Kin UalerHerz.

Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.

50) (Nachdruck verboten.)

»Ich habe die Wahrheit gesprochen liebes Kind wie ich es immer thue. Zu was öffnest Dn dieses Zeug?" fügte er bei, sich zornig zu seiner Frau wendend; »stehst Du nicht, daß ich vollkommen nüchtern bin?"

»Ist dies eine nüchterne Handlung?" fragte Frau Baretti auf das zitternde Mäd­chen deutend.

»Ganz entschieden," war die zuversicht­liche Erwiederung.

»Siehst Du denn nicht, daß sie irr­sinnig ist?" fragte Fanny, mit einer Regung des Mitleids plötzlich leiser sprechend, um des armen Kindes Gefühle zu schonen.

»Ich weiß es," sagte Paulo »umso bester."

»Ich kann nicht begreifen"

»Zum Henker, Frau, habe ich denn ver­langt, daß Du eS begreifst?" schrie Baretti in voller Wut; »kannst Du nicht warten, bis ich eS erkläre bis ich Dir beweis», wie dies zu meinem Vorteil auSschlagen, mir Macht und Einfluß über gewisse Leute geben kann? Sieh, du hast das Mädchen erschreckt, sie wird uns nächstens iu Ohnmacht fallen. Nimm Dich ihrer an, Fanny."

Frau Baretti trat zu der armen Elste, die bei Paulo'S Wutausbruch auf einen Stuhl niedergejunken war und die Augen geschlossen halte.

Sie scheint lolmüde," bemerkte sie. »Möch­ten Sie etwas essen, Elste?"

Elste schüttelte stumm den Kopf.

»Sie würden lieber zur Ruhe gehen? Ach, dasist's," sagte sie, als Eist: ihr lächelnd zunickte. »Ich will Ihnen ein Zimmer an­weisen unser Mädchen soll die Nacht über bei Ihnen bleiben."

»Ich danke," versetzte Elste und trank ein wenig Brandy mit Wasser, den Frau Baretti ihr aufdrängte. Dann betrachtete sie ihre Wirtin so scharf, daß diese sich fast unbehaglich fühlte unter dem forschenden Blick.

»Sie mögen Recht haben," verfitzte sie leise und geleitete dann ihren Schützling in das für sie bestimmte Zimmer. Als sie zu» rückkehrte, fand sie ihren Gemahl in Schlas- rock und Pantoffeln, rauchend beim Feuer sitzend und unverwandt in die Flamen starrend. Sie nahm in seiner Nähe Platz und ergriff eine Handarbeit, mit welcher sie bei seiner Ankunft beschäftigt gewesen. Sie stellte keine Frage mehr, sondern wartete ernst und ge­duldig, dis es ihm beliebe, sie anzureden. Nach etwa 10 Minuten trat dieser Fall ein. Seine kleinen Augen beobachteten Fanny ver­stohlen, während er plötzlich fragte: ,Du scheinst durchaus nicht überrascht?"

»Ich bin an Ueberraschungen gewöhnt. ES müßte etwas ganz AußerorrentlicheS sein, das mich j-tzt noch zum Staunen reizen würde." versetzte sie mit bitterem Lächeln.

»Und doch wärest Du neugierig, als ich eintrat."

»Ein wenig; das ist vorüber."

»Möchtest Du nicht wissen, was ich mit Elste Nord beginnen werde?"

»Ich sehe keinen Zweck in ihrem Hier­sein das ist Alles."

»Hast Du für das Mädchen Sorge ge­tragen?" schnauzte Baretti sie an.

»Ja; Lisette bl>ibt bei ihr bis zum Mor­

gen und wird unS rufen, wenn eS Mg ist."

,DaS ist gut das ist recht; und morgen früh werden wir von hier Weggehen, ohne der Hauswirtin zu sagen, wohin. In Frankreich gilt sie als meine arme leidende Tochter, Fanny. Vergieß dies nicht."

»Frankreich," murmelte Frau Baretti; »ich gehe nicht gern an fremde Orte."

»Aber Du wirst Deine Abneigung be- siegen müssen," rief Paulo; »Sie haben jetzt keinen eigenen Willen mehr, Madame, er gehört nun mir."

Wirklich?" sagte Frau Baretti, ohne aufzublicken.

Und morgen geht'S nach Paris, Fanny immer hübsch und lustig und keinen Sonntag das ganze Jahr hindurch. Elste wird mit unS gehen. Verhält sie sich ruhig, kann sie bei unS bleiben wird sie gefähr­lich, wie ihr Vater, so müssen wir sie in einer Anstalt unterbringen, mit dem Vorbe­halt, daß sie uns zu jeder Stunde wieder auSgrliefert wird."

Und zu welchem Zwecke dies Alles?"

»Weil mein verwünschter Junge, mein Tony, das Mädchen liebt und sie Überall aussuchen würde er würde mir ohne Zweifel Dank wissen, daß ich für sie gesorgt babe. Wäre dies nicht, so könnten wir eines TageS wieder arm sein aber ich kenne noch andere Leute, die ihre Goldfüchse in Mosten würden springen losten um jenes Mädchen zurückzuerhalten. Und wenn der schlimmste Fall eintritt, dann ist noch Frank Nord da, um seine alte Schuld abzutragen."

