Nr. 227.

Amis- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

96. Jahrgang.

Erscheinungsweise: v mal wöchentl. «nzeigenprei«: Di« kleinspaitige Zeile M Psg. Reklamen L Mk. Aus Sammelanzeigen kommt «in Zuschlag von Jernspr.8.

Mitttvoch, den 29. September 1920.

AczugLpreiS: In der Stadt mit Drilgerlohn Mk. 12.90 «ierteljiihrlich, PostbezugSprei« Lik. 12.90 mit Bestellgeld. Schluß der Anzeigenannahme S Uhr vormittags.

Die Finanzkonferenz in Brüssel.

(WTB.) Brüssel, L8. Sept. Das Spezialkomitee hat heute seine Arbeit wieder ausgenommen, um die bisherigen Ergeb­nisse der Erörterung in einer Entschließung zusammenzufassen, die sodann einer Abstimmung durch die Vollversammlung unter­liegen wird. Diese Entschließung soll sich mit der Herabsetzung der össentlichen Ausgaben, mit den staatlichen Befugnissen in bezug auf Unternehmungen und mit der Herabsetzung der Rüst­ungen befassen. Die Entschließung wird weiter sich mit der Frage beschäftigen, ob Steuer auf das Kapital und die Ver­mehrung der direkten Steuern anzuraten oder abzuraten sind. Sie wird voraussichtlich den Staaten empfehlen, ihre Anleihen einzuschränken, ihre auswärtigen Schulden zu konsolidieren, und schließlich die Frage behandeln, ob die Beschränkungen des inneren und auswärtigen Handels zu beseitigen oder auf­recht zu erhalten sind.

(WTB.) Brüssel, 28. Sept. (Meldung unseres besonderen Vertreters.) Vormittagssttzung der Finanzkonferenz. In einer Kommission für die Untersuchung der Staatsfinanzen ent­sandte die deutsche Delegation den Staatssekretär Bergmann. Sodann erstattete Lord Chalmer den Bericht über die finan­zielle Lage Englands. Englands finanzpolitische Stellung ist gekennzeichnet durch ein festes, klares Budget und durch eine strenge Steuerpolitik, die die wichtigste Richtlinie für die künf­tige englische Finanzgebarung ist. An zweiter Stelle sprach ein Mitglied der belgischen Dele^tion, Herr Lefteux. Die jetzige Finanzlage ist nicht als günstig anzusprechen. Für die japanische Delegation sprach der Finanzsachverständige Mory. Weiter erstatteten die Delegierten von Brit-Indien, Australien und Peru ihre Berichte über die finanzpolitische Verfassung ihrer Länder. In der Nachmlttagssitzung erklärte der amerikanische Delegierte, daß er in der Konferenz einen Erfolg sehe, weil sie zum erstenmal die ehemals gegne­rischen Nationen zu einer sachlichen Beratung zusammenführe. Was die Hoffnungen Europas auf die amerikanischen Kredite angehe, so könne ex wenig Aussicht auf ihre Erfüllung eröff­nen, dies um so weniger, als Europa eine wesentliche Voraus­setzung des amerikanische« Privatkapitals nicht biete, nämlich Sicherheit und Friede«. Erst dann könne Europa auf Unter­stützung rechnen. Staatssekretär Bergmann hielt dann die bereits gemeldete Rede, ruhig und gelassen, und das Haus folgte seinen Worten mit größter Aufmerksamkeit. Als er ge­endet hatte, wurde ihm allseitiger Beifall zuteil. Des weiteren sprachen der Führer der südafrikanischen Delegation, Vlancken- Lerg, der österreichische Finanzminister Reisch und die Dele­gierten von Bulgarien und Portugal.

Der Bericht über die finanzielle und wirtschaftliche Lage Deutschlands.

