dritter Instanz eine Berliner Strafkammer. Wegen Freiheitsberaubung und Hausfriedensbruchs mußte sich der Arzt Dr. Lothar Küppers verantworten. L-er Angeklagte, der Hilfsarzt in einer bekannten Anstalt siir Gemütskranke in Schöneberg ist, ging im Jahre 1906 die Ehe mit der Tochter einer am Kurfürstendamm wohnhaften sehr vermögenden Frau B. ein. Die Ehe war von Anfang an nicht sehr glücklich und schon kurz nach der Hochzeitsreise kam es zu ernsten Differenzen zwischen den Eheleuten. Ms Dr. K. im Jahre 1908 die Vertretjung eines Arztes in Friedrichshagen übernommen hatte, kam es wieder zu einer erregten Szene, die damit endete, daß die junge Frau zu ihrer Mutter zurückkehrte. Der Angeklagte trachtete mit allen Mitteln danach, seine Frau Mieder zur Rückkehr zu bewegen. Er ging mitunter stundenlang vor der Wohnung seiner Schwiegermutter, der er die Schuld an dem Zerwürfnis zumaß, auf und ab, nm eine Gelegenheit zu erfassen, seine Frau auf einige Wnuten zu sprechen. Ms Frau Dr. K. eines Tages ahnungslos aus dem Hause trat, kam der Angeklagte plötzlich auf sie zu und hob die völlig Ueberraschte in ein bereit gehaltenes Automobil, das sich im SchnellzUgs- tempo in Bewegung setzte. Diese Entführung der eigenen Frau hatte nur den Erfolg, daß der Angeklagte am nächsten Tage die unangenehme Entdeckung machen mußte, daß feine Frau wieder ausgerückt war. Der Angeklagte beschloß imn unter Anwendung jedes Mittels sich wieder in den Besitz seiner Frau zu setzen. Nachdem er mehrere Wale vergeblich an der Wohnungstür seiner Schwiegermutter geläutet hatte, verschaffte er sich am 19. Mai 1908 durch einen kleinen Trick Einlaß. Er nahm sich einen Arbeiter mit und ließ diesen an der Tür läuten, während er sich so stellte, daß er durch das Guckloch nicht gesehen werden konnte. Ms geöffnet wurde, sprang er vor und schob das Stubenmädchen unsanft beiseite. In der Wohnung entstand nunmehr ein fürchterlicher Spektakel. Das Stubenmädchen flüchtete zu der Köchin in die Küche, die Dr. K. von außen abschloß. Frau Dr. K. flüchtete sich, als sie ihres Gatten ansichtig wurde, auf die Toilette, riegelte von innen ab und rief aus dem Fenster um Hilfe. Me Folge war, daß das ganze Haus alarmiert wurde. Erst als man die Korridortür gewaltsam sprengte, gelang es, in die Wohnung einzudringen und des Angeklagten, den man seinerzeit für irrsinnig hielt, habhaft zu werden. In der ersten Verhandlung vor der Strafkammer wurde Dr. K. zu drei Tagen Gefängnis und 50 Mark Geldstrafe verurteilt. Dieses Urteil wurde wegen eines Formfehlers vom Reichsgericht aufgehoben. In der erneuten Verhandlung wurde der Angeklagte von mehreren psychiatrischen Sachverständigen zur Zeit der Tat als hart an der Grenze der Geisteskrankheit stehend bezeichnet. Das Gericht kam dem Anträge des Staatsanwalts entsprechend auf Grund des Z 51 zu einer Freisprechung des Angeklagten.
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Stuttgart, 21. Okt. (Strafkammer.) In dem Beleidigungsprozeß des Redakteurs W e st m ayer gegen den Vorsitzenden der Zentrumspartei Stuttgart-West, Ver- sicherungsbeamter Brentel, wurde heute das Urteil verkündet. Die Berufung des Privatklägers Westmayer gegen das freisprechende Urteil des Schöffengerichts wurde verworfen. Der Privatklüger hat sämtliche Kosten zu tragen. Tein Angeklagten wurde der Schutz des Z 193, Wahrung berechtigter Interessen, zugebilligt. Brentel soll in einer auch von Sozialdemokraten zahlreich besuchten Zentrumsversammlung, die Bierkommission des Sozialdemokratischen Vereins und der Gewerkschaften der Bestechlichkeit bezichtigt haben. Der Angeklagte stellte die Musterung anders dar, als sie ihm die Privatklage zur Last legt. Er habe mit seiner Musterung über die Stellung der Sozialdemokratie in der Bierfrage zum Ausdruck bringen wollen, daß eine gewisse Abhängigkeit der Kommissions- Mitglieder vom Brauereikapital bestanden habe. Er habe nicht Personen, sondern die Sozialdemokratische Partei treffen wollen. Redakteur Westmayer hatte als Vorsitzender der Bierkommission Beleidigungsklage angestrengt.
