Nr. 79.
Amis- und Anzeigeblait für den Oberamisbezirk Calw.
NM
93. Jahrgang.
Erscheinungsweise: 6 mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Die «einspaltige Zeile 6VPfg. NetlnuN'N Mk. 8.— Auf Sanunelaiizetgen kommt ein Znschiog von 100^ — <tzern'pe. tt.
Donnerstag, 7. April 1921.
V«zr>g«prc1s: In der Stadl mit Trage, lohn Mk. IL.SO viertel ahrlich. Postbezug«. pre:s di k. IL.9V m,t Veilepgeld. — Slüluß der Anzeigenannahme s u >r vormittag«.
Leder die PelWolilik im Weltkriege.
X. Pt Ueber die Polenpolitik hatte BiSmarck 1863 und 67 in mehreren Reden im Abgeordnetenhaus in klarster und überzeugendster Weise dargelegt, daß die Ausrichtung eines unabhängigen Polen saus Russisch-Polen) der schwerste politische Fehler und das größte Unglück für das Deutsche Reich sein würde. Es hätte eine Gewißheit sür jeden deutschen Staatsmann, ein Gebot der einfachsten notwendigsten Rücksicht aus die Erhaltung des eigenen Staates sein müssen, an der Polenfragr nicht im Sinne der Selbständigmachung Polens zu rühren. ES ist schwer zu glauben, daß ein deutscher Reichskanzler derart die durch die Natur der Verhältnisse gegebenen, zudem »an Bismarck so einleuchtend und unwiderleglich dargelegten Grundsätze über Bord werfen konnte. Man kann aus den widerstreitenden Angaben keine völlige Sicherheit darüber bekommen, inwieweit etwa lediglich der Wunsch der obersten Heeresleitung, polnische Soldaten za erhalten, maßgebend war (auf Grund de« die Verhältnisse ganz unrichtig beurteilenden Berichts des Generalgouverneurs ». Beseler über die Hunderttausend« in Aussicht stehender Rekruten) oder auch politische und dynastische Erwägungen der deutschen Politik. Wie dem auch sein mag, dies« Politik war ein ungeheurer Irrtum nach jeder Richtung hin. Durch Erklärung der Unabhängigkeit Polens und Erhebung dieses zum Königreich wnrd« der sonst möglich« Weg zum Separatfrieden mit Rußland verbaut. Wir schufen uns damit selbst im Fall des glücklichen Ausganges des Krieges eine mächtige Propaganda In den östlichen Provinzen mit polnischer Bevölkerung «if Loslösung von Preußen und Angliederung an Polen. Welche Folgen der ungünstige Ausgang gehabt hat, haben wir ja mit Ingrimm erlebt. Und schließlich bekamen wir nicht nur keine Soldaten «ms Polen, sondern hatten mit einem wachsenden Haß der befreiten Polen zu tun.
Die Wichtigkeit der polnischen Angelegenheit für den Ausfall des Weltkrieges läßt sich kaum überschätzen. Ohne diese grundfalsche Maßnahme ist schwerlich zu bezweifeln, daß die Möglichkeit eines Separatfriedens mit Rußland im Laufe des Krieges hervorgctreten wäre. Mit einem entweder verbündeten oder aber wohlwollend neutralen Rußland im Rücken konnte Deutschland aber von den West- echten allein nicht nicdergeworfen werden. Die Gcwaltmaßregel deS unbeschränkten U-BootkriegeS wäre dann vielleicht auch vermieden worden, und wir dadurch mit Amerika nicht derart verfeindet geworden, daß bis heute ein Kriegszustand zwischen uns und Amerika bestehen kann. Es fehlte uns eben ein politischer, diplomatischer Führer — ein Bismarck.-
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Regierungskrise in Polen.
