(Enztalbote)

Amtsblatt für Wildbad. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad.

Nummer 209

Fernruf 179.

Wilädsä, Oonnerstug, äen 9. September 1920.

Fernruf 179.

54. ^klbrgang

Ser Krieg in Irland.

Man kann schon beinahe von einem Krieg zwischen Irland und Großbritannien sprechen. Die Schwierigkei­ten, die heute Großbritannien aus dem stetig sich ver­schärfenden Freiheitskampf der Iren erwachsen, zehren an Englands Kräften und beeinträchtigen den Schim­mer seiner Herrschaftsmacht bei allen den Rassen, die aus dem Zwang des britischen Weltreichs hernusstrebcn. Die ägyptische Ilnabhängigkeitsbewegung und die ara­bischen Aufstände in Mesopotamien haben jetzt die englische Regierung zu abermaligen Versprechungen, diesen VölkernSelbstverwaltungsrechte" zu gewähren, genötigt; darüber hinaus sah sich England jedoch schon länger genötigt, sehr beträchtliche Truppenkräfte gegen den ara­bischen Volkskrieg aufzubieten. Aus englischen Zeitungs­vermerken ist zu entnehmen, daß zu diesem Zwecke In­dien schon in besorgniserregendem Grad von Streit- krästen entblößt werden mußte und daß trotzdem jetzt neuerdings aus dem britischen Mutterland noch dazu Truppen der heimatlichen Garnisonen mit der Bestim­mung noch Mesopotamien eingeschifft werden mußten.

Der Verzweiflungskampf der Iren trifft die briti­schen Gewaltherren also gerade jetzt in einer für sie sehr ungünstigen Zeit. Die Iren sind voll Zuversicht auf einen Erfolg ihres mit äußerster Entschlossenheit und rücksichtslosester Einsetzung von Gut und Leben geführ­ten Kriegs. Wer jedoch die Jahrhunderte lange Leidens­geschichte Irlands, den Verlauf und Ausgang seiner zahl­reichen Befreiungsversuche kennt, der weiß, daß der vor nichts zurückschreckende Herrenwille Englands noch nicht sein letztes Wort gesprochen hat.

Die-in -ihrer irischen Heimat wohnende Bevölkerung zählt knapp 5 Millionen. Der. weitaus größte Teil des irischen Volks wohnt der unter der englischen Gewalt bauernd gewordenen Notlage des grünen Ei­lands entwichen zerstreut in allen Teilen der Welt, vor allem in den Vereinigten Staaten, wo sie in vier- bis fünffach stärkerer Zahl, als in Irland selbst, an­sässig sind. Diese Iren in den Vereinigten Staaten sind gefährliche Gegner der englischen Herrschaft über Irland. Sie bringen die großen Geldmittel auf, sie bieten den Freiheitskämpfern in der irischen Heimat den wichtigsten Rückhalt. Von ausschlaggebender Bedeu­tung könnten sie dann werden, wenn es ihnen gelingt, - auf die auswärtige Staatsleitung der Vereinigten Staa- ! ten Einfluß zu gewinnen. Wären die Vereinigten Staaten «in Land mit parlamentarischer Regierungsweise was sie bei der Einflußlosigkeit ihrer Volksvertretung auf die ungewöhnlich selbstherrlich eingerichtete oberste Gewalt im Staat nicht sind, so hätte sich der Wille eines so zahlreichen und so einheitlich gerichteten Bevölkerungs­teils, wie ihn die Iren in Amerika darstellen, schon längst geltend machen müssen. Wie die Dinge jedoch einmal liegen, hat Präsident Wilson mit seiner bisherigen un­bedingten Ergebenheit gegenüber England den Wider­spruch der Jrisch-Amerikaner, obgleich der viel kraft­voller erhoben wurde, als der der Deutsch-Amerikaner, «infach in den Wind schlagen können. Anders stehen die Dinge jedoch, wenn die Ziele der auswärtigen Staats­leitung wieder einmal denen Englands entgegengesetzt '- werden sollten. Ansätze dazu sind vorhanden.

