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Ur. 3
Donnerstag» den 4 Jannar 191^
34. Jahrgang
" 1917 .
Das Kriegsamt schreibt:
Das Vaterland spannt seine Kräfte aufs äußerst« au. Niemand darf Heute, sei es selbst zugunsten einer guten Sache, unterlassen oder gar hindern, mas die .Landessicherheit vermehrt.
Der Staat kann vieles aiwrvncn und überwachen. Aber er überschritte die Grenzen seiner Verantwortlichkeit und seines LeistnngSvermög.ns, wenn er sich unterfinge, alles Tun und Unterlassen jedes einzelnen von Amts wegen vorzuschreiben. Er ist ni-.ms anderes als der Ausdruck des Gesamtwillens seiner Angehörigen. In Stunden, wo dieser Wille eindeut g auf ein einziges Ziel gerichtet ist, wo jeder einzelne das Eine, den Sieg, erringen will, bedarf der Staat der rinmittelbaren, bewußten, tätigen Hilfe des ganzen Volkes.
Einstweilen drängt die Erfahrung der letzten Wo- chen zu der Bitte an alle, die es angeht, folgende vom Kriegsamt aufgestellten Regeln zu beachten:
l. Die Grenzen des Kriegsschauplatzes weiten sich stündlich, und kein Teil der Kriegswirtschaft ist so belastet wie die Eisenbahn. Gewiß kann man ihren Dienst auf die reine Kriegsnotwendigkcit beschränken, gewiß kann man ihren rollenden Bestand nach Kräften vermehren: alles das. geschieht. Aber wiederum 'reicht die amtliche Maßnahme nicht aus, weun sich nicht bis in die letzte Faser hinein das Bahnnetz mit dein Geiste der Gemeinsamkeit erfüllt. Kein Wagen dar? als. Lagerraum ruhender Güter vergeudet werden; kein Wagen das an das Ziel rollen, wenn der Empfänger nicht gerüstet ist, ihn schleunigst zu entladen; nicht der Lieferer, sondern der Besteller hat den Zeitpunkt des Versandes zu bestimmen, und der Besteller hat diesen Zeitpunkt
nach Maßgabe des unentbehrlichen kriegswichtigen Bedürfnisses zu wählen. Zumal mit Massengütern muß sinnvoll hausgehalten werden; weder darf sich die Vor- rätsdecke so schr verdünnen, daß die Verlehrszuckungen auf den blanken Leib des Wirtschaftsbetriebes einwirken, noch darfs ie zum Schaden anderer Verbraucher ein Uebermaß an Dicke erreichen. Verbraucher und Erzeuger müssen einander so zu finden trachten, daß nur mehr der Beügelegene mit dem Bestgelegenen verkehrt; kein Wage :rf um alter Gewohnheiten willen seine llmlaufs- ivege agern. Kein Wagen darf, wenn es sich irgend vernuMeu läßt, leer oder teilbeladen umlaufen. (Was sich besonders die Kriegsgesellschaften merken sollten. D. Schr.)
2. Niemand soll zur Erfü llung feiner Ei n z e l w ün s che unnütz reisen, reden und schreiben. Zumal im Verkehr mit dem Mittelpunkt des Getriebes bedient man sich am besten des Sprachrohres einer Gruppe, der mau nach Standort oder Berns zugehört. Je größer die Gruppe ist, je mehr sie in sich den Widerstreit bis zur reinen Sachlichkeit abgeschlifsen hat, desto schneller und wirksamer setzt sie sich durch. Mit dem schönsten Erfolge haben es in der Krieg.-zeit gerade einige Wirtschaf- grupp.» gewagt, selbst ihre Betriebs -und Geschästsgeh.i'.nnisfe preiszugeben.. Dort sich jeweils der beste Mann zur besten Einrichtung, zum besten Verfahren g.sellt und auf dem kürzesten Wege, mit den sparsamsten Mitteln die Leistung vollbracht. Bedingte Bereitschaft, versteckter Eigennutz.«», falsche Geschäftigkeit betrügen sich selbst. Nur durch dM rückhaltlose Hingabe au die'gemeinsame Wirtschaft wird das Gelingen des Werkes verbürgt. Tie Not und die Ei' sicht gebieten gleichermaßen das Opfer jeder Eigen- brvdelei. .' . . —
3. Das Kriegsamt wird überlaufen von Vorschlägen aller Art, wie man Kohle als einen Grundstoff der Kriegswirtschaft sparen könne; es kennt nunmehr alle erdenklichen Vorschläge und schließt die Akten mit dein -Wunsch, daß jeder Deutsche zu jeder Stunde eingeden/ sei, er gefährde mit verschon ndetem Licht, vergeudeter Wärme, verschleuderter Tri l kr st die Land es sich er- heit und müsse sich solcher Bequemlichkeiten vor den Brüdern im Felde schämen. Zumal in den beiden Zeit abschnitten jedes Wintertages, zu denen sich der Kohlen- bedars der Kraftwerke häuft, morgens vor Sonnenaufgang und abends nach Sonnenuntergang, darf kein Deutscher das Stromnetz zwecklos belasten. In jedem Falle aber ist guter Rat billiger als gute Tat Die Glühbirne des Nachbarn frißt nicht mehr Kohle als die eigene Glühbirne und weniger Kohlen als der eigene überheizte Ofen.
