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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schristleittmg: Th. Gack in Wildbad.

Nummer Z02

Fernruf 179.

Müllbsll, vienstsg, äen 28. Dezember 1920

Fernruf 179.

64. Islirgemg

Legten -s-. ;

Berlin, 27. Dez. Der Vorsitzende des Allgemeinen i Deutschen Gewerkschaftsbunds, Reichstagsabgeordneter Karl Legien, ist gestern an Magenkrebs gestorben. Legien, geboren 1. Dezember 1861 in Marienburg (West­preußen), erlernte das Drechslerhandwerk und schloß sich Mitte der achtziger Jahre in Hamburg, wo er sich nie­dergelassen hatte, der gewerkschaftlichen Bewegung der Arbeiterschaft an, die er dank seiner außerordentlichen Begabung und Willenskraft mächtig förderte. Als das Sozialistengesetz gefallen war und der deutsche Gewerk­schaftskongreß 1890 in Berlin die einheitliche Organi­sation aller freien Gewerkschaften in Deutschland schuf, wurde Legien zum Vorsitzenden der' Generalkommission gewählt und er behielt diese Stellung bis zu seinem Tode bei. Er leitete auch in den ersten Jahren das 1900 ge­gründete Sekretariat der internationalen Gewerkschaften, dem die Gewerkschaften einer Reihe europäischer Staaten und der Vereinigten Staaten sich angeschlossen hatten.

Bon 1893 bis 1898 und seit 1903 ununterbrochen gehörte Legien dem Reichstag bzw. der Nationalversamm- lung^und in letzter Zeit auch dem neugeschasfenen Reichs- Wirtschaftsrat an, der mit den Gewerkschaften Legiens Tod als einen schweren Verlust empfinden wird. Le­gien war immer bemüht, den freien Gewerkschaften der sozialdemokratischen Parteileitung gegenüber eine gewisse Selbständigkeit zu wahren.

Reichspräsident Ebert hat dem Allg. D. Gewerk­schaftsbund und dem Reichswirtschaftsrat seine Teilnahme an dem Verlust des verdienstvollen Vorstands und Mit­glieds schriftlich ausgedrückt.

° Der frühere langjährige Reichstagsabgeordnete, Ober­landesgerichtsrat a. D. Hermann Roeren, ist im Al­ter von 76 Jahren gestorben. Roeren gehörte zu den Führern der Zentrumspartei. Bekannt ist sein Zusam­menstoß mit dem damaligen Kolonialdirektor Dernburg am 3. Dezember 1906 im Reichstag, der zur Auflösung des Reichstags am 13. Dezember und zur Bildung des Bülow-Blocks führte.

Die Wirtschaftslage Ungarns.

Der Würgcrfrieden von Versailles, St. Germain, Neuilly, Sevres und wie sie alle heißen, hat aus blü­henden Nationen natürlich nur im Interesse des Welt­friedens und der Gerechtigkeit bettelarme Völker ge­macht, so zwar, daß es schwer fällt, zu sagen, welches von den vier Mitgliedern des ehemaligen Kriegsvier­bunds am schwersten getroffen ist. Von Ungarn glaubte man, daß es vermöge seiner reichen Erzeugung von Le­bensmitteln am ehesten sich wieder aufraffen könne, allein auch dieses Land ist ins Mark seines Daseins ge­troffen, wie die Beschreibung eines Wirtschaftspolitikers, der Land und Leute in Ungarn genau kennt, ersehen läßt.

Das Königreich Ungarn zählte vor dem Krieg etwa 20r/s Millionen Einwohner, jetzt hat cs noch etwas über 6 Millionen. Die Ausgaben des verkleinerten Ungarn betragen stündlich 2 300 000 Kronen, die Einnahmen 1200 000 Kr onen, so daß Ungarns Schulden von Stunde zu Stunde einen Zuwachs von 1100 000 Kronen er­fahren, wovon durchschnittlich jeder Familienerhaltcr im Land jährlich 10432 Kronen (über den sonstigen Le­bensbedarf) zu tragen hat. Die Schuldenlast Ungarns beziffert sich auf 57 Milliarden Kronen, 17 1/2 Milliar­den neue Kredite sind zuzuzählen. Dazu kommt, daß die ungarische Valuta einen Tiefstand erreicht hat, der als Tiefrekord unter allen Wechselkursen der Welt zu bezeichnen ist. Ungarn hat allein durch die rumänischen Verschleppungen 73 Milliarden Kronen von seinem Na­tionalvermögen verloren. Die Hauptsorge des Landes bildet der Mangel an Kohle. 15000 Tonnen monat­lich verfügbarer bester preußisch-schlesischer Kohle sind zu gering, um auch nur den dringendsten Bedarf von Un­garns Wirtschaftsleben und Haushaltungen zu decken. Ohne Gaskohle, ohne Koks, müssen seit zwei Jahren fast «Ne Hochöfen und Industrien feiern. Vom Bür­ger werden für Heizkohle aus Preußen 800 Kronen für den Zentner angelegt. Das den Fabriken zuflie­ßende Rohmaterial beträgt bloß 5 v. H. des früheren Betrags.