Eine ernstere Hemmung dürfte die englische Regierung in der Kriegsmüdigteit ihres eigenen Volks und in der Abneigung ihrer Arbeiterschaft gegen einen neuen Krieg erblicken. Aber auch bei der Einschätzung der Wirksam­keit dieses inner-englischen Widerstands gegen volle Go- Waltanwendung mahnen die Lehren der englischen Ver­gangenheit zur Vorsicht. Volk und Staat der Engländer konnten zur Aufrechterhaltung ihrer Oberherrschaft über die irische Nachbarinsel zu jeder Anstrengung und zu un­barmherzigster Gewalt doch immer wieder mitgerissen werden, so oft bisher Irland eine Gunst der Zeitlage zur Gewinnung seiner Unabhängigkeit zu benutzen ver­sucht hat.

So sind auch jetzt wieder, unr den Freiheitswillen Irlands endgültig zu brechen, von England, das bekannt­lichals' Beschützer der kleinen Nationen gegen tue deutsche Gewaltherrschaft" in den Krieg zu ziehen vorgab,. anstandslos Zwangs gesetzt gegen Irland erlassen worden, die an rücksichtsloser Härte und Mißachtung der periönlichen Freiheit die Willkür des alten russischen Seamtenjyslems weit in den Schatten stellen. Der Lon­

doner Berichterstatter desNieuwe Rotterdamscheu Eon- ranl" teilt einige dieser Bestimmungen mit:

Jeder Ire kann vor das Militärgericht gebracht werden für eine Handlung, die »och nicht ungesetzlich mar, als sie begangen wurde, aber die durch eine spät e r e Bufügung dazu gewacht morden ist. Der frühere Bewohner eines Hauses, in dein verbotene Dokumente gefunden werden, kann als Besitzer der Dokumente angesehen werden, selbst wenn er schon vor Monaten ausgezogen war. Zeugnisverweigerung ist ein Ver­gehen, das das Kriegsgericht mit Gefängnis bestrafen kann. Das Kriegsgericht kann seine Sitzungen nach Belieben hinter geschlossenen Türen abhnlten. Die Militär- ooer Mannebehör­den können nach Gutdünken die Blockierung irgendeines Teils von Irland anvrdnen. Jeder Ire ist verpflichtet, ihnen dabei jeden Beistand zu verleihen. Es ist verboten, unter dcn 'Auspizien der gäliichen Liga gälischen Unterricht zu geben. Jeder, von dem man annimmt, daß er in einer Strafsache Zeugnis ablegen kann, kann ohne weiteres arretiert wer­den, und er'muß den Beweis für sein Unvermögen selbst bei- bringcn. Andernfalls kann er von dem Kriegsgericht zu 100 Pfund Sterling oder 0 Monat:» Gefängnis verurteilt werden. Beteiligung an einer für ungesetzlich erklärten Organisation und der" Besitz irgend eines Dokuments, das sich auf sic bezieht, werden schwer bestraft. Jeder Freigesprochrne kann ins Ge­fängnis geworfen werden, wenn es ihm nicht gelingt, eine Bürgschaft für sein künftiges Wohlverhalteu beizubringcn usw."

