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(Enztalbote)

Amtsblatt für Wildbad. Chronik und Anzeigenblatt

für das obere Enztal.

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad.

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Nummer 172

Fernruf 179.

Miläbuä, Mittwoäi, öen 28. )uli 1920.

Fernruf 179.

54. ^ukrgsng

Die Gefahr im Osten.

Seitdem Polen zur freien Republik erklärt ist, führt cs ununterbrochen Krieg. Zuerst im November und Dezem­ber 1918 vertrieben polnische Truppen mit bestialischer Grausamkeit die Ukrainer, die zur Befreiung der Ost­galizien bewohnenden Stammesbrüder bis Lemberg vor- gedrungeu waren. In der ersten Hälfte des Jahres 1919 trat Polen denEroberungszug" gegen Osten an gegen Sowjetrußland, dem durch seine Kämpfe in Si­birien gegen den Admiral Koltschak und in Südftuß- land gegen General Denikindie Hände gebunden waren. Wilne wurde besetzt, auf das Lithauen Anspruch erhob, und die polnische Front wurde bis in die Linie vorge­schoben,. in der die Polen bis ihrem neuen Angriff in diesem Frühjahr g blieben sind. Diese Linie b.gann südlich -Dünaburgs, verlies zu, Beresina, schnitt den Pripet bei Mczyr und erreichte durch Podolien und Wol­hynien^ die ostgalizische Grenze. Im Winter war ohne Ergebnis mit den sogenannten Randstaaten und Finnland wegen eines Angriffsbündnisses gegen'Moskau verhandelt worden. Esthland schloß vielmehr auf eigene Faust mit Rußland Frieden.

Die mühelosen Erfolge im Verein mit den Aufmun­terungen des Verbands, jedenfalls Frankreichs, hatten die Polen zu dem Plan ia «gereizt, ein Großpolen zu errichten, das vom Schwarzen Meer bis zur Ostsee reichen sollte. So wurde der Eroberungskrieg gegen Kiew von demFeldmarschall" Pilsudski unternom­men. Es waren die letzten leichten Siege des polnischen Heers. Der Siegesübermut der Polen war so groß geworden, daß sie den in der Krim gegen die Bochche- misten känipfenden General Wränge Ich den Nachfol­ger Denikins, nur spöttisch behandelten, als er Unter­händler nach Warschau schickte, um über ein militärisches uns politisches Bündnis Vorschläge zu machen. Da kam der Umschlag. Die Bolschewisten hatten in Sibirien Luft bekommen und konnten nun ihre Truppen an die Ost­front werfen. Alle waffenfähige Mannschaft, die Offi­ziere des zaristischen Systems traten wieder in das Heer ein, um die verhaßten Polen zu vertreiben, und ebenso schnell, als sie eingedrungen waren, wurden die Polen wieder zurückgeworfen. Heute stehen die Russen fast auf der ganzen Front auf dem Boden des eigentlichen Polens, unbekümmert um die Drohungen der Verbün­deten.

Die Russen stehen dicht vor der ostpreußischen Grenze. Aus den verworrenen und unklaren Berichten der amt­lichen und halbamtlichen Stellen ist nicht viel heraus­zuholen. Es scheint, daß zwischen Moskau und den Verbündeten hin und her ein diplomatischer Ränkekrieg sondergleichen geführt wird. Tie russische .Heeresleitung aber geht ihre eigenen Wege und verfolgt ihr Ziel, Polen erst militärisch niederzuwerfen und dann erst von Frieden zu sprechen, mit altrussischer Beharrlichkeit. Ob sie sich damit in einen Gegensatz zu der Svwjetregiernng in Mos­kau gesetzt hat, die den Befehl zur Einstellung der Feind­seligkeiten gegeben haben soll, ist noch- nicht ganz durch­sichtig. Unmöglich wäre es nicht, daß die Moskauer Regierung öffentlich sich zum Frieden geneigt zeigte, um die Verbündeten, die ja angeblich ihr geliebtes Polen großartig unterstützen wollen und dazu auch den ge­wöhnlichsten Soldaten- nnd Wafsenschmuggel durch Deutschland nicht verschmäh,«, zu täuschen, während die Sowjetregieruug gleichzeitig insgeheim den Wunsch hätte, daß weitergekämpft und die günstige militärische Lage so weit als möglich ausgenützt werde. UebLrdies soll die Sowjetregierung in bezug auf die Fortsetzung des Kriegs nicht einig sein. Ein Teil wünscht den Krie^g bis zum Aeußersten, der andere möchte Frieden, weil er wohl fürchtet, das siegreiche Heer könnte der Negierung über den Kopf wachsen.

