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WildbaL. Chronik und An-eigendlatt für das obere Enztal.

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Sack in Wildbad.

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^smmer 255

Fernruf 17S.

Etwas über Indien.

Ein verfehlter deutscher Feldzugsplan.

In Deutschland konnte man es vielfach nicht verstehen, daß das Riesenvolk der Inder im Weltkrieg die nach englischem Eingeständnis mehrmal >Aun Verzweifeln nahe Bedrängnis des britischen Weltreichs nicht benützt hat, um das schwere Joch abznschütteln. Nachstehender Be­richt, den der bekannte Konsul Bruno Vassek der Deutschen Tageszeitung" gibt, bringt eine Aufklärung, die in mehrfacher Hinsicht von großem Interesse ist:

Es ist gewiß, daß der gebildete Inder der englischen Herrschaft müde ist und feinem Land die vollkommene belbständigkeit wünscht. Vielfach bich ich einein aus­gesprochenen Haß gegen die Engländer begegnet, und zwar auch dort, wo man es kaum vermuten sollte, bei indischen höheren Beamten, deren ganze Existenz von dem englischen Sirka, d. h. der englisch-indischen Regie­rung abhängt. Der Grund des Hasses ist wohl das na­türliche Gefühl eines denkenden MeHcheN, der sich be­wußt ist, einer aufgezwungencn fremden Regierung unter­tänig zu sein. Es ist der verletzte Stolz des Freien einem Bedrücker gegenüber, und der gebildete Inder fühlt diese Erniedrigung sehr stark. Besonders der Großgrund­besitzer, die großen Fürsten und kleinen Radschas, die sich nicht einmal ein Jagdgeivehr kaufen können, ohne die Zustimmung der englischen Polizeibehörde, ferner die Rechtsanwälte und Notare, denen ihre englischen Kolle­gen immer zu verstehen geben, daß sie strotz des glei­chen Titels und oftmals größeren Könnens als weit unter ihnen stehend betrachtet werden. Ter gebildete Inder würde es mit Freuden begrüßt haben, wenn der Ausgang des Kriegs ein anderer geworden wäre und das Land dadurch seine Selbständigkeit erlangt hätte. Eine Ausnahme bilden >Rrr die Parsis oder Par.en, eine religiöse Gemeinschaft, deren Anzahl (90 000) bei der Bevölkerungszisfer Indiens (3 >0 000 000) aber nicht ins Gewicht fällt. Tiefe Parsen, Nachkommen eines aus Persien vertriebenen Stamms, scheinen nur ein In­teresse in der Welt zu haben: Geld anzusammeln, ein Trieb, der bei ihnen geradezu sprichwörtlich ist. Für sie würde eine Umwälzung der Regierung ihre Sonder­stellung und ihren Geldbeutel gefährden, und deshalb sind sie den Engländern hold.

