Der kurzsichtige Hotelier. Ein nettes

Geschichtchen wirv von einem Pariser Hotel­besitzer erzählt, der mit so hochgradiger Kurzsichtigkeit behaftet ist, daß ertrotz eines DoppelkneiferS kaum seine eigene Frau er­kennt, wenn er ihr außerhalb seiner Privat- rSume begegnet. Die Kellner, Stubenmäd­chen und sonstigen Angestellten verwechselt er zu deren heimlichem Amüsement beharrlich mit einander. Kürzlich aber passierte ihm folgende« ergötzliche Versehen, da» jetzt von dem ganzen Hotelpersonal belacht wird. Monsieur L... hatte persönlich »inen jungen Menschen engagiert, dessen einzige Obliegen­heit da« Fensterputzen sein sollte, Jacque« machte seine Sache aber auch sehr gut, er hatte aber eine Schwäche. Sobald er sich unbeachtet glaubte, holte er «in Zeitungs­blatt hervor und studierte eifrig darin. Eine» Morgen« wurde er dabei von seinem Herrn überrascht. Der Pflichtvergessene stand sprachlos vor Schrecken da und ließ alles über sich ergehen. »Packen Sie ihr» Sachen und machen Sie, daß Sie fortkommen," schloß der aufgebrachte Hotelier seine Stand- rrde. JacqueS thot, wie im geheißen, zog seine besten Sachen an und begab sich mit

seine« geschnürten Bündel zu dem Kassierer, um sich seinen Lohn auszahlen zu lassen. In der Nähe de« Portals traf er noch ein­mal mit dem Besitzer zusammen an dem er mit einem scheuen Gruß vorübergehen wollte. Dieser erkannte ihn jedoch nicht in seinem guten Anzuge und es entspann sich folgender Dialog: »Sie suchen Beschäftigung?" fragte der Hotelier. »Ja, Monsieur," entgegnet« JacqueS. »Können Sie Fenster reinigen?" Ja wohl, Monsieur." »Hm, Eie sehen ganz brauchbar au«. Der letzt« Fenster­putzer bekam nur 25 Fr., Ihnen werde ich 30 Fr. geben. Sie können gleich einlreten." »Danke sehr, Monsieur," sagte JacqueS hocherfreut. In einer halben Stunde befand er sich wieder in demselben Zimmer, in dem ihn der gestrenge Brotherr beim Zeitung«- lesen ertappt hatte.

Man schätzt die Reinlichkeit als eines der Heilmittel, die Gesundheit zu för­dern, die Praxis ergiebt aber, daß sie nicht unbedingt notwendig ist. Im schönen Ser­bien, wo die fettesten Schweine hrranwachsen und die ländlich« Bevölkerung mit dem lieben Vieh in einem Raume lebt, giebt es die meisten Hundertjährigen, und zwar 575 auf

1 300 000 Einwohner. Zu Island giebt ««angeblich 578 Hundertjährige, in Spanien 401, England, Schottland und Wales 192, Deutschland 78, in Norwegen 23, in Schwe­den 20 und in Dänemarck gar keine.

Der Dreyfuß Prozeß wirft sein- Schatten auch in die Gericht« ,äle. Als vor einigen Tagen ein Verteigrr, der eine kleine Hals- operatiou durchgrmacht hat, mit verbun­denem Halse am Vertheidlgertische im Sitz­ungssaale einer Strafkammer zu Berlin Platz nahm, empfing ihn der joviale Vor­sitzende mit den Worten: »Sie kommen doch, nicht etwa au« Frankreich?" Der schlag­fertige Verteidiger antwortet« mit freundlichem Lächeln : »Nein, Herr Vorsitzender, Ich lasse mir höchsten« in Berlin etwas v«> schießen und zwar recht gern!"

Kntnoristisches.

Unter Bauern. Amtsschreiber: »Was, Sie kennen di« neueste Anordnung des Herrn Bürgermeister« nicht? Ja, lest Ihr denn da« Kreisblatt nicht?" Bauer: »Na, wir haben kein KreiSblatt, bei uns iS es viereckig!"

Es waren zwei Königskinder.

Novelle von F. von Pückler.

(Nachdruck verboten.)

»Geh' jetzt und sage eS meiner Mutter," befahl Ada gleichgültig, ohne nur einziges Mal in den Spiegel zu sehen; sie hatte keine Freude an der eigenen Schönheit am ganzen Leben, trotz des brillant funkelnden Diadem» und de« ganzen Reichtums, der ihr zu Gebote stand.

Ada, mein geliebtes Kind," klang die Stimme der Gräfin an ihr Ohr, »Gottes reichsten Segen für Dich für di« Zukunft! Mögest Du nur Glück und Freude haben, mein Liebling, stet« und immerdar!"

Die schöne Braut atmete schwer, aber sie zuckte nicht mit den Wimpern und ver­mochte ruhig zu antworten, wenn auch die eiskalten Hände sich wie im Krampfe zu­sammenzogen.

»Glück sagtest Du, Mama! Wer weiß, ob der liebe Gott e« für mich übrig hat. Aber nicht wahr, jede« Mal, wenn Du betest, denkst Du an mich!"

