Rundschau.
Stuttgart , 12. Juli. (Vom Landtag.) Das K. Vertagungs-Reskript hat nach dem St.-A. folgenden Wortlaut: Wilhelm II, von Gottes Gnaden König von Württemberg. Llebc Getreue! Im Hinblick auf den der- maligen Stand der Gefchäfte der Sländever- sammlung finden Wir Uns bewogen, dieselbe von heute an zu jvertagen. Wir behalten UnS vor, dieStändcversammlung wieder ein- zuderufen, wenn die Vorarbeiten für weitere Beratungen entsprechend gefördert sein werden. Wir geben euch jugleich arheim, den ständischen Ausschuß zu bemächtigen, die von Uns an denselben gelangenden Vorlagen den betreffenden Kommissionen derjenigen Kammer, in welcher diese Vorlagen zunächst zur Beratung kommen sollen, zuzuweisen und die Kommissionen hiesür, sowie zur Vorbereitung der ihnen bereits überwiesenen sonstigen Gegenstände während der Vertagungszeil inan- gemessene Thätigkeit treten zu lassen. Wir verbleiben euch mit Unserer Königlichen Huld stets wohl beigelhan. Stuttgart im Königl. Staatsministerium, den II. Juli 1895. Auf Seiner Königlichen Majestät besonderen Befehl: Mitlnacht.
Stuttgart, 13.Jult. Der hiesigen Wirts- kreisc hat sich infolge deö Projektes, in dem neuen Rathausneubau einen „Ratskeller" a 1a Gölhe-Faust einzurichten, eine lebhafte Erregung bemächtigt und sie wollen in einer großen Versammlung Protest dagegen erheben. — Wir wissen nicht, welches findige Gehirn das Ratskellerprojekt erdacht hat, aber glücklich ist es jedenfalls nicht zu nennen. Die zwei Gründe „sehenswerte Einrichtung" und „Verbreitung des guten Rufes württembergischer Weine" sind denn doch nicht stichhaltig. „Sehenswert" kann die ganze Sache bloß durch Aufwand großer Geldmittel gemacht werden und das macht sich doch etwas schlecht gegenüber dem langen Feilschen um ein „billiges" oder „teures" Rathaus. Um die Zahl derjenigen Fremden, welche in der künftigen Ratsstube die „würt- tembergischen Weine" kosten wollen, zu eruieren, wird man aber des großen Einmaleins wohl nicht bedürfen. — Es besteht übrigens, wie wir wissen, auch in den Kreisen der bürgerlichen Kollegien kein Enthusiasmus für das Projekt.
Ludwigsburg, 13. Juli. Gestern vormittag hat sich auf dem großen Exerzierplätze hier ein schwerer Unglückssall anläßlich bei bei einer Vorstellung der I. Abteilung des Feldartillerie-Regiments Nro. 29 bei einer Bewegung im Angriff von Marsch-Marsch zugetragen. Bei dem gegenwärtig staubigen Boden fuhren 2 Geschütze aufeinander auf, wobei einem Kanonier der Fuß 3fach gebrochen, einem andern einige Rippen eingedrückt wurden und sonst noch innerlich schwere Verletzungen erlitt. Zwei weitere Mann wurden leichter verletz!.
Ellwangen, 11. Juli. Für die41. Wan- derversammtung württembergischer Landwirte, welche vom 23. bis 25. d. M. in Ellwangen statlfindet, ist las Festprogramm nunmehr fcstgcstellt. Danach ist «m 23. abends gesellige Unterhaltung unter Mitwirkung des Sängerbundes und der Stadtkapelle auf dem Schloß, cvent. bei ungünstiger Witterung in der Brauerei Heinle. Am 24. soll morgens das Schloß und die Ackerbauschule besichtigt werden. Um I I Uhr beginnen in der Turnhalle die Verhandlungen, an welche sich ein
Mittagessen im Gasthof zum Lamm anschließt. Abends ist gesellige Unterhaltung im Garten der BahnhofSrestauration. Am 25. endlich soll das Hüttenwerk Wasseralfingen besucht werden.
Ulm, 14. Juli. In Neuulm beging heute das 12. daher. Jnf.-Reg.'Prinz Arnulf und die ehemaligen Angehörigen desselben die Erii'nerungsfeier an den deutsch-franz. Feldzug. Prinz Arnulf traf schon gestern nachmittags zu diesem Feste ein. Es werden gegen 4000 Veteranen erwartet. Vormittags hat eine Gedächtnisfeier am Kriegerdenkmal staltgefunden, nachmittags kostümierter Fest- zug und abends lebende Bilder aus der Geschichte des Regiments.
Freudenstadt, 12. Juli. Eine betrübende Trauerkunde traf heute vormittag von Schwarzenberg ein: der wegen feiner Freundlichkeit und Charakterfestigkeit, humorvollen Geselligkeit und seines umfangreichen, praktischen Wissens im ganzen Murgthal und weit darüber hinaus bekannte, beliebte und hochgeschätzte Gutsbesitzer Karl Frey, früherer Landtagsabgeordneter, ist nach längerem Leiden heute früh verschieden.
Kitnzelsau, 13. Juli. Der von der Kgl. Staatsanwaltschaft Hall wegen Raubs ausgeschriebene Bierbrauer Michael Johann Geschwend von Obersteinbach, O.A.Aehringen, ist durch den Landjäger in Schönthal festgenommen »nd gestern nachmittag an das Amtsgericht Künzclsau eingeliefert worden. Derselbe ist verdächtig, am 24. Mai d. I. die Helene Gebert von Sindlingen imWalde zwischen Schönthal und Roßach angefallen und ihres Geldes beraubt zu haben.
