(Enztalbote)

Amtsblatt für Wil-bad. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad.

Nummer 215

Fernruf 179.

Miläbsä, Donnerstag, äen 16. September 1920.

Fernruf 179.

54. Iktlirgemg

Die MarneschlachL.

Ter Siegeszug der deutschen Heere an der Westfront fand bekanntlich durch die große Marneschlacht in den Septembertagen des Jahrs 1914 ein unerwartetes, jähes Ende. Man hat damals über dieses für die weitere Entwicklung des Kriegs so verhängnisvolle Ereignis so gut wie nichts, nachher aber nur wenig Beglaubigtes erfahren und so war den Vermutungen und dem Klatsch bedauerlicherweise Tür und Tor geöffnet. Tie Führer der in Betracht kommenden 1., 2. und 3. deutschen Ar­mee, sowie der Chef- der Operationsabteilung haben inzwischen seit dem Friedensschluß zu der Marneschlacht in Schriften und Artikeln das Wort ergriffen und die forschende Arbeit der Kriegsgeschichte beginnt allmählich Wahrheit und Klarheit von Phantasie und Klatsch zu scheiden.

Sehr willkommen erscheint das WerkMarneschlacht und Tannenberg" des Generals der Inf. von Fran­cois (Verlag August Scherl-Berlins. Es zieht gewis­sermaßen den Strich unter alle bisherigen Beirachtungen und versucht den Beweis zu führen, wie und woher das Unglück kam und wer es verschuldet hat.

In der Marneschlacht und Tannenberg g-pfelt die deutsche Strategie der ersten sechs Kriegswochen im We­sten und Osten. An der Marne nach einem glänzenden Siegeslauf ein überraschender Rückschlag, der vermie­den werden konnte, bei Tannenberg nach einem Rückzug, der nicht nötig war, ein durchschlagender Waffenerfolg, der eine feindliche Armee vernichtet. Tie Gegenüberstellung der Marneschlacht und Tannenberg, sagt v. Francois, zeigt, wie schwer das Brennusschwert derg e ist ig enT at auf die Wagschale des Erfolgs drückt."

Ter Streit um die Schuld am 9. September wird wohl niemals ganz verstummen, daß er aber wenigstens vorläufig mit dem Werk des Generals v. Francois einen gewissen Abschluß findet, kann mit Sicherheit erwartet werden.

Begeistert und in hoffnungsvoller Spannung folgte das deutsche Volk 1914 dem Siegeszug der Truppen im Westen. Ter blitzschnelle Vormarsch hatte dem Vater­land die Schrecken des Kriegs fern geh alten.Tie Ka­vallerie des Generalobersten v. Kluck streift bis Paris," hieß es am 4. September, und die französische Regie­rung verläßt Paris. Dann Schweigen. Erst am 10. September, als der Rückzug der 1. 2. und 3. Ar­mee im Gang ist, eine Kundgebung des Großen Haupt­quartiers; am 13. und 2.0. September, als der Stel­lungskrieg begonnen, weitere^ amtliche Nachrichten. Aber rein Siegesbericht mehr im Westen; Reims, das am 8. September genommen, wieder im Besitz der Franzo­sen und drüben beim Feind lauter Jubel, der selbst durch die dicke Wand der Zensur zu uns drang.

Es war klar" schreibt v. Francoisunsere Armeen im Westen hatten einen großen Mißerfolg er­lebt. Wie war dies möglich? Wer trug die Schuld? Ta der amtliche Bericht schwieg, begann das Kombinie­ren und Gerüchtebilden; es entstand der Klatsch. Ge­neral v. Kluck war mit seiner Armee am 10. Sep­tember dem General v. Bülow unterstellt wocden, er wußte also schwere Fehler in der Führung begangen ha­ben. General Freiherr v. Hausen wurde am 12. Sep­tember ohne eigenen Antrag vom Oberkommando der sächsischen Armee enthoben; die Sachsen schienen dem­nach versagt zu haben. Beides traf nicht zu. Erst sehr viel später hörte man, daß General v. Moltke seine Stelle an General v.'Falkenh ahn abgeben mußte."

Tie in dem Werk niedergelegten Ansichten und Be­trachtungen lassen aus dem Nebel der Legendenbildung drei Persönlichkeiten hervortreten, auf deren Schultern sich die Schuldlast des Unglücks legt: General v. M oltke, General v. Bülow und Oberstleutnant Hentsch.

Es ist selbstverständlich" sagt Francois,daß diese drei Männer , nach ihrem besten Willen, Wissen und Können und im Vollemvfinden gewissenhafter Pflichterfüllung handelten. Tie kriegsgeschichtliche For­schung hat aber die Aufgabe, sich ohne Voreingenommen­heit auf den Boden der Tatsachen zu stellen, und die Kritik soll Lehren bringen für die Zukunft. General v. Moltke, dessen vornehmer Charakter über jeden Zweifel erhaben ist, besaß weder die Gesundheit noch Pie Schulung, um die..Riesenarbeit, des deutschen Oe-

neralstaoschefs im Weltkrieg bewältigen zu können. Be­reits vor dem Krieg hätte der Kaiser diese Stelle einer Persönlichkeit übertragen müssen, die über Feldherrn- eigenschasten verfügte."

