstraße einziehen würde.
Als Staatsmann ist der neue Leuker der Rcicbs- geschicke noch nicht hcrvorgetreten, dtlgegen kennen wir seine hervorragenden Fähigkeiteil als Organisator der deutschen 1915 geschaffenen Reichsgetreidestelle und als Staatskommissar für das preußische Ernährungswesen. Die Rede, die er als solcher im preußischen Abgeordnetenhaus, bei dem er nicht auf freundliches Entgegenkommen rechnen durfte, am 7. März ds. Js. gehalten hat, läßt ihn als eineil wirklich starten Alaun, als einen Mann von eiserner Energie, von starker Zähigkeit und von kühler Klarheit des Blickes erscheinen.
„Ich übernehme kein Amt, das ein Schwert ohne Schärse ist, und behalte auch kein Amt, in dem mir nach irgend einer Richaing das Schwer: stumpf gemacht werden solste- Ich will das Amt durchhatteu und werde das Meiniae dazu beitragen, daß wir aus diesem Gebiete unseres inneren Wirtschastskampses den Sieg dauontrageu."
Solche Worte sind- eine gute Vorbedeutung für einen Reichskanzler, der im jetzigen Augenblicke seine Geschäfte übernimmt. Herr Dr .Michaelis hat überdies als. rechte Hand des preußischeil Finanzministers vielerlei Einblicke in den Gang der obersten Reichsgeschäfte tun können, insbesondere in die Mängel der preußischen Verwaltung, in die inneren Reibungen der Reichsmaschine, überhaupt in das, was Deutschland nottut.
Das also ist der neue.Mann, den das kaiserliche Vertrauen ohne Zutun der Führer der Neichstagsparteien zum ersten Beamten des Reichs bestellt hat; es dürfte daher als wahrscheinlich gelten, daß Tr. Michaelis in der Lage gewesen ist, der Krone zuzusichern, daß er eine politische Richtung einschlagen würde, welche die Aussichten für ein gutes Einvernehmen mit den Reichstags- Parteien bietet; voraussichtlich wird er schon am Mittwoch Gelegenheit haben, sich im Hauptaussihnß des Reichstags vorznstellen und sein Programm zu entwickeln, lieber dieses ist bis jetzt bekannt geworden, daß er auf dem
Boden eines S t a a ts so z iälis mu s mit absolutem Zwang steht und ist er dadurch zweifellos den rechts* st ehenden Parteien näher als der Linken. Er ist strenggläubiger" Protestant und hat sich als solcher auch' an den religiös-sittlichen Organisationen der evangelischen Kirche stets beteiligt. -
„Wenn eine Partei eine notwendige Wahlrechtsreform mir von dem Standpunkte aus beurteilt, ob sie geschädigt oder gefördert wird, — wenn das Mitglied einer gesetzgebenden Körperschaft einen Steuerplan der Regierung nur vom Standpunkt der Wirkung auf sein eigenes Vermögen prüft, — wenn ein Berufsstand wirtschaftliche Gesetze fordert, die nur ihm Vorteil bringen, den Gegenpartner aber belasten, — wenn eine landesknltnrell entscheidend wichtige Maßnahme, wie die Attfiedlung von Kleinbesitzern, darum bekämpft wird, weil Banarn für den Großgrundbesitzer unerwünschte Nachbarn sind, dann regiert nicht Gerechtigkeit, — dann kann k eine herrlich e Zeil anbrechen.
Mit einem solchen Programm kann jeder rechtd-enkende Deutsche sich einverstanden erklären und wir möchten Herrn Dr. Michaelis von Herzen wünschen, daß es ihm gelingen möge, sich die freudige Mitarbeit aller Parteien zu gewinnen,, um mit vereinten Kräften das'Reich aus den Fährnissen der schweren Zeit heraus- und in eine glückliche Zukunft üb.erznführen.
Bethrrrann-Hollweg. E
Tie Umstände, die zu dem Rücktritt Bethmann Holl- wegs geführt haben, bedeuten, wie wir schon im Laufe der Entwicklung ausgeführt haben, eine Krise im eigentlichsten Smne des Wortes, aber es bleibt doch ein tragisches Geschick für den Mann, der den Mittelpunkt'der Krise bildete, der in der Versöhnung der politischen Gegensätze zur Stärkung der inneren Einheit seine eigentliche Aufgabe erblickt hat, daß Bethmann Hollweg sich am Abschluß- seiner Laufbahn in solcher Isolierung befindet, daß zu seinen alten Gegnern sich auch, diejenigen gesellt haben.
Erste Liebe.
Ein russisches 'Idyll von Karl Detlef.
7 g-ortsehung. (Nachdruck verboten.)
Pustaff war auf diesen unerwarteten Angriff nicht vorbereitet, seine Stirn faltete sich und er warf der alten Dame, die ihren Lieblingstrank hörbar schlürfte, einen unzufriedenen Blick zu. Es gab also keine Entfernung, die verhinderte, daß Klatschereien aus einem Hause ins andere getragen wurden.
„In meinen Jahren verheiratet man sich nicht mehr, Marie Petrowna," cntgegnete er ausweichend.
„Ta, ta," sagte die Dame, mit dem knöchernen Zeigefinger ans den Tisch trommelnd, „nichts wie Ansflüchte! Sie sind frischer und kräftiger wie mancher Jüngling. Und was das Alter anbelangt — hören Sie, Alexander Michailowitsch, ich habe nicht vergebens mit offenen Augen in der Welt gelebt. Ist der Bräutigam sechzig, so ist die Braut gewiß sechzehn, er ist nie zu'alt, sie kann nie zu jung sein. Und je später sich einer entschließt, um so tiefer fällt er hinein."
