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(Enztalbote)

Amtsblatt für Wildbad. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad.

Kummer 264 Fernruf 179. 1z? i l ä b 9 ä , kresilag, äen 12. November 1920. " Fernruf 179. 54. Isiirgsng

Das europäische Nohstoff!amd.

Ein Deutscher in Riga, der noch unter der Zareuherr- schaft in Rußland gelebt hat und auch das heutige Svw- jetrußland durch seine Berufstätigkeit und weite Reisen kennt, schreibt aus Anlaß der angeblichen russischen An­käufe! °t»on Eisenbahnmaterial und landwirtschaftlichen Maschinen in Deutschland:

Heute richten sich mehr denn se die- Blicke aller west­europäischen und überseeischen Wirtschaftskreise aus das Lalnd, das >vvn jeher als das größte Rohstoff­lager für die Industrie und als der aufnahme­fähigste Absatzmarkt für die heutigen Jndustrie- erzeugnisse gegolten hat. Tatsache ist jedenfalls, daß Eu­ropa auf die Dauer ohne die wirtschaftlichen Hilfsquellen Rußlands nicht gnt auskömmen kann.

Nachdem der Friede zwischen Sowjet-Rußland und Lettland ratifiziert worden war, sind die diplomati­schen Beziehungen wieder ausgenommen worden. ^ Ter russische Mgesandte, Genosse Fürstenberg-Hanetzky, ist bereits in Riga eingetrofstn mit einem ganzen Stab von Mitarbeitern, darunter einer Hgndelsabordnung, wie sie die Sowjet-Regierung zu Dutzenden nach Westeuropa geschickt hat. Als ich mich über die weiteren Pläne die­ser Leute unterrichten wollte, wurde wiederholt be­tont, daß ihre Hauptaufgabe darin bestehe, direkte Han­delsbeziehungen zwischen Lettland und Rußland anzu- küüpsen und den Trausithandel zwischen R,ußlaud und Deutschland in die Wege zn leiten. Rußland be­nötige in erster Linie rollendes Eisenbahnmaterial, land­wirtschaftliche Maschinen und Geräte, Werkzeuge, Kleider­stoffe, Leder usw. und hoffe, das alles aus Deutsch­land' beziehen zu können. - Auf meine Frage, womit denn Rußland diese Waren bezahlen wolle, wurde mir die Antwort zuteil, daß es sowohl mit Gold wie auch mit Rohstoffen bezahlen könne. Rußland werde Lett­land seine Rohstoffe liefern und für die in Lettlands Fabriken hergestellten fertigen Erzeugnisse der alleinige Abnehmer werden, so daß Lettland getrost den Kampf mit jeder Konkurrenz werde aufnehmen können. In dieser Weile ging es weiter, bis ich die Frage vorbrachte, woher denn aber Rußland das Gold und die R o h- stoffe nehmen werde. Tie Antwort lautete, daß Ruß­land .noch einen sehr großen Golavorrat besitze und daß die Bergwerke alljährlich eine sich immer mehr vergrößernde Menge- von Gold abwürfest. Auch an Rohstoffen sei kein Mangel, denn die natürlichen Hilfs­quellen RuUands seien unerschöpflich. Wenn man das alles nicht sogleich realisieren könne, so seien daran eben nur die Transportschwierigkeitcn schuld. Für einen Nichtkenner russischer Verhältnisse mag das alles ganz plausibel klingen, wer aber, wie ich selber, die letzten Jahre in Rußland gelebt, und den ganzen Niedergang mitgcmacht hat, der läßt sich nicht täuschen.

