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agblatt

(Enztalbote)

Amtsblatt für Wildbad. Chronik und Anzeigenblatt

für das obere Enztal.

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i.

Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung: Th. Gack in Wildbad.

Num mer IZ 3 Fernruf 179. Wiläbsd, Zumstsg, den 12. luni 1920. Fernruf 179. 54. Mrgsng

Wochenrundschau.

Der Wahlkampf ist vorüber, das deutsche Volk hat gesprochen. Das Ergebnis des von ,allen Parteien mit Aufbietung der letzten Kräfte geführten Wettbewerbs um die Volksseele hat die- Vermutungen bestätigt, die sich auf die verschiedenen Zwischenwahlen seit Ende vorigen Jahrs stützten: ein starker Ruck nach rechts und eine ebenso starke Abwanderung ans der Sozialdemokratischen Partei in das radikalere Lager der Unabhängigen, wäh­rend allerdings die äußerste Linke, die Kommunistische Partei verhältnismäßig wenig Anhang gefunden hat und nur zwei Vertreter, Heckert und Klara Zetkin, in den Reichstag entsenden wird. Tie Sozialdemokratie wird in den: wiedererstandenea Reichstag nach der vorläufigen Berechnung mit 110 Abgeordneten ver­treten sein, statt 163 der Nationalversammlung von 1919, inbegriffen die 17 Abgeordneten aus den Abstimmungs­gebieten, die von der alten Nationalversammlung über­nommen werden, da in den Abstimmungsgebieten zurzeit keine Wahlen gestattet sind; sie sollen im Herbst nach­geholt werden, es sind also für den Herbst noch weitere Aenderungen in der Zusammensetzung des Reichstags zu erwarten. An die zweite Stelle ist die Unabhängige Soz. Partei gerückt mit 80 Abgeordneten (bisher 22), an dritter erscheint das Zentrum mit 67 (88). Dann folgen die T eutsch n a t io n a l e Volkspartei 60 (42), die Deutsche Volkspartei 61 (21), an sech­ster (bisher dritter) Stelle die Deutsche demokrati­sche Partei mit 46 (75) Abgeordneten, ferner die Christlich Föderalistische Liste, die sich zusam­mensetzt einerseits aus -der Bayerischen Volkspartei (dem jetzt selbständigen bayerischen Zentrum) und andererseits aus der Partei, die sich infolge des Streits um Erz­berger aus rechtsgerichteten Elementen des Rheinlands durch Absplitterung vom Zentrum neu gebildet hat, mit 21 Abgeordneten. Endlich noch die kleinen Parteien der Teutsiß-Hannoveraner (Welfen) mit 5 (4), des Bayer. Bauernbunds mit 4 und der Kommunisten mit 2 Abg.

Bei der Berechnung des Stimmengewinns und des Stimmenverlusts der einzelnen Parteien macht man ge- - wohnlich den Fehler, daß man einfach die Wahlergeb­nisse vom 19. Januar 1919 und vom 6. Juni 1920 gegeneinander hält. Das gibt aber ein ganz schiefes Büd Denn außer Elsaß-Lothringen hat 1919 das ganze alte Reich gewählt, 1920 aber fehlten Ostpreußen. Obcr- schlesien und Schleswig-Holstein was davon deutsch bleibt, soll, wie gesagt, im Herbst nachwählen, sowie der weitaus größte Teil von Westpreußen und Posen, welche Provinzen jetzt schon an Polen verloren sind. Rechnet man die in den genannten Provinzen abgege­benen Stimmen ab, so erhielten damals Stimmen: die Sozialdemokraten 10288121 (1920 5 531157h Zentrum 5444571 (3500800), Demokraten 4974 584 (2152509), Teutschnationale 2 666199 (3 638 851), Deutsche Volks- Partei 1155 611 (3 456131s, Unabhängige 2183 411