Nina hatte den Kopf auf den runden Arm gestützt und die rebellischen Locken verhingen beinahe das errötende Gesicht, die gläinenden Augen,-die Pnstoff mit scheuem, zärtlichen Blick streiften. War es ihr doch, als würde roh an ein süßes Geheimnis gerührt, das unausgesprochen zwischen ihnen ruhte. Was sie sich selbst noch kaum zu gestehen gewagt, die Großmutter hatte es in klaren Worten gesagt. Natürlich, es mußte auf- fallen, daß er die Veränderungen in seinem Hanse so eilig betrieb, als könnte er die Zeit nicht erwarten, wo er seine On>ge Frau entführen würde. Und diese junge, beneiden--, 'ec! n glückliche Frau - - wer würde es anders sein, als sie, die Leine Nina, der er stets eine besondere Zärtlichkeit gezeigt, gemischt mit einer ritterlichen .Huldigung, wie sie der Mann der künftigen Geliebten darbringt. War er, der weltgewandte Kavalier, nicht verwirrt gewesen, als er ihr gesagt, daß seiire Gedank en bei
ihr weilten? Hätte er nicht einen seltsam forschenden Blick, der tief, tief in ihrer Seele lesen zu wollen schien, dabei ans sie geheftet? Er brauchte ja nur zu fragen, um das Geständnis zu empfangen, daß er ihre erste, einzige Liebe sei, daß sic seinem Bilde seit zwei Jahren einen Altar in ihrem Herzen errichtet, den sie mit den schönsten Blumen der Poesie schmückte. Sie hatte ihn sogar selber besungen, aber diese Ergüsse waren nur ihrer'intimsten Freundin mitgeteilt worden, nachdem dieselbe mit einem feierlichen Eide Verschwiegenheit gelobt. Es war das höchste Zartgefühl, daß er' langsam und leise eine Zuneigung zu erringen strebte, die sie ihm so gern ohne Zögern, voll und ganz geschenkt hätte!' Er hatte Recht, hierin, wie in allem — was konnte Süßeres gedacht werden, als dieses Liebcswerben im Frühling, rn der weiten, grünen Steppe, die der leichtbeschwingten Phantasie keine Schranke zag! Sie schwelgte in diesen golä- nen Träumen und bas kleine, törichte Köpfchen senkte sich mit seiner Lockenfülle bis auf den Rand des Tisches.
„Ninnschka, du wirst dir die Nase am Tee verbrennen," rief der besorgte Vater.
Sie fuhr erschrocken auf und strich sich das Haar ans der Stirn.
„. . . . Ja, mein Neffe wird bald kommen," fuhr Pnstoff zur Großmutter gewendet fort.
„So, der kleine Costia?" erwiderte die alte Dame gleichmütig. Sie interessierte sich wenig für lange Leute, die sich nicht am Kartentisch nützlich macksten.
„Ans Costia ist ein großer Cmistautiu geworden, der in der Gardehnsarennnisorm sehr gut aussieht."
„Was will er hier?"
„Ich habe ihn (ungeladen, seinen Urlaub bei mir uizubringen. Die Petersburger Luft taugt nichts im S mmcr, auch soll er sich wieder in einfach natürliche Verhältnisse einlcben lernen. Wenn Sie erlauben, stelle ich ihn Ihnen vor, er wird sich bemühen, Fräulein Nina zu nmerhalten."
Alte grämlich, „verwöhnen Sie das Mädchen nicht, das tut der Papa zur Genüge. Früher wurden mit den Kindern nicht so viel Umstände gemacht."
„Ich dachte,. Nina wäre kein Kind mehr, sondern eine erwachsene junge Dame," entgcgnete Pustoff etwas scharf.
„Ja, ihre Unarten sistv erwachsen. Sie sollten sie sehen, wenn sie weint und mit den Füßen stampft, wie im Winter, als wir nicht ihretwegen in die Stadt ziehen wollten."
Nina's Augen füllten sich mit Tränen. Vor ihm so beschämt zu werden!
„Das würde Jede an ihrer Stelle getan haben, warum vergraben Sie sich in die Einsamkeit? Ein Mädchen ihres Alters verlangt nach der Welt."
„So meine ich auch," bekräftigte der Major, die Kleine liebkosend an sich ziehend.
„Nun, und trotzdem blieben Sie hier sitzen?"
„Sehen Sie, Alexander Michailowitsch, wenn nicht die Umständlichkeit gewesen wäre! Wir überlegten hin und her. Wenigstens drei Wagen voll Möbel, Küchengeräte, Wäsche und dergleichen hätten mitgenommen werden müsseir. Wir besprachen täglich, wie das am besten einznrichten wäre."
„Gesprochen wurde genug," warf Nina schuippich ein.
„Sei nicht böse, mein Liebling," bat der Major gutmütig und streichelte ihr die heißen Wangen, „nächsten Winter soll gewiß und wahrhaftig dein Wille geschehen."
Ein fröhliches Lächeln flog um den kleinen, trotzigen Mund — nächsten Winter! Was würde sich bis dahin nicht ereignen!. Und als hätte Pustoff ihre Gedanken erraten, sagte er neckend:
„Ein halbes Jahr voraus darf man nicht bestimmen, wenn man eine Tochter hat, Fcdär Fedorowitsch. Heule oder Morgen könnte einer kommen, der sie Ihnen fort holt," , ;,, ' ^
si' ä (Fortsetzung folgt.) siMZ