Amtsblatt für Wildbad. Chronik und Anzeigenblatt
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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftlektnug: Th. Gack in Wildbad.
Nummer 219
Fernruf 179.
wilädsä. Vien5lug, den 21. September 1920
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Fernruf 179
England oder Amerika?
In Deutschland zerbricht man sich noch oft den Kops, ob wir künftig niit England oder mit Amerika zusammen gehen können. Wir glauben, daß die „Lcipz. N. Nachr." das Richtige treffen, wenn sic sagen, die Frage sei bereits entschieden, seitdem die Hamburg-Amerika-Linie ihren Vertrag mit dem Harryman-Konzern und der Norddeutsche Lloyd ein Abkommen mit der United States Mail Stcamship Company in Neuyork abgeschlossen hat, die beide darauf hinauslanfen, daß die beiden deutschen Gesellschaften ihr seefahrendes und ihr Burcaupersonal in den Dienst der gemeinsam und zumeist mit den von Amerika während des Kriegs beschlagnahmten ehemaligen deutschen Ozeandampfern zu betreibenden Linien gestellt haben. Damit ist ein sehr beträchtlicher Faktor unseres wirtschaftlichen Lebens, von dem mittelbar Hunderttan- sende von Existenzen abhängen, mit den Amerikanern verbunden. Im Zweifelsfall ist man in Washington übrigens in der Lage, daß man mit Hilfe der Börsenherren von Wallstreet einen Kurssturz der Mark ins Werk setzt, wie wir.ihn gerade in diesen Tagen erleben/ Sehr wahrscheinlich ist schon diesmal Neuyork dabei beteiligt, um uns daran zu erinnern, daß wir an einer Kette liegen und uns den Luxus eigener Entschlüsse, die in Washington nicht genehm sind, nicht mehr leisten können. Wichtig wäre es aber für uns, zu wissen, wie weit wir nun auch auf einen Schutz und eine Unterstützung der Vereinigten Staaten rechnen können, wenn mms das wirtschaftliche Zusammengehen mit Amerika in Konflikte mit England und den übrigen' Verbüstdeten bringen sollte. Denn das kann nicht aus- bleibcn.
Wenn England nach der Skagerrak-Schlacht jedes ernsthafte Zusammentreffen mit der deutschen Flotte vermieden hat, so ist das deshalb geschehen, weil schwere Verluste der englischen Flotte im Gefecht-die amerikanische Flotte alsbald von selbst zur stärksten Flotte der Welt gemacht hätten, sehr schwere aber sogar die japanische zur zweitstärkstcn Seemacht erheben und die englische auf den dritten Platz Herabdrücken konnten. Dagegen hat der deutsche U-Bootskricg — und er hat tatsächlich England von seiner Höhe hcrabgeholt — das Ergebnis gezeitigt, das Richard Hennig in einer soeben erschienenen ausgezeichneten kleinen Schrift: „Der neue Weltverkehr" (Verlag von Karl Sicgismund in Berlin) in die Worte faßt: ,„Nicht Deutschland allein ist der Besiegte in dein großen Weltkrieg gewesen. Die europäischen En- teutestaaten mögen politisch Sieger geblieben sein: wirtschaftlich haben auch sie den Krieg verloren, und ganz Europa ist dank seiner Selbstzcrfleischung der Besiegte. An Stelle des vernichteten deutschen Wettbewerbs sind England zwei neue gefährlichere erwachsen: ein amerikanischer und ein japanischer, und ob es das Mittel finden wird, sich auch ihrer dauernd zu erwehren, ist heute mindestens sehr fraglich." Was England bei seiner Kriegsflotte zu verhindern gewußt hat, ist ihm in der Handelsschiffahrt im vollsten Maße widerfahren; mit seiner Handelsflotte ist es an die zweite Stelle gerückt. Sowohl mit der Zahl seiner Handelsschiffe lvie mit dem Betrieb der Schiffahrtslinien auf dem Weltmeere steht Amerika — zumal nach dem Abkommen mit den Hamburger und Bremer Gesellschaften — unbestritten an erster Stelle, und sehr nahe nachgerückt ist ihni Japan.
Der Verkehr nach den atlantischen Häfen vollzog frch bis zum Krieg fast ausschließlich uuter englischer und deutscher Flagge, und die amerikanische war schon feit 1885 überhaupt aus allen deutschen Häfen verschwunden. Das lag daran, daß Amerika bei den hohen Löhnen auf den amerikanischen Werften zu teuer baute, und daß der Betrieb seiner Ozcanlinieii sich immer sehr bald als unrentabel heransstellte. So sind alle ursprünglich amerikanischen Ozeandampfer auf dem Stillen Weltmeer längst in japanischen Besitz übcrgegangen, und der Verkehr zwischen Ostasien und Wcstamerika liegt sert Jahren vornehmlich in japanischen Händen. Nachdem aber die Höhe der Löhne im Krieg aufgehört hatte eine Rolle zu spielen, hat Amerika gleichsam über Nacht eine geradezu riesenhafte Schifssbauiudustrie ins Leben gerufen und eine Ozeanflotte gebaut, die, vermehrt durch die vorzüglichen deutschen Schnelldampfer, heute die größte auf dem Weltmeer ist. Mit verblüffender Selbst
verständlichkeit hat Amerika alle von ihm beschlagnahmten deutschen Schiffe für sich behalten, ohne sich an die Vor- j würfe Englands zu kehren, das ihm vorrechnete, daß es im Krieg ja nur 370 000 Tonnen verwreu habe, dafür aber deutsche Dampfer mit insgesamt 020 000 Tonnen - ein steckte.