Ten Polen geschieht gewiß ganz recht, ihr schamloses Wüten gegen die ihnen ausgelieferteu Deutschen macht jedem Deutschen auch nur die AnwaMlung von Mitge­fühl unmöglich. Aber dennoch muß Deutschland auf der Hut sein. Tie ausgesprochene bolschewistische Politik ist es, in unmittelbare Grenzberührung mit Deutschland zu kommen. Das war aber gerade der Hauptzweck der Verbündeten für die Erschaffung eines möglichst starken Polens, daß Rußland und Deutschland durch eine Scheide­wand politisch und besonders wirtschaftlich getrennt wür­den, Wenn durch die russischeil Siege die wirtschaft­

liche Berührung wiederhergestellt würde, so könnten wir damit wohl zufrieden sein, aber es ist kaum wahrschein­lich, daß sich die Bolschewisten damit begnügen würden, vielmehr ist zu befürchten, daß bolschewistische Werbearbeit dann in Deutschland mit um so größerem Ester wie­der ausgenommen würde und die Folgen wären unüber­sehbar; Deutschland könnte zum Tummelplatz neuer .Kriege werden. Daher erfordert die gegenwärtige Lage die volltc Aufmerksamkeit, Klugheit und Festigst:,.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 27. Juli.

lieber'die Tage von -pa ist von der Reichsregierung amtlich und nichtamtlich schon die Hauptsache mitgeteitt worden. Das, was in der gestrigen Abendsitzung dem Reichstag vorgetragen w'.'rde^ war nichts Neues mehr.'' Und doch entbehrten die Darlegungen des Reichskanzlers und des Außenministers nicht des außergewöhnlichen Interesses. Reichskanzler Fehr enb ach räumte ohne weiteres ein, daß in Spa auch die nieder gehaltenen Hoffnungen der Regierung sich nicht erfüllt haben, aller­er glaubt es verneinen zu müssen, daß unsere Lage durch den Vertrag von Spa sich verschlechtert habe. Das frei­lich müsse er zugeben,'best wenn Frankreich heute ini Ruhr­gebiet einmarschieren wolle, so werde das nicht mehr ein einseitiger GemaltstreiÄ der Franzosen sein, sondern die Besetzung werde durch den ganzen Verband gedeckt sein. Es gebe kein Mittel mehr, den Einmarsch zu verhindern, als die genaueste Erfüllung des Vertrags. Im deutschen Volk habe man eben die ganze schwere Bedeutung des Friedeusvertrags noch nicht erkannt, sonst würde der Vertrag von Spa weniger getadelt werden.

Nach dem Reichskanzler spricht der Minister des Auswärtigen, Dr. Simons, mit leiser Stimme, so daß er im Saal schwer verständlich ist. Die Abgeordneten scharen sich um das Rednerpult. Bezüglich des Abkom­mens von Spa betont der Minister, daß die amtliche Ver­tretung einmütig den Vertrag decke. Wenn die Unter­zeichnung Unzufriedenheit erweckt habe, so sollte man doch den Friedensvertrag genau ansehen; das Abkom­men von Spa sei nur die Folge des Vertrags von Versailles; diesen hätte man niemals unterschreiben sollen. Auf dem Vertrag von Versailles haben unsere Gegner ihre ganze Politik aufgebaut und jetzt sei nichts mehr zu ändern. Der Sieger von Spa sei Millerand. Sodann geht der Minister auf die auswärtige Politik im ganzen über. Er berührt den Vorfall in Berlin bei der fran--- zösischen Nationalfeier, die Errichtung der französischen Gesandtschaft in München, den Fäll Dorten, dessen Ver­haftung er für einen Verstoß gegen das Völkerrecht hält. Ferner findet der Minister Worte der Anerkennung für Italien und den Grafen Sforza, für Lloyd George, dessen beweglichen Geist er rühmt. Die deutsche Neu^ tralitätserklärung werde dem Westen wie dem Osten ge­recht. Sowjetrußland sei kein Chaos mehr, es werde dort jetzt auch aufvauende Arbeit geleistet, die wir uns zum Muster nehmen könnten. Trotzdem dürfen wir uns Rußland nicht in die Arme werfen, wenn Deutschland nicht zum Schlachtfeld der Welt gemacht werden soll.