Neun Zehntel der Bevölkerung Indiens lebt von der Landwirtschaft. Industriearbeiter findet man in größe­ren Ansammlungen nur in den großen Städten: Kal­kutta, Bombay, Karachi, Madras, Cawnpor, Delhi. Alle diese Arbeiter sind aber. sehr ungebildet und kümmern sich so wenig wie möglich um Politik. Ihr Interesse beschränkt sich einmal auf das Bestreben, das zum nackten Leben Notwendige zu verdienen, und zum zweiten, ihre keele für das Leben nach dem Tod würdig vorzuberei­ten, Verschafft man ihnen diese Gelegenheit, so sind sie friedlich und es ist ihnen ganz einerlei, wer sie re­giert, Engländer oder Inder. Sie aus d.eser politischen Gleichgültigkeit aufzurütteln, haben sich die gebildeten, ihr Vaterland''liebenden Inder alle erdenkliche Mühe gegeben, aber alles war vergeblich, bis der Weltkrieg kam und die Engländer unfreiwillig den Aufrührern zur Hand gingen, indem sie das Volk unzufrieden machten durch! ^riegssteuern und Kriegsanleihen. TiePolitical Agents", die den indischen Fürsten zugeteilt.'ü Berater, m Wahrheit englische Aufpasser, erzwangen durch ver­steckte Drohungen enorme Geldsummen von den Maha­radschas, Radschas und anderen. Ans ähnliche Weise wurden die indischen Beamten gezwungen, gegen ihren Willen Geld zu geben. Sie taten es, aber der Haß gegen hie Bedrücker wurde dadurch genährt. Ter kleine indische. Landwirt, die überaus arme Bevölkerung, von denen die meisten nur gerade genug Land besitzen oder pachten, um das für sie und. ihre Familien notwendige Getreide usw. zu bauen, kamen der Au forderuug der mit der Anleihe beauftragten Beamten nicht nach. Nun be­ging die englisch-indische Regierung den Feh.er, daß sie gewaltsam Sondersteuecn zur Deckung - ec Kriegski,>en em- führte und diese rücrfichtscos eiutricb. Dadurch wurde der sonst gleichgültige indische Bauer p.ötztich zum po­litisch denkenden Menschen und empörte sich gegen chre ihm ungerecht erscheinende Abgabe. Genutzt hat es ihm. nichts, denn mit bewaffneter Gemalt unterdrückte der Engländer jede Agitation und nahm, was er für- lig erachtete. Seit dieser Zeit gart es aber im ganzen Land; in den großen Städten gewinnt die Bo.st. tierung enülüLLr Waren imme r mehr an Ausdehnung._

Viläbaä, Dienstag, äen 2. November 1920.

Feimruf 17S.

54. derbrgemg

Dies war die Stimmung gegen Enoc des Jahres 1919, und ein für Ten-schlano günstiger Ausgang des Kriegs hätte dem Faß den Boden ausgcsclstagen und eine allgemeine Empörung hervorgbrufen. Diese hätte sich aber nicht, wie deutsche Phantasten annehmen, mit 'Waffengewalt durchgesrtzt, soudccn durch passiven Wider­stand, Boykottierung alles Englischen, Slrerks, Steuer- Verweigerungen usw. Mir ist es noch heute unverständ­lich, wie man in Ten s.hlauö zu Anfang des Kriegs so große Hoffnung auf ci ie Empörung des inc.schcn Volks, auf eine gewaltsame-Erhebung und Besremug des Lands mit Waffengewalt seitens de,.- bedrückten indstchen Volks setzen konnte. Ist es denn der deutschen Regierung da­mals nicht bekannt gewesen, daß die englische Regierung jede Waffeneinfuhr nach Indien schon ;ei: dem Jahr 1857 mit allen Miltem verhindert hat!. Man mag der Meinung gewesen sein, daß doch das indische Militär Waffen besaß und vielie'.ch zu bewegen gewesen wäre, an einem Aufstand gegen d e Engländer lei zune-Men. Aber dabei hat man übersehen daß in ganz Indien nicht eine Munitionsfabrik zu finden ist, und daß die Kontrolle über die von England für das indische Heer beschaffte Munition eine sehr genaue ist. Die Geschütze werden nur von englischen Soldcuen, nie von Indern bedient. In einem Aufstand könnten also -Inder Geschütze gar nicht bedienen.

- Unerklärlich ist mir ferner, w-e man in Deutschs land damit rechnen konnte, ein wenn auch noch so kleines Heer über Mesopotamien, durch Persien und Afghanistan oder Belutschisian entsenden zu wollen. Wer ms Land könnt, weiß, daß es eine Unmöglichkeit ist, dies auszuführen. Hunderte von Meilen weit ist das Land gänzlich wasserarm, teilweise Wüste. Selbst den Fall angenommen, daß eine bescheidene Anzahl Sol­daten doch bis Afghanistan durchgedrungen wäre, so hät­ten sie niemals ohne schwere Artillerie, Flieger und moderne Kriegsmittel die überaus stark befestigten we­nigen Plätze des Gebirges überschreiten können. !