Warschau, 6. April. Die polnische Regierungskrise erreicht ihren Höhepunkt in den nunmehr akut werdenden Rücktrittsabsichten des Ministerpräsidenten Witos. Soeben findet in Krakau die westgali- Tagung der polnischen Volkspartei statt. Sie stellt die führende Vertretung der Bauernschaft dar und bildet die größte Gruppe im desm. Das Krakauer Organ der Volkspartei „Plast" meldet nun heute, daß die beiden dieser Partei angehörigen Minister, sowohl der Kabinettspräsident Witos, wie der Unterrichtsminister Mas, daran denken, sofort zurückzutreten, sobald der Oberste Rat die Entscheidung er Oberschlesien gefällt hat, was für den Anfang Mai zu erwarten Die Oeffentlichkeit weiß sich die Verbindung dieses Nücktritts- e" schlusses mit der bevorstehenden Entscheidung der Entente noch nicht Mz zu erklären; doch betonten einzelne Stimmen, daß darin nicht pessimistische Auffassung für den AuSgang der ober- IH estschen Streitfrage zu sehen sei, sondem in erster Reihe das Er- wr ernis eines Parteikalküls für den bevorstehenden Wahlkampf, «erade der gemäßigten Bauernpartei der Witosgruppe steht dabei harter Kampf mit den konkurrierenden radikaleren Kleinbauern- u» Landarbeiterpatteien bevor, wozu Witos Ellbogenfreiheit braucht.
Agrardiimpfe.
«Warschau, 6. April. Auf dem Boden des ländlichen Grundbesitzes ere rt sich eine neue Phase sozialer Kämpfe vor, die in einem grarstaat wie Polen von maßgeblichster Bedeutung werden müssen.
grarradikalen erklären, daß die gesetzlich beschlossene Landbefitz- b°n^ "ur auf dem Papier stehe und ihre Verwirklichung sa- * "'"de. Die Schärfe dieser Angriffe führte bereits zur Demis- rek! für die Agrarreform zuständigen Landesamts, Di
or Wilkonski, eises Patteigenossen von Witos. Ferner zerschlugen derb ^ "*sthkvoll zustandegebrachten Verhandlungen des Landarbeiter- mit dem Landwittebund, was inmitten der FrühjahrSbe- ^angel daEuhigung erweckt. An neuem Zündstoff ist also kein
Paris ^Eiand zur oberschlesischen Frage.
o . "l- Lm Senat erklärte gestern Ministerprä hinsichtlich Palästinas, daß die Lösung einen Teil von
schiedenen Abkommen bilde. Von den ursprünglichen Bestimmungen sei man abgekommen und eS seien Abänderungen an den Verträgen durch Konzessionen vorgenommen worden. Was abgemacht sei, müsse respektiert werden. Frankreich habe ein Mandat über Syrien und England.das Mandat über Mesopotamien und Palästina. Die Angelegenheit Oberschlesicns sei durch den Vertrag in so klarer Weise geregelt, daß er nicht zugeben könne, daß Zweideutigkeiten vorhanden seien. Die Interalliierte Kommission habe nicht nur rin Gesamt- resultat festzustellcn, sie müsse auch die Stimmen Kommune für Kommune in Betracht ziehen. Die Arbeit sei sehr schwierig und von längerer Dauer, aber sie werde nun in zwei bis drei Tagen beendet sein. Wir verlangen die Ausführung des Vertrags, nicht mehr. Es kann keine Diskussion über den Geist und den Wortlaut des Vertrags geben. Wenn Deutschland die Reparationsfrage mit der von Oberschlesien verbinden will, so kann das vielleicht sein Ziel sein, es ist aber nicht das unsrige. Wir werden uns nicht dazu hergeben. Wir wollen die Frage raschesten? lösen. Der Ministerpräsident polemisier!« sodann in außerordentlich scharfer Weise gegen das deutsche Memorandum an Amerika, das er als eine Verspottung der unglücklichen Bevölkerung der verwüsteten Gebiete bezeichneie.
Der Weg »»ach Oberschlesten für Ernreisende »»och nicht frei.
Oppeln, 6. April. Die von der interalliierten Kommission für die ALstimmungsperiode erlassenen einschränkenden Bestimmungen für die Einreise nach Oberschlesten sind noch immer nicht aufgehoben worden. Trotzdem mehrere Wochen seit dem Abstimmungstermin vergangen find und der N.ücknansport der Abstimmungsberechtigten aus dem Reich beendet ist, wird die A hnürung Oberschlesiens vom übrigen Den.,. zum Schaden der Bevölkerung und unter Preisgabe schwerwiegender wirtschaftlicher Interessen aufrecht erhalten. Jerer, der nach Oberschlesicu zu reisen wünscht, muß auch jetzt noch ein Gesuch an die interalliierte Komn'ssson in Oppeln rieten. Erst nach Erteilung der Einreisegenehmigung, die erfahrungsgemäß auch bei telegraphischem Ersuchen erst nach mehrer-"' erfolgt,
kann der Sichtvermerk bei der sür den Antragsteller zuständigen französischen Paßbehörde etngcholt werden.