Vermischtes.
Stierkämpfe iu spanischen Dörfern.
Die grundsätzliche Verurteilung eines grausamen und verrohenden Schauspiels, wie der Sti erkämpf es ist Md bleibt, kann natürlich durch sportästhetische Erwägungen nicht umgestoßen werden. Doch wenn man sich erst einmal an den Anblick von jammervollen Kleppern gewöhnt hat, denen die Eingeweide aus dem Leibe hängen, und von blutüberströmten Stieren, die noch immer mehr drangsaliert werden, so kann man immerhin auch die Schönheiten des regulären Stierkampfes anerkennen, die sich hauptsächlich daraus ergeben, daß die auf der Erfahrung und Beobachtung von Jahrhunderten beruhenden Regeln und Traditionen der Corrida so sehr den Ge- vwhnheiten des „toro bravo" angepaßt sind, daß dieser wit vollem Bewußtsein mitzutun scheint, ein vierbeiniger Radiator. Solcher Milderungsgund fällt aber gänzlich k>eg bei dep Corridas, die gelegentlich der Patronatsfeste Ms dem Lande organisiert werden. Für diese sogenann- Een „eapsaäa g" (eaxa, der Mantel, der vor dem Stier geschwungen wird) improvisiert die Torfjugend einfach mit Hilfe von Karren und notdürftig gezimmerten Tri- Mnen einen Zirkus, in dem irgend ein Ochse oder auch Mle Kuh unter wildem Geschrei, während unter den Zuschauern in der Arena völlige Stille herrscht, solange gehetzt und gequält wird, bis das Tier einigermaßen die Allüren des „toro bravo" annimmt, freilich ohne dessen kavaliermäßige Art. Dabei sind es übliche Zwischenfälle, daß die pompös als Tribünen, bezeichnet»! Brettergerüste Mstürzen, der eine oder andere der völlig unkundigen, Mt prahlerischer Verwegenheit kämpfenden Toreros auf- gespießt wird, oder das tollgemachte Tier ausbricht, um Lustbarkeit in der Torfstraße fortzusetzen. Dieser Tage
haben die vor den Toren der Hauptstadt gelegenen Wrser Mejorada und Barajas eine Kombination wjer drei Möglichkeiten erlebt. In beiden Fällen stürz- ^ E Tribünen zusammen und die Tiere brachen aus, achdeni sie die wahnwitzigen Quadrillas dezimiert hat- M. Resultat: Drei Tote und ein Dutzend Schwerver
wundeter! Man würde aber den Spaniern Unrecht tun, wenn man es unterließe, die allgemeine Entrüstung zu verzeichnen, die dieser schmachvolle Sport hervorruft. Die Presse fordert einstimmig ein schleuniges Verbot, unter das dann auch die sogenannten „Loeerraäas" fallen dürften, gleichfalls von Dilettanten veranstaltete Stierkämpfe, bei denen ganz junge Stiere, die kaum wilder sind, als gewöhnliche Kälber, „bekämpft" werden, eine Art Stier- kampfparodie, bei der es recht lustig herzugehen Pflegt, nur nicht für das harmlose Tierchen, das des Spasses halber zu Tode gemartert wird.
Der Sountagszauber.
In einen: kürzlich bei Jul. Bard in Berlin heraus- gekommenen Kedichtsband, dessen Verfasserin eine junge Wienerin, Jlka Maria Unger ist, finden sich unter anderen Poesien, welche die soziale Frage mit sinnigem Ernst streifen, auch die nachfolgenden Verse, die mit ihren schlichten, ungesuchten Worten ein nicht alltägliches Talent bekunden:
Sonntag.
Geh'n Arbeitsmann und Air beit sfr au Still vor das Tor hinaus,
Ta ruht die blumenbunte Au,
Und weitnm steht kein Haus.
Tie himmelblaue Sonntagsluft,
Die trinken sie )vie Wein,
Mit Wonne und mit Mumendust Ganz tief in sich hinein.
Maschine schweigt, es schläft der Schlot Und rein sind Hemd und Haut,
Ach, Samstag-Not und Montag-Not,
Tenn Sonntag machst du traut!
Japanische Ringkämpfer, t
vor kurzem in einem
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Londoner Variete Proben ihres in Japan iu h»her Blüte stehenden Sports zeigten.
Hände! und Volkswirtschaft.
Herbstnachrichteu.
Die finanzielle Folge der Weinrnitzernte.