(4 809 862). Es haben also verloren: die Sozialdemo­kraten 4 756964 Stimmen (nicht 6 Millionen, wie irr­tümlich vielfach gezählt wird), Demokraten 2 822 075, Zentrum 1943 771, und es haben gewonnen: Un­abhängige 2 626 451, Deutsche Volkspartei 2 300520, Teutschnationale 972 652 Stimmen. Gewinn, und Ver­lust ermäßigen sich demnach der Stimmenzahl nach er­heblich, außerdem ist beim Zentrum zu berücksichtigen, daß die Christlich-Föderalistische Partei ihren Namen hat sie u. a. davon, daß sie die durch Erzbergers Finanz- resorm eingeleitete Ausgestaltung des Reichs zum ,(Ein­heitsstaat" bekämpft und den früheren bundesstaatlichen Charakter erhalten wissen will mit gewis'em Äd.r- behalt dem Zentrum beizuzählen ist, dessen dMuitzü- verluft sich dadurch streng genommen auf 688 Wi mäßigt. Bezüglich der Verteilung der AbgeordnelbMian-^ date und der Stärke der Parteien ist aber im Auge zu»-- behalten, daß der Reichstag 1920 aus Grund des 'zche- weglichen" Systems und der Wahlbeteiligung 462 Hgs-- geordnete zählt, während die Nationalversammlung 4^3. aufwies. Der Mandats Verlust einer Partei wird nach in dieser Beziehung in seiner Bedeutung ver-O schärft, der Gewinn entsprechend gemindert. '

Was das Verhältnis der Stimmen der sozialisti­schen zu dem der bürgerlichen Parteien anlangt,

-w hat die Sozialdemokratische Partei 3 064 650 Stimmen -ui die beiden radikalen Parteien abgegeben, der darüber

yinausgehende Stimmenverlust von st 692 314 ist ohne Zweifel zum weitaus größten Teil als Zugang den bür­gerlichen Parteien zugute gekommen. In runden Zahlen stehen ION, Millionen sozialistischen Wählern 15 Mil­lionen bürgerliche gegenüber. Die Wahlen sind, von geringfügigen Ausnahmen abgesehen, überall, Gott sei Tank, in Ruhe und Ordnung verlaufen und die von einigen Berliner Blättern ausgespreng.en Putschgerüchte erwiesen sich als blauer Tunst.

Es hat nicht viel Zweck, nach den Gründen zu for­schen, die die sehr beträchtliche Verschiebung der Partei­stärke im Reichstag herbeigeführr und die bisherige Re­gierungsmehrheit in eine Miuderheir verwandelt haben. Je nach dem Parteistandpunkt wird die Begründung ver­schieden ausfatlen. Ganz allgemein aber läßt sich tzHen, daß die Wahlen von 1919, unmirtelbar nach dem Zu­sammenbruch mrd noch mitten in den Wirren der Revo­lution, kein getreues Spiegelbild der eigentlichen Vo.kS- stimmung geben konnten. Zumal der Bauernstand hat damals in der berechtigten Verärgerung über, die böie Wirtschaft der von einer schwachen Regierung gebilligten Kriegsgesellschasten, unter der vor allem die Landwirt­schaft zu leiden hatte, den Linksparteien die Stimmen ge­geben. Tie Enttäuschung vom Standpunkt des Bauern konnte nicht ausbleiben, umso weniger, als die Revoku- tionsregierung es versäumte, mit den Fehlern der alten Regierung sogleich gründlich ausznräumen. Damals wäre es "Zeit gewesen und es wäre möglich gewesen, das Ochiebertnm und der Wucher wären nicht so in die Blüte geschossen und die Milliarden, die den Spekulanten in oie Tasche,/flössen, wären der Volkswirtschaft erhalten geblieben. Dazu kam mit eine Folge dieses Ver­säumnisses die rasende Zunahme der Verschuldung, die Entwertung des Gelds, die stetig steigende Preis- Verteuerung und die Flut des Papiergelds, die jetzt den Pegelstand von 65 Milliarden erreicht hat. Unsere Zeit hat einen Hunger nach führenden Persönlichkeiten. Das scheinen vor allem die Wählerinnen zu fühlen. So glaubte das linksdemokratischeBerliner Tageblatt" eine Flucht der demokratischen Frauen auf die reaktionäre Seite" seststellen zu können. Von den alten führenden Abgeordneten werden die meisten wieder in den Reichs­tag einziehen; den Kopf und die Rede Payers, der sich von der parlamentarischen Wirksamkeit zurückgezo­gen hat, wird man vermissen. Im Zentrum Wird Erz­berger wieder erscheinen; sein Widerpart Helffe- rich ist von den Deutschnationalen gewählt. Auch Frhr. v. Lersner, der sich seinerzeit weigerte, die berüchtigte Auslieferungsliste von Clemenceau entgegenzunehmen, ist M. d. RF gewählt von der Deutschen Volkspartei.

