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Amtsblatt für Wildbad. Chronik «nd Anzeigenblatt

für das obere Cnztal.

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Nummer

Fernruf 179

Erscheint täglich, ausgenommen Sonn- u. feiertags. Seougspreis monatlich Mk. 4.50, vierleljslirlicti 13.50 lrei ins ksaus geliekerl; durch die Pott bezogen im innerdeutschen Verkelir Mk. 13.50 und 90 ptg. pott- bettellgeld.

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad.

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Vssiläbuä, Zsmswg, c!en Z. 1u!i 1920.

Fernruf 179.

54. 'juiirgung

Tas Neichskabinett ist glücklich beisammen. Dem Reichskanzler Fehrenbach ist es trotz seiner in Jahr­zehnten erprobten parlamentarischen Fähigkeit recht sau­er geworden, sein Ministerium zusammenzubringen. Rund 5 Wochen hat es gedauert, bis all die Schwierigkeiten überwunden waren. Tie Nöte des Reiches ist groß; nicht weniger als 265 Milliarden Schulden sind nach den Ausführungen des Reichsfinanzministers Tr. Wirth zu verzeichnen. Keine Kleinigkeit! Vor dem Krieg waren es 5 Milliarden, vor der Revolution 165 Milliarden. Wie soll da der Bankrott vermieden werden, bei einem Papiergeld nm lauf von mehr- als 50 Milliarden? Eine große Gefahr besteht in der neuen Bestimmung des löprozentigen Lohnabzugs, den sich niemand gefallen lassen will, dazu die. überall zutage getretenen und noch im Keime befindlichen Le­be n s m i t t e l u n r u h e n. Ueberall erhebt das' Gespenst des Bolschewismus und der Anarchie drohend sein Haupt. Wir find in eine Wirtschaftskrise einglreten, wie sie in der Geschichte der Menschheit noch nie erlebt wur­de. Auf den trunkenen Taumel des Großverdienens und der Vergeudung folgt jetzt die furchtbare Ernüchterung des Niederbruchs, ein Zustand, der mit dem Worte Katzen­jammer nur eine matte, den Tatsachen nimmer gerecht «erdende Schilderung erfährt. Tie Steuerschrau­be ist bereits" überdreht. Ter Volkskörper verblutet. Unter solchen Vorzeichen und Zuständen müssen wir dem­nächst zur Wahldes Reichspräsidenten schreiten. Ta wäre es nun wahrhastig kluZ, nicht wieder Zuerst nach der Parteizugehörigkeit des Kandidaten zu fragen, son­dern welcher Per Tüchtigste ist, der Erfahrenste, der Zu- eerlässigste, kurz der Beste. Man spricht von Hinden- burg. Gewiß, ein verehrenswerter Mann von aus­gezeichnetem Charakter, ein großer Feldherr, aber nur nn Soldat. Auch vom Grafen Posadowsky spricht man. Aber da heißt es dann gleich wieder: Ein Graf! Ein Konservativer! Man kann und will niemand seine Mei­nung vorschreiben, doch könnte jeder wissen, wer der Graf im Barte" ist. Ein Mann von höchster politi­scher Reife, von besten Charaktereigenschaften, ein glän­zender Redner und eine Persönlichkeit, in deren Hände die Zügel des Reiches gut aufgehoben wären. Man nenne uns einen besseren, und wir wollen ihm die Stim­me geben; denn der beste ist gerade gut genug für die­ses Amt.