Tie Vorwürfe, die ihm nach Francois die Kritik zur Last legen muß, sind in großen Zügen wiedergegebcn, fol­gende:

Ter Sitz der Obersten Heeresleitung mar zu weit ab von de- Front. Nach Besitzergreifung Belgiens und Nordfr-mkreichs hätte das ganze Küsteugebwr bis zur Somme-Oime genommen werden müssen, .ve: es die eng­lische HeereMutung bestimmt erwarte: hMe Fep- len einer starten Reserve-Armee. Zur Ergänzen oon Personal und Material und Festigung der ruch-.a a,>en Verbindungen hätte nach dem 30. August ein H- ge­macht werden müssen. Tie zielbewußte Lettknp r»es Feldzugs durch die O.H.L. hörte auf, als der Kampf mit dem Gegner anfing. Tie Armee-Ober-KommandoS wurden sich selbst überlassen oder dem General v. Bü­low, zu dessen Führereigenschaften man leider das größte Vertrauen hatte, unterstellt. Von diesem ging der verhängnisvolle Rückzugsbefehl ans, die Mit­schuld der O.H.L. liegt allein in dem Verhallen des mit gewisser Vollmacht zu den Oberkommandos entsandten Oberstleutnants Hentsch.

General v. Buckows Anteil an dem unglücklichen Ausgang der ersten Feldzugsperiode saßt v. Francois- wie folgt zusammen (auszugsweise):

Vormarsch: General v. Bülow veWM ätt prk Sambre über bedeutende Machtmittel und konnte dis Engländer und die 5. französische Armee mit großer Ueberlegen- heit durch Umfassung vernichtend schlagen. Auch die Lage bei St. Quentin-Guise bot ähnliche Vorteile. Beide Male wurde die günstige Gelegenheit nicht wahrgenom­men. Ueberzeugende Erklärungen hierfür, warum dies nicht geschah, gibt v. Francois.

Rückzugsbefehl: Nach v. Francois war der Rück­zugsbefehl Bülows nicht berechtigt. Er ging Von fäl­schen Voraussetzungen aus und erfolgte zu einem Zeit­punkt, als die Schlacht bei den Nachbararmeen zum Teil vorzüglich stand. Darin liegt die ungeheure Tragik des Marneunglücks. Auch zeigte der Rückzugsbefehl große technische Fehler, da er dem Nück- zugsentschluß unmittelbar folgte. So fiel dem Feind eine Siegesbeute von 40000 Gefangenen und 200 Ge­schützen in den Schoß.

Was den sächsischen Oberstleutnant Hentsch anbe- trifst, so weist der Verfasser nach, daß er der 1. Ar­mee als Bevollmächtigter der O.H.L. den Rückzug be­fohlen hat. Er handelte unter dem Eindruck des beim Arinee-Ober-Kommando Bülow empfangenen ungünstigen Eindrucks über die Gefechtslage. Daß er tatsächlich die ihm erteilte Vollmacht überschritten hat, scheint endgültig geklärt zu sein. . Was wäre wohl geschehen, wenn Kluck halsstarrig gewesen wäre und den Befehl nicht ausgeführt hätte! Auch hier sehen wir den gro­ßen Nachteil, daß Moltke so leidend war, daß er sich nicht persönlich von der Lage bei den Armeen über­zeugen konnte, wie es z. B. Ludendorff zweifellos getan hätte; ferner, daß es ein schwerer Fehler war, nicht einen der bei der O.H.L. befindlichen Generale, die ein reiferes Urteil hatten, zu den Oberkommandos zu schicken, und wenn es der Generalanartiermeister selbst gewesen wäre. Oberstleutnant Hentsch ist tot. Sein Name ist vorn Marneunglück niemals zu trennen!

Dem französischen Volk wurde die Marneschlacht znrn Wunder" sagt v. Francois,uns Deutschen zur schmerzlicben Enttäuschung. Tie glänzend begonnene Of­fensive, die die Ueberlegenheit und die moralische Kraft des deutschen Soldaten in Hellem Licht erstrahlen ließ, fand ein jähes Ende. Die Schlacht und mit ihr die erste Feldzugsperiode im Westen waren verloren.

Ter Stellungskrieg hielt seinen Einzug, als eine uns fremde Kampsart. Indem wir die Truppen das Ein­graben lehrten, haben wir dem Bewegungskrieg, der den deutschen Angriffsgeist und. die taktische Schulung des Ofsizierkorps in sich verkörperte, das Grab gegraben. Ter Kriegsgott bot uns an der Marne ein Geschenk an, das uns in Verbindung mit Tannenberg dem Frie­den nahe bringen konnten, wir verstanden es aber nicht, es zu ergreifen."