Begünstigt von so viel Beengung schreitet die Ueber-

fremdung hes LanveS Wetter fort. Die Gegenstand des staatlichen Monopols bildenden Schürf- und Bergwerks-/ rechte für Mineralöl, Erdgas und andere Mineralölarten wurden auf einen unter Führung der Londoner Firma D'arcy Exploration Co. Ltd. stehenden Ring übertragen. Die Errichtung großer elektrischer Anlagen von Passau bis zum Schwarzen Meer zur Ausnützung der Donau- Wasserkräfte plant mit der Trust Vereinigte Elektrizitäts­werke A.-G. französisches Kapital. Eine französische Finanz-Gruppe für Badeorte, in deren Bereich schon Ostende, Trouville, Wiesbaden und Constanza gehören, legt in der Budnpester Margareteninsel 300 Millionen an. Mit 100 Millionen Lei werden die Salgotarjaner Kohlenwerke nicht eine rumänisch-ungarisch-französische Aktiengesellschaft verwandelt. Es gibt in Ungarn kaum mehr eine Bank, die nicht mit Cuteutekapital verknüpft wäre. Beachtenswert ist jedenfalls, daß in breiten Schichten sich Widerstand gegen die cntentesreundliche, besonders aber gegen die mehr und mehr enttäuschende französische Orientierung geltend zu machen beginnt.

Zuletzt sind sämtliche Dinge wieder von einer neuen großen Teuerungswelle ergriffen worden, zu der Löhne und Gehälter in einem immer ungünstiger werdenden Verhältnis stehen. Selbstmorde aus Not treten massen­weise auf. Bis zu welchen Ungereimtheiten die Entwer­tung der Krone geführt hat, dafür kann sprechen, daß ein Paar Wagenpferde sch-m 160180 000 Kronen, ein Paar Lastpferde 140160 000 Kronen kosten. Bei einer Auktion gingen 80 einjährige Vollblutfohlen für 10 Mil­lionen ab, eines für 520 000 Kr., fünf haben je 300 bis 400 000 Kr. erzielt. Zwei Nilpferd-Junge, Nachkom­men eines im Budaprster Zoo an den Verpflegungsfchwie- rigkeiten eingegangenen Flußpferdes, sollen von Karl Hagenbeck für die Bagatelle von 44 Millionen Kr. übernommen werden und dieser Erlös soll zur Deckung des Ausfalls der Hauptstadt dienen, so daß die vorge­sehen gewesene Erhöhung der städtischen Steuern von 45 auf 65 v. H unterbleiben darf

Die Entschädigung der 2tzrslandsdeutfchen.

Die Ausländsdeutschen, deren Besitztum von den feind­lichen. Staaten eingezogen worden ist und die nach dem Friedensvertrag vom Deutschen Reich dafür entschädigt werden müssen, haben, wie berichtet, in letzter Woche in Berlin gegen die Verzögerung ihrer Ansprüche Wi­derspruch erhöben. In den Reichshaushaltplan für 1920 sind wohl als erste Rate 7Vs Milliarden Mark dafür eingestellt, allein diese Summe müßte in Papiergeld bezahlt werden, das erst noch angefertigt werden müßte, ebenso wie die Entschädigung von 25Vs Milliarden Mark, die das Reich den deutschen Reichsangehörigen auszah­len muß, die nach dem Friedensvertrag Material aller Art auf Rechnung der Wiederherstellung an Frankreich usw. liefern. In der finanziellen MonatsschriftDie Bank" schreibt dagegen der Herausgeber A. Lans- burgh, es sei nicht zu begreifen, warum das Reich diese 33 Milliarden in Papiergeld zahlen wolle, wo­durch die Papierflut nur gewaltig erhöht und die Va­luta weiter gedrückt werde. Solche Forderungen dürfe man nicht einem Jahr zur Last legen, in dem sie zufällig einkassiert werden, sondern man müsse sie auf eine längere. Reihe von Jahren verteilen d. h. auf Anleihe» übernehmen. Da allerdings der gegenwär­tige unzulängliche Staatskredit einer Reichsanleihe keine günstigen Aussichten eröffne, so müßten die Entschädi­gungsberechtigten selbst in Anleihe abgefunden wer­den, und es müsse ihnen überlassen werden, ob sie die Anleihe behalten oder verkaufen oder bei Ban­ken, Darlehenskassen usw. lombardieren (verpfänden) wol­len. Der Reichshaushalt werde so um einige Dutzend Milliarden entlastet. Ob die Entschädigungsbe-' Ach­ten damit einverstanden sein werden, ist allerdin andere Frage, der Verlust, den sie durch Verkauf oder Lombardierung ihrer Anleihen erleiden würden, mußte dann auf die Entschädigungssumme geschlagen werden.