Wie kurz angedeutet, hat die Lebensmittelfra­ge die Gemüter bis tief in die Kreise des sonst ruhigen Bürgertums hinein stark erhitzt. Tie Klassengegensätze sind schroffer geworden als je, nicht nur in den Städten, sondern auch zwischen Stadt und Land. Tie Brot- versorgun.g ist schlecht. An Fleisch herrscht gro­ßer Mangel bei ungeheurer Teuerung. Ter Kamps um die Milchpreise geht überall noch weiter. Tie Re gierung hat sich mit Rücksicht auf genötigt gesehen, an der Erhöhung , , . . der Appell an das Billigkeirsgefühl unserer Land wirte ist nicht ungehört verhallt. Auch wir haben an - dieser Stelle die Bauern zur Rücksichtnahme auf die Kranken und Kinder aufgerufen. Aufrichtiger Dank und warmherzige Anerkennung gebührt allen denen, die ihrer Christenpflicht eingedenk blieben und den eigenen Nutzin hinter die Gebote der Nächstenliebe znrückstellten. Es berührt überaus wohltuend, daß in dieser vom schnödesten Matericllismus erfüllten Zeit zahlreiche Bezirke des Lan­des in freier Aussprache der politischen und wirtschaft­lichen Gruppen, schiedlich und friedlich zu einer Eini­gung gelangt sind, die die gröbsten Härten der Milch­versorgung beseitigt. "Wenn wir in allen Nöten dieser schweren Zeit,'in'allen Schlägen des Volkes so denken und handeln würden, wahrUch. wir kämen um einen guten' Schritt weiter auf dem Wege des Wiederaufbaus und der Versöhnung!

All unsere Inland sorgen erscheinen klein, so groß und schwerwiewgend sie auch sind, wenn wir unseren Blick dem Ausland zuwenden. Eine kurze Spanne Frist trennt uns noch von der Konferenz in Spaa, zu der die ehemaligen Feinde außer den früheren Zusam­menkünften auf englischem und französischem Boden noch eine Vorkonferenz in Brüssel abgehalten, haben. Und wcw wir von dort hören, läßt das Schlimmste befürchten. Dll. E n tw a f f nu n g s n o t en, mit denen uns die Entente diese Woche bedachte^ sprachen immer noch die Sprache pop

die Erzeugerkosten festzuhalten, aber

Poincare und Elemenceau, sie sind ganz mit sranzösi- fchem Geist erfüllt. Deutschland muß darniedergehallen oerden. Es darf sich nur so weit erholen, wie der Sklave, den man füttert, damit er seine Arbeit schaf­fen kann, der aber nimmer erstarken darf, weil er sonst seine Kette sprengen könnte. Diese dem Völkerbunds­gedanken Hohn sprechende Handlung der Entente können wir nur verstehen, wenn wir ihre eigenen Schwierig­keiten betrachten, den Haß, den sie längst untereinander fegen, das Mißtrauen, mit dem sie ihre Schritte im Osten gegenseitig beobachten. In der Türkei und in stleinasien ist es nicht gut bestellt mit ihnen. Tie Ita­liener haben sogar Valona räumen müssen. Die Dar­danellen sind für England immer noch in Gefahr. Der Franzose fühlt sich in Syrien nicht wohl und traut we- wr dem Engländer noch dem Italiener. Das einzige Bindemittel ist der gemeinschaftliche Haß gegen Deutschland. Gegen uns halten sie alle zusammen. Nirgends zeigt sich uns ein Retter. Auch die uns frü­her freundlich gesinnten Staaten verstummen und so recht oeutlich kommt unL das Sprichwort vor Augen:Bon Freunden in der Not, gehen hundert auf ein Pot!" Ganz auf unsere Selbsthilfe sind wir angewiesen. Auf­gabe der nach Spaa entsandten deutschen Abordnung, unter Führung des Reichskanzlers Fehrenbach, der Reichsminister Tr. Simons, Sch o l z und Hermes, wird' es sein, das drohende Gespenst der völligen Ver­nichtung und'Verstümmelung vom Reich abzuhalten'und mit Erfolg dem verbrecherischen Treiben unserer Feinde feierlich und bis aufs Aeußerste Einhalt zu gebieten. Wenn wir uns die Weltlage und unser eigenes Schick­sal vor Augen führen, dann bleibt uns die Erkenntnis, saß wir endlich anshören müssen, uns im Innern zu zerfleischen. Wir müssen einig zusammenstehen, da­mit wir das Leben des Reichs und das Leben je­des einzelnen Deutschen vor dem Untergang be­wahren.