Lichtvoll sind auch die Darstellungen v. Francois' über Tannenberg und die ersten sechs Wochen im Osten. Sie gewinnen noch wesentlich durch das. Hin­

ein tragen des persönlichen Erlebens, lieber die Marne­schlacht spricht v. Francois als unparteiischer Forscher, über Tannenberg als beteiligter Führer. Er sagt, der Rückzug des Generals v. Prittwitz, der die Verwü­stung Ostpreußens durch die Russen zür Folge hatte,) sei militärisch gar nicht nötig gewesen. Er hätte mit seinen drei Armeekorps, die an Wert der großen zahlen­mäßigen Uebermacht der Russen tatsächlich doch weit überlegen waren, nicht nur standhalten, sondern sie auch wie in den ersten Gefechten weiter schlagen können, bis i ihm zu einem großen Schlag die nötige Unterstützung ^ gebracht werden'konnte. Zum Glück haben dann Hin- denburg und Ludendorff durch den gewaltigen Sieg bei Tannenberg die Wendung gebracht und den Kriea in Feindesland getragen.

Neues vom Tage.

Belgien verschiebt die deutsche Kohle. , Berlin, 15. Sept. Während Deutschland unter groß-, tem Kohlenmangel leidet und das drückende Abkommen »von Spa nur unter größten eigenen Einschränkungen ein- halten kann, hat Belgien jetzt einen solchen Neben­fluß an Kohlen, daß sich, wie aus Luxemburg ge­meldet wird, eine Gesellschaft gebildet hat, die die von Deutschland gelieferten Kohlen zum Weltmarktpreis, der bekanntlich viel höher ist, als der für Teutschland an­gerechnete Preis, ans Ausland weiter verkauft. Dadurch erwächst Belgien ein beträchtlicher Gewinn. Auch Frankreich ist jetzt mit Kohlen so gut versehen, daß es seine gesamten. Industrien mit dem vollen Kohlenmaß versorgen kann wie vor dem Krieg, obgleich Frankreich! keine Eile zeigt, seine Bergwerke wieder voll auszunützen.

Verurteilung eines Kommunisten. s München, 15. Sept. Der 18jährige Kommunist Detterbeck in München, bei dem eine Liste von sol­chen Mitgliedern der Reichs-, Sicherheits- und Ein-, wohnerwehr gefunden wurde, die bei einem Putsch so-^ fort verhaftet oder getötet werden sollten, wurde Up 1 Hb Jahren Zuchthaus verurteilt.

München, 15. Sept. Ter Staatskommissar hat ans. Gründen der öffentlichen Sicherheit die für heute an-, gesetzte öffentliche Versammlung des republikanischen Füh­rerbunds verboten.

Uix-les-Bains.

Aix-les-Bains, 15. Sept. (Havas.) Giolitti hat beim Verlassen des französischen Bodens aus Bardorieche ein Telegramm an Millerand gerichtet, in dem es u. a. heißt: Unsere Begegnung, eine Kundgebung der aufrichtigen Freundschaft der beiden Nationen, wird, des­sen Lin ich sicher, die Zusammenarbeit Frankreichs und Italiens an dem Werk des Friedens fruchtbar gestalten. Millerand erwiderte u. a.: Wie Sie bin ich glück-' lich in dem Gedanken, daß unsere Begegnung das dau­ernde Einvernehmen Frankreichs und Italiens in der Festigung des Friedens verstärken und die Bande, die die beiden lateinischen Völker annähern, enger gestalten möge.

ondon, 15. Sept.Daily Chronicle" bedauert, oaß Italien unter anderen Zugeständnissen an Frankreich auch die Zusammenkunft mit den Deutschen in Genf preisgegeben habe.Daily News" schreiben, die Deut­schen können mit einem gewissen Recht von einem Vertrauensbruch reden. Die Verbündeten haben einst den Völkerbund ersucht, seine Finanzkonserenz iw Brüssel zu verschieben, und versprochen, dem Völkerbund noch vor dem 15. September genaue Mitteilung über die Kriegsentschädigung vorzulegen. Dieses Versprechen sei durch die Abmachungen in Aix les Bains unmöglich gemacht. '

Die Finanzkonferenz in Brüssel.

London, 15. Sept. Auf der vom Völkerbund berufe­nen Finanzkonferenz in Brüssel am 24. September wer­den laut Havas alle Länder einschließlich der Vereinig­ten Staaten durch je 3 Beauftragte vertreten sein. Deutsch­land, Oesterreich und Bulgarien werden eingeladen, sie haben aber nur beratende Stimmen.

Von der Schweiz ist folgender Vorschlag vorgelegt worden: Es sollen zur Behebung der europäischen Geld­schwierigkeiten internationale Schuldverschrei­bungen in Schweizer Frankcuwährnng ausgegebcn wer­den, damit wenigstens die Valutanöte aus der Welt geschasst werden können. Tie Schweizer Liga für freie