Zu dem offenen Fenster herein kam das Glockenläuten der Dorfkirche und bei den ernsten feierlichen Tönen umarmten sich Mutter und Tochter noch einmal tieferschüttert dann richtete sich Ada jäh auf:

»ES ist Zeit Mama, Gott helfe mir!"

Auch die schwere Stunde der Trauung giog vorüber, Ada machte alles mit fast übernatürlicher Selbstbeherrschung mit; sie hielt ruhig auS, al« der Geistliche ihre und deS Prinzen Hand zusammenlegte und sie fürs ganze Leben in Freud und Leid zusammen­gab. Auch als später die Verwandten und Bekannten mit überschwängeicher Zärtlichkeit Glück wünschten, konnte sie freundlich danken, »ur drin im Herzen rief eS laut und jammernd; »Glück Glück! Es giebt ja kein solche«.'

Endlich öffneten sich di« Thüren deS Sprisrsaal« und man nahm Platz an der teichgeschmückten Tafel; rings umher plauderte die Gesellschaft, lachte und kritisierte die eleganten Toiletten, Champagnerpfrvpfrn

knallten, Gläser klangen uud nur vor Adas Ohren summte der Ton einer ihr so bekannten Stimme, welche längst ver­stummte:

»Gräfin Ada, warum wollen Sie nicht bei mir bleiben hier tief unter der Erde wo uns nicht« mehr trennt!"

Und eS war dem armen, gequälten Wesen zu Mute, al« müsse sie ausspringen und au« dieser ganzen glänzenden Gesellschaft flüchten zu einem einsamen Grabe unter grauen, hängenden Weiden.

Aber, liebe Ada, Sie sehen sehr an­gegriffen aus. Trinken Sie einen Schluck Rotwein, dann wird e« besser werden."

Prinz Egon hatte, ohne eine Antwort seiner Gemahlin abzuwarten, ihr Glas mit dem dunkelpurpurnen Weine gefüllt und bot ihr das seine zum Anstößen. Aber sie stieß sein Glas nervös zurück, daß e« schwankte und sein Inhalt übrrdaS schneeige Damasttuch floß:

Ich danke Ihnen, mein Gemahl, ich trinke keinen Rotwein, geben Sie mir Cham­pagner."

Und während sie mit dem prickelnden Weine ihre Lippen netzte, mußte sie immer wieder unverwandt auf den roten Fleck vor sich starren; eS war ihr, als rauschten droben die Bäume de« Waldes, al- grolle fernher der Donner und al« zerschellte ein geleerte» GlaS drunten am Boden an einem Stein

Endlich war auch diese Qual vorüber, man erhob sich und der Prinz frug seine Gemahlin voll Ehrerbietung:

»Wollen wir sortfahren, liebe Ada? Sonst versäumen wir den Zug an der Station."

Sie nickte und wandte sich zur Thüre, mit einer leichten Handbewegung seine Be­gleitung ablehnend.

Schon begannen leise Dämmerschatten über die herbstliche Erde zu wehen, dir Sonne war herabgesunken und ließ nur noch den goldfarbnen Saum ihre« Strahlengewande« am lichblauen Himmel zurück, lieber dem stillen Friedhof rauschte ein Abendlüftchen

und die wenigen Herbstblumen auf den Gräbern ringsumher schloffen nun müde die Augen.

Da flog eine Gestalt heran, scheu und eilig, mit todtbiassem Antlitz: Prinzessin Ada war es, schon im eleganten, braun­seidenen Reisegewande, welche mit zitternden Händen und fliegendem Atem die Myrthen- krone, dir vorhin so bedeutungsvoll auf ihrem Scheitel geruht, niederlegte zu Füßen Dietrich BolkertS.

Dietrich," murmelte sie düster, hier bringe ich Dir meine» Brautkranz! Nun bin ich jene« ungeliebten Mannes Weib; ich hielt mein Wort, denn einsamer als ohne Dich konnte ich doch nicht werden, wenn ich auch vor der Welt al« glücklich gelte. O, ich wollte es nicht glauben, daß der Dichter recht hat und e« ist dennoch so:

Sie konnten zu einander nicht kommen, Das Wasser war viel zu tief."

Und sie küßte die grüne Rasendecke, unter welcher der schlief, für den sie gelebt haben würde, den sie so innig geliebt hatte, trotz der Kluft, die da» Leben zwischen ihnen errichtet.

Dann ging sie hochaufgerichtet, lodten- bleich aber gefaßt, dem Schlosse zu und nahm den Mantel au« der Hand der erstaunten Jungfer» welche nicht gewußt, wohin ihre Herrin verschwunden und nun nicht begriff, daß dieselbe aus der Richtung de« Dorfes kam.

Prinz Egon hatte schon ungeduldig auf seine Gemahlin gewartet und nach ihr mehrcremal gefragt und atmete auf, als sie endlich kam.

»O, liebe Ada, ich fürchtete schon, wir kämen zu spät."

Die Pferde zogen an, der Kutscher knallte mit der Peitsche und das neue Paar fuhr in den Abend hinein» während von drüben herüber die alten Bäume ein letzte« Lebewohl zuwinkten Vorüber,, Vorüber!

Ende.

Sirdaktian, Druck und Verlag von B r r n h. Hofmaun in Uildbad,