(WTB.) Brüssel, 28. Sept. (Meldungen unseres Sonderbe­richterstatters.) Gemäß der am Montag beschlossenen Tagesordnung erstattete die deutsche Delegation in der Finanzkonferenz heute nach­mittag den Bericht über die finanzielle und wirtschaftliche Lage Deutschlands. Die Rede hielt Staatssekretär Bergmann. In der Einleitung wird zuvor der Dank der deutschen Delegation an den Völkerbund für die Einladung zu dieser Konferenz ausgedrückt. Daran anschließend legt die Ansprache die heutigen Finanz- und WirtschastSverhältnisse des Reiches dar. Während Deutschland vor 1913 im ganzen ein« Schuld von 5 Milliarden hatte, betrage die Schuldenlage am 31. August 1920 240 Milliarden Mark. Wir sehen ferner, daß mit dem Ablauf des Rechnungsjahres 1920 die Schulden­last noch wesentlich höher steigen wird, weil der Voranschlag für 1920 einschließlich des voraussichtlichen Ergebnisses der Verwaltungen von Reichseisenbahn und Post einen Abmangel von mehr als 66 Mil­liarden Mark aufweist. Bei der Prüfung der Ziffern des kürzlich überreichten rückblickenden Berichtes werden Sie beim Haushalt für 1920 Abweichungen von den Ziffern finden, die in dem Rapport der Brüsseler Konferenz für die öffentlichen Finanzen Deutschlands angegeben find. Das erklärt sich dadurch, daß die letzten Ziffern auf einem vorläufigen Voranschlag vom April ds. Js. beruhen. Die Verhältnisse haben sich bisher in einer Weise entwickelt, daß der Vor­anschlag für 1920 einer starken Umarbeitung unterzogen werden mußte. Der jetzige Bericht enthält die Ziffer,n die zur Zeit den gesetzgebenden Körperschaften Deutschlands zur Beschlußfassung vor­liegen. Um die Ausgaben mit den Einnahmen in Einklang zu brin­gen, wird gegenwärtig in Deutschland eine Steuerreform größten Umfangs durchgesührt. Eine große Anzahl neuer Steuern wurde geschaffen. Die alten Steuern sind wesentlich erhöht und die bisher den Einzelstaaten überlassenen Einkommensquellen, vor allem die direkten Steuern, sind auf das Reich überführt, um Einheitlichkeit zu schaffen und den arößtmöglichen Nutzen für die Gesamtheit zu er­

zielen. Vor allem wird in Deutschland neben dem Einkommen auch der Besitz auf das härteste zur Steuer herangezogen, nachdem schon vorher fast die gesamten Kriegsgewinne vom.Reich mit Beschlag be­legt wurden. Von den indirekten Steuern ist besonders auf die mit höheren Sätzen eusgestattete Umsatzsteuer hiuzuweisen. Wenn erst wieder einmal normale Verhältnisse eintretcn, haben wir mit dem jetzigen Steuersystem eine Grundlage geschaffen, auf der ein gesunder Haushalt aufgebaut werden kann. Für das Jahr 1920 erwarten wir einen Eingang von mehr als 37)4 Milliarden Mark. Das ist ein Betrag, der für sich allein schon die Ausgaben des ordentlichen Haus­halts von etwa 39 )L Milliarden Mark fast völlig deckt. Die deutsche Regierung ist aber mit der Besteuerung schon bis an die Grenze des Mögliche« gegangen. Dabei ist sie von der Erwägung geleitet, daß jede Verminderung der Produktion vermieden werden muß, damit nicht etwa die Anstrengungen des Reiches, sein Einkommen zu er­höhen, zu einem gegenteiligen Ergebnis führen.

Sie werden fragen, ob bei der Aufstellung des deutschen Haus­halts auch mit der erforderlichen Sparsamkeit verfahre» ist, das heißt, ob die eingestellten Ausgaben wirklich notwendig sind. Wir können Ihnen versichern, daß die Reichsfinanzvcrwaltung ständig auf die Jnnehaltung der größten Sparsamkeit bedacht ist. Ihre An­strengungen sind aber auf zum Teil unüberwindliche Schwierigkeiten in der Wirtschaftslage gestoßen. Soweit Ausgaben infolge des Krie­ges und der Bedingungen des Waffenstillstandes und Friedensver­trags notwendig geworden sind, lassen sich Ersparnisse nicht erzielen. Allein für die beiden Rechnungsjahre 1919 und 1920 mußten die Kosten der Durchführung des Friedensvertrags mit 47 Milliarden Mark eingesetzt werden. Die Unterhaltung des Deutschland auf­erlegten Söldnerheers erfordert weit größere Ausgaben als ein Heer auf d-v Nx-: , Alse diese Lasten