Amerika, das,,1914 nur eine Handelsflotte von 4 330 000 Tonnen besaß, verfügt Heine über einen Schiffsraum von 16 750000 Tonnen. Dagegen ist Englanüs Handelsflotte von 20 Millionen Tonnen im Jahre 1914 auf einen Tonncngehalt von etwas über 16 Millionen gesunken. Gleichzeitig hat Jivsan es durch planmäßige Schonung seiner Handelsflotte während des Kriegs — seitdem 1915 deutsche U-Boote im MiUeuneer auftauchten, hat Japan sich dort nicht mehr sehen lassen, oder stellte die Bedingung, daß ihm für jedes verlorengcgange- ne Schiff ein gleichgroßer er.g.ischer Dampfer geliefert werden müsse - dahin gebrm.p, daß es heute 2 700000 Tonnen Schiffsraum besitzt, gegenüber 1700 000 im Jahr 1914. Tie Gefahr, die von Japan droht, wird in London wie in Neuyork gleich hoch eingeschätzt. Auf beiden Seiten hat mau das System der kleinen Mittel gewählt und damit die Japaner schwer verärgert. England hat den japanischen Schiffen in seinen Häfen vielfach die Schiffskohle verweigert nnd Amerika hat die Entwicklung der japanischen Schiffsbauindustrie dadurch zu verzögern geglaubt, daß es dem eiscnarmen Japan keine Eisen- und Stahl-platten lieferte. Japan hat aber inzwischen in Korea sehr ergiebige Eisenerzgruben entdeckt nnd in Abbau genommen, nnd ein Londoner Blatt sieht die Zeit nahe, daß, Japan billigen Stahl nach Amerika, ja vielleicht nach England ausführen wird.
Bei dem erbitterten wirtschaftlichen Kampf, der voraussichtlich um die endgültige Herrschaft äuf dem Weltmeer entbrennen wird, stehen wir nach den Verträgen, der deutschen Schiffahrtsgesellschaften mit den Amerikanern in Englands Augen auf Seiten seiner wirtschaftlichen, vielleicht auch einmal politischen Gegner. Und wir werden gut tun, von englischer Seite künftig nichts, anderes zu erwarten, als rücksichtsloseste englische Realpolitik. Cs wäre verhängnisvoll, wollten wir, wie ß
der Verfasser der obenerwähnten Schrift, darauf spekulieren. daß im Hinblick auf die Uneinigkeit unserer Gegner die Verpflichtung, eine Million Tonnen Schiffsraum für sie zu bauen, wegen ihrer „Unzweckmäßigkeit" vielleicht bald wieder aufgehoben werde.
England wird jede ihm im Versailler Erwürgungsvertrag gegebene Möglichkeit einem Volk gegenüber ausnutzen, dessen Seeleute es unter dem Sternenbanner im Dienst eines wirtschaftlichen Gegners sicht, der ganz unerwartet die Herrschaft auf dem Weltmeer an sich gerissen hat. Und daß wir dem gegenüber heute schutzlos sind, aber nicht schutzlos bleiben dürfen, das ist die andere Seite des Zusammengehens der amerikanischen mit den deutschen Schiffahrtsgesellschaften.
Neue Meherpreffurrgen.
Die „Deutsche Tagesztg." schreibt:
Nach Anlage 4 zum VIII. Teil (Wiederherstellungen) des Vertrags von Versailles hat Deutschland gemäß 8 6 als /.sofortige Vorleistung" auf die im 8.2 erwähnten Tiere in den drei Monaten nach Inkrafttreten des^ Vertrags die bisher nur zahlenmäßig genannten MenW gen zu liefern gehabt, und zwar 140000 Milchkühe, 40000 Färsen, 4000 Stiere, 40 000 Stuten und Fohlen, 700 Hengste, 120 000 Schafe. 1200 Widder, 15000 Schweine, 10000 Ziegen. Von den bisher vorgestellten Tieren sind aber von den Abnahmekommissionen außerordentlich viel zurückgewiesen worden, so daß, abgesehen von Schafen, noch nicht einmal die Hälfte der genannten Tiere abgeliefert worden ist. Daß uns die weitere Ablieferung aber nicht geschenkt sein wird, war vorauszusehen. Vor allem standen bisher immer noch die Zahlen aus, wie hoch sich die Gesamtablnefe-- r u n a überhaupt stellen würde.