Ter heurige Weinertrag auf der ganzen Heilbron - ner Markung wird auf 1000 Hektoliter geschätzt. Dos ist außerordentlich wenig (und doch noch zu hoch geschätzt), beträgt doch der Turchfchnittsertrag für ein Jahr über 12 000 Hl., also 12 mal so viel als Heuer. Auch in Groß- Stuttgart werden nur 3100 Hl. geerntet gegen 17300. Hl. im Vorjahr. Wie hier und in Heilbronn ist das Mißverhältnis i in ganzen Land und der finanzielle Ausfall wird darum auch ein ganz erschrecklicher sein. Während das letzte Weinjahr einen Geldwert von nahezu 83/^ Millionen Mark darstellte, wird man Heuer sich mit etwa zwei Millionen Mark begnügen müssen. Dem würt- tembergischen Lande gehen also infolge der Mißernte über 6 Millionen Mark verloren! Aehnlich schlimm wie dieses Jahr waren die Verhältnisse im Jahre 1906, das nur 1,77 Mill. Mark beträgt. .
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Stadtkelter Heilbronn, 22. Okt. Lese dauert fort. Gewichtsgrade von 65^75 Grad nach Oechsle, Säure bis 15 pro o/gg. Verkäufe in rotem Gewächs von 210—220 Mark, in weißem Gewächs 205, 210 Mark pro 3 Hektol. Kleinere Reste in weiß und rot Gewächs können jederzeit gefasst werden.
Weinsberg, 2!. Okt. Verkäufe zu 200, 207, 210, 220 M. Es sind noch schöne Vorräte an Resten von 1—3 Eimer feil und Käufer eingeladen. Die Weingärtner- gcsellschaft versteigert ihr zu 120 Hektoliter geschätztes Erzeugnis am Dienstag den 25. Okt. nachmittags 2 Uhr.
Neckars ulm,2l. Okt. Bei der heutigen Wein- m ostve r st eige r u n g der hiesigen We i n g är t n er g e- sellschast ging das Verkaufsquantum nach kurzer Begrüßungsansprache des Vorstandes Stadtschultheiß Ret- tenmaier an meist hiesige Käufer rasch ab.
Verkauft wurden: 33 Hl. zu je 60 M, 15 Hl. zu je 61 M, 18 Hl. zu je 62 M, 24 Hl. zu je 63 M, zusammen 90 Hl. zu 5 523 M gem. Gewächs. Durchschnitts
preis 61.40 M. Verkauf von 1900: 1919 Hl. zu 10 774 M (rund 56 M pro Hl.); 1901: 1606 Hl. zu 51258 M (32 M 1 HL.); 1902: 1135 Hl. zu 44 784 M (39 M 1 Hl.); 1903: 1788 Hl. zu 71679 M (40 M 1 Hl.); 1904: 2628 Hl. zu 131294 M (50 M 1 Hl.); 1905: 1934 Hl. zu 59 239 M (30.63 M 1 Hl.); 1906: 0; 1907: 309 Hl. zu 26 245 M (84.82 M 1 Hl.); 1908: 675 Hl. zu 38112 Mark (56.46 M 1 Hl.); 1909: 1035 Hl. zu 43 767 M (42.29 M 1 Hl.).
Schwaigern, 21. Okt. Weiukäufe wurden hier abgeschlossen per Eimer zu 200 und 205 Mark für gemischtes Gewächs.
Hohenstein, 19. Okt. Das Herbstgeschäft ist vorbei. Der Wein ist bei großer Nachfrage das Hekt. zu 65—95 Mark verkauft. Gesamterzeugnis ca. 50 Hekt. Die Qualität wird als gute bis recht gut bezeichnet.
Stuttgart, 21. Okt. Der Vorstand der Landesproduktenbörse hat den jährlichen Bericht über die Ernte in Württemberg erstattet. ' Die Zahl 100 als Mittel angenommen, stellt sich der Durchschnitt i. I. 1910 wie folgt: Dinkel 95,98 (1909: 106,82, 1908: 97,47), Winterweizen 97,66 (105,50 bezw. 95,52), Roggen 98,09 (104,82 bezw. 99,75), Gerste 91,13 (112,09 bezw. 88,16), Sommerweizen 92,38 (104,17 bezw. 89,87), Haber 97,90 (115,74 bezw. 87,99), Erbsen 86,31 (96,70 bezw. 93,87), Ackerbohnen 92,41 (90,85 bezw. 91,45). Im ganzen dürste die heurige Ernte in Württemberg durchschnittlich als mittel zu bezeichnen sein, wobei die Qualitäten fast aller Getreidearten infolge feuchter Beschaffenheit, weniger guter Farbe und leichteren Naturgewichts nicht befriedigen. Trotz der mangelhaften Beschaffenheit der Produkte ist es nicht schwer, diese abzusetzen.