4. Es ist W il l i g k e i t n i e d e r en G r a des, wenn
jemand ohne Borkenntnisse, ohne Geübtheit, ohne geeignete Betriebseinrichtung, sich dennoch stürmisch zu der ihm bequemsten Tätigkeit erbietet. Das Kriegsanu ist nicht dazu geschaffen, worden, um jeden, der Lust hat, Granaten drehen zu lassen. Die Willigkeit höheren Grades bescheidet sich in Geduld, überprüft mit Vernunft ihre Eignung und meldet sich im Rahmen des Gesamtplanes zur rechtzeitigen Verwendung an. Dieser Gesamtplan befindet sich in guten Händen. Die Willigkeit höchsten Grad es wird sich zeigen, ioerm dre Wirtschaft auch diese letzte Mobilmachung nicht mir erträgt, sonder« so freudig selbst vollzieht, daß sie vom Zwange nichts mehr spürt, weil er mit ihrer Opser- Willigkeit zusammenfä lt- ' ,
Die Wahrsagerin.
Von einem Kriegsteilnehmer.
Er ward sehr-verlegen, der gute Herr. „Ja wohl/ stotterte er, „ja wohl; deshalb komme ich ja — natürlich'/ Aber dieses „natürlich" klang höchst unnatürlich, und wenn ich mich nicht völlig getäuscht, so möchte ich be* haupten, daß eine leise Röte über sein Gesicht flog. Er empfand wohl selbst den komischen Eindruck, den er in diesem Augenblicke machte, denn um seine Mundwinkel zuckte es wie leiser Spott über sich selbst, als er halblaut vor sich hinmnrmelte: „Ja, fragen, wenn ich um wüßte, wie?" Tann besann er sich kurze Zeit, rückte etwas unruhig den Körper auf dem Stuhle zurecht und begann darauf: „Gnädige Frau, Sie sind klug" (in Frau o. Kreys Auge blitzte es wie ein Gefühl freudiger Genugtuung). „Sie sind klug und einsichtsvoll. Sie haben mich kennen gelernt, und ich habe mich Ihnen gegenüber gezeigt, wie ich bin, denn Sie haben mir tiefe Achtung eingeflößt. Sehen Sie, bitte, nicht in meine Hand: sehen Sie mir ins Gesicht, sehen Sie den ganzen Menschen an, und dann antworten Sie mir ehrlich und offen an? die Frage, die ich Ihnen heute, nachdem ich infolge Ihres nenlichen Ausspruchs meine beabsichtigte Verlobung mit der siebzehnjährigen Tochter eines meiner Nachbarn und Freunde aufgegeben, vortragen werde. Also o?>en und ehrlich, Frau Priesterin des Apollo: bin ich überhaupt dazu bestimmt und fähig, ein ordentlicher Ehemann zu werden, oder nicht?"
Meine Ohren hörten gespannt auf diese Worte des Herrn Bärwald; meine Augen aster ruhten unverweilt ans Fra» v. Kreys Antlitz, das trotz aller Selbstbeherrschung. die diese Dame in so hohem Maße besaß, der Reihe nach die Gefühle der Verwunderung, der Genugtuung und der holdesten Befangenheit wicderspiegelte. Arme Pytia! Jetzt nimm all Deinen liebenswürdigen Scharfsinn, alle Deine bewundernswürdige Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis zusammen. Ta wird eine Frage gestellt, wo Tn nicht bloß den Fragenden, nein, auch Dich-beobachten und Tein Inneres erforschen mußt, denn die Antwort berührt nicht bloß seine, sondern auch Deine ganze Zukunft. Wohl hast Tn nicht geahnt, als Tn im Vertrauen ans Deine geistige Kraft diesen gefähr- '-chen Beruf ergriffst, daß Tu nun schließlich Dir selbst Glück oder Unglück Deines Lebens prophezeien müssest! Wie sehr setzt Dich diese Frage schon in Verlegen!)»it; wie rötet Dir jetzt schon echt weibliche Sckam das bleiche .Ant
litz, und doch — wenn er wenigstens nur weiterspreche', wollte! wenn Tn nur nicht antworten müßtest? —
Frau v. Kren batte den Blick zur Erde gebc-ster erst nach langer Panse hob sie ihn langsam und mh-nt« mit dem großen, offenen Auge dem ängstlich ans Ant> wort darrenden Manne ins Gesicht. Und langsam und ernst, klar und rein wie Glockenton klangen aufs Nene die Worte ans ihrem Munde, die er schon einmal vernommen hatte: „Nur bei vollständigem gegenseitigen Vertrauen und festen Glauben an das glückliche Gedeihen des Vorsatzes kann er zur Tat, die Segen bringt, werden."