Prinz Reuß, der Gesandte in- Teheran, und'sein Nachfolger Dr. Vassek haben die deutsche Regierung voll der' Unausführbarkeit dieses Feldzugs durch Per­sien nach Afghanistan zu überzeugen versucht, aber gegen beider Rat hat man den Versuch dennoch unternom­men. Ter Erfolg war voranszusehen, die Expedition brach kläglich zusammen, und die wenigen Offiziere der N i ed e rm a y c rsch en Expedition, die tatsächlich mit einem Ehrcnsäbel und anderen kleinen Geschenken für den Emir von Afghanistan in Kabul anlangten, waren dort kaltgestellt, denn mit einem Ehrensäbel allein kann man nicht erwarten, ein Land und seinen Herrscher zu beeinflussen, einen Krieg gegen Indien und die Engländer zu beginnen. Wäre sie mit einem Heer von nur 15 000 Mann Deutscher, gut ausgerüsteter Truppen, mit Fliegern, schweren Geschützen usw. in Afghanistan eingezogen, so hätte der Emir losgeschla- gen, und in ' diesem Moment wäre auch An großer Teil Indiens, besonders der Punjab und Rafpntana, in Hellen Aufruhr ausgebrochen.

Ich komme nun zu der Frage des Bols chewis- mus und seinen möglichen Aussichten in Indien. Die­ses Land ist wohl wie wenige andere Länder geeignet zur Ausnahme bolschewistischer Ideen. In Indien gibt cs nur Arme und ganze Reiche. Zu letzteren gehören die Hunderte von Fürsten, Großgrundbesitzer, reich gewordene Rechtsanwälte und ^Wucherer. Alle diese Reichen ha­ben ihren Besitz in großen, teilweise riesigen Lände­reien sowie in Gold und Edelsteinen angelegt. Sie denken gar nicht daran, ihre Ländereien selbst zu be­wirtschaften, sondern ziehen einen weit bequemeren 'Weg vor, sie äußerst rentabel zu verwerten. In ganz llei- uen Parzellen verpachten sie das Land au die Bewohner der Dörfer. Der Pnchtpreis ist so hoch, daß. dein klei­nen Pächter bei guter Ernte gerade genug bleibt,'da­mit er mit seiner Familie von dem Ertrag seines Pacht- fclds in den ärmlichsten Verhältnissen leben kann. Kommt eine. Mißernte, die ja in Indien keine Seltenheit ist, so muß er, uni im nächsten Jahr sein Land wieder be­bauen zu können, Geld borgen. Dadurch gelangt er in eine sklavische Abhängigkeit von seinem Geldgeber und arbeitet sein ganzes Leben lang nur noch siit' ihn. Seine Bedürfnisse sind sehr bescheiden, und nur so ist es zu erklären, daß er und seine Familie nicht Hungers sterben. Der bolschewistische Gedanke findet also einen gut vorbereiteten Pährboden in Zndicn, kqnn

aber erst zur Ausführung gelangen, nachdem das eng­lisch-indische Militär entweder durch eine andere Macht Vertrieben oder aber selbst zum Bolschewismus be-, kehrt worden ist. Jedenfalls ist an eine gewaltsame Erhebung der hungernden Bevölkerung, ohne daß diese vorher in den Besitz von Munition und Waffen ge-; langt, nicht zu denken. In den wenigen großen Jndu-. striestädten wird der Versuch wohl auch mit untaug-( lichen Mitteln unternommen werden, aber diese indi­schen Arbeiter werden bald Ansehen müssen, daß sie denn mit allen modernen Waffen versehenen englischen Mili-' tär nicht gewachsen sind, und rücksichtslos wird der Cn- länder diese Aufstände blutig niederringen. Gelingt es' dem Bolschewismus, im indischen Militär festen Fuß' zu fassen, und können sich die feindlichen Religionen der Mohammedaner und Hindus dazu verstehen, einmal nicht gegeneinander, sondern miteinander zu gehen, so kön­nen die wenigen englischen Truppen in Indien Wohl! schließlich dem Ansturm des mit ihren indischen Waffen-- brüdern vereinten hungernden Volks nicht widerstehen?