Die Ausführungen Simons riefen teilweise Widerspruch hervor und in den Reihen seiner eigenen Partei (Deutsche Nolksplartei) schien man geteilter Meinung über die Wirkung seiner Worte zu sein, im allgemeinen wurde die Rede nicht unfreundlich ausgenommen. Die heutige Aussprache wird darüber Belehrung bringen.

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Die Sitz»-g b.i m! abends 5.15 Uhr.

Präsident Lobs gedenkt der Abstimnmnz-ercpbnisse in Ost- Lprcnßen. Sie seien ein Stolz nnd ein Trost, zugleich eine Hoffnung bezüglich Obcrschlesicns.

Der bisherige Präsident und Vizepräsident meiden mieder- gewählt.

Reichskanzler Fehvenbach erstattet sodann Bericht über Spa. Viel Neues läßt sich nicht sagen. Die Verhandlungen haben sich nicht zwischen gleichen Parteien vollzogen, sondern den Charakter eines Diktats getragen. Zweimkl standen wir vor der Frage des Abbruchs. Wir haben uns schließlich gefügt, aber bei der Entwaffnungs- und Kohlsnsragc unseren Stand­punkt gewahrt. Unser Rechtsstand beruht ans dem Völkerrecht. Deshalb müssen wir den Einmarsch ablehnen. Dagegen gibt cs nur ein Mittel, die eingegangcnen Verpflichtungen so sorgfäl­tig wie möglich zu erfüllen. Ich warne vor etwaigen Putschen nnd Unruhen, die gerade jetzt ein Verbrechen an der Nation r ""en. Die Sachverständigen sind der Ansicht, deß die uns in der Kohlenfrage amerlegteu Lasten unmöglich seien,.-BE-

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arbeiteischast unv Dransportarveiter vervienen wank für Ihre vaterländische Haltung. Einem kraftvollen Volk ist bei An­spannung aller Kräfte auch das Unmögliche möglich geworden.

Minister des Auswärtigen Simons: Für die Ergebnisse von Spa .tragen die Minister gemeinsam die Verantwortung. Ich bitte, nicht nachzuforschen, wie sich jeder einzelne Minister zu den einzelnen Punkten gestellt hat. Für uns war es ein Ringen um die einzelnen Punkte, für den Verband war es mehr:

Die Verteilung der Beute von Versailles. Der Friedensvertrag entspricht weder dem Waffenstillstand noch dem Völkerrecht.

Wir müssen warten, bis eine höhere Macht die Gegner eines besseren belehrt. Die Verbündeten würden den Einmarsch ins Ruhrgebiet als einen Sprung ins Dunkle nur sehr ungern vor- > genommen haben. Er freue sich, in dem Botschafter Laurent einen Mann nach Berlin bekommen zu haben, der die wirt­schaftlichen Beziehungen mit F-ankreich wieder aufbauen wolle.

Der R:d: e. kommt lann auf tie Flaggenan:el:g:nhe't zu sprech.n.

Wir waren im Unrecht und mußten für den Streich eines Toren Genugtuung geben. Gegen die französisch? Gesandtschaft in München habe er bereits Einspruch erhoben. Trotzdem habe Herr Dard den bayerischen Ministerpräsidenten wie Zielen aus x dem Busch überrumpelt. Bayern seinerseits werde keinen Ge­sandten nach Paris schicken. Was die Verhaftung Dr. Dortens anlange, so habe er für derartige eigenmächtige Handlungen einzelner Regierungsstellen kein Verständnis. Herr Dorten sei bereits wieder unterwegs nach Wiesbaden. 2n der Polrnsrage habe Lloyd-George zu unseren Gunsten eingegriffen und habe dabei sicher nicht an unseren Vorteil gedacht. Aber er habe einen offenen Blick und er wolle ihm, der jetzt erkrankt sein solle, wünschen, daß er bald wieder hergestellt sein werde.