Erstens die Gold Vorräte. Diese sind stark zu­sammengeschmolzen und nehmen rapid ab, denn die Weltrevolntionspropaganda, an der Tausende von Agenten arbeiten, bat Unsummen Goldes verschlungen und verschlingt täglich noch mehr. Ferner sind Rie­sensummen im Ausland in Sicherheit ge­bracht worden, um die jetzigen Machthaber und ihre Angehörigen im -Fall des russischen Fiaskos ,,auf ihre alten Tage" vor ,,Not und El md" zu schützen. Unendlich viel ist auch von verschiedenen Kommissionen gestoh­len worden, die mit dem Gold das Weile gesucht haben. Das in Sowjet-Rußland kein Geheimnis. Auch die Behauptungen in betreff der Bergwerke sind un­wahr, Tie GoldgrubenprodukUon ist nicht nur nicht ge­hoben worden, sondern derart gesunken, daß die Be­triebsunkosten nicht mehr gedeckt werden können. Laut amtlicher bolschewistischer Angabe hat Sowjet-Rußland in der ersten Hälfte dieses Jahrs in seinen Bergwer­ken 68 Pud 9 Pfund 13 Solotnik Gold und 19 Pud ^6 Pfund 87 Solotnik Platin zutage gefördert. Es sollte eine chemische Fabrik zum Umschmelzen des Gol­des errichtet werden, doch da die örtlichen Behörden die Anordnungen der Zentralbehörde nicht befolgen, so wurde aus dem Plan nichts und d a s meiste Gold sei in­zwischen g stöhlen worden! Im vorigen Jahr hätten noch 19 Gotdbcrgwerke gearbeitet, in diesem Jahr aber nur noch vier. Zur Umrechnung sei ange­führt, daß 1 Pud 40 Pfund und 1 Pfund 96 Solotnik enthält und das Pfund gleich 400 Gramm ist. Tie Geldnot, des Lan des ist so groß, daß. man im Ausland

die Schmulljachen und Brillanten der Zarenfamilie zu Geld macht, nachdem weniger kostbare Sachen, die man in den Bankschließfächern und Privatschatullen der Ari­stokratie und Hochfinanzgefunden" und in den Ohr­läppchen, an den Fingern, an den Armgelenken, auf der Brust und in den Taschen der sonstigen Sterblichen Rußlandsentdeckt" hatte, bereits den Weg alles Goldes gegangen waren. Man spricht ab und zu von einen beabsichtigten Rückgabe des 'rumänischen Gold­schatzes, der sich in Moskau befinden soll, ich be­zweifle aber sehr, daß es dazu kommen wird. Dieser Goldschatz wird zurückgegeben werden, ob es aber gerade Rumänien sein wird, das als Empfänger fungieren wird, das ist fraglich. Meiner Meinung nach wird der Empfänger derallgemeine Geldverkehr" sein.