Zeitungsverbot.
Breslau, 5. April, Die Oppelner Nachrichten sind von der interalliierten Kommission wegen eines Artikels über den polnischen Terror im Kreise Tarnowitz auf 4 Tage verboten worden.
Verurteilte deutsche Redakteure.
Oppeln, 5. April. Vor dem interalliierten Sondergerichtshof in Oppeln fand heute der Prozeß gegen die vier Verantwortlichen Redakteure deutscher Zeitungen in Oberschlesten statt, die die Meldung über die angebliche Schließung der Warschauer Börse veröffentlicht hatten. Der Gerichtshof verurteilte die Angeklagten zu 5600 Mark Geldstrafe und zu Gefängnisstrafen von 8 bis 15 Tagen.
Zur auswärtigen Lage.
Zur Streiklage »n London.
London, 7. April. In seiner vorgestrigen Unteihausrede über die Krise in der Kohlenindustrie erklärte Sir Robert Horne noch, er habe die Hoffnung, die Bergarbeiter würden jetzt eher bereit sein als letzte Woche, in Verhandlungen über eine friedliche Regelung einzutreten, die weder eine Untistützung noch eine Kontrolle von Seiten der Regierung umfasse. Horne schlug eine Erörterung des Lohnsystems für die verschiedenen Distrikte vor, worauf mehrere Arbeitermitglieder riefen: Niemals! — Elynes beklagte sich darüber, daß die Regierungskontrolle so plötzlich aufgehoben wurde. Er schlug eine vorläufige Fortsetzung der Regierungskontrolle vor, während der die Dcsamt- frage weiter erwogen werde. Der Streik könne durchgekämpft werden, es sei jedoch besser, ihn durchzudenken. Elynes richtete an die Regierung den Appell, wieder als Vermittlerin aufzutreten. — Thomas erklärte, die Arbeiter seien einmütig der Ansicht, dies sei der erste Versuch, ihren Lebensstandard herabzudrücken. Die Eisenbahner seien der Ansicht, wenn die Bergarbeiter unterliegen würden, so seien die Eisenbahner die nächste Verteidigungslinie. Die Zahlen seien überwältigend zu Gunsten eines Weitergreifens des Streiks. Die Bergarbeiter würden von der organisierten Arbeiterschaft unterstützt werden. Die Bergarbeiter würden und könnten die Hungerlöhn« nicht annehmen und die Eisenbahner würden si« dabei unterstützen. Thomas schloß mit der Hoffnung, daß beide Parteien noch zu- sammengebracht werden könnten. Das Arbeitermitglied Hortshorn erklärte, das Spaa-Abkommen sei schuld an der vollständigen Zerstörung der britischen Märkte für Ausfuhrkohl«.
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Auch im Oberhause wurde vorgestern die Kohlenlage erörtert. Lord Curzon hob in einer Rede den Ernst der Lage nachdrücklich hervor und sagte, sie tonne noch ernster werven. Die anderen Mitglieder des Arbeiterdreibundes mi ßten noch entscheiden und er zittere fast bei dem Gedanken daran, wie das Ergebnis sein könne. Es sei keineswegs undenkbar, daß England vor Ende der Woche einer Krise gegenüberstchen könne, die ebenso ernst sei wie irgend eine Krregskrise. De» industrielle Streik köüne sich zu einer nationalen Gefahr auswachsen, begleitet von Unordnung, Gewalt und Klassenkampf in a'uter Fornn Keine Regierung könne einer solchen Drohung nach- gcbcn. Unter diesen Umstünden werde die Regierung einen eigenen Sicherheitsausschuß bilden zum Schutze der Gesellschaft vor Vernichtung. Eurzon schloß, es seien reichlich« Lebensmittel vorhanden und die Organisation zu ihrer Beförderung stehe bereit. Es würden Maßnahmen getroffen zur Bereitstellung der notwendigen Kräfte zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Verteidigung der öffentlichen Gebäude. Die Regierung wurde jede Gelegenheit ergreifen, die sich zur Versöhnung biete. Die Tür stehe offen unter der grundsätzlichen Bedingung, daß es «ine Unterstützung der Kohlenindustrie nicht geben könne. Ein Nachgeben in diesem Punkt sei unmöglich.