Mit Italien werden sich unsere Beziehungen bald wieder cin- renkcn. Mit Amerika befinden wir uns noch immer im Kriegs­zustand. Ein Ende ist vor März nächsten Jahres nicht abzu- sehcn. Dafür setzen aber drüben menschenfreundliche Bestre­bungen ein, für die wir herzlich danken. Wir wollen kn dem rus>i,ch-p 2 l ftschen Kampf neutral sein, doch der Versailler Ver­trag macht uns das schwer. Wir lassen keine Transporte für / beide Machte durch unser Gebiet durch und haben jede Ausfuhr von Waffen und Munition dorthin untersagt. Er sehe nichts schlimmes in der Sovjetrepublik. Es werde dort eine rege Aufbautätigkeit betriebe», die uns vielfach als Muster dienen könne. (Beifall links. Zuruf:Das habt ihr wohl nicht erwartet.") Nun hat man uns geraten, uns in Rußlands Arme zu werfen, um die Versailler Verpflichtungen los zu werden. Davor werden wir uns hüten. Wir haben an einem 30jährigen Krieg genug. Wenn Polen seine künftige Auf­gabe darin sucht', eine schranke zwischen Rußland und Deutsä)- land zu bilden, wird cs eine höchst unglückliche Zukunft ha­ben. Deutschland hat nichts gegen Polen. Der Redner kommt sodann auf Vela Kuhn zu sprechen. Stellt sich heraus, daß Kuhn nur ein politischer Verbrecher ist, wird er dorthin ge­bracht werden, wohin er es wünscht. Im andern Fall wird er ausgeliefert.

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Berlin, 27. Juli. Tie Blätter schreiben, die Rede des Ministers Simons habe enttäuscht. DerVor­wärts" glaubt an die Möglichkeit einer Regierungs­krisis. TerBerliner Lokalanzeiger" teilt mit, in der Fraktionssitzung der Deutschen Volkspartci sei znm Aus­druck gekommen, daß man von Simons kräftigere na­tionale Worte erwartet habe. Zu einer Krisis werde es aber nickst lmnwm. .

Neues vsm Tage.

Neuer Protest.

Berlin, 27. Juli. Tie Reichsregierung hat der Fst.e- denskonferenz neue Belege für die vertragswidrige Unter­drückung der Wahlfreiheit in Eupen und Malmedy durch die Belgier übersandt.

Absage an die deutschen Bergarbeiter.

Duisburg, 27. Juli. Auf eine Anfrage an das Internationale Geschäftsbureau, ob die Berg­arbeiter der anderen Länder ein geschlossenes Vorgehen ge­gen die vom Verband geforderte Mehrleistung der Koh­lenförderung iin Ruhrgebiet unterstützen würden, antwortete das Bureau der deutschen Bergarbeiterschaft, ein inter­nationales Vorgehen der Bergarbeiter sei nicht zu er­warten, ein solches würde besonders von den gemäßigten Arbeiterorganisationen Englands, Frankreichs nnd Bel­giens abgelehnt. Das radikale Arbeiter-Syndikat des Seine-Bezirks (Paris) würde dagegen bereit sein, die deutschen Bergarbeiter in einem Kampf W unterstützen.

Geheime Wafsenlager.

Berlin, 27. Juli. Nach demBert. Lokalanz." sind außer in Brannschweig auch bei Helmstedt und Fellstcdt geheime Waffenlager entdeckt worden.

Verschiebung des holländischen Kredits.

Amsterdam, 27. Juli. Wie gemeldet wird, hat die holländische Regierung, veranlaßt durch die Rede des deutschen Ministers Simons, die Einbringung der Kreditvorlage von 200 Millionen Gulden für Deutsch­land bis zum Herhst vuschobeil. , .