(Tie irischen Sinn-Feiner haben bekanntlich durch ihre', nach Indien übertragene Agitation indertat schon wie­derholt Meutereien der dortigen L-rnPPen hervorgerufen.)

Neues vom Tage.

Vom Neichsschulausschutz. ,

Berlin, 1. Nov.» Halbamtlich wird gemeldet, der Neichsschulausschnß scheine in seinen letzten Beratungen eine befriedigende Lösung der Frage der Velenntnis- und freien Schulen gesunden zu haben, sodaß den immer häufiger werdenden Schulstreiks der Boden ent­zogen werde. Für die Neuordnung her Rechtschrei­bung wird ein Ausschuß von 5 ^Sachverständigen und je einem Vertreter der Buchdrucker, Büchhändler und! Schriftsteller Vorschläge ausarbeiten. Der- Einführung! der Aufbau- und Oberschulen wurde zugestiinmt. :

Freigabe der Flugzeuge. ^

Berlin, 1. Nov. Tie feindliche Lustsahrtj-Ueberwa^ chungskommission hat das Verbot der Landung deutscher Flugzeuge im Ausland zurückgezogen und die in Kö­nigsberg und Wien beschlagnahmten' vier Flugzeuge, freigegeben. Vom Auslandjlug sollen künftig nur frü­here Militärflugzeuge ausgeschlossen sein." Tie deut­sche Regierung zieht dagegen ihre Behauptung zurück, daß das neuerliche Verbot der Kommission unberechtigt ge­wesen sei-. - >

Immer nobel.

London, 1. Nov. DieDaily Mail" meldet aus Paris, die Wiederherstellungskommission habe die For­derung von 800000 Milchkühen- ansnur" 400 000 ermäßigt. ,

Das Verbot derOrgesch" ungesetzlich.

Berlin, 1. Nov Das preußische Justizministerium hat in einem auf Veranlasjung des Ministeriums des Innern ansgearbeiteten Rechtsgutachten erk.ärt, daß die von der Regierung verfügte Auflösung, derOrgesch" gesetzlich nicht gerechtfertigt sei, 1)a nach der Verfassung allen Deutschen das Recht zustche, Vereine vdxr Gesell­schaften zu bilden, die nicht den Gesetzen zuwiderlaufen.

Neue Parteispaltung?

Berlin, 1. Nov. In derWestlichen Volkszeitung" treten die Redakteure Emil Ungar und Nich. Kopsch (Mehrheitssoz.) für 'die Neugründung einer Partei für P e so r m so z i alism n s ein. Die sozialdemokratische Partei sei verknöchert, und verkalkt. Was brauche man heute -noch Marx, Lassalle, und Engels! Sie wie ihre unmöglichen Ideen seien längst tot. Weit wichtiger sei das, waF Lloyd George und Stinnes sagen. Ein warmer Sozialismus der Menschlichkeit, der prakti­schen Arbeit, der gegenseitigen Verständigung und der Tuldsamleit tue not. Keine Räterepublik, sondern eine Arbcitsrepublik. (Ünaar war früher Redakteur amVor­wärts".) . - i

Der Fall DobneLl

München, 1. Nov. Ter ehemalige Reichswehrsoldat Tobner, der eine angebliche Wastenuicderlage verra­ten wollte und dafür von einem Münchner Studenten schwer misch mdelt wurde, ist gestern abend auf Befehl der Staatsanwaltschaft verhaftet worden, als er das Land- tagsgebäude verließ, wohin ihn der unabhängige ^Llbge-