Gegenwärtig zerbricht man sich in der Reichsregie- rung und in den Parteien die Köpfe, was nun für eine Regierung gebildet werden soll, da die jetzige Regierung in die Minderheit gekommen ist. Nach dem Brauch einer parlamentarischen Verfassung müßte die Regierung von der neuen Mehrheit gebildet werden. Eine rein bürgerliche Regierung, die an sich möglich wäre, hat aber ihre Bedenken, weil die Sozialdemokraten dann mit der äußersten Linken in die Opposition gehen und der Klassenunterschied sich vertiefen würde. Die Unabhängigen wollen zwar den Klassengegensatz auf die Spitze treiben in der Hoffnung, so die Diktatur des Proletariats endlich erreichen zu können. Da­für ist aber die Zeit wohl vorüber. Vielmehr wäre gerade jetzt die beste Gelegenheit, das wirkliche oder ver­meintliche Klassenwesen ein für allemal ab zu tun. Die Deutschnationalen, die Deutsche Volkspartei, das Zen­trum und wahrscheinlich auch die Demokraten wären zu einer erweitertenKoalition", zu einer gemeinsamen Ar­beit mit den Sozialdemokraten in der Regierung bereit, aber diese selber wollen nicht, oder bis jetzt noch nicht. Angeblich fürchten sie, daß die Unabhängigen in der .Arbeiterschaft noch mehr Boden gewinnen würden. Das pollte aber kein Grund sein. Auf ein paar Abgeordnete §Ahr oder weniger käme es nicht an, die Sozialdemo- k^ie würde doch ohne Zweifel die stärkste Par- tee^innerhalb der Koalition bleiben und ihren Stand- >vuihfp.wahren können. Ueberhaupt sollte man endlich an- AangA mit dem auch von der fetzigen Regierung oft gesprochenen Wort:Das Vaterland über die Partei- interessen!" Ernst zu machen. Die Unabhängigen aber wollen nach wie vor von keiner Koalition etwcch wissen, an der die ..Bourgeois", die Bürgerlichen beteiligt sind.

In der Sozialdemokratie ist der sehr starke Scheidemann- Flügel der gleichen Meinung. Hat er die bisherige Koa­lition schon nur als einnotwendiges Uebel" ertragen, so lehnt er eine Erweiterung nach rechts erst recht ab. Und doch, wie soll /s nach dem - Wahlergebnis anders werden?

Diese Frage zu lösen, treten die Parteileitungen in Berlin zusammen. In nächster Woche wird die Ent­scheidung fallen. Es hat Eile, denn die Konferenz' von Spa steht vor der Tür, wo die neue Regierung vertreten sein soll. Zwar soll sie abermals verschoben worden sein, aber es wäre doch gut, wenn für den höchst­wahrscheinlichen Mißerfolg dieser fog. Konferenz nicht wiederum, wie bei allen möglichen Dingen, den Deutschen die Schuld aufgeladen werden könnte, weil sie nicht fertig" gewesen seien. Nebenbei mag bemerkt werden, daß die Bildung der Regierung eine rein deutsche An­gelegenheit ist, die das Ausland und die Verbündeten gar nichts angeht.