Frau Baretti blickte auf das finstere, drohende Gesicht ihres Gatten. Sie besaß einen starken Geist und nur sehr wenig Ge­fühl , aber sie war Frau genug, um bet seinem Anblicke schaudernd ihre Voreiligkeit zu bereuen, einem solchen Schurken ihre Hand gereicht zu haben. Er bemerkte ihr Schaudern und wandte sich rasch zu ihr um.Was soll dies bedeuten, Fanny?"

Ich weiß es nicht die Sache gefällt mir nicht. ES ist nicht recht, das arme Kind bei uns gefangen zu halten."

»Donner und Doria!" fuhr Baretti auf. »Bleibe mir vom Leibe mit Deinen tugend­haften Bedenken. Morgen geht'S nach Paris mi: Elste Nord. Ich habe eine Ahnung, daß wir meinen Tony dort treffen werden."

Am nächsten Morgen fuhren die Baretü'S, von einem zarten, in Trauer gekleideten Mäd­chen begleitet, mit dem Packetboot von Falke- stone nach Boulogne. Wenige Stunden nach ihrer Abreise wurden in Cichester GardenS Nachforschungen angestellt, aber die Haus­wirtin wußte nichts von dem Ziel ihrer Reise zu berichten.

28. Kapitel.

Der Ostersonntag deS Jahres an welchem Elste Nord ihren Beschützerinnen entfloh, war ein herrlicher Frühlingstag. Die Fasten, zeit war vorüber, und die lebenslustigen Pa­riser eilten nun wieder ihren Vergnügungen nach mit einer Lebhaftigkeit und Frische, wie eS eben nur die Pariser vermögen. All'S war Lust und Leben in der heiteren Welt­stadt; wer es nur möglich machen konnte, floh die engen Räume des Hauses, und un­zählige Omnibusse, verließen schwer beladen die dusteren Straßen und Vorstädte, um leer dahin zurückkehren. In einer jener alten engen Straßm, fern von den vornehmen

Stadtteilen, in dem obersten Stockwerk eines uralten Hauses, saß ein Kranker, von Kisten gestützt, vor dem nur schwach glimmenden Feuer, daS in der kalten kahlen Stube nicht überflüssig schien.

Der Kranke war kein anderer, als Frank Nord, der seit seiner Abreise von Wolston von einem hitzigen Fieber erfaßt und an den Rand des Grabe» gebracht worden war. Seine Wangen waren eingesunken, seine Glieder total abgezehrt, er war nur noch der Schatten seines früheren Selbst. Robert Schmitt von Chestwich würde seinen ehemaligen Fahrgast nur an der großen Meerschaum­pfeife erkannt haben, die er auch heute zwi­schen den Lippen hielt. Und doch hatte das Fieber seinen Zügen nicht jenen strengen, entschiedenen Ausdruck genommen, der sie stets charakterisiert hatte und auch jetzt auf­fallend hervortrat, während Nord mehrere Briefe durchla», die auf einem neben ihm stehenden Tischchen lagen. Auch der lange Bart war noch vorhanden, wirr und unge­pflegt, wie immer, wie zum Hohn für den Mann, den daS Fieber, vielleicht auch der Mangel, sehr zu seinem Nachteil verändert hatte. Ein oder zwei Mal während des Lesens griff er mühsam nach dem Klingelzug und läutete, aber niemand leistete diesem Rufe Gehör, bis plötzlich ein leises Klopse» hraußen an der Thüre ertönte.

Herein," rief Frank Nord, seine Papiere ln der Brusttasche eines abgetragenen RockeS bergend, und raschen Schrittes trat Antonio Baretti in die Stube.

Mein lieber Oberst, hoffentlich habe ich Sie nicht warten lasten," sagte er mit heiterer Stimme; »aber sie hielten mich bis 2 Uhr mit der Probe auf."

(Fortsetzung folgt.)

Verschiedenes.

Von einem höflichen Patienten er- zählt daS »Wiener Exirabl." : Ein Mann, der sich mit den Gesetzen der Höflichkeit gut vertraut zeigt, ist der biedere Landwirt, der dieser Tage in einer Wiener Klinik Hilfe suchte. Er klagte über Schmerzen in der Brust, wurde sorgfältig untersucht und erhielt dann ein Rezept, sowie Vorschriften für seine Lebensweise. Dem Professor sowohl als den Hörern war cs anfgcfallen, daß der Mann während der ganzen Prozedur den Hut auf dem Kopfe behalten hatte und der Kliniker sagte endlich: »Hören Sie, wenn wir unS schon mit Ihnen befassen, so könnten Sie doch wenigstens den Hut abnehmen!" Herr Professor," erwiederte darauf der Pa­tient,im Kopfe fehlt mir ja nix!"

Zahntechnik mit Musik. Ein Pariser Zahnarzt zieht jetzt Zähne unter GaSbetäub« ung nicht allein ohne Schmerz, sondern unter Musikbegleitung aus; dem betäubten Patienten werden die Hörmuscheln eines Phonographen an die Ohren gelegt und sofort wandeln sich die Schreckvorstellungen, an denen Betäubte sonst leiden, in angenehme Empfindungen um, sodaß man beim Aufwachen sofort »äg, vapo" schreien möchte, wenn man nur noch einige überflüssige Zähne hätte. Man spricht von der Anwendung dieser Methode auf chi­rurgische Chlorosormbetäubungen; indessen die meisten Operateure würde der Phonograph nervös machen.

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