Mader Tagblatt

(Enztalbote)

Amtsblatt für Wil-bad. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad.

LG

Nummer 1S5

Fernruf 17S.

Nilädsä, vienstsg, äen 15. )uni 1920.

Fernruf 179.

64. ^kikrgsnn

Die Verhandlungen mit Krassin.

' Krassin wurde am Montag vom ganzen englischen Kabinett empfangen, mit Ausnahme des Kriegsministers Churchill, der der Wiederaufnahme der Beziehungen mit den Bolschewisten feindlich gegenübersteht. Die Teilnahme Oalfours, Chamberlains, des Marineministers Long, so­wie aller jener Minister des englischen Kabinetts, die der ersten Besprechung bereits beigewohnt haben, beweist, daß sich in London Wichtiges vorbereitet. Der amt­liche englische Bericht über die Zusammenkunft ist über­aus schweigsam und zählt nur die Namen der Anwesen­den auf. Bedeutungsvoll war jedenfalls, daß der ita­lienische Unterstaatssekretär Graf Sforza ihr beiwohnte, daß also auch Italien an die Wiederaufnhme der poli­tischen Beziehungen zu Rußland denkt. Auch Frankreich will nicht ganz abseits stehen. Das ständige Komitee des Obersten Wirtschaftsrats der Alliierten hatte eine Unter­redung mit Krassin, der die beiden französischen Finanz­delegierten Avenout und Halgouet beiwohnten.

In der Sitzung des englischen Unterhauses beantwortete Lloyd George eine Reihe von Anfragen, die sich auf Rußland beziehen. Er erklärte: Ter Beschluß, mit Ruß­land Handel zu treiben, sei in Frankreich gelegentlich ei­ner Sitzung gefaßt worden, wobei Vertreter aller Alliierten anwesend waren und Frankreich von Clemenceau vertreten wurde. 15 Monate hatte man vergeblich beraten, um eine Lösung des russischen Problems zu finden. End­lich sei man zu der Ansicht gelangt, daß aus jeden Fall die Handelsbeziehungen mit Rußland ausgenommen wer­den müssen. Im Februar, als Millerand schon Minister­präsident war, wurde entschieden, daß die Alliierten nicht in diplomatische Beziehungen zu Rußland treten könnten, bis festgestellt sei, daß die Schreckensherrschaft der Bolschewisten ein Ende habe. In San Remo je­doch beschlossen die Verbündeten, diebesten Methoden" zu studieren, um die Schwierigkeiten zu beseitigen, die sich der Wiederaufnahme friedlicher Beziehungen zu Ruß­land bisher in den Weg stellten. Für die Ernährung Europas sei Rußland von ausschlaggebender Bedeutung, und er könne mitteilen, daß in der Ukraine große Ge- treidcvorrüte vorhanden seien, in Rußland Getreide, Pe­troleum und Bauholz, alles Dinge, die England brauche. Deshalb sei es notwendig, die Transportmittel in Ruß­land wieder herzustellen, um diese Dinge wieder «us- slihren zu können. Mit einem Lande keinen Handel zu treiben, weil die Regierung einem nicht gefalle, sei un­möglich. Wir müssen, so schloß Lloyd George, in Ruß­land die Regierung hinnehmen, die wir vorsinden. Hun- derttausende von Menschen zu opfern, um die bolsche­wistische Regierung zu stürzen, und Milliarden hierfür zu opfern, dazu sei in England niemand bereit. Vorerst soll, nach derTimes", der Postverkehr zwischen Eng­land und Rußland wieder ausgenommen werden. Das würde natürlich eine teilweise Anerkennung der bolsche­wistischen Verwaltung bedeuten.

Haag, 10. Juni. DerNieuwe Courant" meldet «us London: Der ständige Ausschuß des Obersten Wirt­schaftsrats, der gestern zum erstenmal mit Krassin Zu­sammenkommen sollte, hielt eine Sitzung ab, an der Krassin aber nicht teilnahm, da Lloyd George ;e:ne Ab­sicht geändert habe.

Das '- Porzellangeld.

D-e berühmteStaatliche Porzellanmanufaktur Mei­ßen" in Sachsen hat bekanntlich versuchsweise Geldmün­zen aus Porzellan hergestellt, die neulich ein Vertreter desBerl. Tagebl." besichtigt hat.' Er schreibt darüber:

Unser altes Geld in rötlich braunem Böttgerporzel- lan! (So genannt nach dem Erfinder Johann Friedrich Vöttg er, der 1704 aus einem Ton der Meißener Gegend ei vortreffliches braunrotes Porzellan herstellte, was zur Gründung der Königlichen Porzellanmanufak­tur führte, deren erster Direktor Nötiger wurde.) Ich muß gesteheu, ich bin im ersten Augenblick erschrocken, «ls ich.dieseMünzen" in der Hand hatte. Unsere schönen Taler und 5-Mark-Stücke hatten doch wenigstens noch einen beträchtlichen Metallwert. Aber diese Porzellan- dingep? Sie'»sind ja gar nichts wert, nicht mehr als sin Hosenknopf. Erst allmählich wurde mit klar, daß ja unser schreckliches, zerrissenes, schmutziges, höchst un- hygienisches Papiergeld auch nichts wert ist, und ich habe mich mit dem Geld aus Porzellan ein wenig be­

freundet.' In der Tat, diese fein^säüberlich geprägten Porzellanmünzen haben viele Vorteile. Sie zerreißen nicht, sie können gewaschen werden,- sie verbrennen nicht, sie zerbrechen nur sehr schwer, und sie können nicht ge­fälschtwerden. Tenn erstens ist die Herstellung des Böttger- porzellans bis auf den heutigen Tag ein Geheimnis, und zweitens ist zur Fabrikation ein Brennofen not­wendig, den man ja schließlich nicht irgendwo im Keller verstecken kann. Auch die Herstellung selbst' mit dem Schwinden des Porzellans im Brand bietet so viele tech­nische Schwierigkeiten, daß die Fälscher kaum auf ihre ! Kosten kommen dürften. Aber das Porzellangeld hat , zwei schreckliche Nachteile: es knirrscht und klirrt in j nervenbetäubender Weise, wenn sich die Stücke aneinander- ! reiben, und das ist nicht jedermanns Sache. Zweitens: Wir können es überhaupt nicht gebrauchen! Vor dem Krieg vielleicht, aber heute nicht mehr. Tat man früher zwanzig, dreißig Mark in seinen Beutel, dann konnte man seinen Bedarf für acht Tage decken. Heute muß sich die Hausfrau schon ein paar hundert Mark in die Tasche stecken, wenn sie nur über die Straße geht. Und da sollte sie auf die Papierscheine verzichten können? Schon ein paar Mark in kleiner Porzellanmünze nehmen, obwohl sie nicht wesentlich größer sind als ihre me­tallenen Vlorgänger, einen so gewaltigen Raum ein, daß unsere Geldbörsen platzen würden. Aber wer weiß, vielleicht kommen die alten Zeiten wieder, in denen man sich die Geldkatze um den Bauch band.

Neues vom Tage.

Regierungskrisis in Oesterreich? M f

bien, 11. Juni. Nach der Sozialdem. .Korrespon­denz haben Staatskanzler Renner und die ) sozial­demokratischen Staatssekretäre die soz. Fraktion um die Ermächtigung ersucht, zurückzutreten, da der Wider­streit mit der Christlich-sozialen Partei sich neuerdings durch deren Forderung verschärft hat, daß die Beauf­sichtigung des Heerwesens durch die Soldatenräte Fbge­schafft werde. > ------M-

Der Staatskanzler Dr. Renner überreichte heute dem Präsidenten Seitz das Entlassungsgesuch des Ge« samtkabinetts.

Krieg im Osten. '.'NMAWWo

London, 11. Juni. Lloyd George erklärte im Unter­haus, seit dem 31. März sei keine Munition mehr an das Heer Denikins (das jetzt unter General Wrangel steht) nach Südrußland gesandt worden. Die englische Regierung habe General Wrangel klar gemacht, daß er ganz auf eigene Verantwortung handle, wenn er zum Die Reichsschulksnferenz.

Berlin, 13. Juni. Die Reichsschulkonferenz wurde am Freitag durch den Reichsminister,des Innern Dr. Koch eröffnet. Es sind 600 bis 700 Teilnehmer an­wesend. Der deutschnationale Abgeordnete Mumm und der Zentrumsabgeordnete Marx gaben Erklärungen ab, in der sie eine andere Zusammensetzung des Reichs- schulausschusses verlangten und sich gegen Abstimmungen wandten. Es folgten dann die Beratungen über den Punkt Schularten, Schulziele und organisatorische Zusammen­fassung zur Einheitsschule", worüber Oberstudienrat Dr. Kersch e n st einer das einführende Referat hielt. Er verlangte eine mit dem 6. Jahr beginnende einheitliche Grundschule für alle, bei der nach vier Jahren die erste Gabelung eintritt. Die Differenzierung soll nach Anlage erfolgen. Weiter sprachen Prof. Lin dner, Oberlehrer Dr. Kursen vomBund entschiedener Schnl- reformer", Generalsekretär Tews und Lizealdirektor Voß-Köln.

Ein Plan Llotzd Georges.

Leipzig, 13. Juni. DenLeipz. N. Nachr." wird ans Pari' gemeldet: Aus zuverlässiger Qulle kann mitge­teilt werden, daß das Hauptziel Lloyd Georgesin der internationalen Politik darauf gerichtet ist, den Obersten Rat der Alliierten endgültig zu beseitigen und an seine Stelle eine Konferenz der fünf Großmächte Eu­ropas, Frankreich, Italien, England, Deutschland und Rußland, zu setzen. Javan, Amerika und alle kleinen Staaten Europas sollen von dieser Konferenz ausgeschlos­sen sein, die das Schicksal Europas endgültig regeln soll Dieser große Plan begegnet begreiflicher­weise dem lebhaften Widerspruch Frankreichs.