Finanzminister Wirth im Reichstag.

Ter Fiuanzetat steht erst in großen Ziffern fest. Der ordentliche Etat werde zum erstenmal seit der Vor­kriegszeit balancieren und zwar mit 28 Milliar­den. Dabei seien aber gegen 3 Milliarden noch nicht bewilligte Steuern in Rechnung gestellt. Im außerordentlichen Etat seien vorgesehen an Ausgaben 11,6 Milliarden, darunter 5 Milliarden für den Frie­densvertrag, die aber kaum reichen würden. Dazu kämen aber 15 bis 16 Milliarden Fehlbeträge aus den Be­triebsverwaltungen, Eisenbahnen nsw., so daß die außer­ordentlichen Ausgaben auf 26,7 bis 27,6 Milliarden steigen und ein Gesamtetat von 54 bis 55 Milliarden sich ergebe.

Dis Schuld des Reichs

betrage 209 Milliarden. Dazu kämen die Kriegsauf­wendungen der Länder und Gemeinden mit 15 bis 16 Milliarden, für die das Reich aufzukommen habe. Am Schluß feiner Ausführungen sagte der Minister u. a. noch: Wir stehen vor Spaa und damit stehen wir vor unserem Schicksal, ja

vor dem Schicksal Europas.

Bon den Verhandlungen in Spaa hängt nichc nur unsere Zukunft ab, sondern auch die Frage des ge­samten europäischen Wiederaufbaus. Wenn Vernunft und Verstäudiguiigswille die Verhandlungen beherrschen, kann man wohl auf einen Erfolg hoffen, der zu einer ra­scheren .Hebung der Kricgsschäden zu führen vermag und uns auch wirtschaftlich wieder zu Atem kommen läßt. Notwendig ab er ist, d a ß T eu ts chland s wirt- schaftliche Leistungsfähigkeit wieder geho­ben wird. Tas Problem der deutschen Zahlungsfähig­keit ist primär ein wirtschaftliches und erst sekundär ein geldliches Problem. Tie ganze Welt muß von dem Geldwahn loszukommeu suchen. Man darf nicht ver­gessen, daß internationale Schuldabtragun- gen nur erfolgen durch Sachgutlieferun- a en oder Dienstleistungen irgendwelcher Art. Das ganze Wiedergutmachungsproblem wächst sich damit von si >st ;n einem

Problem der Produktion

ms. Welche Finanztransaktionen man auch erdenken nag, alle gehen schließlich wieder zurück auf die einfache

Formel der Ueberschutz'.eistnngen btt lmmischen Wrri- ichaft an Ware oder Dienst zugunüeu'der Evteiue. llu- :er diesem wirtschaftlichen Gesichtswinkel muß mau die zanze Wiedergutmachung: frage mischen. Wenn, das Pra­llem von Spaa zu einem für Europa günstige!) Er­gebnis geführt werden soll, müssen Verhandlungen ge­ährt werden mit dem-ehrlicheu Willen, das niedergedrückte Luropa wieder aufzurichten und die drohende Gefahr ws finanziellen, wi'rtfchasilichen. sozialen und allgemein nltnrelleu Bankrotts von den hart betroffenen Ländern Europas zu bannen.