Und nun zur Roh stv ffrage. Das ist die heikelste und gerade die, von der sich die ganze Welt täuschen läßt. Rußland ist heute zu arm, daß cs .überhaupt keine Rohstoffe von Belang auf den Weltmarkt werfen kann. Um Rohstoffe liefern zu können, muß man sie erst in genügender Menge "produzieren. Man muß darin einen Ueberschuß erzielen, Penn nur da, wo eine Ueberproduktion ist, kann an eine Ausfuhr gedacht werden. In Rußland ist aber keine Ueberproduktion, sondern eine erschreckende Unterproduktion, die den eigenen Bedarf schon lange nicht mehr zu decken ver­mag. Und das wird von Wockie zu Woche schlimmer, joeil Rußland sogar seine Produktionsmittel aufbrauchr. Drei Jahre lang hat es von seinen Vorräten gezehrt, drei Jahre lang ist nichts hinzu gekommen, woher sollen denn die Waren kommen? Rußland ist heute ein Land, das in der Kultur nicht vorwärts schreitet, son­dern -das auf der ganzen Linie dem Urzustand der Menschheit zutreibt. Am deutlichsten sieht man das im Handel, da ist an Stelle der- Geldwirtschaft die Ncm turalwirtschaft getreten. Ter Handel ist zum Tausch­handel geworden. Im Privatleben merkt man es auch bereits, wie tief man heruntergekommen ist: von der Elektrizität und Gas auf Petroleum, von Petroleum auf Kerzen, von Kerzen auf primitive Oeldochte und sogar -auf den Kienspan. Die Industrie ist vernichtet, man hat zum Handwerk zurückgreisen müssen. Dieses hat aufhören müssen, weil ein Mangel an Werkzeugen ein­getreten ist. Jetzt wird auf dem primitivsten Wege nur das hergestellt, was jeder selbst braucht. Von der Eisenbahn ist man aufs Fuhrwerk gekommen, vom Fuhrwerk aus Schusters Rappen. .Am schlimmsten sieht es in der Landwirtschaft aus, besonders auf den früheren Großgütern. Ta hat das Sowjet- Regime den letzten Rest jeder Ordnung total vernichtet und die stellenweise hochentwickelte Kultur zugrunde ge­dichtet. Das lebende Inventar ist verschleppt und ver­schachert worden, die Bibliotheken und Möbel in den Landhäusern und Schlössern sind verheizt, desgleichen die Baumschulen, die prachtvollen, uralten Alleen abge­holzt, die Parks in Viehweiden verwandelt, die Melio­rationsanlagen zerstört, mit einem Wort jeder Kult'urwert ist asiatischer Barbarei zum Opfer gefallen. Tie von der Regierung ins Leben gerufenen landwirtschaftlichen Kommunen sind glänzend verkracht und jetzt sieht sie sich veranlaßt, alles Land den bäuerlichen Gemeinden zu übergeben, damit diese eine Landverteilung an die Bauern vornehmen. Weit wird man auch damit nicht kommen, denn die Bauern­wirtschaft in Rußland hat auch in Friedeuszeitcn nichts gegeben, sondern bloß die großen Privatgüter. Und da nun an Stelle der früheren landwirtschaftlichen Ma­schinen die primitiven Arbeitsmittel, wie die Sichel, der Dreschflegel usw., getreten sind, so kann man sich leicht ein Bild machen, was die Landwirtschaft und die mit ihr im Zusammenhänge stehenden Nebcnzweige Her­vorbringen werden. Hier ist eben absolut nichts zu erwarten.

Und doch, wenn man das in Betracht zieht, daß heut­zutage nur die Bauern Lebensfähig sind, die übrige Be­völkerung jedoch bloß noch vegetiert und unter den jetzigen Verhältnissen todsicher zugrunde gehen Muß, dann ist doch die Frage berechtigt, woher sollen die Rohstoffe kommen, auf die die ganze Wxlt so begierig ist. Ruß?- land ist heutzutage ein Land, wo nur das produziert wird, was die Natur selbst bietet und was sich jeder selbst verfertigen kann, also genau ein primitiver Urstaat, der keine Kultur mehr kennt. Rußland kann nur von außen Hilfe kommen; wird es sich selbst überlassen, daun

Mütze auch die Mög'ichkeit eines anderen Berteklungs^ Verfahrens und gegebenenfalls eine stärkere Heranzie­hung des Handels 'ins Auge fassen. Ter Neichsregie- rung sei bekannt, daß m: der holländischen Grenze ein lebhafter Schmuggel startfinde. Es stünden Banden an.der holländischen Grenze, die zum Teil mit Waffen­gewalt austreten. Tie Rheinlandkommisjion hat sich des­halb mit der Bewaffnung von 75 Mann mit Karabinern und Revolvern einverstanden erklärt, die die eigentlichen mit der Grenzkontrolle beauftragten Organe unterstützen. Ware, die ohne Einfuhrbewilligung eingeführt wird, wird ohne Entschädigung für verfallen erklärt. Vom Reichs- ernährungsministerium seien verschärfte Strafbestimmun­gen für unerlaubte Ausfuhr lebenswichtiger Gegenstände geplant. --

Milchkühe aus Am rika.