sind von dem in seinen Grenzen und seinem Erwerbsleben wesentlich beschränkten Wirtschaftskörper zu tragen. Auf der anderen Seite machen die »Zustände der Ernährung und Kleidung, sowie die Ent­blößung des Landes von Rohstoffen eine sehr erhebliche Einfuhr dringend erforderlich. Die allgemeine Teuerung kam für Deutsch­land in einem ungewöhnlichen Maße zur Geltung durch die fast völlige Entwertung des deutschen Geldes. Auf die Ursachen des Zu­sammenbruchs der deutschen Valuta kann ich an dieser Stelle nicht eingehen. ES ist dies ein Teil des großen allgemeinen Problems, dem ein so hervorragender Platz in den Untersuchungen dieser Kom­mission eingeräumt wurde. Ich möchte nur darauf Hinweisen, daß ohne Würdigung des Sturzes der deutschen Mark, der insbesondere seit einem Jahr eingetreten ist, die Entwickelung der deutschen Reichs­finanzen nicht zu verstehen wäre. Die Einstellung aller Ziffern des vorliegenden Finanzberichtes erklärt sich in erster Linie dadurch, daß infolge der sprunghaften Entwertung der Reichsmark, die ihren vor­läufigen Tiefstand im Februar und März ds. Js. erreichte, alle Warenpreise in Deutschland um das vielfache gestiegen sind. Die Löhne und Gehälter mußten entsprechend folgen. Dann sind auch die Reichsausgaben in einem Maße gewachsen, daß es nicht möglich war, mit der Fürsorge für entsprechende Einnahmen gleichen Schritt zu halten. Nur so ist auch der anscheinend unerklärliche Fehlbettag der Reichseisenbahnen und der Post zu verstehen. Die deutsche Re­gierung, eingedenk des Grundsatzes, daß zum Mindesten alle Aus­gaben der Regierungsbetriebe aus den Einnahmen dieser Dienst- zweige gedeckt werden müssen, hat mehrmals die Tarife sehr wesentlich erhöht. Alle diese Tarife haben bei weitem nicht den Zweck erfüllt, dir um et« vielfaches gestiegenen Ausgaben dieser Betriebe zu decken. Mit der Entwertung der Mark im Auslande ist das Anwachsen des Papiergeldmnlaufs in Deutschland in engem Zusammenhang. Die jetzige Schuld des Reiches von 240 Milliarden setzt sich zum größten Teil, nämlich aus 142 Milliarden Mark aus schwebenden Verpflich­tungen zusammen. Mit den wachsenden Steuereingängen hoffen wir die Notenerzeugung zum Stillstand zu bringen und dann auch der Valutaverschlechterung entgegenwirkcn zu können.

Trotz der bestehenden unerfreulichen Verhältnisse halten wir Deutschlands finanzielle Lage nicht für verzweifelt. Wer un­befangen die Zustände prüft, wird finden,« daß Deutschland all­mählich zur Ordnung zurückkehrt und daß erfreulicherweise auch der Will« zur Arbeit überall im Lande sich wieder kräftig er­hebt. Hierauf setzt die Regierung das Vertrauen, daß bei Be­obachtung der größten Sparsamkeit das Land in der Lage sein wird, allmählich aus den gegenwärtigen wirtschaftlichen Zu­ständen wieder herauszukommen, insofern diese durch die Eigen­art der inneren Lage verursacht worden sind. Aber um wirk­lich wieder lebensfähig zu werden und die Währungsverhält­nisse zu stabilisieren und den internationalen Verpflichtungen in verständlicher Weise Nachkommen zu können, muß Deutschland in seinem wirtschaftlichen Leben mindestens so gehoben werden, daß es am Weltverkehr wieder in aktiver Weise teilnehmen kann. Kiffer Ziel muß sein, mit dem enormen Passivum der

deutschen Handelsbilanz auszuräumen und eine erhebliche aktive Handelsbilanz zu schaffen. Darin liegt die einzige Mög­lichkeit, die auf uns lastenden Verpflichtungen zu erfüllen. Das ist eine ungeheuerliche Aufgabe, zu deren Lösung die wirtschaftlichen Kräfte Deutschlands allein nicht ausreichen. Wir können das uns vorschwebende Ziel nur in verständnis­voller Zusammenarbeit mit allen erreichen, die aus eine Wie­derherstellung geordneter Verhältnisse in dem zerrütteten Europa oder vielmehr in der ganzen Welt hinarbeiten. Wenn wir aber mit der wirtschaftlichen Hilfe der Welt rechnen, so sind wir verpflichtet, zunächst volle Klarheit über unsere finan­zielle und wirtschaftliche Lage zu schaffen. Nur eine umfas­sende und durchaus aufrichtige Darlegung der Tatsachen kann bei anderen Verständnis für unsere eigenartige Lage und Ver­trauen in den Ernst unserer Bemühungen erwecken. Dazu find wir entschlossen und in diesem Geiste hoffen wir, zu den Ar­beiten der Konferenz beitragen zu können. Wir haben zu unserer Befriedigung bereits gestern in der allgemeinen Er­örterung feststellen können, daß unsere eigenen Ansichten über die Verhandlungen der zur Beratung gestellten Fragen durch­aus mit den Grundsätzen übereinstimmen, die von den ver­schiedenen Delegierten der andern Nationen vertreten worden sind. Sie werden, wie ich hoffe, aus dieser kurzen Ansprache ersehen haben, daß man auch in Deutschland gewillt ist, den in der gestrigen Aussprache vorgezeichneten Grundlinien zu folgen, die zur Wiederherstellung der Ordnung und der Finan­zen führen.