Das Problem ist ein, e u r o p ä i s ch es, ja einWelt- irobl ein. Kommt es irgendwo zu eimm Zusammen- >ruch, so pflanzt er sich fort auf alle übrigen Länder, lud die Weltwirtschaft würde ungeheuer schwere.ii Scha­ren erleiden, schon üus dem Grunde, weil etliche Ab- atzgebiete veröden müßten. Au unserem g u t e u W i l- len bei den Verhandlungen wird es nicht feh­len. Wir wissen, daß wir mehr als jedes andere Land unter den Lasten zu tragen haben werden, die der Krieg auferlegt hat. Die deutsche Regierung und das deutsche Volk haben trotz aller ungeheuren Nöte der Zeit bisher schon Leistungen vollbracht, wie sie noch keinem Volke nach einem verlorenen Kriege je auferlegt morden sind. Nur darf mau immer wieder nicht vergessen, daß jeder, der Arbeit leisten soll, auch das nötige Handwerkszeug und den nötigen Arbeitsstoff zur Leistung haben muß. Nimmt man ihm diese weg, oder enthüll man sie ihm vor, so kann man ihn nicht beschuldigen, zu wenig geleistet zu haben. Das deutsche Volk muß sich jetzt des ganzen Ernstes der gegenwärtigen Lage bewußt sein. In diesen Stunden entscheidet sich nicht nur unser nächstes Schicksal, sondern auch die Zukunft unserer Kinde: und Kindeskinder. Einig und geschlossen müssen wir stehen, müssen wir die Lasten auf uns nehmen, die ans dem Krieg und dem Friedensvertrag erwachsen. All unser Hoffen, daß doch noch eine bessere Zeit kommen werde, beruht auf der Arbeit, auf unserem Können und dem Fleiß unserer Hände. Die Not der Zeit muß bezwun­gen werden.

Neues vom Tage.

Landwirtschaftliche Reichstagsgrnppe.

Berlin, 2. Juki. Die landwirtschaftlichen Abgeord­neten aller bürgerlichen Reichstagsfraktionen haben sich, wie dasBerk. Tageblatt" meldet, zu einem zwisch en- fraktionellen La n d w irts ch a fts auss ch zn- sammengeschlossen, um gemeinsam brennend gewordene Fragen der Landwirtschaft zu beraten. Der Ausschuß trat Mittwoch zu seiner gründenden Sitzung zusammen. Er hielt gestern seine erste Sitzung ab, auf deren Tages­ordnung die Frage des Abbaus der Zwangs­wirtschaft stand. Dem Ausschuß gehören Vertreter des Deutschen Bauernbunds, des Bundes der Landwirte, des Bayerischen Bauernbunds, des Hessischen Bauern­bunds, der Christlichen Bauernvereine, der Deutschen Bolksvarlei an. In der Gründitngsversammlnng wurde betont, daß die Fraktionsrichtungen unter allen Um­ständen gewährt bleiben müßten.

Tie Abgeordneten -er besetzten Gebiete.

Berlin, 2. Juli. Die Reichstagsabgeordneten aus den besetzten rheinischen Gebieten hielten gestern im Reichstag eine Besprechung über verschiedene Mißständc ab. Alle Fraktionen, mit Ausnahme der Unabhängigen, waren vertreten. Mit großer Entschiedenheit wurde, demVorwärts"" zufolge, verlangt, daß die Reichs- regiernng auf eine Verkürzung der Bes e l-, n n g s - daner hinwirke. ' '

Letzte Frist.

Berlin, 2. Juli. Tie Frist zur Anme.d:i..g i'.'r deut­schen Forderungen beim ReichSansgleichsamt ist endgül­tig auf 31. Juli 1920 festgesetzt worden. Wer auch dic neue Nachfrist verstreichen läßt, kann Streu gewärtigen.

Ende der Brotkrisis.

Dresden, 2. Juli. Tie Reichsgetreid.Ä.'lle cllll'Ue der sächsischen Regierung, daß die Broikrisis nun ü.ier- wunden sei, da ausländisches Getreide sich iw befinde.

Ernste Lage in Pommern.

Berlin, 2. Juli. Die Lage im Landarbeiters« reil t:r Pommern bleibt^ wie die Morgenblätter berichten, ernst.

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