Weißenftls, 13. Juli (Großfeuer.) Das Rittergut Großjena bei Naumburg ist nieder- gebrannt, 150 Stück Jungvieh find in den Flammen umgekommen. Das Feuer wurde von Kindern, die mit Streichhölzern spielten, verursacht.
— Die Kugel von Wörth. In der Schlacht bei Wört 1870 hatte ein Soldat Namens Sander, der jetzt in Neustädtel in Schlesien als Polizeisergeant angestellt ist, eine Kugel in das rechte Bein erhalten, die bisher nicht zu entfernen war, ihn aber außerordentlich quälte. Erst kürzlich schien der geeignete Zeitpunkt zu einer Operation gekommen. Dieselbe wurde im Berliner Elisa- belh-Krankenhause ansgeführt und gelang. Jetzt ist der Mann geheilt, die Kugel will er aber als Reliquie zur Erinnerung an seine ein Vierteljahrhundcrt lange Lcidenszeit bewahren.
— Folgenschwere Fahrlässigkeit einer Kinderwärterin. Bei der Auswahl einer Kinderwärterin wird leider von manchen Müttern mit wenig Umsicht Verfahren. In Chemnitz war einer alten, geistig etwas geschwächten Frau Gaßmuß die Wartung eines Säuglings anvertraut, der durch die Hand seiner Wärterin eine schreckliche Verstümmelung zu erleiden halte. Die Frau glaubte, das Kind habe den Gummisauger verschluckt. Sie ver- suchie, denselben mit einem Messer I st) wieder herauszuziehen und schnitt dabei dem Kinde Zuge ab. Der Fall erregte in Chemnitz vor einigen Monaten außerordentliches Aufsehen und eine große Erbitterung, da man anfänglich glaubte, die Frau habe aus Rache gegen die Eltern das unschuldige Kind derartig entsetzlich verstümmelt. Wie am 10. d. M. in der Gerichtsverhandlung über den Fall festgestellt wurde, hat die Wärterin je
doch lediglich aus Fahrlässigkeit gebandelt, sie wurde daher auch nur wegen fahrlässiger Körperverletzung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Das Kind bleibt ein Krüppel. Es muß dauernd künstlich ernährt werden und wird zeitlebens der Sprache beraubt sein.
Brüssel, 12. Juli. (Schreckliche Ueber- raschung.) Ein junger Mann aus guter Familie von hier unterhielt mit einem in der Vorstadt wohnenden 20jährigen Mädchen ein zartes Verhältnis, das vor kurzem von ihm abgebrochen wurde, da seine Neigung erkaltete und sich einer andern Dame zuwandte. Mit dieser verlobte er sich in aller Form und vor wenigen Tagen fand die Hochzeit statt. Die treulos verlassene begrub ihren Schmerz in ihrer einsamen Kammer. Am Tage der Hockzeit ihres früheren Geliebten begab sie sich jedoch zu der Trauung, wohnte derselben bei und wußte zugleich das Ziel der Hochzeitsreise des jungen Paares in Erfahrung zu bringen. Dies war London. Noch am gleichen Tage reiste sie ebenfalls dorthin und nahm in demselben Gafthofc, in dem das junge Paar abgestiegen war, Wohnung und ließ sich ein Zimmer neben dem des Paares geben. Um 2 Uhr nachts begab sie sich vor die benachbarte Zimmerthür und erschoß sich mit einem Revolver. Als auf den Knall der junge Ehemann erschreckt das Zimmer öffnete, erblickte er auf der Schwelle seine frühere Geliebte als Leiche.
Magdeburg, 11. Juli. Ein hübsches Stückchen läßt die „S. Z." sich von hier berichten. Das zu Ehren des neuen Oberbürgermeisters Schneider und des scheidenden Bürgermeisters Born veranstaltete Festessen hätte bald eine unliebsame Störung erfahren. Man hatte nämlich vergessen — die beiden Hauptpersonen einzuladen.
— Der Schutzengel der Kleinen. Am Montag stürzte auf der Aspangbahn nächst der Station Möllersdorf bei Wien, als der Sturmwind eine Coupöthür aufriß, das dreijährige Söhnchen des Prinzen Alexander Salms in Obcrwaltersdorf aus dem Coups und verschwand unter dem dahinrasenden Zuge. Derselbe wurde zum Stehen gebracht und der Hofmeister des kleinen Prinzen sprang, daS schrecklichste befürchtend, aus dem Coups; da lief ihm schon der Knabe entgegen, der, abgesehen von einigen Hautabschürfungen, keinerlei Schaden erlitten hatte.
— Erbliche Treue. Ein merkwürdiger Fall von geradezu erblicher Diensttreue wird in der „Tgl. R." erzählt: Am 5. September wird die älteste Bewohnerin von Malmö, Marna Johansson 100 Jahre alt. Sie hat in einer dortigen Familie 30 Jahre lang gedient; ihre 60jährige ebenfalls verwittwete Tochter, die sie jetzt pflegt, diente früher auch bei einer Malmöer Herrschaft 30 Jahre lang ununterbrochen. Die beinahe Hundertjährige hat einen 71jährigen Sohn, seines Zeichens Kupferschmied, der seit nunmehr 60 Jahren in demselben Geschäft arbeitet, in das er mit 11 Jahren als Lehrling ausgenommen wurde.
— Eine originelle Reelame hat die bekannte Firma Kathreiners Malzkaffee-Fabriken München gelegentlich der Eröffnung des Nordostsee-Kanals in Scene gesetzt. Die Firma brachte an die zu Tausenden in Hamburg zusammengeströmtcn Fremden ein kunstvoll ausgestattetes Programm der Feier zur Verteilung, das in Farben ausgeführt, die Flaggen aller seefahrenden Nationen zeigt, ferner Abbildungen der Kaiserjacht „Hohenzollern"