Ter Wiedcrherstellungskommission liegt nun die Liste der geforderten Tiere seit Anfang März vor und inzwischen hat die Entente ihre Gesamtfordernng der Deutschland auferlegten Viehliefernngen auch der Reichsregierung be- kanntgegebcn: Deutschland soll nicht weniger als
80« Wv Stück Rindvieh und 15« ONO Pferde
an die Entente abgeben; die Zahlen für Schafe und Schweine usw. sind noch nicht bßkannt. Selbstverständlich sind von diesen Gesamtforderungcn die bereits früher geforderten bzw. gelieferten Tiere abzurechnen. Geliefert waren nach Pari)er Berichten bis, 31. Mai an:
Frankreich ^Belgien zusammen > Pferde 6547 3116 9 663 ,
Rindvieh 40 720 43 489 84209
Schafe 67 476 32 644 100120
Ziegen 7 875 6140 14 015
Geflügel — 28 339 28 339
Weiter wird bekannt, daß die Restlieferungen ans etlva 3 bis 4 Jahre verteilt werden sollen. Die deutsche Landwirtschaft wird also fortgesetzt mit der Gestellung von Tieren an die Entente in den nächsten Jahren in Atem gehalten werden, wenn es nicht gelingt, die Wiederherstellungskommission davon zu überzeugen, daß die Ab< lieserung dieser Mengen, wie sich ja stpon aus der Vorleistung ergeben hat, zu den Unmöglichkeiten gehört. - Nor dem Krieg waren 10 Millionen Milchkühe vorhanden, henke sind es 6—7 Millionen, wobei die abgetretenen Gebiete berücksichtigt sind; immerhin waren es auch im vorigen Jahr einschließlich der abgetretenen Gebiete nur rund 8 Millionen. Schon die Abgabe von 140 000 Stück Milchvieh, wie es als „Vorleistung" verlangt wurde, ist eine Lebensgeführdung zahlloser Kinder und Kranken, eine Fortsetzung der Hungerblockade, um wie viel mehr muß die in Aussicht gestellte weitere Abforderung von Rindvieh auf den Ernährungszustand der deutschen Bevölkerung einwirken. Dabei ist es Tatsache, daß die Franzosen das deutsche Vieh überhaupt nichtbrauchen. Ist doch von dem nach Frankreich für die zerstörten Gebiete abgelieserteü Vieh, wie der Landtagsabgeordnete Tr. Georg, Generalsekretär der Anhaltischen Landwirtschaftskammer, im Landwirtschaftsverein Zerbst mitteilte, teils in Frankreich abgeschlachtet, teils zu erheblichen Preisen nach .Holland verkauft worden. Das nach Holland verkaufte Vieh sei , dann wieder für Deutschland ausgekauft worden. Während in Deutschland infolge dieser Nachkriegsblockade die Sterblichkeit der Kinder in manchen Städten bis auf 25 Proz. gestiegen ist und die Zahl der tuberkulösen Kinder in den Schulen 30—70 Proz. beträgt, verlangt die Entente dL Fortsetzung dieser Hungerblockade, die weitere hundert tausende Opfer'fordern wird. Da der Vernichtungsfrieden von Versailles in dem Paragraph 4 der Wiederher- stellungskommission zur Beruhigung des „Weltg.wisseus" auferlegt:
„Sie wird schließlich klarstellen' welches allgemeine Interesse die alliierten und assoziierten Regierungen daran haken,'
- daß das industrielle Leben Deutschlands nicht in einem Maße zerrüttet wird,: seine Fähigkeit zur Erfüllung der übrigen.. von ihm geforderten Wiedergutmachungen gefährden kann."
so möchten wir gerade bei dieser Gelegenheit diese Bestimmung des Vertrags von Versailles für uns in Anspruch nehmen. .
Neues vom Tage.
Zusammenschluß der Arbeiter und Beamten des Verkehrswesens.
Dresden, 20. Sept. Tie Hauptversammlung des Deutschen Eisenbahnerverbands nahm einstimmig eine Entschließung an, daß alle in den öffentlichen und privaten Verkehrsbetrieben tätigen Personen, einschließlich des Post- und Telegraphenpersonals, zu einer Jndustric- organisation mit dem Namen „Deutscher Verkehrsbnnd" zusammengeschlossen werden sollen. Für die Uebergangs- zeit soll eine Arbeitsgemeinschaft gebildet werden. Tie Dreiteilung der Verkehrsbeamten in untere, mittlere und höhere Beamte soll wegfallen.
Der „Deutsche Verkehrsbund" wird, wenn er zustande' kommt, etwa 2 Millionen Arbeiter, Angestellte und Beamte gewerkschaftlich umfassen.
Der Kampf um den Schulvorstand.
Berlin, 20. Sept. Gegen die Wahl des Kommunisten Dr. Löwen st ein zum obersten Schulleiter von Groß-Berlin waren gestern von der Deutschnationalen Volkspartei, d er Deutschen Volkspartei, dem Zentrum und von jüdischen Religionsvereinen Protestversammlnngen einberufen worden, die überaus stark.besucht waren. Dic^.
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