Deutsche Prefiestimmen.

Berlin, 29. Sept. lieber den Eindruck der deutschen Darlegungen in der gestrigen Sitzitng bei 'Finanzre/nier«»- »» Brüssel melde» de. Sonderberichterstatter der »Vossischcn Zeitung", er glaube sagen zu dürfen, daß die klare, nüchterne und logische Art der Ausführungen Bergmanns auf allen Seiten der Konferenz einen sehr günstigen Eindruck hervorgerufen habe, wie man überhaupt betonen müsse, daß die entgiftete (?) Stimmung bisher der wertvollste Bestandteil dieser Konferenz sei.

Der Sonderberichterstatter desBerl. Lokalanzeigers" äußert sich über die Opposition der Franzosen und meint, die Gefahr, daß der Sinn dieser Konferenz auf den Kopf gestellt werden würde, sei noch nicht überwunden. Von französischer Seite werde mit bel­gischer Unterstützung noch immer der Versuch gemacht, sich die Zah­lungsunfähigkeit Deutschlands bescheinigen zu lassen und die Neu­tralen zu Garanten der Entschädigungssummen heranzuziehen.

Zur Stellungnahme der Amerikaner heißt es in einem Sonder­bericht des »Verl. Tageblatts": Aus der Rede des amerikanischen Delegierten Bohden sprach ein gewisser amerikanischerJdealismus. (?) Der Amerikaner versprach wenigstens mit voller Ueberzeugung, daß Amerika und der amerikanische Geschäftsmann insbesondere Europa zu Hilfe kommen können, wenn man den Eindruck habe, daß wieder Ruhe in Europa möglich sei. Im Zusammenhang hiermit siel auch das Wort, der »Sieger müsse dem Besiegten zuerst die Hand reichen". Es scheine zufällig und doch symbolisch wirksam, daß unmittelbar nach Bohdens Rede die des Staatssekretärs Bergmann folgte. Hier geschah es zum ersten Male, daß ein Deutscher im Rate der Völker seit 1914 seine Stimme erhob.

Wie der »Deutschen Allg. Ztg." berichtet wird, hatte der ameri­kanische Delegierte das Ohr der Versammlung. Die Konferenzteil­nehmer und die Zuschauer lauschten gespannt. Er sprach einfach und fest in seiner Rede.

Sine englische Stimme.

London, 27. Sept. Der Pariser Berichterstatter derWest- minster Gazette" äußert sich sehr pessimistisch über die Brüsseler Finanzkonferenz. Er schreibt: Da man die von Deutschland zu zahlende Entschädigung nicht festsetzt und die Macht des Wiedergntmachungsausschusses als einzige Autorität auf diesem Gebiet wiederherstellen will, ist die Zuversicht, die anfänglich auf der Brüsseler Konferenz herrschte, geschwunden. Das Blatt, fährt fort, es sei klar, daß die konkreten Ergebnisse, die man sich von der Konferenz versprach, nicht ganz erfüllt werden konnten. Brüssel habe infolgedessen in der Hauptsache akade­mische Bedeutung erlangt. Denn um das finanzielle Gleichge­wicht zu finden, um die ungeheuren Probleme zu lösen, die sich über der Welt zusammenziehen, sei es in erster Linie not­wendig, eine solide Grundlage zu haben und genau Deutsch­lands Schulden sowie den Kredit der Alliierten zu kennen. Statt einzusehen, daß es in niemanden- Interesse liegt, diese Frage noch länger hinauszuschieben, statt zu erkennen, daß jeder Monat kostbar ist, ziehe man vor, das Heiligtum des un­verletzlichen Friedensvertrags anzubeten und sich den Gefahre» aus,««setzen, die von allen Seiten drohen.