Briands Hoffnung arrf „glänzende" Zetten ...
Paris, 6. April. (Havas) Briand erklärte bei einem Empfang der Delegation der Parlamentarier der zerstörten Gebiete, daß er sich der unbedingten Notwendigkeit bewußt sei, alle Mittel und Wege zu ergreifen, um nicht nur dir aus dem Jahre ISA) noch z« bezahlenden 800 Millionen, sondern auch alle Beträge, dir für den Wiederaufbau dieser Gegenden notwendig sind, herbeizuschaffen. Diese Frage, fügte er hinzu, beschäftigt gerechterweise die öffentliche Meinung infolge der Krise, die wir durchmachen. Aber die Frage wird in Bälde gelöst :verden, indem Deutschland sehr bald zu der Ausführung seiner Verpflichtungen gezwungen »»erden wird. Briand stimmte mit der Delegation in der Wichtigkeit der von Deutschland in natura oder in bar zu leistenden Zahlungen überein. Anm Schluß sagte er: Ich bin weder Pessimist noch blinder Optimist, aber ich glaube bestimmt, daß, sobald das Land ln gewohnter Weise befrie» digt sein wird, eS seinen glänzenden Lauf »nieder aufnehmen wird.
Die Reparationsverhandlurrgen.
Paris, 5. April. Am 31. Mörz hat wiederum eine Besprechung der deutschen Delegation mit der Reparationskommission stattgefunden. Gegenstand der Besprechung war die Art Berechnung an Familienunterstützungen, die Deutschland auf Grund der Bestimmungen in Ziffer 7, Anhang 1 zum Teil 8 des Friedensoertrags zur Last fallen. Die deutsche Delegation erklärte, daß Deutschland nur verpflichtet sei, für Unterstützungen Schadenersatz zu leisten, die den Familien der mobilisierten Truppen vor dem Waffenstillstand vom S. November ausgezahlt worden sind und sagt, daß der in Frankreich geltende Durchschnittstarif, von dem iin Friedensvertrag die Rede ist, als Höchsttarif für die verschiedenen Mächte gelte und nicht als Durchschnittstarif. Jede Macht könne also nur die Erstattung aller der Summen verlangen, die sie tatsächlich bezahlt hat, ohne aber dabei nochmals die Erstattung der Summe »»erlangen zu können, die das übersteigt, was sie bei Anwendung des französischen Tarifs bezahlt hätte. Die deutsche Delegation hält grundsätzlich daran fest, daß sie den Kolonialiruppen kein«' Fa- ' milienunterstützungen zu zahlen habe, da diese nicht als Staatsangehörige der betreffenden Macht in Frage kommen. Aus jeden Fall aber müßten bei Berechnung des französischen Durchschnittstarifs, der im Friedcnsvertrag vorgesehen ist, nicht nur die Beträge berücksichtigt werden, die an Familien der Ctamm- . ° '!. sondern auch die, die an Familien der Kolonialtrup-
pen bezahlt sind. Die deutsche Delegation erklärte, daß die Er- stattungspflicht Deutschlands von dem Augenblick an beainne, von dem ab die betreffenden a. und a. Mächte sich tatsächlich im Kriegszustände mit Deutschland bekunden haben. Die Rcpn- rationskommissson prüft zurzeit diese Frage und wird demnächst ihre endgültigen Beschlüsse fassen.
Amerikas Friede»» mit Deutschland
von Frankreich begehrt-
London, 6. April. Die „Morning Post" meldet aus Washington, es sei Viviani klargelegt worden, daß eS im Interesse Frankreichs liege, wenn die Per. Staaten einen baldigen Frieden mit Deutschland schlöffen, da Frankreich vor allem augenblicklich die deutsche Entschädigung brauche und Deutschland seine Reparationen nicht bezahlen könne, wenn man nicht zu einigermaßen normalen Umständen zurückkehre und daß der deutsch-amerikanische Friede zur Herstellung dieser Lage von großem Nutzen sein werde. Denn, wenn der Frieden hergestellt sein werde, könne Deutschland in den Ver. Staaten Kredite und Rohstoffe erhalten. ES könne dann an die Arbeit gehen