Angriff auf die Bolschewisten übergehe. Er habe den Angriff doch unternommen. Die englische Abordnung, sei zurückgezogen worden. )

Nach einem Funksprnch aus Moskau hat ein Soldat auf Lenin einen Schuß ab gefeuert, der ihn an der Hand verletzte. Der Täter ist verhaftet. -

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z Gegenrevolution in Rußland?

Tokio, 14. Juni. In Wladiwostock wurde ein Moskauer Funkspruch aufgefangen, wonach in Ruß­land die Gegenrevolution ausgebrochen sei. Trotzki soll ermordet worden sein, Lenin befinde sich auf der Flucht. Eine neue Regierung soll sich unter Brussilow gebildet haben.

Paris, 14. Juni. In offiziellen Kreisen wird erklärt, daß man keine Kenntnis Hinsicht!, der gemeldeten Gegen-' revolution in Rußland erhalten habe. Andererseits geht aus der Umfrage der Agentur Havas in den hiesigen offiziellen Kreisen hervor, daß seit dem 11. Juni die französischen Funkstationen aus Moskau nur unverständ­liche Radiogramme erhalten haben. Noch am Sonntag abend wurden undechiffrierbare russische Funksprüche auf­gefangen.

Badischer Landtag.

Karlsruhe, 10. Juni

46. Sitzung.

Das Haus nahm einen Zentrumsaacrag au, wam-w Regierung bei der Reichsregierung dahin wirken soll, daß für alles durch die Kürzung der Brotration der Selbst­versorger noch abzuliesernde Getreide ein Preis bezahlt wird, der dem für die Ernte 1920 in Aussicht genom-s menen Preis gleichkommt.

Abg. Kiefer (Ztr.) begründet einen Antrag über die Abhaltung von Betriebsrätekursen in den Städ­ten Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe, Rastatt, Offenburg, Freiburg, Lörrach, Donaueschingen, Singen und Kon­stanz. Abg. Hamann (Soz.) beantragt, auch die Stadt Pforzheim aufzunehmen. Abg. Gothein (Dem.): In erster Linie sollte die Ausbildung der Betriebsräte durch die Gewerkschaften erfolgen. Abg. Kieslich (Soz.): Der Textilarbeiterverband hat in Leipzig eine Hochschule ge­schaffen zur Ausbildung von Betriebsräten. Der ba­dische Staat ist verpflichtet, auf Diesem Gebiete auch -üwas zu .tun. Minister Rücke rt: Die Frage ber Betriebsrätekurse ist noch nicht geklärt, denn die Betriebs­räte sind zu jung im Amt. Formelle Kurse für Betriebs­räte sollte man nicht einführen; die Gewerkschaften sollten Kurse in ihren Reihen einrichten, der Staat wird dann den Gewerkschaften helfen, so gut er kann. Abg. Haber­mehl (D.-Nat.): Die Arbcjtgeberschaft in Deutschland hat dem Ausbau der Arbeiterausschüsse keine Schwierig­keit entgegengesekt, weil sie glaubt, daß die Mitarbeit der Arbeiterlchast auf verschiedenen Gebieten wertvoll werden könne. Der Antrag Kiefer soll an den Haushalt- Ausschuß znrückverwiesen werden, weil die Sache noch nicht genügend geklärt ist. Abg. Wehner (Soz.) führte auS, er sei auch der Meinung, daß die Schulen der Be- Betriebsräte durch die Gewerkschaften erfvlgen solle. Abg. Odenwald (Dem.) verlangte, haß der Geist des Be­triebsrätegesetzes mehr in die Betriebsräte hinein müsse. Nach einer weiteren Aussprache wurde der Antrag Habermehl einstimmig angenommen.

Karlsrnl'-. ll. J>,m.

47. Sitzung.

Der Landtag erledigte in seiner heutigen . um zu­nächst einige kleine Anfragen, darunter eine solche über die Kirschenausfuhr nach der Schweiz. Ein Regierungsvertreter erklärte dazu, es sei nicht richtig, daß Kirschen in größeren Mengen über die Grenze geführt werden. Die Ausfuhr der Kirschen nach der Schweiz sei verboten. " !

Es folgte die Besprechung einer Anfrage der demo­kratischen Fraktion über die Vertretung der badischen Beamtenschaft in den Reichsbehörd en. Finanz­minister Köhler erklärte, die badische Regierung tue ihr Möglichstes, damit Badener in allen Reichsstellen vertreten sind. In der sich anschließenden Aussprache wurde von Abgeordneten verschiedener Fraktionen ge­wünscht, daß die Vertretung von badischen Beamten hei