Diese Zivangsgcsetze machen die überwältigende Mehr­heit tatsächlich rechtlos und lassen ihren verzweifelten Kampf auch mit den bedenklichsten Mitteln erklärlich erscheinen. Was nun der Entrüstung über die grau­same Behandlung des Oberbürgermeisters von Cork, dessen todesmintiger Patri-'.-smus auch im eng­lischen Volk viele Bewunderer hat >re besondere Schärfe verleiht, ist die Tatsache, daß Mr. Mac Swiney ein Opfer eben dieser ungeheuerlichen Zwangsgesetze ist. Er wurde verhaftet, als er im Rathaus seiner Stadt an der Sitzung eines der republikanischen Gerichtshöfe teilnahm. Ta aber zum Unglück für die englische Re­gierung in dem Prozeß, der gerade vor dem republika­nischen Gericht abgehandelt wurde, die größte englische B ersi cheru n g s g es ells cha ft, die allmächtigePru­dential", eine der Parteien war, konstruierte man schnell einen anderen Anklagegrund und ging nun gegen den Oberbürgermeister vor, weil man in seinem Pult den Schlüssel einer bei der Polizei gebräuchlichen Geheim­schrift und einige für die Reichssicherheit gefährliche Pa­piere fand. Daß der Besitz eines solchen Schlüssels seitens des Haupunagistrais einer großen Stadt nichts- außergewöhnliches war und daß die gefährlichen Pa­piere in nichts anderem bestanden, als in seiner eigener Antrittsrede als Bürgermeister und in verschiedenen Be­schlüssen des Gemeinderats, die längst veröffentlicht wor­den waren, tat nichts zur Sache, und der Kriegsrat verurteilte -Mac Swiney in geheimer Sitzung und ohne Zuziehung bürgerlicher Zeugen zu zwei Jahren Gefäng­nis. Der Oberbürgermeister wies die Anerkennung der Gesetzlichkeit dieses Kriegsgerichts zurück und griff zu dem einzigen Mittel, das ihm blieb, znm Hunger­streik. Er begann ihn am 12. August und wurde fünf Tage nachher nach London gebracht, wo er seitdem weiter­gehungert hat, da das Kabinett die Freigebung ver­weigerte, obwohl es sich kaum verhehlen kann, daß der Märtyrertod Mac Swineys für es selbst die schlimm­sten Folgen haben wird.

Wenn Mac Swiney stirbt, wird dieser Mann wohl recht behalten. Es ist jedenfalls bemerkenswert, wie un­ter dem Einfluß dieser Zwangsgesetze die Anhänger Eng­lands in Irland immer mehr auf Belfast und das nordöstliche Ulster zusammengeschrumpfi sind. Die Umonisten des Südens haben die Union offen preis­gegeben und selbst unter den Umonisten von Ulster ma­chen sich Anfänge einer gleichen Bewegung geltend. Lloyd George hat kürzlich im Unterhaus erklärt, Dominion Home Rute (Selbstregierung in der Weife der großen .Kolonien) sei entweder eine Lösung ohne Inhalt oder eine Staaisform, in der vollkommene Unabhängigkeit eingeschlossen liege und die eben deshalb für Irland unmöglich sei. Und nun hat die Konferenz der Gemä­ßigten, deren meistje Mitglieder Unionisten waren, in Du­blin unumwunden erklärt, Dominion Home Rule fei die einzige Möglichkeit der Versöhnung, das einzige Mit­tel, das'Band zwischen Irland und Britannien zu er­halten. Vor ein paar Monaten wäre eine solche Hal­tung der Gemäßigten noch ganz unmöglich gewesen. Die Sache liegt eben so, wie der bekannte Führer O' Con- n o r. sie auf dieser Konferenz charakterisierte, wenn er ausrief:Wir sagen dem Herrn Lloyd George, daß wir fein Säbelregiment nicht haben wollen. Wenn die

! Regierung uocy weiter auf dem Weg vorwärts geht, / dann werden wir alle verfluchte Republikaner werden."

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.London, 8. Sept.Daily Mail" meldet aus der Schweiz, Lloyd George habe erklärt, der Bürgermeister von Cork und 11 andere Hungerftreikcnde der Irländer könnten nur freigegeben werden gegen die bestimmte Sicherheit, daß die' Anschläge gegen die Polizei anf- hören. Davon sei bis jetzt keine Rede. ^

Neues vom Tage.

Die Konferenz von Strefa.