Heilbroun. Schaf mar kt am 21. Oktober 1910. Zufuhr in 18 Herden 2056 Stück. Davon verkauft 1337 Stück mit einem Gesamtwert von 43 713 M, unverkauft blieben 719 Stück. Bezahlt wurde für 1 Paar Lämmer 42—54 M, fette Hammel 54—70 M, Jährlings-Hämmel 62—76 M, Göltschafe 75 M, Brackschafe 47 M.
Vor 40 Jahren.
Denkwürdigkeiten an den deutsch-französischen Krieg.
Montag, 24. Oktober 1870.
Schlettstadt kapituliert und wird besetzt. Scharmützel bei Marville, Avantgardengefecht bei La Vaivre.
71. Dep. vom Kriegsschauplatz. Kinz- heim. „Schlettstadt hat heute kapituliert. 2400 Gefangene, 120 Geschütze genommen. v. Schmeling."
Kinzheim. Auf Wunsch des Gouverneurs von Schlettstadt wurden in die Stadt Schlettstadt 3 preußische Bataillone gesteckt, um die betrunkenen französischen Soldaten und den Pöbel an Plünderungen und Ausschreitungen zu hindern.
Versailles. Der Großherzog von Mecklenburg- Schwerin hat heute das Kommando über die württem- bergische Fclddivision, die der 17. Infanterie-Division ab heute einverleibt wurde, übernommen. — Minister Dalwigk aus Tarmstadt und Friesen ans Dresden treffen heute zu den Ministerkonferenzen hier ein.
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Dienstag, 25. Oktober 1870,
Gefecht der Württemberger bei Nogent sur Seine. Rekognoszierungsgefechte des 1. bayerischen Armeekorps; bei Binas und Ourcelle. Gefecht bei Longchamps.
Versailles. Im königlichen Hauptquartier sieht man der Ankunft des Herrn Thiers entgegen. Ter König nimmt heute die gewöhnlichen Vorträge entgegen und empfängt die Minister der süddeutschen Staaten. — An die Kaiserin Eugenie in England ging heute eine Depesche ab, in der es unter Bezugnahme auf die dem Könige durch den preußischen Botschafter in London, Graf Bernstorff, unterbreiteten Friedcnsanträge heißt, daß auch der König von ganzem Herzen wünsche, den beiden Nationen den Frieden wiederzngeben, indes sei es nicht wahrscheinlich, daß Frankreich das Ergebnis der Verhandlungen anerkennen werde.
Nogent sur Seine. Heute Vormittag 2stündiges Gefecht gegen 2600 Mobilgarden, einige Hundert Nationalgarden und Franktireurs. 300 Mann gefangen genommen.
Schloß Frescaty. Zwei preußische Ordonnanz- Offiziere holten heute bei den Vorposten den General Changarnier ans Metz ab, um ihn mit verbundenen Angen in das Lager znm Prinzen Friedrich Karl zu geleiten. Als er die ihm zu hart dünkenden Uebergabebedingungeni auf Grund der Kapitulation von Sedan vernahm, vergoß der Franzose einen Strom von Tränen. Abends nahm er die Bedingungen mit nach Metz. Metz schwankt zwischen Uebergabe und weiterem Widerstand.
Remiremont. Gestern Nacht überfielen 45 Franktireurs das Hotel, in d«n 2 badische Ingenieure wohnten, und schleppten diese nach Besancon. Ein Zug roter Husaren und eineinhalb Kompagnien Württemberger aus Epinah besetzten hierauf die Stadt, legten ihr eine Kontribution von 200 000 Francs auf und nahmen den Kellner, den Hausknecht des Hotels, den Pfarrer und 5 angesehene Bürger der Stadt in Haft nach Epinal. Der Wirt des Hotels, war aus Furcht vor Strafe wahnsinnig geworden.
Versailles. Heute beginnen die Verhandlungen! Bismarcks mit den süddeutschen Ministern wegen Eintritt in den Norddeutschen Bund.
— Das fehlende Komma. Eine bemerkenswerte Ankündigung erläßt ein großer Wanderzirkus in der von ihm selbst herausgegebenen „Zirkns-Ztg." Es heißt da u. a.: „Das Sensationallste, was jemals ein Zirkus geboten Hai, nicht zu verwechseln mit anderen minderwertigen Unternehmungen." — Was doch so ein einziges! fehlendes Komma ausmacht!
— Unter Aviatikern. „Hast Tu Deinen Ne- berrbuhler ans Säbel gefordert 'oder üus'Pistolen?" —. „Nein, ich habe ihn zu einem Passagierflng eingaladen."
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