Nach den Mitteilungen des deutschen Sachverständigen auf der Brüsseler Besprechung, Dr. Karl Melchior, ergibt sich bei vorsichtiger Prüfung der von den Aus­ländsdeutschen durch die Kriegsmaßnahmen der feind­lichen Staaten ihnen verursachten Verluste folgende Auf­stellung:

En gl an d und Kolonien §twa 5 Milliarden Gold­mark, wovon etwa 700 Millionen Vorkriegsforderungen.

Frankreich und Kolonien etwa 3 Milliarden Gold­mark, wovon 340 Millionen VorkricgSsorderungen.

Belgien über 1 Milliarde Goldmark, wovon 132 Millionen Vorkriegsforderungen.

Italic n etwa 600 Millionen Goldmark, wovon 141 Millionen Vorkriegssorderungen.

Japan etwa 6? Millionen Goldmark.

Alle Verbündeten zusammen etwa 12,337 Milliarden Goldmark einschließlich der Vorkriegsschulden.

Andere frühere Feinde:

Rußland 5864 Millionen Goldmark.

Vereinigte Staaten 4 Milliarden Goldmark.

Alles zusammen 22,201 Milliarden Goldmark.

Sonach ivürde, wenn die sämtlichen von den feind­lichen Staaten eingezogenen Güter deutschen Besitzes nicht mehr zurückgegeben würden, dem Deutschen Reich eine Entschädigungspflicht von 220 Milliarden Papier obliegen, und wenn auch nur die auf der Brüsseler Konferenz vertretenen Verbün­deten, England, Frankreich, Belgie n und Japan auf der Beschlagnahme verharrten, so ergäbe sich immer noch eine Verpflichtung von über 9 Milliarden Goldmark oder nach dem heutigen Kursstand etwa 95 Milliarden Pa­piermark, eine Summe, die Deutschland neben den un­mittelbaren Forderungen des Verbands unmöglich mehr ausbringen kann.

Neues vom Tage.

Dank für die Auslandshilfe.

Berlin, 27. Dez. Der Reichskanzler veröffentlicht ein Dankschreiben des Reichspräsidenten an die auslän­dischen Staaten, von denen in letzter Zeit namentlich Deutschlands Kinder hochherzige Werke der Nächsten­liebe erfahren haben, vor allem von Dänemark, Finn­land, Holland, Norwegen, Schweden und der Schweiz. Das Dankschreiben gedenkt besonders der großzügigen Hilfstätigkeit der Ouäker und anderer Kreise in den Vereinigten Staaten. Auch von Südamerika ist reiche Hilfe gekommen; so hat jüngst ein Kreis von Damen in Chile 150 000 Mark bersandt-

Ein bedeutsamer Rücktritt.

Berlin, 27. Dez. Der Ministerialdirektor iin Aus­wärtigen Amt Schüler ist zurückgetreten. Schüler hatte die wichtige Personal-Abteilung unter sich und er war bemüht, in die diplomatischen Aemter lauter neue Män­ner hineinzubriugen. Dabei unterliefen ihm allerdings auch Mißgriffe, wie die Wahl Beerenbe rg s zum Botschafter in Rom. Auch wird ihm verübelt, daß er zu viele neue Bcamp »stellen geschaffen habe. Im übrigen gilt Schüler für einen der tüchtigsten Beamten, der Wohl oem Reichsdienst nicht verloren gehen wird.

Württemberg und Hohenzollern. '

Hechingen, 27. Dez. Die Handelskammer Hohen­zollern hat sich wiederholt mit der Frage der Lostren- nung Hohenzollerns von Preußen und des Anschlusses an Württemberg befaßt. In der letzten Sitzung sprach sich der Vorsitzende R. L e v i-Hachingen entschieden ge- Anschluß an Württemberg aus, das durch seine Maßnahmen in der Zwangswirtschaft gegen Hohenzol­lern einen wenig freundlichen Standpunkt eingenommen habe. Fabrikant M e y e r - Karlstal redete dagegen ent­schieden dem Anschluß das Wort, der eine wirtschaftliche Notwendigkeit und im Interesse des Landes sei. Die Versammlung stellte sich schließlich auf den Standpunkt, daß die Frage erst spruchreif werde, wenn es zu einem Zusammenschluß Württembergs und Badens komme. Unbegrenzte Besetzung.

Paris, 27. Dez. Tardieu hatte in der Kammer behauptet, Frankreich sei an die Abmachungen des Frie­densvertrags über eine 15jährige Dauer der Besetzung der Rheinlande nicht mehr gebunden und könne die Be­setzung unbegrenzt verlängern, da das französisch-enK- lisch-amerikanische Militärbündnis von den beiden an­dern Staaten auch nicht eingehalten und genehmigt worden sei. DasEcho de Paris" weist nach, daß diese Schlußfolgerung im Friedensvertrag nicht begründet sei. Das Blatt stellt aber die Frage, ob etwa nicht Cle- menceau damals von Lloyd George und Wilson geheime Zusicherungen über daS unbegrenzte Besetzungsrecht er­halten habe.