B-.'rlin, 8. Sept. Wie berichtet, ist der Reichsernäh- rnngsnu'nister Hermes in Begleitung einiger Beamten nach Stresa (am Lago Maggiore in Obcritalien) abgereist, um mit Vertretern der italienischen Regierung über Ernährungsfragen zu verhandeln. In der ersten Sitzung erklärte Hermes, die in Spa Deutschland zugesagte Unter­stützung mit Lebensmitteln bleibe unzureichend, wenn Deutschland die Vorschüsse bereits im Mai 1921 wieder zurückzahlen müßte. Der italienische Ernährungskom- miffar Soleri verspracht daß die italienische Regie­rung bei der Wiederguimachungskomnüssion für die Frist­verlängerung einireien werde. Tic italienischen Schiffe, die Kohlen aus Deutschland holen, sollen nach Deutsch­land Phosphate (Kunstdüngcrstossc) bringen.

Dev Mittellandkanal.

Berlin, 8. Sept. Ter Mittellandkanalausschuß der preußischen Laiidesvcrsammlung nahm einen Antrag an, daß das mitteldeutsche Industriegebiet durch einen Sei- tenkanal oder durch Verbesserung der Schiffbarkeit der Elbe und der Saale an den Mittellandkanal angeschlos­sen werden solle. (Der Mittellandkanal soll bekanntlich Rhein und Elbe durch den Dortmund-Emskanal und die kanalisierte Weser zwischen Wolmirstedt (Elbe) und Rnhrort (Rhein) verbinden.)

Ungehaltene Waffensendung.

Berlin, 8. Sept. Aus dem Neuköllner Jndustrie- kanal bei Merlin hielten die Arbeiter einen mit 26 Geschützen und einigen Schmicdewagm beladenen Kahn an, dessen Ladung für die Reichswehr in Ostpreußen bestimmt, die aber in Stettin nicht wesierbesördert, son­dern nach Berlin znrüctgesandt worden war. Als dies festgestellt war, gaben die Arbeiter die Ladung frei- Bolschewistische Meuterei.

Danzig, 8. Sept. Beim Abtransport von 200 Bol­schewisten aus Ostpreußen kam es im Tauziger Hafen auf dem DampferOdin" zu einer schweren Meu­terei. Während der führende deutsche Uuterofsizier an Land Proviant eiukaufte, wiegelte der deutsche (!) Schifsskoch die Russen auf, die die Kommandobrücke stür­men wollten. Die deutschen Wachsoldaten gaben Feuer; der Koch wurde getötet. Das Schiss mußte sofort seine Reise sortsetzeu. Der Vorfall wird ans deutschem Boden untersucht -werden.

Krieg im Osten.

Warschau, 7. Sept. Die Feindseligkeiten zwischen Polen und Litauen sind beendet; in Mariampal werden die Friedensverhaudlungen eröffnet.

Um den Bürgermeister von Cork.

London, 7. Sept. Lloyd George und Bonar Law haben die Freilassung des freiwillig hungernden Bür­germeisters Won Cork abgelehnt. Der Präsident der sogenannten irischen Republik, Griffith, hat die Ver­mittlung Wilsons für den Bürgermeister telegraphisch erbeten. . (Merkwürdig, daß man noch so vielfach an einen Einfluß Wilsons glaubt!) Der Gewerkschafts­kongreß in Portsmouth,' der 8ps Millionen Mitglieder vertritt, forderte in einer Entschließung die Freilassung des Bürgermeisters.

Englische Schiffe boykottiert.

London, 7. Sept. Der Boykott englischer Schisse in den amerikanischen Häfen Hai eine ernste Lage für die englischen Getreideiransporte geschaffen, da auch die .Hafenarbeiter der Getreidespeicher sich dem Boykott an- schlos'en. Seit Samstag ist kein -englischer Dampfer mehr ausgelaufen.

Präsident Obregon.

Mexiko, 7. Sept. Znm Präsidenten der Republik Mepikv wurde General Obregon gewählt. Obregon war ein Gegner des ermordeten Präsidenten Carranza.