Ich sah, wie Herr Bärwakd ihre'Hand ergriff: wollte er die Rollen vertauschen und jetzt ihr weissagen? nno Frau v. Krey ließ ihm diese Hand uns hörte, halb Vvr- gebeugt, mit niedergeschlagenen Augen auf die Worte, die er mit leiser Stimme, aber tief erregtem Gefühl ihr zuflüsterte. Ta schlich ich mich lautlosen Schrittes durch das Zimmer, in dem ich mich befand, zu-der gegenüberliegenden Tür, öffnete sie unhörbar und ckilte durch die Küche zum Ausgang der Wohnung, um das Paar allein zu lassen.
Ich glaube, er hat noch viel gefragt und sie noch viel geantwortet! Warum sollte ich auch das Ende ab- warten? Ter Geist des Wahrsagens war nun auch über mich gekommen, und ich konnte das Ende selber prophezeien.
Etwa acht Tage später erhielt ich von Frau v. Krey ein Billet, worin sie mir ihre Verlobung mit dem Rittergutsbesitzer Bärwakd mifteilte und mich aufforderte, sie in ihrer neuen Wohnung, die sie noch für die kurze Zeit ihres Aufenthalts in Berlin gemietet, zu besuchen. Ich eilte zu ihr und ward von ihr nicht minder mit Freundlichkeit und mit heiterem Frohsinn empfangen. Sie erzählte mir, wie sie ihrem Verlobten an jenem Taae ibre aaine Lebensaesck'icbte mitqeteilt und, als er rroydem um ihre Hand angehalten, ihm nicht die Besorgnis verhehlte, daß irgend einmal der Zufall ihren bisherigen seltsamen Berns, zu dem die Not sie gezwungen, in den Kreisen seines Umgangs zur Sprache bringen und ihn in Verleaenheit setzen könnte. Er hatte ihr aber lachend geantwortet, daß er selbst zuerst es erzählen werde, «^aß er eine Prophetin geheiratet, und wenn dann die 'Leute nicht aus Respekt -vor der Rache der Here sich hüten würden, sie zu lästern, so sei er der Mann dazu, ihr bei aller Welt Achtung zu verschaffen. Gleich darauf erschien ihr Bräutigam. Sie stellte mich ihm vor, und es entspann sich schnell zwischen uns eine lebhafte lln- terhaltunü, in der er ftcü als einen neil't- und kenntnis
reichen Mann von vielem und geübtem Nachdenken offenbarte, der ans seinem fernen Hommerschen Herrensitz die langen Mußestunden des Winters mit eifrigen literarischen Studien verkürzte und für die politischen Ausgaben der Zeit nicht minder als für die Entwicklung der Naturwissenschaften reges Interesse zeigte. Um so unbegreiflicher erschien es mir, daß ein Mann von solcher Bildung habe nach Berlin reisen können, um eine Wahrsagerin über seine Verlobung mit einem Backfisch um Rat zu fragen, und ich konnte nicht umhin, ihm dies zu lagen und ihn zu bitten, mir das Rätsel zu lösen.
Er antwortete mir unbefangen, er fände dabei eigentlich nichts Wunderbares. „Sie haben," sagte er, „sicherlich oft, wenn Sie sich in der unbehaglichen Lage befanden, einen Schritt zu tun, der Ihnen vielfache Vorteile bot. über dessen Nichtigkeit sie aber trotzdem Zweifel hegten, die Erfahrung gemacht, daß es kein sicheres Mittel, denselben ,zn pAifeii gibt, als daß'man sich ans /eisen unter fremde Menschen begibt und dann ans der Verne, gleichsam aus der Vogelperspektive, die Tinge betrachtet, über die man in der Nähe keinen richtigen lleberblick gewinnen konnte. Ties war wohl auch bei mir der Hauptgrund für meine Reise, und ich war kaum 24 Ztnnden in Berlin gewesen, als ich bereits Abneigung, gegen mein ursprüngliches Heiratsprojekt empfand, und oiese Abneigung vermehrte sich nicht nur durch meine Bekanntschaft mit Frau v. Krey, sondern auch durch den «restlichen Orakelsprnch) durch den mir das Mißliche meines ursprünglichen Planes klar wurde. Fragen Sie nun ober, warum ich mich entschloß, hier zu einer Wahrsagerin meine Zuflucht zu nehmen, so war das nichts an- ocres. als was so viele in der Unentschlossenheit tun, nenn sie die Knöpfe ans Ja oder Nein abzählen. In Wahrheit wirft» man sich gar nicht damit dem Fatalismus >n die Arme, sondern folgt seiner Weisung nur in dem Valle, daß dieselbe mit unserem stillen, uns selbst noch mklaren Wunsche übereinstimmt."
Ei, ei!" sagte Frau v. Krey lächelnd und mit dem Finger drohend zu ihrem Bräutigam. „Ta scheint mir ja das unbedingte Vertrauen und der feste Glaube an meine Befähigung schon vor der Hochzeit geschwunden zu sein."
Herr Bärwald ergriff ihre Hand, küßte jöe und erwiderte: „An deine übernatürliche Prvphetengabe habe ich nie geglaubt und glaube ich auch jetzt nicht, aber mein unbedingtes Vertrauen aut deinen und meinen festen Glauben, daß du mich glücklich machen wirst,, will ich und werde rch nicht ansgeben." ,_,