Tr. Schultze schreibt in derDeutschen Tagesztg.": Es ist jetzt viel von den amerikanischenMilchkühen die Rede, die man uns schenken will. Meines Erachtens ist bei der Annahme dieses Geschenks große Vorsicht ge­boten. Ich war 19011902 in Rhodesia (Südafrika). Cccil Rhodes, nach dem dies Land benannt ist, war sein großer Gönner und auf seine Veranlassung wurden von 'Australien 2000 Stück Rindvieh nach Rhodesia ge­schickt, um den dortigen Viehbestand zu verstärken. Kurz nach Ankunft dieser Tiere, die in verschiedenen Camps untergcbracht wurden, brach unter ihnen eine bi? dahin in Südafrika unbekannte Viebkrankhsit aus, die reck water korm genannt wurde/weil der Urin eine rötliche Färbnna zeigte. Das von Australien eingesührte Vieh rst keine Hoffnung vorhanden, in absetzbarer Zeit von da Rohstoffe zu beziehen. Um aber diese zu bekommen, muß sich erst ein Systemwechsel vollziehen, denn ein Land, in dem das Privateigentum abgeschafft ist und wo individuelle Arbeit nicht zugelassen wird, das wird nie in der Lage sein, Mehrwerte zu erzeugen. Wer auf Rohstoffe aus Rußland hofft, wird nur bittere Ent­täuschungen erleben. i

Die Nahrunßsrmttelver' n .

Berlin, 10. Nov. Im Hauptausschuß des Reichs­tags machte Reichsernährnngsminister Tr. Hermes fol­gende Mitteilungen: Wie die Zwangswirtschaft, die meist nur noch auf dem Papier stand, so soll auch die in der Hand der Reichsbehörden liegende Wareneinsuhr mehr und mehr gelockert werden. Mit senfrüchten und Roh- käkao sei der Anfang gemacht. Dadurch werde sich das Augebdt heben, wie es sich bei Gemiffe und Obst gezeigt. An inländischem Getreide waren bis zum 8. Novem­ber abgeliefert: in den Jahren 1918 1908000, 1919 1032 645, 1920 622 073 Tonnen. Dabei ist zu beach­ten, daß in dem Ablieferungsjahr 1918 Bayern und die besetzten Gebiete eingtschlossen sind. Die selbst wirt­schaftenden Kommnnalvcrbände dürften etwa 1,2 Millio­nen Tonnen beschlagnahmt hoben. Die Landwirtschafft muß ihrer Ablieferungspflicht stärker Nachkommen. Die Landesregierungen sind aufgefordert worden, für eine stärkere Ablieferung einzntreten. In einer Neufassung der Reichsgetreideordnung sollen auch härtere Stra­fen eingeführt werden für Schwarz mahlen, vor allem aber für Verschiebungen ins Ausland. Von dem Einfuhrpvogramm von 2,5 Millionen Tonnen Auslandsgetreide ausschließlich Strcckungsmais sind heute bereits gekauft 902 000 Tonnen, sodatz noch 1,6 Mil­lionen Donnen im Ausland zu kaufen sind. Der Ge­samtbestand der Reichsgctreidestelle bezifferte sich am 30. Oktober auf 363 OM Tonnen. Die Äommunalverbände sind bis zum 15. November versorgt. Für die Zeit vom 16. November bis 15. Dezember sind bereits IM 000 Tonnen überwiesen. Unter Zugrunüegung eines inländischen Tageseingangs von 200 Tonnen und eines Tageseingangs in Auslandsgetreide von 10000 Donnen würde sich am 31. Dez. ein Bestand von 950000 Donnen ergeben. Die Brotversorgung wäre dann bis Mitte März sichergestellt. Bei Zucker müsse die Bewirtschaf­tung beibehalten werden. Ter Ertrag an Zuckerrüben sei gestiegen. Es sei ein unerträglicher Zustand, daß wir große Lager an Düngemitteln hoben, daß aber die Aecker leer seien. Eine einfache Verbilligung sei nicht möglich, weil keine Gegenleistung vorhanden sei. Man müsse beim Stickstoff einen ähnlichen Weg in Aussicht nehmen wie beim Kali, und die Gewinne der Aus­fuhr für eine Verbilligung im Innern benutzen. Man