Die englisch-russischen Verhandlungen in London wollen gar nicht vom Fleck kommen. Lloyd George erklärt, es wäre eine außerordentliche Dummheit, wenn man mit Rußland, das Getreide, Flachs, Oeh Holz und andere für England nützliche Dinge im Uever- fluß hat, sich nicht verständigen würde, wenn aber eine Verhandlung mit Krass in stattfinden soll, reist er alle­malgesundheitshalber" ein paar Tage aufs Land urck ist nicht zu sprechen. Ob dieses Versteckspiel zum Ziel führt, weiß man nicht; schön ist es nicht und besonders aesch-eit scheint es uns auch nicht zu sein.

Weaen der Aalandinseln wollen sich Schweden und Finnen in die Haare geraten. Es sind dies etwa 300 zum Teil sehr fruchtbare Inseln V 0 »c zusammen 1428 Geviertkilometern, davon 80 bis 90 bewohnt. Sie wurden 1809 von Schwülen an Rußland abgetreten und haben eine vorwiegend schwedische Bevölkerung. Die Inseln sind von großer strategischer Bedeutung sowohl für Schwe­in wie für Rußland bzw. Finnland, sie sind gewisser- > maßen die Brücke aus dem Osten zum westlichen Welt­meer. Wenn sich nun die beiden darüber streiten würden, so könnte es leicht sein, daß,um Frieden zu stiften", ein Dritter die Beute wegschnappt, wozu hat man venu denVölkerbund" gegründet, der nach amerikani­schem Urteil in Wirklichkeit ein Staatenbund ist, als» !>as Gegenteil. Zwischen Polen und Russen wird noch erbittert gekämpft. Neuerdings wollen auch die Litauer gegen die polnische Anmaßung mobil, machen and sich die ihnen iveggenommenen StMte Wilna und Grob uv wieder holen. .Hoffentlich wird es den Fran­zosen nicht gestattet, ihre 100000sitteureine" Schwar­zen, die sie den Polen zu Hilfe senden wollen, durch Deutschland aus der Eisenbahn zu befördern. Dazu sind unsere Eisenbahnen und Kohlen doch wahrhaftig nicht da.

Die Regierungskrifis.

Wie derBerliner Lokalanzeiger" berichtet, will Ebert nicht mehr für die Reichspräsidentschaft als Bewerber auflrete». Cr halte die in der Sozialdemokratischen Partei gegen seine Person bemerkbaren Widerstände für ungerechtfertigt, da er in erster Linie nicht den Partei­interessen, sondern den Interessen der Gesamtheit zu dienen habe.

TieDeutsche Allg. Ztg." glaubt eine Zuspitzung der kritischen Umstände feststellen zu können. Die Beizie­hung der Deutschen Polkspartei znr Koalition wäre durch! eine nachgiebigere Haltung der Sozialdemokratie zu er­möglichen. Vorläufig sei die Wiederherstellung der alten Koalition noch nicht ganz ausgeschlossen. DieGer­mania" glaubt, daß Zentrum und Demokratie sich zur alten Koalition wieder znsammenschließen würden. Nach der Erklärung der Bayerischen Volksvartei imBayer. Kurier" ist die Partei bereit, die Bildung der Reichs- regiernng zu unterstützen. Sie schlägt eine Koalition aus Sozialdemokratie, Demokratie und Zentrum ein­schließlich der Föderalisten vor: die Deutsche Volksvartei werde einer solchen Regierungsbildung wohl keine Schwie­rigkeiten bereiten. DerVorwärts" sagt, die von den Unabhängigen neuerdings ausgestellten Bedingungen, kön­nen von der Sozialdemokratie angenommen werden. Beide Parteien würden. diese Bedingungen als gemeinsames Pro­gramm den bürgerlichen Mittelparteien unterbreiten. Wenn diese ablehnen, fo sei es an ihnen, eine Regierung ohne Sozialdemo krat en zu bilden. (Die bürgerlichen Man.-